31. Dezember 2014
JahresEndzeitGedanken
"Wenn man da oben in so nem Raumschiff schwebt und runterschaut auf den kleinen blauen Planeten mit ner zerbrechlichen Atmosphäre, wenn man dann sieht wieviel schwarz dadrum ist, da ist wirklich im Universum kein anderer Ort auf dem wir Menschen leben können, dann wirkt es grotesk, dass Menschen sich bekriegen oder die Umwelt verschmutzen."
Der deutsche Astronaut Alexander Gerst (Nov. 14)
30. Dezember 2014
Weltfremd
Wer denkt
dass die Feindesliebe
unpraktisch ist
der bedenkt nicht
die praktischen
Folgen
der Folgen
des Feindeshasses
Erich Fried - für Helmut Gollwitzer
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zur Info (gesehen in der Haspa)
2 Kleinplastiken mit Boot - von Georg Schulz
Der Falke stammt von Dieter Asmus
29. Dezember 2014
So ist es
Ein Schmerz
zieht einen anderen
nach sich
Eine Freude
verdoppelt die andere
Eine Liebe
umarmt das Wort
DU
erfindet das Wort
Liebe
Rose Ausländer
28. Dezember 2014
Sich ausleben
Die Tage
zählen dich
zu ihren Bewohnern
Sie räumen dir
Stunden ein
In ihnen
lebt deinen Zeit
sich aus
27. Dezember 2014
In Weihnachtszeiten
In Weihnachtszeiten reis' ich gern
Und bin dem Kinderjubel fern
Und geh' in Wald und Schnee allein.
Und manchmal, doch nicht jedes Jahr,
Trifft meine gute Stunde ein,
Daß ich von allem, was da war,
Auf einen Augenblick gesunde
Und irgendwo im Wald für eine Stunde
Der Kindheit Duft erfühle tief im Sinn
Und wieder Knabe bin ...
Hermann Hesse
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es kann auch eine gute Stunde am Bahnhof geben - wie gestern
Oder die guten Zeit - wie immer - an der Elbe - irgendwo - mit tiefem Sinn
26. Dezember 2014
Diese Weihnachtszeit findet uns als ein ziemlich ratloses Menschengeschlecht. Wir haben weder Frieden in uns noch Frieden um uns. Überall quälen lähmende Ängste die Menschen bei Tag und verfolgen sie bei Nacht. Unsere Welt ist krank an Krieg. Wohin wir uns immer wenden, sehen wir seine verhängnisvollen Möglichkeiten. Und doch, meine Freunde, kann die Weihnachtshoffnung auf Frieden und guten Willen unter allen Menschen nicht länger als eine Art frommer Traum von einigen Schwärmern abgetan werden. Wenn wir in dieser Welt nicht guten Willens gegen die Menschen sind, werden wir uns durch den Missbrauch unserer eigenen Werkzeuge und unserer eigenen Macht selbst vernichten.
Ich träume davon, dass eines Tages die Menschen sich erheben und einsehen werden, dass sie geschaffen sind, um als Brüder miteinander zu leben. Ich träume auch an diesem Morgen noch davon, dass eines Tages jeder Schwarze in diesem Lande, jeder Farbige in der Welt auf Grund seines Charakters anstatt seiner Hautfarbe beurteilt werden und dass jeder Mensch die Würde und den Wert der menschlichen Persönlichkeit achten wird. Ich träume auch heute noch davon, dass eines Tages die untätigen Industrien von Appalachia wieder belebt und die leeren Mägen von Mississippi gefüllt sein werden und dass Brüderlichkeit mehr sein wird als ein paar Worte am Ende eines Gebets, vielmehr das vordringlichste Geschäft in der Agenda jedes Gesetzgebers. Ich träume auch heute noch davon, dass eines Tages das Recht offenbart werden wird wie Wasser, und die Gerechtigkeit wie ein starker Strom. Ich träume auch heute noch davon, dass in all unseren Parlamentsgebäuden und Rathäusern Männer gewählt und dort einziehen werden, die Gerechtigkeit und Gnade üben und demütig sind vor ihrem Gott. Ich träume auch heute noch davon, dass eines Tages der Krieg ein Ende nehmen wird, dass die Männer ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße zu Sicheln machen, dass kein Volk wider das andere ein Schwert aufheben und nicht mehr kriegen lernen wird. Ich träume auch heute noch davon, dass eines Tages das Lamm und der Löwe sich miteinander niederlegen werden und ein jeglicher unter seinem Weinstock und Feigenbaum wohnen wird ohne Scheu. Ich träume auch heute noch davon, dass eines Tages alle Täler erhöht und alle Berge und Hügel erniedrigt werden, und was ungleich ist, eben, und was höckerig ist, schlicht, und dass die Herrlichkeit des Herrn offenbart werden und alles Fleisch miteinander es sehen wird. Ich träume noch immer davon, dass wir mit diesem Glauben imstande sein werden, den Rat der Hoffnungslosigkeit zu vertagen und neues Licht in die Dunkelkammern des Pessimismus zu bringen. Mit diesem Glauben wird es uns gelingen, den Tag schneller herbeizuführen, an dem Frieden auf Erden ist. Es wird ein ruhmvoller Tag sein, die Morgensterne werden miteinander, singen und alle Kinder Gottes vor Freude jauchzen.
