Fritz Kuhnke
Lieber Herr Kuhnke, wir sitzen hier in Ihrer gemütlichen kleinen Wohnung in der Seniorenwohneinrichtung Tabea. Nach Ihrer Geburt in Torgau haben Sie noch zwei Jahre den deutschen Kaiser erlebt, was für ein langes Leben! Wie lange kennen Sie unsere Gemeinde?
Seit 1958 bin ich in der Blankeneser Gemeinde. Damals leitete Prof. Jan Schmidt noch ehrenamtlich den Chor, in den meine drei Kinder im Alter von ca.15 Jahren eintraten.
Wie sind Sie mit Gott aufgewachsen?
Es war das übliche gut bürgerliche Haus, man war selbstverständlich in der Kirche und wie üblich war die Frau religiöser als der Mann. Mein Vater gehörte zur technisch-naturwissenschaftlichen Intelligenz. Vielleicht können Sie sich das nicht vorstellen, aber die lebten in der damaligen Zeit zu 80 Prozent kirchenfern. Sie hielten es für gut, wenn die Kinder religiös erzogen wurden, weil sie dann anständige Menschen wurden. Sie hatten also nichts dagegen, aber von Glauben war da nicht die Spur zu sehen. Meine Mutter betete regelmäßig mit uns, und am Sonntag wurde das jeweilige Evangelium nach dem Mittagessen gelesen, das erinnere ich noch.
Ich kann mir das sehr gut vorstellen...
Nebenbei bemerkt: Der Religions- und Konfirmandenunterricht hat mir überhaupt nichts gegeben. 1931 bin ich konfirmiert worden und bis 1945 habe ich dann eine Kirche nur von innen gesehen, wenn eine meiner Schwestern konfirmiert wurde.
Und wie sind Sie dann zur Kirche gekommen, als Physiker gehören Sie doch auch der technisch-naturwissenschaftlichen Intelligenz an?
1945 hörte ich über die von den Amerikanern und Engländern kontrollierten Radiosender von den Verbrechen der Nationalsozialisten. Mir waren diese Gräuel nicht bekannt und es führte mich in eine große Nachdenklichkeit. Es war kein besonderes Bekehrungserlebnis, aber eine langsame und vieljährige Veränderung. Ich lernte den damaligen Pfarrer der Hamburger Studentengemeinde kennen, der mich mit den Worten ansprach „Kommen Sie doch mal in die Bibelstunde“. Als einziger Nicht-Student – mein Studium der Physik hatte ich damals bereits längst abgeschlossen – blieb ich viele Jahre, so sehr gefiel es mir. Es hat mich reifen lassen. Später, Anfang der 60er Jahre, lernte ich Heinz Zahrnt kennen. Ich besuchte seine Vorlesungsreihe in der Uni Hamburg über die Theologie des 20. Jh., die wir im Anschluss an die Veranstaltungen in kleiner Runde mit intensiven Gesprächen in der nahe gelegenen Evangelischen Akademie fortsetzten. Später fasste er den Inhalt dieser Vorlesungen in dem Buch „ Die Sache mit Gott“ zusammen – so erlebte ich dessen Entstehung.
1949 habe ich etwas gehabt, was man wohl Gotteserfahrung nennt. Ich hatte das Gespür der unmittelbaren Nähe Gottes. Die Frage von Freunden „Bist du zu Gott gekommen, oder er zu dir?“ fand ich unsinnig. Ich bin dankbar und habe danach das Beten gelernt. Seitdem bete ich jeden Tag.
Und macht dieses Beten Ihre Tage schöner?
Jedes Gebet, für das ich Zeit und Sammlung finde, erspart mir eine psychotherapeutische Sitzung unter dem Titel „Stressabbau und Entspannung“. Das schenkt mir Gott, und zwar kostenlos! Zum Zweiten hat diese Sammlung zur Folge, dass meine körperliche Konstitution sich gebessert hat.
Und seit 24 Jahren besuchen Sie die Bibelstunde am Mittwoch.
Ja, das ist das eine „Bein“, mit dem ich heute noch in der Blankeneser Gemeinde stehe. Das zweite ist die Fortsetzung des, von Pastor Halver vor ca. 50 Jahren gegründeten Hauskreises, in dem ich „erst“ seit 1977 bin. Am Heiligen Abend gab es fünf Gottesdienste, von denen einer grundsätzlich im Gemeindehaus stattfand, der von Pastor Halver gehalten wurde. So lernten wir ihn kennen und er lud uns zu seinem Hauskreis ein. Nachdem Pastor Halver aufhörte, sagten wir uns „nun denn, dann machen wir es eben alleine“ und führten den Hauskreis fort. Wir trafen uns in den verschiedenen Häusern und nun, wo wir alle nicht mehr so mobil sind, treffen wir uns im Kaminzimmer im Pastorat Plank.
Wie ist Ihr „Gebrauch“ der Bibel?
Es ist ein täglicher. Ich lese auch die Losungen und diese kurzen Texte sind dann häufig der Einstieg. Ich möchte wissen, was davor und was dahinter steht.
In welchem Sinne ist die Bibel für Sie Gottes Wort?
Ich bin kein Anhänger der Verbalinspiration, sondern sehe die jeweiligen Verfasser der Texte als Menschen, die in ihrer damaligen Zeit mit beiden Beinen im Leben standen.
Nennen Sie mir doch eine Lieblingsstelle.
Zunächst der Vers, den ich auch auf die Todesanzeige meiner Frau vor 8 Jahren stellte: „In der Welt habt ihr Angst, aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden“, Johannes 16,33. Und dann ein wunderschöner Spruch, über den ich auch einmal predigte, er steht im 1.Joh. 4,7 und handelt von der Liebe. Ich habe ihn für meinen täglichen Gebrauch zusammengefasst in: „Wer liebt, kennt Gott, denn Gott ist Liebe“.
Unvergessen ist auch ein Spruch, den mir Pastor Plank auf meine Bitte hin einmal vor 30 Jahren am Telefon sagte. Ich musste damals 9 Monate im Bett liegen und half mir mit den Worten aus Lukas 11,9 „Bittet, so wird euch gegeben; suchet, so werdet ihr finden; klopfet an, so wird euch aufgetan“.
Was halten Sie von Laienpredigern?
Sie sehen, ich stehe dem Laienpredigertum sehr positiv gegenüber. Ich höre es gerne und würde es auch gerne wie in der Vergangenheit einmal wieder machen. Nun schaffe ich es nicht mehr.
Sie haben fast ein halbes Jahrhundert dieses Gemeindeleben mitgelebt, können Sie mir etwas mit auf den Weg geben?
Eine Gemeinde ist lebendig, wenn sie sich in verschiedene Kreise gliedert und somit ihr Leben auch nach dem gemeinsamen Gottesdienst fortsetzt. Die Pastoren sollten versuchen, die Kreise zu aktivieren, aber für deren Leben und Überleben sind letztendlich die Teilnehmer mit Hilfe der Pastoren selbst verantwortlich. Dass dieses möglich ist, zeigen mir der Bibelkreis und unser Hauskreis.
Und Sie zeigen es mir, lieber Herr Kuhnke.
Stefanie Hempel