Epheser 4, 22-32

10.10.2010 | 16:39

Klaus-Georg Poehls

Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da ist und der da war und der da kommt! Amen.

Von der Fruchtlosigkeit der Ermahnungen, liebe Gemeinde, weiß wohl ein jeder sein Lied zu singen. Es mag das eher harmlose Lied eines Vaters pubertierender Jugendlicher sein, die auf die Bitte, doch das Zimmer aufzuräumen, mit „Ja, später“ antworten und niemals wird das Später von der Gegenwart eingeholt werden.
Es mag das stille Klagelied eines Pastors sein, der mit seinen Konfirmandinnen und Konfirmanden einen spannenden Glauben entdecken will, und nur er ist es, der spannend findet, was er da sagt, während die anderen in spannendere Gespräche vertieft sind.
Oder es singt einer von der Kirche, in der es so menschelt und meint doch eher eine ätzend quälende Zusammenarbeit von Menschen, die unduldsam und besserwisserisch und unbelehrbar sind.
Oder, um ein letztes zu nennen, es erklingt das kakophone Gelärm von Menschen, die immer nur die anderen auffordern, endlich zu tun, was ja wohl von ihnen erwartet werden kann. Und es werden die so Aufgeforderten identifiziert mit der Minderheit einer Gesellschaftsgruppe, ohne zu fragen, wie die Bindung zu dieser Gruppe eigentlich wirklich aussieht, ja, ob es diese Gesellschaftsgruppe so überhaupt gibt. Ich spiele bewusst auf die Integrationsdebatte an. Denn ich halte sie für infiziert, für krank – und in diesem Gottesdienst, so machten  schon das Evangelium und das Lied 320, das uns durch diesen Gottesdienst begleitet, deutlich, geht es um Heilung.
Ein Symptom dieser infizierten Debatte ist ja, dass ein jeder mit Rechtfertigungen beginnen muss, so als ob jeder seinen Impfausweis vorweisen muss, in dem steht: Geimpft gegen Blauäugigkeit, Gutmenschentum, Distanzlosigkeit, Naivität, Multikultiwahn, Religionsmischmasch und dergleichen gefährliches Zeugs mehr. Ich verzichte auf diese Rechtfertigung.
Mir wurde ein Artikel aus der taz zugeschickt, der sich auf eine Tagung der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft bezieht, die wohl am letzten Wochenende in Berlin stattgefunden hat. Anlass war die Beobachtung mancher Lehrer, dass in den Klassen mit einem hohen Anteil von sozial benachteiligten Schülern mit „Migrationshintergrund“ – was soll das für ein Wort sein? – die deutschen Schüler „Kartoffel“, „Nazi“ oder „Du Opfer!“ genannt würden. Gleichwohl war am Ende der Tagung eine Einigkeit darüber festzustellen, dass der Begriff „Deutschenfeindlichkeit“ nichts tauge zur Analyse der vorhandenen Konflikte. …
Und dennoch erschienen am Montag Artikel über diese Tagung mit Schlagzeilen wie „Wie Araber und Türken deutsche Schüler mobben“ oder „Schule und Integration. Das Gift der muslimischen Intoleranz“. „Wie kann es sein,“ schrieb die Kommentatorin der taz, „dass die mediale Rezeption die Tagungsergebnisse so ins Gegenteil verkehrt hat? Und sie machte einen „hegemonialer Diskurs“ aus, der dazu führe, dass „kritische Stimmen, die auf die gesellschaftlichen Ursachen von Selbstethnisierung bei Jugendlichen hinweisen“, ignoriert würden. Vielmehr würden nur die gehört, die behaupten, dass „die bundesdeutsche Bildungsmisere mit der vermeintlich "fremden" Kultur und Religion von Schülern mit "Migrationshintergrund", soll sein dem Islam, zu tun habe.“