Martin Luther King - die ganze Predigt
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Gestern Abend hat es geschneit - wirklich - und heute, heute ist es immerhin kalt...
25. Dezember 2014
Der Stern geht auf um Mitternacht,
hat aller Welt das Licht gebracht.
Ehre sei Gott in der Höhe!
Ein Licht, so groß wie alle Welt,
davor die Nacht zu Boden fällt.
Ein Licht, so rein wie Himmelschein.
Wir sollen Gottes Kinder sein.
Ein Licht, so stark wie Gottes Geduld.
Davor erschrecken Not und Schuld.
Ein Licht, so weit wie alle Zeit.
Das führt uns in die Ewigkeit.
Der Stern geht auf um Mitternacht,
hat aller Welt das Licht gebracht.
Ehre sei Gott in der Höhe!
Rudolf Otto Wiemer
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Weihnachtesfeiern - gestern gefüllte Kirchen - und heute geht alles - einfach so - weiter: die Kunst von Weihnachten ist: Weihnachten bewahren
24. Dezember 2014
Und ein Gebot ging aus:
Es war die Zeit - vereehrter Herr! Bruder Theophilus, mein Freund,
als Kaiser Augustus allen Einwohnern des Reiches befahl,
sich überall im Land eintragen zu lassen,
wer einer sei und was er verdiente.
Es war die erste Zählung dieser Art;
sie wurde durchgeführt,
als Quirinius Statthalter in Syrien war,
und alle brachen auf, um sich eintragen zu lassen:
Jeder ging in seine Heimatstdt,
darunter auch Joseph:
Der zog von Galiläa, aus der Stadt Nazareth
nach Judäa hinauf,
in die Stadt Davids, die Bethlehem heißt;
denn er stammte aus Davids Haus
und wollte sich eintragen lassen,
zusammen mit Maria, die seine Braut war
und ein Kind erwartete.
Es war in Bethlehem,
als für sie die Zeit der Niederkunft kam
und sie ihren ersten Sohn gebar:
Sie wickelte ihn in Windeln
und legte ihn in eine Krippe im Stall,
denn im Haus war keine Bleibe für sie.
Walter Jens - Lukas 2, 1-7
23. Dezember 2014
Wann fängt Weihnachten an?
Wenn der Schwache dem Starken die Schwäche vergibt,
wenn der Starke die Kräfte des Schwachen liebt,
wenn der Habewas mit dem Habenichts teilt,
wenn der Laute bei dem Stummen verweilt
und begreift, was der Stumme ihm sagen will,
wenn das Leise laut wird und das Laute still,
wenn das Bedeutungsvolle bedeutungslos,
das scheinbar Unwichtige wichtig und groß,
wenn mitten im Dunkeln ein winziges Licht
Geborgenheit und helles Leben verspricht,
dann, ja dann,
fängt Weihnachten an!
Rolf Krenzer
22. Dezember 2014
Ein Rabbiner durchquerte ein Dorf, ging in den Wald und dort, am Fuße eines Baumes, betete er. Und Gott hörte ihn. Auch sein Sohn durchquerte dieses Dorf. Er wusste nicht mehr, wo der Baum war, und betete also an irgendeinem Baum. Und Gott hörte ihn. Der Enkel des Rabbiners wusste weder, wo der Baum war noch wo der ganze Wald war. Er ging zum Beten in das Dorf. Und Gott hörte ihn. Der Urenkel wusste weder, wo der Baum war noch der Wald noch das Dorf. Aber er kannte noch das alte Gebet. So betete er zuhause. Und Gott hörte ihn. Der Ururenkel schließlich kannte weder den Baum noch den Wald noch das Dorf noch das alte Gebet. Er kannte aber noch die Geschichte und erzählte sie seinen Kindern. Und Gott hörte ihn.
jüdische Legende
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Für die "Geschichte" braucht es bei uns den Baum - wir haben den größten Baum aller Zeiten.... in unserer Kirche
21. Dezember 2014
Mit fester Freude
Lauf ich durch die Gegend
Mal durch die Stadt
Mal meinen Fluss entlang
Jesus kommt
Der Freund der Kinder und der Tiere
Ich gehe völlig anders
Ich grüße freundlich
Möchte alle Welt berühren
Mach Dich fein
Jesus kommt
Schmück Dein Gesicht
Schmücke Dein Haus und Deinen Garten
Mein Herz schlägt ungemein
Macht Sprünge
Mein Auge lacht und färbt sich voll
Mit Glück
Jesus kommt
Alles wird gut.
