Gudrun Hummel
Wie ist der Weg, der Dich zu dieser Aufgabe, der Vormundschaften, Betreuungen und Patenschaften für Minderjährige führt?
Wie fang ich an? Ich komme hier aus dem Dorf, bin in einem Fischerhaus von 1791 im Hanggebiet aufgewachsen. Vielleicht habe ich immer so etwas gehabt, was „soziale Ader“ genannt wird. Auf jeden Fall habe ich wohl gerne über den Tellerrand geguckt. Mein Wunsch war es, Politologie zu studieren, es wurde Jura, vor allem Internationales Recht in Hamburg und London. Eine Referendarstation habe ich in Brasilien verbracht und später, nach der Wende, in den 90ern während der Aufbauphase in einem Unternehmen in Rostock gearbeitet. In Kinderhilfe engagierte ich mich in Bukarest / Rumänien, wo ich drei Jahre lebte. Nach meiner Rückkehr habe ich eine zweijährige Zusatzausbildung, den „Anwalt für Kinder“, gemacht.
Und mit noch ein paar Zwischenstationen bist Du dann hier gelandet – welch ein Glück, für uns. Diese Einrichtung nennt sich Diakonieverein Vormundschaften und Betreuungen e. V. – warum?
Um Vormundschaften und Betreuungen nicht als Einzelkämpfer führen zu müssen, brauchen wir eine Vereinsstruktur. Das ist rechtlich so vorgesehen. Uns gibt es seit 1963, über 50 Jahre im Mühlenberger Weg. Du wirbst in der Öffentlichkeit vor allem für „Plan haben Hamburg“, was ist das? Seit 2008 vermitteln wir unter diesem Namen Patenschaften für Minderjährige. Dies war vor allem einem privaten Engagement in unserem Verein zu verdanken und dient dazu, Kindern Zeit, Zuwendung und Aufmerksamkeit und damit Orientierung zu geben. Derzeit setzt sich „Plan haben Hamburg“ insbesondere für minderjährige unbegleitete Flüchtlinge ein.
Gibt es für Dich einen Unterschied in den Bedeutungen Mitleid und Mitgefühl?
Ja. Mitleid ist mit-leiden. Etwas, was Menschen „runterzieht“ und am Ende kann es keine Hilfe sein. Bei mit-leiden besteht die Gefahr, dass man sich selbst verliert. Man macht die Sache zu seiner eigenen. Es ist wie eine Identitätsänderung. Mitgefühl ist dagegen wirklich begleitend. Es bedeutet, das Leid des anderen mit zu fühlen, es nachvollziehen zu können, aber man übernimmt es nicht.
Fragst Du Dich manchmal, ob das wohl alles gut geht mit der derzeitigen großen Empathie für ankommende Flüchtlinge?
Gerade jetzt schlägt die Stimmung ja ein bisschen um. Wir sollten keine zu großen Erwartungen wecken. In manchen Einrichtungen z. B. fehlen reale Vormünder und Paten. Dort gibt es aber wöchentlich Tennisunterricht, Kochkurse, gesponserte HSV-Karten, Theatereinladungen und vieles mehr. Dieses Zuviel entspricht doch gar nicht den Möglichkeiten, die Kindern normalerweise geboten werden. Wir produzieren falsche Erwartungshaltungen. In Eritrea heißt es beispielsweise: In Deutschland fließen Milch und Honig. Zu den Paten sage ich immer: „Seien Sie einfach da. Reden Sie Deutsch und zeigen Sie den Minderjährigen, wie unsere Gesellschaft tickt.“ Das allein ist notwendig für wirkliche Integration. Deutschsprechen und unsere Werte leben.
„Tickt“ die Kirche in Deinen Augen mit? Wie ist Dein Verhältnis zu ihr geprägt?
Ich bin in dieser Gemeinde groß geworden. Kirchliches Leben habe ich sehr positiv in Bukarest in der Internationalen Christlichen Kirche erfahren. Sie war weniger streng liturgisch als die deutsche ev. Kirche im Ausland. Wir erlebten ein Miteinander im Rahmen des Gottesdienstes, in dem wir auch viel für unser Leben organisierten – z. B. Ärzte, die in ihren Ferien kamen, kostenlos Rumänen behandelten und auch uns halfen. Die Kinder trafen sich während des Gottesdienstes zeitweise in „Sunday School“-Gruppen und meine Tochter fand es klasse. In der Zeit danach, in Bayern, kam eine eher kirchenlose Zeit. Nach unserem Rückzug nach Hamburg bat ich Pastor Warnke, meine Tochter wieder „ins Boot“ zu nehmen und das gelang. Manchmal denke ich jedoch, dass hier alles ein wenig fröhlicher zugehen könnte, etwa an Ostern: Da müsste man doch wirklich feiern und dies im Sinne von fröhlich und auch mit Musik, die das ausdrückt und die nicht nur getragen ist.
Und Gott?
Ich glaube, dass da etwas ist, was dem Leben einen Sinn gibt. Etwas, das wir nicht verstehen, aber auch nicht verstehen müssen. Auch das Leid. Wobei dieses Leid oft so zu sein scheint, dass es einem Menschen zugetraut wird. Wer so oberflächlich „vor sich hin plätschert“, dem wird wohl für sein Leben auch nicht so viel zugetraut. Mein Motto: Wenn er da oben glaubt, dass ich das schaffe, dann schaffe ich das auch. Und ich habe gelernt zu vertrauen. In meinem Leben ist nun wirklich sehr viel durcheinander gepurzelt, aber ich bin ihm zunehmend im Vertrauen gefolgt. Wozu vieles gut war, hat sich mir oft erst hinterher erschlossen.
Ist die Kirche als Institution wichtig für die Gesellschaft?
Ich bin mal ausgetreten, aber auch wieder eingetreten. Wohl deshalb, weil ich mich auch für meine Tochter und ihre Generation für bestimmte Werte einsetzen möchte. Für unsere Grundwerte, die für ein gemeinsames Leben auf dieser Erde so wichtig sind. Ich stehe dazu und meine, wir sollten uns gerade in der heutigen Zeit dazu bekennen. Sicherlich ist in der Kirche mit einer oft überbordenden Verwaltung auch manches überflüssig. Dennoch sind mir diese christlichen, sozialen Werte wichtig und wir dürfen sie nicht verlassen.
Stefanie Hempel