Weiter schreibt sie: „Diese Haltung führt dazu, dass bei der Bewertung des sozialen Verhaltens von Serkan und Sebastian verschiedene Maßstäbe angelegt werden. Ist Sebastian frech gegenüber seiner Lehrerin, so ist er einfach nur schlecht erzogen, die Gründe für sein Handeln liegen im Individuum. Tut Serkan das Gleiche, kommt sofort der Verdacht auf, es läge an seiner "Kultur", sein Handeln speise sich aus dem Kollektivcharakter der Gruppe, der er zugerechnet wird. Während Sebastian also "einer von uns" ist und vielleicht noch lernen muss, sich als Individuum besser zu benehmen, muss Serkan sich erst mal "integrieren" und an "deutsche" oder wahlweise "westliche" Werte herangeführt werden, die Sebastian qua kultureller Zugehörigkeit selbstverständlich verinnerlicht hat.“

Soweit – zumindest mal ein Versuch, anders auf ein gesellschaftliches Problem zu gucken.
Denn wir kämen wohl kaum auf die Idee, die italienische Mafia-Gruppe, die hier in Hamburg verhaftet wurde, in Verbindung zu bringen mit dem römisch-katholischen Glauben, oder deren Kriminalität gar darauf zurückzuführen. Wir würden uns wohl weigern zu glauben, dass das in unserer Gesellschaft so stark verbreitetet Burn-out-Syndrom zusammenhänge mit der neuerdings um das Jüdische erweiterten christlich-jüdischen Leitkultur. Es dürfte auch auf Widerstand stoßen, wenn wir die Anonymität der Hochhaussiedlungen unserer Großstädte zurückführten auf das Vorbild Jesu von dem es in Matthäus 14, 23 heißt: „Und als er das Volk hatte gehen lassen, stieg er allein auf einen Berg, um zu beten. Und am Abend war er dort allein.“

Denn mit aus dem Zusammenhang gerissenen Bibelstellen kann man ja wohl genauso Schindluder treiben wie mit Koranstellen, gerade, wenn sie als wörtlich zu verstehen zitiert werden.
Können wir eigentlich auch anders? Und damit meine ich nicht nur einen verantwortlicheren und respektvolleren Umgang mit Bibel und Koran, eine differenziertere Betrachtungsweise von dem, was mit dem Islam, dem Christentum, dem Judentum ausgesagt werden soll, sondern ich frage weitergehend: Können wir als Christen eine andere Kultur schaffen, die noch einmal gänzlich anders ist als eine behauptete Leitkultur? Können wir, wie im Evangelium und getrieben durch den Glauben an eine alles verändernde Kraft Gottes, unserer Gesellschaft aufs Dach steigen, und unsere Kranken, der Heilung Bedürftigen ins Zentrum des Geschehens rücken?

Welche verändernde Kraft also trägt unser Glaube in sich? Kann er Berge versetzen oder Hügel oder Anhäufungen, ist er privat, nur auf mich als Individuum bezogen oder wirkt er hinein in Gemeinschaft und Gesellschaft – und zwar als eine Kraft zum Guten, zum Gottgewollten?
Die Alternative wäre, dass wir hängen bleiben an dem Satz, mit dem die NDR-Sendung  „Frühstück bei Stefanie eingeleitet wird „Es ist ja, wie es ist“ und wir so zumindest den status-qo des Menschlich-Allzu-Menschlichen erhalten und wir uns nicht unter unser derzeitiges eigenes Niveau begeben. Kann das aber reichen im Hinblick auf unsere Gesellschaft, im Hinblick auf China mit seinem neuen Friedensnobelpreisträger, im Hinblick auf den Zustand von Gottes Schöpfung?