Hanns Dieter Hüsch
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Das Weihnachtsoratorium in der Blankeneser Kirche - am Nachmittag für die Kinder - abends für "alle" - und alle mit Leidenschaft
20. Dezember 2014
Es gibt noch Wunder, liebes Herz,
getröste dich!
Erlöste dich
noch nie ein Stern aus deinem Schmerz,
des Strahlenspiel
vom hohen Zelt
in deiner Qualen
Tiefe fiel
und sprach: "Sieh, wie ich zu dir kam
vor allen andern ganz allein!
Du liebes Herz, wirf ab den Gram!
Bin ich nicht dein?
Getröste dich!"
Erlöste dich
noch nie ein Stern...
Christian Morgenstern
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Weihnachten in der Stadt - da müssen wohl schon viele Sterne "antreten" - auch in Münster
19. Dezember 2014
Immer wieder wird er Mensch geboren,
spricht zu frommen, spricht zu tauben Ohren,
kommt uns nah und geht uns neu verloren.
Immer wieder muss er einsam ragen,
aller Brüder Not und Sehnsucht tragen,
immer wird er neu ans Kreuz geschlagen.
Immer wieder will sich Gott verkünden,
will das Himmlische ins Tal der Sünden,
will ins Fleisch der Geist, der ewige, münden.
Immer wieder, auch in diesen Tagen,
ist der Heiland unterwegs zu segnen,
unseren Ängsten, Tränen, Fragen, Klagen
mit dem stillen Blicke zu begegnen,
den wir doch nicht zu erwidern wagen,
weil nur Kinderaugen ihn ertragen.
Hermann Hesse
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wie - das mit Kinderaugen - sehen? - Ruhrpott hautnah
18. Dezember 2014
Gottes Wege sind
dunkel,
aber das Dunkel
liegt nur auf unseren Augen,
nicht auf unseren Wegen.
Matthias Claudius
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ein lichtvoller Morgenspaziergang
17. Dezember 2014
Das Bleibende
Vergiß
daß du einmal
schön warst
Deine Schönheit
hat dich verlassen
Verlaß sie
komm zum Denkendas weiß
was schön
bleibt
Rose Ausländer
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Bauarbeiten auf dem Friedhof: Kolumbarien werden aufgebaut (lateinisch columbarium „Taubenschlag“, zu columba „Taube“)
16. Dezember 2014
Lichtkraft
Aus dem HImmel
eine Erde machen
aus der Erde
einen Himmel
wo jeder
aus seiner Lichtkraft
einen Stern ziehen kann
Rose Ausländer
15. Dezember 2014
Weiser werden -
das heißt auch fröhlicher werden
und verwundbarer
und staunender;
staunend vor allem, was trotz Schuld und Versagen gelingt;
und dankbar,
immer dankbarer werden,
nichts mehr selbstverständlich nehmen,
nichts mehr.
Wahrnehmen, dass wir von Gnade leben,
das macht fröhlich in Hoffnung.
Und ganz schlicht spornt es an,
in den nächsten Tagen festlich liebevoll
mit Menschen beieinander zu sein.
Traugott Giesen
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Die Orte sind oft befremdlich, die mit dem Staunen... - aber auch dort will sich Hoffnung entfalten - gerade dort.
... auch wenn alles auf ROT steht - oder durch alles Graue hindurch!
14. Dezember 2014
Zu sagen
"Hier
herrscht Freiheit"
ist immer
ein Irrtum
oder auch
eine Lüge:
Freiheit
herrscht nicht
Erich Fried
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ab 16 Uhr: Das Friedenslicht von Bethlehem wird vor der Kirche abgeholt und in die Häuser von Blankenese getragen.
Ach ja - und abends kam noch die Feuerwehr. Ein Container an der Kirche brannte. Er wurde beherzt - und friedevoll - gelöscht.
13. Dezember 2014
Für mehr als mich
Ich bin ein Sucher | Eines Weges
Zu allem was mehr ist
Als
Stoffwechsel
Blutkreislauf
Nahrungsaufnahme
Zellenzerfall.
