Hildegard Gewalt
Liebe Hildegard Gewalt. Sie sind so oft in dieser Kirche, Sie organisieren die Musik in der Atempause, Sie freuen sich über Jugendliche und Kinder, Sie sind hohen Alters und, wie wir finden, oft so jung. Sie haben ein liebevolles Verhältnis zu Ihrer Tochter in Hamburg und leben nach dem Tod Ihres Mannes seit vielen Jahren schon alleine. Wenn es mich manches Mal am Mittwoch in die Nähe der Kirche treibt, sehe ich Sie eigentlich jedes Mal aus dem Gottesdienst „Atempause“ kommen. Auch am letzten Mittwoch. Ich musste schnell weiter, hätte Sie aber gerne gefragt, was Sie so bewegte.
Ich fühle mich jedes Mal bereichert. Dabei geht es mir weniger um die schöne Musik, die mittwochs oft zu hören ist. Als Musikerin freue ich mich daran, höre aber leider auch kritisch die Unfeinheiten. Nein, es ist diese einfache Liturgie dieser Andacht, dieses Fallenlassen in der Mitte der Woche. Ich möchte das nie versäumen. Und als Sie mich sahen, war wieder so ein Beispiel, das mich zum Nachdenken bringt: In der Bibelstelle ging es um Rache und Rächer – wenn so aus dem Koran zitiert wird, sagen wir alle „siehste“. Aber es steht eben auch in unserer Bibel und es tut mir gut, wenn Pastor Poehls es als menschliches Zeugnis einer Zeit einzuordnen weiß und sich und anderen die Freiheit gibt zu sagen „so glaube ich nicht“. Hier finde ich, was ich in der Kirche so lange gesucht habe. Ich bin lange herumgeirrt.
Können Sie diesen Weg beschreiben?
Ja, als Konfirmandin war ich sehr gläubig. Ich erinnere, dass uns die Konfirmationssprüche zugewiesen wurden. Ohne Einfluss darauf haben zu können, erhielt ich meinen liebsten: „Nun aber bleibt Glaube, Hoffung, Liebe..“ Ich hatte damit das Gefühl, dass Gott für mich sorgt. Dann kam die Auseinandersetzung mit dem NS-Reich, ich war 14, als der Krieg zu Ende war. In den ersten Jahren der Oberschule gehörte ich einer Mädchengruppe an. Es war schön, wir sangen und spielten Spiele. Dann sollte ich öffentlich einen Eid auf den Führer schwören. Ich blieb der Veranstaltung fern und sagte auf Nachfrage der Bannmädelführerin, dass ich nur auf Gott und nicht auf Menschen Eide schwöre. Ich bin dankbar für diese Erfahrung, denn sie lehrte mich, mir treu zu bleiben und zu überlegen, was mir wichtig ist im Leben.
Und wann kam die Zeit des Zweifelns?
Danach irgendwann. Von der Kirche habe ich mich sehr entfernt – innerlich. Es lag im Wesentlichen auch daran, dass ich mich in der praktizierten Abendmahlsliturgie nicht der Vorstellung hingeben konnte, Jesu Blut zu trinken. Ich lernte meinen Mann kennen, der sich mit indischer Philosophie beschäftigte. Mich faszinierte das und der christliche Gott und Dualismus schien mir viel zu eng. Aber ich scheiterte letztendlich auch in meiner Zuwendung zur indischen Philosophie und Religion, da es mir doch viel zu fremd war. Für das Lehramt habe ich später Musik und Theologie studiert und gerade Religion hat mir im Unterricht viel Freude gemacht, die Schüler waren so frei um Umgang damit. Bei dem Thema der Jungfrauenempfängnis sagte einer meiner Schüler „das könnte meine Mutter meinem Vater aber nicht erzählen“, er war 9 Jahre alt. Wir wohnten lange auf dem Land und ich konnte mit der Kirche dort nichts anfangen. Später, in Hamburg, lebte ich zumindest äußerlich gerne im Umfeld der Kirche durch die viele Kammermusik, die ich machte. Lange Zeit habe ich mit St. Simeon in Osdorf zusammengearbeitet.
Und wie kamen Sie dann hierher?
Ich ging in den Konfirmationsgottesdienst einer Schülerin. „Das ist mal Kirche“, dachte ich. Es dauerte noch einige Zeit, ich ging immer wieder hin und dann fragte ich am Ende Pastor Plank „nehmen Sie mich?“
Er hat wohl „ja“ gesagt, wie es aussieht...
Ja, und ich bin glücklich. Ich bin auch in einem Hauskreis. Ich schätze sehr die lebendige Auseinandersetzung dieser Pastoren mit der Bibel. Ich kann ihr das entnehmen, was ich brauche. Ich muss nicht alles glauben und mit dieser Freiheit bringt sie mich viel weiter und gibt mir so viele Erklärungen dafür, was in meinem Leben passiert.
In Ihrem Leben ist auch Schweres passiert, was trägt Sie?
Ich kann nicht tiefer fallen als in Gottes Hand. Diese Worte, auch von Frau Käßmann gesagt, habe ich in meinem Leben wirklich erfahren müssen und dürfen. Und das ist ein Grund für Dankbarkeit und es gibt mir immer wieder Kraft. Und dann liebe ich die Birke da draußen. Ich beobachte sie durch die Jahreszeiten, wie sie ihre Blätter bekommt, wie sie im Sommer prächtig ist und im Herbst ihre Blätter verliert. Ich versuche immer, mir etwas anzusehen, was Freude macht. Ich komme in diese Gemeinde, wo gelacht wird, wo in Hauskreisen gelesen, diskutiert und hinterfragt wird. Und auch ich bin in so einem Hauskreis und fühle mich dort aufgehoben und geborgen und immer wieder bereichert. Und ich komme in eine Gemeinde, in der so viele Jugendliche sind und die eine Akademie mit einem reichen Angebot hat und die mir auch Gelegenheit gibt, für andere Menschen etwas zu tun. - Ich will noch eines erzählen, zumal dies ja eine Weltethos-Gemeinde ist: Ich begleitete einen Mann aus Burkina Faso zum Gesundheitsamt, um zu übersetzen. Wir warteten endlos. „Wo wohnen Sie denn“, fragte ich. „Sieversstücken“. „Ach ja, unsere Kirche engagiert sich doch dort“, „ Ja, aber ich bin Muselmann - aber Muselmann und Christen: ein Gott!“ Und nach einer weiteren Pause sagte er: „ Unser Gott“ und mit diesen Worten streckte er mir seine Hand entgegen und wir beide strahlten.
Ein Glück, dass Pastor Plank damals „ja“ sagte.
Stefanie Hempel