Singen wir einmal kein Klagelied. Sondern das Hohelied des christlichen Optimismus, wie es Dietrich Bonhoeffer verfasst hat: „Es ist klüger, pessimistisch zu sein: vergessen sind die Enttäuschungen und man steht vor den Menschen nicht blamiert da. So ist Optimismus bei den Klugen verpönt. Optimismus ist in seinem Wesen keine Ansicht über die gegenwärtige Situation, sondern er ist eine Lebenskraft, eine Kraft der Hoffnung, wo andere resignieren, eine Kraft, den Kopf hochzuhalten, wenn alles fehlzuschlagen scheint, eine Kraft, Rückschläge zu ertragen, eine Kraft, die die Zukunft niemals dem Gegner überlässt, sondern sie für sich in Anspruch nimmt. Es gibt gewiß auch einen dummen, feigen Optimismus, der verpönt werden muss. Aber den Optimismus als Willen zur Zukunft soll niemand verächtlich machen, auch wenn er hundertmal irrt; er ist die Gesundheit des Lebens, die der Kranke nicht anstecken soll. Es gibt Menschen, die es für unernst, Christen, die es für unfromm halten, auf eine bessere irdische Zukunft zu hoffen und sich auf sie vorzubereiten. Sie glauben an das Chaos, die Unordnung, die Katastrophe als den Sinn des gegenwärtigen Geschehens und entziehen sich in Resignation oder frommer Weltflucht der Verantwortung für das Weiterleben, für den neuen Aufbau, für die kommenden Geschlechter. Mag sein, daß der jüngste Tag morgen anbricht, dann wollen wir gern die Arbeit für eine bessere Zukunft aus der Hand legen, vorher aber nicht.“ (D. Bonhoeffer, Widerstand und Ergebung, München 1951, S. 25)

Und jetzt erst, inspiriert durch den Optimismus des Glaubens, vertrauend auf eine Kraft, die größer ist als meine kleine, kann ich auf den Predigttext aus dem Epheserbrief blicken.

Der Verfasser erinnert seine Leser daran, dass sie doch Christus kennengelernt haben, dass er doch in ihnen ist durch Gottes Geist und dass sie deshalb, wie sie bei ihrer Taufe einst ihr altes Kleid ablegten und ein neues anzogen, so auch ihr altes Verhalten, ihr altes Wesen ablegen und einen neuen Menschen anziehen können. Und er ermuntert sie, doch das zu sein, was sie von Gott her sind und sein können. Hören wir zum Schluss Vers für Vers diesen Text und den kleinen poehlsschen Versuch, ihn interpretierend zu übersetzen:

22 Legt von euch ab den alten Menschen mit seinem früheren Wandel, der sich durch trügerische Begierden zugrunde richtet – Lasst euch nicht aufreiben durch all das, was uns vorgespiegelt wird als Begehrenswert, als „must have“, als Symbol von Erfolg und Sinn!
23 Erneuert euch aber in eurem Geist und Sinn  - Lasst in euren Verstand Gottes Geist einziehen und durchdringt neu und im Geiste Jesu, was euch umgibt!
24 und zieht den neuen Menschen an, der nach Gott geschaffen ist in wahrer Gerechtigkeit und Heiligkeit. Versteht euch neu, ganz neu als Kinder Gottes, befähigt, Gottes Schöpfung und Kreatur zu wahren und Gerechtigkeit zu schaffen!
25 Darum legt die Lüge ab und redet die Wahrheit, ein jeder mit seinem Nächsten, weil wir untereinander Glieder sind. – Ihr steht für mehr als für eich selbst; ihr seid unverzichtbare Teile einer Gemeinschaft, die Christus in der Welt sein lässt. Eure Verlogenheit, eure Lebenslüge sind ein Schlag ins Gesicht Christi. So zeigt, wer und was euch trägt, worin ihr eure Wahrheit habt!
26 Zürnt ihr, so sündigt nicht; lasst die Sonne nicht über eurem Zorn untergehen – Lasst euren Zorn nicht zu groß werden, sodass er euch trennt, von dem was ihr doch liebt. Beendet euren Tag nicht, ohne auf euer Herz zu hören und still zu werden.
27 und gebt nicht Raum dem Teufel.  – Immer ist da einer, immer ist da etwas, der oder das alles durcheinanderwirft – lasst eich nicht beherrschen vom Diabolos, vom Durcheinanderwerfer!  
28 Wer gestohlen hat, der stehle nicht mehr, sondern arbeite und schaffe mit eigenen Händen das nötige Gut, damit er dem Bedürftigen abgeben kann. – Handelt gerecht und fair! Nur, was ihr erwirtschaftet habt, sei eures, aber es sei nicht nur für euch, sondern immer auch für den Menschen in Not! Gönnt den anderen und seid großzügig!
29 Lasst kein faules Geschwätz aus eurem Mund gehen, sondern redet, was gut ist, was erbaut und was notwendig ist, damit es Segen bringe denen, die es hören. – Hütet euch vor dem faulen Mundgeruch auch christlichen Geschwätzes! Gott schuf durch sein Wort, von ihm her habt ihr den Auftrag, durch eure Worte aufzubauen – den zerbrochenen Menschen, die zerstrittene Gemeinschaft! Lasst Segen das Ziel eurer Worte sein!
30 Und betrübt nicht den Heiligen Geist Gottes, mit dem ihr versiegelt seid für den Tag der Erlösung. – In euch tragt ihr den Geist Gottes, den Geist der Befreiung und der Freiheit!  Ihr seid zur Freiheit berufen, berufen zu lösen und nicht zu binden, so wie ihr schon erlöst seid und eure Erlösung euch noch erreichen wird. Ihr kränkt, ihr verleumdet Gottes Geist, wo ihr unbegründete Angst habt und Angst macht, wo ihr resigniert und droht!
31 Alle Bitterkeit und Grimm und Zorn und Geschrei und Lästerung seien fern von euch samt aller Bosheit. – Berufen seid ihr nämlich zur Hoffnung und zur Freude, zur Schönheit der Worte und zum Gesang der Hoffnung!
32 Seid aber untereinander freundlich und herzlich und vergebt einer dem andern, wie auch Gott euch vergeben hat in Christus. – Lebt Versöhnung, geschehene und aufgetragene, hier und jetzt, in dieser Gemeinde, in dieser Gesellschaft. Ja, Amen.