Ich bin ein Sucher | Eines Weges
Der breiter ist | Als ich.
Nicht zu schmal | Kein Ein-Mann-Weg.
Aber auch keine | Staubige, tausendmal
Überlaufende Bahn.
Ich bin ein Sucher | Eines Weges.
Sucher eines Weges | Für mehr | Als mich.
Günter Kunert
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Vom Bahnhof bis zum Strandweg
12. Dezember 2014
Du kannst wählen
zwischen der Wahrheit
und der Ruhe,
aber beides zugleich
kann du nicht haben.
Ralph Waldo Emerson
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Heute mittag: Einfahrt der Artania
Länge 230, 61 m - Breite 29,6 m
Besatzung ca 420 | 1.200 Gäste in 600 Kabinen
11. Dezember 2014
Nicht müßig sind die Zeiten,
nicht fruchtlos rollen sie dahin
im Strombett unserer Sinneswahrnehmung;
Wundersames wirken sie im Gemüte.
Siehe, sie kamen und gingen vorüber
von einem Tag zum anderen,
und im Vorübergehen
säten sie in meiner Seele
neues Hoffen und Erinnern.
Augustinus
10. Dezember 2014
Man kann in dieser Welt,
wie sie ist,
nur dann weiterleben,
wenn man zutiefst glaubt,
dass sie nicht so bleibt,
sondern werden wird,
wie sie sein soll.
Carl Friedrich von Weizsäcker
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morgendlich - mit viel Wind, mit bewegter Elbe, stürmischem Himmel
9. Dezember 2014
Tempus fugit
amor manet
Es vergeht die Zeit
aber die Liebe bleibt
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unten beim MSC - mit etwas Zeit
8. Dezember 2014
Wir sollten nicht zulassen,
dass unsere Ängste
uns davon abhalten,
unseren Hoffnungen nachzugehen.
John F. Kennedy
7. Dezember 2014
Etti Hillesum -
1943 in Auschwitz umgekommen - keine 30 Jahre alt - hat ein Tagebuch geschrieben
frei zitiert:
Da es ja den Himmel gibt
Warum darf man darin nicht leben
Und:
Warum erst am Ende – der neue Himmel und die neue Erde
Eigentlich ist es eher umgekehrt:
Der Himmel lebt in mir
Ich muss Gott und den Himmel nicht außen suchen
Als Erfüllung ferner Verheißungen
Ich muss Gott und den Himmel suchen
Wo ich ihn oft am wenigsten suche:
In mir
So kann ich Not und Elend und Leid
Und Gottes Liebe
Zusammendenken
Denn Gott lebt in mir
Der Himmel ist in mir
6. Dezember 2014
Wenn schon Nikolaus, dann auch eine Geschichte von ihm:
Ein verarmter Mann beabsichtigte, seine drei Töchter zu Prostituierten zu machen, weil er sie mangels Mitgift nicht standesgemäß verheiraten konnte.
Nikolaus, noch nicht Bischof und Erbe eines größeren Vermögens, erfuhr von der Notlage und warf in drei aufeinander folgenden Nächten je einen großen Goldklumpen durch das Fenster des Zimmers der drei Jungfrauen.
In der dritten Nacht gelang es dem Vater, Nikolaus zu entdecken, ihn nach seinem Namen zu fragen und ihm dafür zu danken.
Ein Hinweis, rechtzeitig die größten Schuhe vor die Tür zu stellen... -
oder die Herausforderung - zum Teilen.
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Dazu die leider gräulichen Bilder aus der "City" - mit dem "Dom" direkt vor dem Bahnhof.
die ersten 4 Bilder am Morgen - die anderen am späten Nachmittag - desselben Tages...!
5. Dezember 2014
Jetzt werde ich eine kleine Geschichte erzählen. Ich hörte sie selbst vor langer Zeit, eine alte Dame erzählte sie mir, und ich habe sie niemals vergessen. Sie ging so – wenn ich mich recht erinnere:
Ich war jung zu jener Zeit, als fast alle Kinder oft geschlagen wurden. Man hielt es für nötig, sie zu schlagen, denn sie sollten artig und gehorsam werden. Alle Mütter und Väter sollten ihre Kinder schlagen, sobald sie etwas getan hatten, von dem Mütter und Väter meinten, daß Kinder es nicht tun sollten.
