Auferweckt zu neuem Leben

06.11.2011 | 01:00

Walter Lange

Bild »Ursula«

 

Liebe Gemeinde,

da findet eine Krankenschwester im Nachttisch eines jungen Mädchens, das in der Nacht verstorben war, einen Brief, adressiert an die eigene Mutter.[1]

 

"Liebe Mutter!

Seit einigen Tagen kann ich nur noch eine halbe Stunde täglich im Bett sitzen, sonst liege ich fest. Das Herz will nicht mehr. Heute früh sagte der Professor etwas - es klang so nach 'gefasst sein'. Worauf? Es ist sicher schwer, jung zu sterben! Gefasst muss ich darauf sein, dass ich am Wochenende ein Gewesener bin - und ich bin nicht gefasst.

 

Die Schmerzen wühlen fast unerträglich; aber wirklich unerträglich dünkt es mich, dass ich nicht gefaßt bin. Das Schlimmste ist, wenn ich zum Himmel aufblicke, ist er finster. Es wird Nacht, aber kein Stern glänzt über mir, auf den ich im Versinken blicken könnte.

 

Mutter, ich war nie gottesfürchtig; aber ich fühle jetzt, dass da noch etwas ist, das wir nicht kennen, etwas Geheimnisvolles, eine Macht, der wir in die Hände fallen, der wir antworten müssen auf alle Fragen. Und das ist meine Qual, dass ich nicht weiß, wer das ist.

 

Wenn ich ihn kennen würde!"

 

 

Bibelsicher könnte ich mit Paulus antworten:

            Da nämlich durch einen Menschen der Tod gekommen ist,

            kommt durch einen Menschen auch die Auferstehung der Toten.

 

Lesung: 1 Kor 15,20-28

 

Haben Sie einmal den Versuch unternommen, dies ihren Kindern oder Enkelkindern verständlich zu erklären. »Lieber nicht. Ich will mich doch nicht lächerlich machen.«

 

Das passiert übrigens auch denen, die dies berufsmäßig zu tun haben. So wurde ich an einer bayrischen Schule von einer Lehrerin in eine Diskussion verwickelt über das Bekenntnis zu Jesus als Sohn Gottes. Sie sagte mir, wie man zu sprechen habe: Jesus  ist wahrer Gott und wahrer Mensch. Gezeugt nicht geschaffen, eines Wesens mit dem Vater.

Ich fragte sie, ob sie so auch zu ihren Schülern der Klasse 10 spreche. Nein, das könne sie nicht.

 

Hier wird unser Dilemma deutlich: Wir können oft das, was wir glauben, nicht in einer verständlichen Sprache anderen mitteilen.

 

Die Argumentation des Paulus wird nicht nur von jungen Menschen hinterfragt:

·      Durch einen Menschen ist der Tod gekommen?

·      Ist dies eine heute noch zu vertretene Auffassung angesichts dessen, was uns die Evolution lehrt?

 

Auch Theologen kritisieren diese Sichtweise des Paulus, insbesondere seine These im Römerbrief:

 

Textzeile:      Der Sünde Sold ist der Tod.

 

Das heißt doch: Der Tod, genauer: die Sterblichkeit des Menschen ist Sündenstrafe. Rettung gibt es daraus nur in Gestalt der Gnade, die Gott aufgrund des Kreuzestodes Jesu, durch sein sühnendes Blut, gewährt.

 

Ich bin sprachlos, wenn ich lese, wie die EKHN diese Argumentation verteidigt: »Hinter dieser Auffassung steht die theologische Überzeugung, dass so wie der Tod

durch die Sünde in die Welt kam, die Sünde wieder durch den Tod hindurch in ihrer lebensfeindlichen Wirkung aufgehoben werden kann.«

Denn Christus bzw. Gott tritt ja „für uns“ d.h. für die Folgen unserer Sünde an unsere Stelle. Denn wir Sünder sind es, die den Tod verdient haben.»[2]

 

Ich selbst kann so nicht mehr glauben und sprechen.

Und ich denke an die vielen Menschen, die durch diese Theologie den Glauben an Gott verloren haben, weil sie sich weigern, einem Gott zu vertrauen, der ihnen Leid und Not schickt.

Und ich denke an die Mutter meines Freundes, der mit 24 Jahren tödlich an Krebs erkrankt war: »Was haben wir getan, dass Bernd diese schlimme Krankheit getroffen hat?«

 

Wie ernst Theologen diese Not nehmen, zeigt das Beispiel Eugen Biser. Dieser katholische Theologe ist inzwischen über 90 Jahre alt und weiter sehr aktiv. Der in Ihrer Gemeinde nicht unbekannte Klaus-Peter Jörns erzählt: »Als ich den damals fünfundachtzig Jahre alten Eugen Biser einmal gebeten habe, sich doch ein wenig mehr zu schonen – neben Vorlesungen an der Uni und Vortragsreisen im Land predigte er jeden  Sonntagabend in der Ludwigskirche -, antwortete er mir: ‚Die Kirche hat in ihrer Geschichte so viele Seelen gemordet, dass wir von der unbedingten Liebe Gottes predigen müssen, so oft es nur geht und so lange die Kräfte reichen.’«[3]

 

Deshalb hat auch der Buddhist Thich Nhat Hanh Recht, wenn er schreibt: »Das Bild von Jesus, das uns gewöhnlich präsentiert wird, ist das Bild von Jesus am Kreuz – ein qualvolles Bild. Es vermittelt keine Freude und keinen Frieden und wird somit Jesus nicht gerecht. Ich wünschte mir, unsere christlichen Freunde würden Jesus auch anders darstellen«.