Zurück

Theologin Petra Bahr neu im Deutschen Ethikrat

21.05.2020

Hannover (epd). Die evangelische Theologin und Ethik-Expertin Petra Bahr hat acht Wochen nach dem Beginn der Corona-Krise an die Eigenverantwortung der Menschen appelliert. In der aktuellen Phase der Krise mit vorsichtigeren Lockerungen werde es viel schwieriger, angemessen mit der Bedrohung durch das Coronavirus umzugehen als vorher, sagte die hannoversche Regionalbischöfin am Donnerstag dem Evangelischen Pressedienst (epd).

weiter...

Kleine Abendmusik vom Turm

13.05.2020

Unsichtbar, aber voller Kraft: Jeden Mittwoch und Sonntag schallen – seit zwei Wochen schon - nach dem abendlichen Glockengeläut um kurz nach 18 Uhr Trompeten-Choräle aus dem Kirchturm in den Ort hinunter. Der Turmbläser, dessen Musik viele Menschen aus dem Umfeld der Kirche erfreut, möchte ungenannt bleiben. Wir fühlen uns reich beschenkt – und danken ihm herzlich!

Der zentrale ökumenische Gottesdienst zum 75. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkrieges

08.05.2020
EKD-Newsletter: Die Aufzeichnung des Ökumenischen Gottesdienstes aus dem  Berliner Dom ist noch in der Mediathek der ARD verfügbar: Am Gottesdienst wirkten der Ratsvorsitzende der EKD, Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz (DBK), Bischof Georg Bätzing, sowie der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland (ACK), Erzpriester Radu Constantin Miron, mit.
 
Die Predigt hielten Heinrich Bedford-Strohm und Georg Bätzing gemeinsam. Der Gottesdienst stand unter dem Leitwort „Frieden!“ und fragte nach der Verantwortung, die aus der Befreiung von der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft vor 75 Jahren heute für ein friedvolles Miteinander erwächst.

Willkommen zurück: Gottesdienst in der Blankeneser Kirche!

07.05.2020

 

So 10. Mai, 10 + 11 Uhr | Kirche | Predigt: Pastor Thomas Warnke
Musik: Kantor Stefan Scharff, Karin Klose, Gesang
Die Kirchengemeinde schreibt: "Wir dürfen wieder Gottesdienst in der Kirche feiern. Und so wagen wir am kommenden Sonntag „Kantate“, dem 10. Mai, einen Neuanfang. Strenge Auflagen sind zu bedenken: Sicherheitsabstände von zwei Metern, Hygiene-Regeln, Masken-Pflicht. Singen ist noch nicht erlaubt, dafür aber Summen – und natürlich musikalische Begleitung durch Orgel und Solisten. Trotzdem wird es ein schöner, ganz besonderer Gottesdienst werden!

weiter...