Mein kleiner Junge, Johan, war ein artiger und fröhlicher kleiner Kerl, und ich wollte ihn nicht schlagen. Aber eines Tages kam die Nachbarin zu mir herein und sagte, Johan sei in ihrem Erdbeerbeet gewesen und habe Erdbeeren geklaut, und bekäme er jetzt nicht seine Schläge, würde er wohl ein Dieb bleiben, ein Leben lang. Mit Müttern ist es nun einmal so, dass ihnen angst und bange wird, wenn jemand kommt und sich über ihre Kinder beschwert.
Und ich dachte: Vielleicht hat sie recht, jetzt muss ich Johan wohl eine Tracht Prügel verpassen. Johan saß da und spielte mit seinen Bausteinen – er war ja damals erst fünf Jahre alt -, als ich kam und sagte, dass er nun Prügel bekäme und dass er selbst hinausgehen sollte, um eine Rute abzuschneiden. Johan weinte, als er ging. Ich saß in der Küche und wartete. Es dauerte lange, bis er kam, und weinen tat er noch immer, als er zur Tür hereinschlich. Aber eine Rute hatte er keine bei sich.
“Mama” sagte er schluchzend, “ich konnte keine Rute finden, aber hier hast Du einen Stein, den Du auf mich werfen kannst!” Er reichte mir einen Stein, den größten, der in seiner kleinen Hand Platz fand. Da begann auch ich zu weinen, denn ich verstand auf einmal, was er sich gedacht hatte: Meine Mama will mir also weh tun und das kann sie noch besser mit einem Stein.
Ich schämte mich. Und ich nahm ihn in die Arme, wir weinten beide, soviel wir konnten, und ich dachte bei mir, dass ich niemals, niemals mein Kind schlagen würde. Und damit ich es ja nicht vergessen würde, nahm ich den Stein und legte ihn in ein Küchenregal, wo ich ihn jeden Tag sehen konnte, und da lag er so lange, bis Johan groß war. Ja, so sprach die alte Dame, die mir dies alles erzählte, als ich noch sehr jung war.
Astrid Lindgren
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eine Geschichte, die mir in die Hände fiel, als ich die Schiffe heute Morgen in Richtung Hafen fahren sah...
4. Dezember 2014
Interview
Wenn er kommt, der Besucher,
Der Neugierige und dich fragt,
Dann bekenne ihm, daß du keine Briefmarken sammelst,
Keine farbigen Aufnahmen machst,
Keine Kakteen züchtest.
Daß du kein Haus hast,
Keinen Fernsehapparat,
Keine Zimmerlinde.
Daß du nicht weißt,
Warum du dich hinsetzt und schreibst,
Unwillig, weil es dir kein Vergnügen macht.
Daß du den Sinn deines Lebens immer noch nicht
Herausgefunden hast, obwohl du schon alt bist.
Daß du geliebt hast, aber unzureichend,
Daß du gekämpft hast, aber mit zaghaften Armen.
Daß du an vielen Orten zu Hause warst,
Aber ein Heimatrecht hast an keinem.
Daß du dich nach dem Tode sehnst und ihn fürchtest.
Daß du kein Beispiel geben kannst als dieses:
Immer noch offen.
Marie Luise Kaschnitz
3. Dezember 2014
Gegengewicht
Das Gedicht
wird richtiger
Die Welt
wird falscher
Ich streiche
das Unnötige
das Nötige
wird deutlicher
Die Welt streicht
das Nötige
das Unnötige
wird verschwommen
die Weltmacht mir Angst
Sie ist schwächer
als ein Gedicht
Erich Fried
2. Dezember 2014
das beste Mittel
jeden Tag gut zu beginnen
ist
beim Erwachen
daran zu denken
ob man nicht wenigstens
einem Menschen
an diesem Tage
eine Freude machen könne.
Friedrich Nietzsche
1. Dezember 2014
Eine Friedens-Phantasie
Wenn die Krieger kommen
Lock sie aufs Dach der Taube
Lock sie ins Nest der Schwalbe
Lock sie in die Höhle der Löwen
Lock sie in den Wald der Rehe
Geh ihnen entgegen mit offenen Händen
Voll Brot und Salz, Obst und Wein
Dass sie sich verlaufen im Knüppelholz
Deiner Tugenden
Dass sie sich verlieren
Im Labyrinth deiner Freundlichkeiten
Mach sie staunen
Beschäme ihre Generäle und Präsidenten
Lass ihre Handlanger ins Leere laufen
Sei eine Tiefebene voll Höflichkeit
Dein Gewehr sei die Klugheit
deine Kraft sei die Geduld
Deine Geschichte sei die Liebe
Dein Sieg sei dein Schweigen
so dass sich die Landpfleger sehr verwundern.
Hanns Dieter Hüsch