Jutta Heitmann
Liebe Jutta Heitmann, diese Kirche nennt sich „Kirche am Markt“, fühlen Sie sich als „Markt an der Kirche“?
Ja schon, aber eigentlich spielt es im Alltag keine Rolle für uns. Wir sind meist auch so beschäftigt, dass wir noch nicht einmal das Mittagsläuten hören. Oftmals haben wir in der Kirche für Hochzeiten geschmückt und die Blumen dort werden auch von uns geholt. Wenn ich in der Kirche war habe ich oft gedacht, dass unsere Kirchen hier in der Umgebung von Neuengamme viel schöner sind. So ein schwarzer Pott als Taufbecken – bei uns ist es bunter mit vielen schönen Intarsienarbeiten. Aber hier ist mir aufgefallen, dass oft mal Menschen hineingehen und sich einfach nur in die Bänke setzen. Das ist bei uns nicht so – leider sind die Kirchen auch abgeschlossen.
Spielt die Kirche bei Ihnen im Dorf eine wichtige Rolle?
Die Kirchen hier machen viel für Alte und Junge, wir nehmen das als selbstverständlich. Es war immer so und so geht es weiter. Viele Kirchgänger haben wir eigentlich nie gehabt, aber außerhalb spielt sich im Umfeld der Kirche viel ab. Warum in der Stadt so viele aus der Kirche austreten, verstehe ich nicht so ganz. Hier macht man das nicht so.
Und warum bleiben die Menschen bei Ihnen in der Kirche?
Das ist Tradition, wir haben es von den Eltern übernommen – man ist da drin. Auch mein Sohn und seine Freundin kämen nicht auf die Idee, auszutreten.
Und warum treten Menschen aus der Kirche aus?
Wohl beinahe nur wegen des Geldes. Sie verpuffen es lieber anderweitig, als diese kleine Summe für Kirchensteuer zu zahlen. Ich kenne auch solche, die ausgetreten sind und sich dann kirchlich trauen lassen wollen. Die soll man mal ordentlich dafür zahlen lassen.
Was bewegt Sie dazu, recht regelmäßig auf den Friedhof in Neuengamme zu gehen?
Dort liegt mein Vater und andere, die ich kenne. Ich selber will nur eine Platte auf dem Rasen haben, denn mein Sohn wird ein Grab nicht pflegen. Anonym möchte ich auch nicht, denn wir brauchen doch einen Ort, wo wir hingehen können.
Wie sind Ihre Gefühle dort, auf dem Friedhof
Ich denke an die Menschen, die nicht mehr da sind und ich bin traurig darüber. Auch meine beste Freundin liegt dort und manchmal denke ich: „Mensch, immer die Guten müssen zuerst sterben und die Deubels, die bleiben dann am Leben“.
Finden Sie das ungerecht ?
Eigentlich ja, wenn ich ehrlich bin. Aber Gott denkt sich ja wohl was dabei, wenn er es so macht.
Und was sind Ihre Gedanken über Gott?
Es ist so und es geht immer weiter, aber eben anders. Es sagen ja auch viele, dass es einen Weltuntergang gibt. Ich kann mir das nicht vorstellen. Mein Großvater sagte immer „die Menschen kommen in ihrem eigenen Dreck um“. Nun glaube ich, dass das wahr ist mit all dem Schaden, den wir der Umwelt zufügen. Die Menschen erfinden selbst den Kram, der sie umbringt. Muss das so sein?
Brauchen wir eine Kirche?
Wie soll ich das formulieren? Also, ich glaube an den lieben Gott. Und ich glaube, dass wir diese Bindungen brauchen und auch die Feste, sie geben uns Halt.
Halt in der Not?
Wir hatten auch große Not in der Familie. Ein Kind zu verlieren ist wohl das Schrecklichste, was einem passieren kann. Aber es nützt nichts, wenn wir uns verschließen, wir müssen darüber sprechen. Vielleicht geht das auch bei der Kirche.
Engagierte Menschen der Kirchengemeinde hier haben ein Zukunfsforum gegründet, um sich für gesunde und freundliche und auch schöne Lebensbedinungen für folgende Generationen vor Ort einzusetzen. Wo könnten die Ihrer Meinung nach etwas tun?
Jetzt, wo die Tiefgarage ja hoffentlich vom Tisch ist, weiß ich es nicht so recht. Aber rund um den Markt sieht es schlimm aus. Überall Müll, den Leute sogar mit ihren Autos heranschleppen. Leergut, alte Pflanzen, einfach alles wird an den Zaun geschmissen und das in diesem feinen Blankenese. Es müsste hier doch eigentlich gepflegter aussehen. Man könnte mal eine Aufräumaktion machen. Über das Thema Plastiktüten haben wir auf dem Markt auch schon geredet und wir haben nun Leinenbüddel bestellt. Ob das hilft, weiß ich nicht. Ich glaube kaum, dass die Kirche dem Plastikmüll noch Herr werden kann.
Sie sorgen neben Ihrer Arbeit auf dem Markt für Ihren Schwiegervater, der im Haus unten lebt und auch für Ihre Mutter. Ist das auch eine Tradition?
Ja, aber letztendlich leben wir ja nicht mehr so eng zusammen, wie es z.B. bei meinen Großeltern war. Die lebten mit uns wirklich zusammen. Heute heißt es immer „Sie müssen viel trinken, damit Sie nicht dement werden“. Meine Großeltern haben wenig getrunken und waren völlig klar im Kopf. Wohl vielleicht auch deshalb, weil sie eingebunden waren und immer etwas zu tun hatten. Oh, lieber Gott, lass mich bloß nicht so alt werden, ich will nicht tüddelig und unzufrieden werden.
Es ist schön, bei Ihnen über die Wiesen zu sehen, herzlichen Dank.
Stefanie Hempel
Jutta Heitmann, geboren 30.12.1950 in Neuengamme
Aufgewachsen in der elterlichen Bäckerei und führt sie seit ihrer Heirat mit Ralf Heitmann eine Familien-Gärtnerei in Neuengamme.
Seit 30 Jahren verkauft sie auf dem Wochenmarkt in Blankenese auf einem Stand, der seit 60 Jahren von der Familie Heitmann geführt wird.
Seit Jahrzehnten wird der Blumenschmuck unserer Kirche von diesem Stand bezogen.