Edith Wolter
Können Sie Ihre Beweggründe beschreiben, hier in das Schillingstift zu kommen?
Das war im September 2012. Damals noch im Haus in Schnelsen. Bis zu dem Abend meines Schlaganfalls war ich völlig selbstständig und habe überhaupt nicht daran gedacht, krank zu werden. Ich war nachts im Bad und schrie um Hilfe, aber keiner konnte mich hören. Erst am nächsten Morgen kam der vierjährige Sohn meiner lieben bosnischen Nachbarn. Er war an die Tür gekommen, um sich vor dem Kindergarten ein Küsschen abzuholen und da hörte er mich. Mein Mann war schon 12 Jahre tot und ich fing gerade wieder an, zu leben.
Schnelsen liegt näher an Ihrem Zuhause, warum zogen Sie mit in den Neubau nach Blankenese?
Weil ich mich nicht von den Schwester trennen wollte. Ich habe eineinhalb Jahre gebraucht bis ich eingesehen habe, dass ich hierbleiben muss. Erst da entschloss ich mich, meine Wohnung zu verkaufen. Aber zum Glück habe ich meine Töchter, Enkel und Nachbarn,die mich besuchen. So auch die Frau, die man am Morgen nach dem Schlaganfall rief, da sie ja einen Schlüssel hatte. Sie lebte in der Wohnung unten und holte immer regelmäßig ihren schwer behinderten Sohn aus dem Heim. Er kam dann mit einem Spezialtransport und ich habe ihr natürlich geholfen, weil sie die Kraft alleine nicht hatte.
Sie sind ja in einem christlichen Pflegeheim, was ist für Sie der Unterschied zu anderen?
Ich kenne ja keine anderen Heime. Wir haben hier eine Morgenandacht und jeden 4.Donnerstag kommt eine Pastorin in unseren Wohnbereich. Neulich las uns eine Schwester die Ostergeschichte vor und ich muss sagen, dass mich das sehr beeindruckt hat. Sie zeigte uns ein Bild. Es war nicht Maria, die ihren toten Sohn auf dem Schoß hat, sondern Jesus, der einen Aidskranken auf dem Schoß hatte. Dahinter war ein Kreuz zu sehen. Wir sollten dann beschreiben, was wir bei dem Bild denken.
Und was dachten Sie?
Der Heiland hat ja noch die Krone auf und hilft dem Aidskranken. Also hilfsbereit bis zum „geht nicht mehr“.
Und ist dieses „bis zum geht nicht mehr“ das, was für Sie christlich ist?
Ja.
Haben Sie Angst vorm Sterben?
Klar nein! Was geschehen soll, geschieht. Ich habe erlebt, dass sich immer alle Sorgen um mich machen. Der Idealzustand wäre abends ins Bett zu gehen und morgens nicht wieder aufzuwachen.
Glauben Sie an eine Seele? Ein Sein in Gott?
Ja. Die Seele meines Mannes liegt in Niendorf auf dem Friedhof. Ich habe ihn nicht verbrennen lassen und wenn ich sterbe, gehe ich zu meinem Mann zurück. Wir haben eigentlich immer mit der Kirche gelebt, denn unser lieber Freund war Pastor in Geesthacht. Er traute uns auch in Sülldorf. Mir ist dieser Kontakt immer wichtig gewesen. Wir können hier zwar alle 4 Wochen die Frau Pastorin Richter sprechen, aber das ist wenig Kontakt.
Sie scheinen froh
Ich bin ein fröhlicher Mensch und habe auch oft gemerkt, dass ich hier die anderen angesteckt habe.
Bis ich hierher kam hatte ich noch nie etwas von Demenzkranken gehört. Wir sitzen hier zu viert am Tisch und eine Frau fragte jeden Tag wieder nach ihrem Zimmer. Das ist eine Krankheit, sage ich mir. Aber sie hat einen so netten Schwiegersohn und ich habe noch nie gesehen, dass ein Schwiegersohn so lieb mit seiner Schwiegermutter umgeht.
Haben Sie Freunde oder Bekannte unter Ihren Mitbewohnern?
Man hat leider nur sehr wenig Kontakt zu den anderen. Die sind sich alle eher selbst zugewandt. Meist erfährt man von den Angehörigen mehr, als von den Kranken selber. Wenn ich Menschen um mich haben möchte, kann ich mich raussetzen. Gestern saßen wir da mit „fünf Mann hoch“ – eine Erzählclique. Ich kann nicht alleine sein, ich bin immer gerne unter Menschen und mache alles mit, was mir angeboten wird und das ist viel.
Ist Ihr Leben schön?
Ja, ich bin dankbar dafür und möchte kein anderes gehabt haben.
Edith Wolter
geb. 29.5.1931 in Altona (dänisch)
Berufsausbildung zur Sekretärin
Mit 27 geheiratet und 2 Töchter
Gelebt in Sülldorf, Schulau und Niendorf