Marie-Thérèse Schins
Liebe Marie-Thérèse Schins,
herrlich, ein Blick über die Wipfel alter Bäume in Blankenese und ein Zuhause, welches sich aus der ganzen Welt zusammenzusetzen scheint. Sie haben so viel Liebenswürdiges von Ihren Reisen mitgebracht. Und Sie schreiben über die Welt?
Die wichtigen Erfahrungen, die ich durch meine Reisen in anderen Kulturen machen durfte, die Kontakte mit Kindern dort, möchte ich nicht nur für mich behalten. Inzwischen sehe ich es fast als eine Berufung, gerade in der heutigen Zeit, in der das „Fremde“ immer angstbesetzter wird, diese Bereicherung durch andere Kulturen aufzuschreiben und weiterzugeben. Dabei halte ich mich in meinen Büchern an die Realität, wie ich sie vor Ort erleben konnte. Die meisten Personen in meinen Büchern gibt es wirklich. In erzählender Form berichte ich für Menschen zwischen 4 und 94 Jahren wertfrei, in der Form von Reiseromanen und Reiseberichten über all das, was unseren Horizont erweitert. Dabei darf gelacht und geweint werden.
Sie leben als Schriftstellerin auch ein Leben in der Welt der Kinder, zum Beispiel in Büchern wie „In Afrika war ich nie allein“, „Ich bleibe in Ghana! Amas Reise“, „Eine Kiste für Opa“, was auch in Ghana spielt. Was möchten Sie Kindern hier geben?
Die Welt der Kinder weiten, das möchte ich. Kinder sind offen für alles, es ist so eine Freude. Ich versuche, ihnen von anderen Kulturen zu erzählen mit Worten, die sie verstehen. Worte haben so viel Ausdruck und Kraft, während die Bilder der Medien vorbeiziehen. Ich möchte Kindern die Angst vor dem Fremden nehmen, die ihnen ja auch oft über die Medien vermittelt wird.
Der Titel eines Ihrer Workshops heißt „Kultur macht stark – schau mal über den Tellerrand – Afrika“. Wie kann ich mir das vorstellen?
In meinen Workshops versuche ich möglichst, Gäste aus anderen Kulturen einzuladen. Davon haben wir in Hamburg reichlich. Gegenstände aus den verschiedenen Ländern, die ich mitbrachte, Fotos, sie sind immer mit dabei, wenn ich mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen lese, schreibe, male, mich austausche. Das Haptische, das Anfassendürfen, das Riechen und Sehen, das Hören von Musik aus der weiten Welt. Es ist wichtig in dieser Zeit, wo doch soviel nur noch in großer Geschwindigkeit auf elektronischen ‚Konserven‘ abläuft. Die Ruhe und die Zeit, die es dafür braucht, die nehme ich mir, weil ich weiß, dass es inzwischen etwas Besonderes ist, echte Personen befragen und erleben zu dürfen.
Wie ist die Resonanz der Eltern?
In der Regel positiv. Ich habe jedoch auch böse Elternbriefe bekommen. Das geschah, nachdem ich das Buch „Gloria und ihr roter Löwe“ mit den Jugendlichen gelesen hatte. Es ist eine Geschichte, zu der ich lange recherchiert habe. Sie erzählt von dem Schicksal eines Mädchens, das mit 9 Jahren in die Prostitution geschickt und schwer misshandelt wurde. Ich beschreibe solche Geschichten mit vorsichtigen Worten. Es waren Jugendliche an einem Gymnasium in Othmarschen. Erboste Eltern taten so, als ob ihre Kinder nichts aus dem Fernsehen und sonstigen Medien mitbekommen. Was sehen denn diese Kinder ständig an Gewalt? Das scheint nicht zu stören. Aber hier merke ich wieder, wie stark geschriebene Worte sein können. Ich wundere mich, dass solche Themen, die von uns Autoren so behutsam sprachlich aufbereitet werden, von Eltern so ablehnt werden können.
Und was machen wir jetzt? Wie gestalten wir die Welt zu einem guten Ort für diese Kinder?
Ja, da haben wir Autoren eine große Aufgabe. Wir müssen authentisch sein und nur von dem schreiben, was wir auch erlebt haben – keine „Internetgeschichten“. Wir sollten vor allem auch das Positive beschreiben und die Kulturen so vermitteln, wie sie sind, ohne dass wir mit Arroganz auf sie herabsehen. Ich habe das auch in meinem Buch „Ich will keinen Krieg! Shady aus Damaskus“ versucht. Es sind die kleinen, täglichen Dinge, deren authentische Beschreibung Kinder mit auf den Weg nimmt: „Wie essen die Kinder dort?“ oder „Shady darf nicht zusehen, wenn seine Mutter Unterwäsche ausprobiert“. Ich versuche auch, die zuhörenden Kinder mit einzubeziehen. Ich frage sie nach ihren Sprachen, und so war ich z. B. auch in der Stadtteilschule Hamburg Mitte wieder einmal erstaunt, wie viele Sprachen Kinder mit Migrationsgeschichte oft sprechen. Sie wissen viel über ihre Kultur zu erzählen. Sie kennen diese oftmals besser als deutsche Kinder die ihrige. Die wissen oft wenig. Das fängt schon damit an, dass sie die „Geschichte“ und Herkunft ihres Namens nicht kennen.
Sie haben viel Kinderliteratur über den Tod geschrieben, warum?
Wir verdrängen hier den Tod. Wir haben hier einen Laden, ich meine damit das Bestattungsinstitut, und da kann ich alles kaufen, um den Tod und die Toten von mir fern zu halten. Früher wurden Menschen aufgebahrt, heute verschwinden sie einfach. Aber in dieser Kirche hier gibt es auch Ulrike Drechsler (die Friedhofsleiterin, Anm. der Redaktion), die sich darum bemüht, den Tod in das Leben aufzunehmen.
Sind Sie religiös?
Leben und Tod gehören zusammen; für mich ist es wichtig an etwas zu glauben, was uns den Weg dieses Hinübergehens bereitet und uns dabei hilft. Das kann das Bild der Engel sein. Das können Bilder anderer Religionen – und viele haben ja auch Engel – sein. Eingebunden sein in etwas, was Leben und Tod miteinander verbindet, ist mir wichtig. Dann spielt es für mich keine Rolle, welchen Namen dieser Glaube hat.
Stefanie Hempel