 

Ich möchte nicht missverstanden werden: Es geht nicht darum, auf das Kreuz zu verzichten. Aber die Anfrage ist berechtigt, ob in unserer Verkündigung, ob in unseren Gebeten nicht viel zu sehr  Sünden, Opfer, Sühne ... im Mittelpunkt stehen und dass das Leben Jesu viel zu kurz kommt.

 

Damit der Glaube an Gott und Jesus Christus positive Energien frei setzen kann, brauchen wir eine Theologie und eine Sprache, zu der wir JA sagen können. Deshalb müssen wir das Befreiende / das Erlösende viel stärker von seinem Leben her verständlich machen.

 

 

Eine Frau hat mir geholfen, diese Frau:

 

Bild »Maria klagt«

 

Eine Katastrophe ist über sie hereingebrochen. ER ist tot, ER kann nicht mehr leben. Ihre Verzweiflung ist riesengroß. Denn ER hatte sie gerettet. Wir wissen nicht sehr viel aus ihrem Leben. Nur eine kurze Bemerkung im Lukasevangelium berichtet von ihr:

 

1 In der folgenden Zeit wanderte Jesus von Stadt zu Stadt und von Dorf zu Dorf und verkündete das Evangelium vom Reich Gottes. Die Zwölf begleiteten ihn,

 

2 außerdem einige Frauen, die er von bösen Geistern und von Krankheiten geheilt hatte: Maria Magdalene, aus der sieben Dämonen ausgefahren waren. (Lk 8,1-2)

 

 

Was immer man sich unter einer solchen Besessenheit vorstellen mag: ganz sicher scheint zu sein, dass ihr Leben »seelisch zerrissen bis zum Krankhaften (war), bis zum Psychotischen, und es geschah erst in der Nähe Jesu, dass ihr Ich sich wieder zusammensetzte und sie sich selber wieder zu gehören begann.«[4]

 

Anders formuliert: Jesus war für sie der Punkt, von dem her Ordnung in ihr Leben kam, an dem sie Festigkeit und Sicherheit gewann. Die Flucht vor den anderen hatte ein Ende.

 

Und dann hat sie etwas riskiert, was die Künstlerin Silke Rehberg  so ins Bild gebracht hat:

 

Bild »Maria salbt Jesus«

 

Sie wagt sich Jesus zu nähern, hat dafür das Kopftuch abgelegt. Sie hält die linke Hand zärtlich an seine Wange und beträufelt mit der rechten Hand sein Haar mit kostbarem Öl. Jesus lässt dies zu, mehr: Er scheint es zu genießen.

Doch das alles darf nicht sein. Der Hüter von Recht und Ordnung weist den Weg: »Raus mit dir!«

Auf Jesus macht dieser Alleswisser keinen Eindruck. Er weiß, was dieser Frau gut tut, wie er ihr helfen kann. Mit Erfolg, wie Lukas uns berichtet: Die sieben Dämonen sind ausgefahren.

 

 

Doch dann die Katastrophe. Für Maria geht die Welt unter. Sie verliert den Grund ihrer Hoffnung.

 

Bild »Jesus am Kreuz«

Er am Kreuz, die Quittung für sein engagiertes Leben. Jesus hatte erfahren, dass Gott kein Gott der Rache ist, sondern der Gott, der den Menschen Gutes tun will, der ihnen Halt im Leben sein will. So engagierte sich Jesus besonders für die, denen es dreckig ging. Das führte zu erbitterten Konflikten mit denen, die schon immer wussten, wer und wie Gott ist. Jesus schreckte auch davor nicht zurück. Er wollte nicht am Kreuz sterben. Auch als ihm bewusst wurde, dass sein Engagement tödlich enden könnte, blieb er seinem Auftrag treu: nicht um die Menschen zu erlösen, sondern um zu zeigen, wie man zu leben hat.

 

Bild »Maria am Grab«

Maria hält es zu Hause nicht mehr aus. Sie muss raus. Sie muss zu dem Ort, wo man ihn begraben hat. Maria sieht, dass der Stein vom Grab weggenommen war und spürt, dass jetzt nichts mehr da ist, woran sie sich halten kann.

Man hat meinen Herrn weggenommen, und ich weiß nicht, wohin man ihn gelegt hat.(Joh 20,13)

 

Wohlgemerkt: man hat meinen Herrn weggenommen! Wie viel liegt in diesem Ausdruck an Anhänglichkeit und Treue, an enttäuschter Hoffnung und verlorenem Halt, wie viel auch vom Empfinden einer tiefen Einsamkeit.

 

Da hört sie eine Stimme, sie dreht sich um und wird von einem Licht geblendet. Das eigentliche Ereignis ist nicht im Bilde, ist nicht greifbar zu machen, nicht einfach sichtbar. Dennoch gehen Maria die Augen auf:

 

Der Gekreuzigte lebt. Er ist nicht ins Nichts gefallen.  Gott hat ihn nicht im Stich gelassen. Er ist in jene unfassbare und umfassende Wirklichkeit hineingestorben, von ihr aufgenommen worden, die wir mit dem Namen Gott bezeichnen.

 

Sie spürt neue Lebensenergie. Diese Botschaft muss sie weitergeben: Er ist auferweckt zu neuem Leben. Die Botschaft fasziniert, begeistert von der Gewissheit, dass, wer an ihn sich hält und ihm nachfolgt, ebenfalls leben wird.

 

 

Doch was meint Auferweckung?[5]

 

 

Zunächst: Auferweckung meint keine Rückkehr in dieses raumzeitliche Leben: Der Tod wird nicht rückgängig gemacht, sondern definitiv überwunden: Eingang in ein ganz anderes, unvergängliches, ewiges, »himmlisches« Leben: in das Leben Gottes.

 

 

Dann: Auferweckung meint keine Fortsetzung dieses raumzeitlichen Lebens: Schon die Rede von »nach« dem Tod ist irreführend, denn die Ewigkeit ist nicht bestimmt durch zeitliches Vor und Nach. Ewigkeit meint vielmehr ein die Dimen­sionen von Raum und Zeit sprengendes, neues Leben in Gottes unsichtbarem, unbegreiflichem Bereich, symbolisch »Himmel« genannt. Also nicht einfach ein endloses »Weiter«: Weiterleben, Weitergehen, Weitermachen. Sondern ein endgültig »Neues«: Neuschöpfung, Neugeburt, neue Welt: Definitiv bei Gott sein und so das endgültige Leben haben, das ist gemeint.

 

 

 

Bild »Schmetterling«

 

Auferweckung zu einer neuer völlig anderen Existenzform. Sie lässt sich mit der des Schmetterlings vergleichen, der aus dem toten Raupen-Kokon ausfliegt. So wie dasselbe Lebewesen die alte Existenzform (»Raupe«) abstreift und eine unvorstellbar neue, ganz und gar befreite luftig-leichte neue Existenzform annimt (»Schmetterling«), so dürfen wir uns den Vorgang der Verwandlung unserer Selbst durch Gott vorstellen. Ein Bild – natürlich: Aber es besagt bekanntlich mehr als tausend Worte.

 

 

Heinrich Böll hat dies einmal so umschrieben:

 

»Wenn die Raupen wüssten, was einmal sein wird, wenn sie erst Schmetterlinge sind, sie würden ganz anders leben: froher, zuversichtlicher und hoffnungsvoller. Der Tod ist nicht das Letzte. Der Schmetterling ist das Symbol der Verwandlung, Sinnbild der Auferstehung. Das Leben endet nicht, es wird verändert. Der Schmetterling erinnert uns daran, dass wir auf dieser Welt nicht ganz zu Hause sind.«

 

 

 

Bild »Kreuz mit Sonne«

 

 

Und so dürfen wir alle unsere Verstorbenen ihm anvertrauen, wenn wir beten:

 

Guter Gott,

 

 

schenk Deine Herrlichkeit, Deine Zukunft und Deine Treue

 

unseren Verstorbenen.

 

 

Wir können nicht glauben, 

 

dass ihr Leben umsonst vorbeiging

 

und alles,

 

was sie  für die Menschen bedeutet haben,

 

nun verloren sein soll.

 

 

Vielmehr sind wir überzeugt:

 

Sie haben in Deinen Armen ewige Geborgenheit gefunden -

 

als Trost und Hoffnung für uns.

 

 

 

 

 

 

 

 

 


[1] Abgedruckt in Albert Biesinger, Kinder nicht um Gott betrügen, Freiburg 102000, S. 7f.

[2] Erklärung der EKHN zur Sühnopfertheologie, Abschnitt 19.

[3] Klaus-Peter Jörns, Mehr Leben, bitte! Zwölf Schritte zur Freiheit im Glauben, Gütersloh 2009, S. 195.

[4] Eugen Drewermann, Jesus von Nazaret. Bild eines Menschen, Düsseldorf 2008, S. 163.

[5] Vgl. Hans Küng, Credo. Das Apostolische Glaubensbekenntnis-Zeitgenossen erklärt, München 1992, S. 149 ff.

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