Estomihi, Jesaja 58, 1-9a
Gottes Gnade, die Liebe Jesu Christi und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns alle. Amen
1 Rufe getrost, halte nicht an dich! Erhebe deine Stimme wie eine Posaune und verkündige meinem Volk seine Abtrünnigkeit und dem Hause Jakob seine Sünden! 2 Sie suchen mich täglich und begehren meine Wege zu wissen, als wären sie ein Volk, das die Gerechtigkeit schon getan und das Recht seines Gottes nicht verlassen hätte. Sie fordern von mir Recht, sie begehren, dass Gott sich nahe. 3 »Warum fasten wir und du siehst es nicht an? Warum kasteien wir unseren Leib und du willst's nicht wissen?« Siehe, an dem Tag, da ihr fastet, geht ihr doch euren Geschäften nach und bedrückt alle eure Arbeiter. 4 Siehe, wenn ihr fastet, hadert und zankt ihr und schlagt mit gottloser Faust drein. Ihr sollt nicht so fasten, wie ihr jetzt tut, wenn eure Stimme in der Höhe gehört werden soll. 5 Soll das ein Fasten sein, an dem ich Gefallen habe, ein Tag, an dem man sich kasteit, wenn ein Mensch seinen Kopf hängen lässt wie Schilf und in Sack und Asche sich bettet? Wollt ihr das ein Fasten nennen und einen Tag, an dem der HERR Wohlgefallen hat? 6 Das aber ist ein Fasten, an dem ich Gefallen habe: Lass los, die du mit Unrecht gebunden hast, lass ledig, auf die du das Joch gelegt hast! Gib frei, die du bedrückst, reiß jedes Joch weg! 7 Brich dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus! Wenn du einen nackt siehst, so kleide ihn, und entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut! 8 Dann – wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte, und deine Heilung wird schnell voranschreiten, und deine Gerechtigkeit wird vor dir hergehen, und die Herrlichkeit des HERRN wird deinen Zug beschließen. 9 Dann wirst du rufen und der HERR wird dir antworten.
Liebe Gemeinde,
I.
Es ist die Zeit nach dem babylonischen Exil. Um etwa 500 vor Christus, die Zeit der persischen Vorherrschaft. Viele Juden kehrten zurück in die Heimat, nach Jerusalem, das seit der Eroberung vor gut 70, 80 Jahren, verschlafen und immer noch in großen Teilen zerstört daliegt. Es ist die Zeit eines Neubeginns, die Zeit der Aufarbeitung dessen, was passiert war, und die Zeit der Neuorientierung. Priester- und Laienkreise sammelten alte Texte ihrer Religion und Geschichte. Man suchte nach einer verbindlichen Tradition, nach einem Fundament, um ein Gemeinwesen neu zu gestalten, neu zu denken. Nicht als Staat, eher als eine Art Volks- und Glaubensgemeinschaft. Die Perser beherrschten den Orient weit bis nach Ägypten, an einen eigenen Staat war nicht zu denken, aber sie ermöglichten mit einer toleranten Religionspolitik viele Freiheiten. Auf der anderen Seite aber installierten sie eine harte Steuerpraxis, die vor allem die Armen des Volkes, zumeist Kleinbauern, die gerade das hatten, was sie zum Leben brauchten, in bittere Armut und Verzweiflung trieb.
Ein krasser Riss teilte die Gesellschaft in eine große Gruppe von Armen und eine kleine Schar Reicher. Und letztlich lag das Schicksal vieler Verarmter, deren Weg oft in der Sklaverei endete, - letztlich lag ihr Schicksal in der Hand jener aristokratischen, wohlhabenden Oberschicht.
Manche dieser judäischen Aristokraten fühlten sich aus langer Tradition verbunden und solidarisch mit ihrem Volk, diesem Gottes Volk, als Nachkommen Abrahams, Isaaks und Jakobs. Und als solche sahen sie sich verpflichtet, den Gesetzen des Mose zu folgen, die in ihrer Funktion und ihrer Ausrichtung auch als eine Art Sozialgesetz für die Armen dienten. Sie lebten gemäß dieser Weisungen in ausdrücklicher Solidarität mit den Ärmsten und erzogen ihre Kinder in diesem Sinne, wovon viele Weisheitstexte und -Psalmen der Bibel und dann auch das Hiobbuch ein anschauliches Bild geben.
Andere aber aus dieser Oberschicht entschieden sich für die loyale Zusammenarbeit mit den Persern und damit für ihren eigenen Vorteil. Die Not der Armen und ihr Schicksal interessierten sie nicht.
Um diese letztere Personen-Gruppe geht es in den prophetischen Worten des dritten Jesajabuches, im gehörten Predigttext.
Nun hatten die Mitglieder dieser Oberschicht ein munteres Interesse vor allen an weisheitlicher Lebenspraxis - und Formen - und Praktiken persönlicher Frömmigkeit, wie z.B. das Fasten, wogegen die Armen und Ärmsten ihre theologische Heimat in der Prophetie fanden. Die Propheten, und so auch die Sammlungen der Prophetenworte im dritten Teil des Jesajabuches, waren die Stimme der Armen.
II.
Wir begegnen hier der Frage, wie ein solidarisch ausgerichtetes Gemeinwesen gelingen kann. Wie Solidarität gelebt werden kann.
Und es ist interessant, dass gleich zu Beginn das ganze Volk angesprochen ist, das Haus Jakob. Verkündige meinem Volk seine Abtrünnigkeit - für die doch aber die Geschlagenen und Unterdrückten, die Hungrigen und Elenden eigentlich keine Verantwortung tragen?
Und doch redet Gott, der sich ja in den Prophetenworten ausdrückt, vom Volk, vom ganzen Volk. Volk ist immer ein schwieriger Begriff. Hier ist er vor allem eine theologische Idee: das Volk Gottes, das Haus Jakobs, die Nachkommen Abrahams..., ein imaginär-mythologischer Begriff, der ein Idealbild von einem Miteinander meint.
Und es ist kein exklusives Miteinander. Hier werden nicht die einen ausgeschlossen und die anderen wegen ihres Elends idealisiert. Nein, die Absicht ist es, dass es funktioniert – und zwar mit allen. Denn alle werden gebraucht. Hier wird nicht die Revolution ausgerufen, nicht der gewaltsame Widerstand. Dieses Projekt „Volk Gottes“ kann nur mit allen gelingen.
Wie Jesaja sagt: Entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut – und meint das Volk der Kinder Abrahams.
Aber ganz sicher funktioniert es nicht durch ein Fasten, das mühelos als Heuchelei enttarnt wird.
Noch einmal Jesaja:
Siehe, an dem Tag, da ihr fastet, geht ihr doch euren Geschäften nach und bedrückt alle eure Arbeiter. 4 Siehe, wenn ihr fastet, hadert und zankt ihr und schlagt mit gottloser Faust drein. (...) 5 Soll das ein Fasten sein, an dem ich Gefallen habe, ein Tag, an dem man sich kasteit, wenn ein Mensch seinen Kopf hängen lässt wie Schilf und in Sack und Asche sich bettet?
Zuviel Show, zuviel inhaltsleere Äußerlichkeit, und ein würdeloses, egoistisches und verachtendes Verhalten gegenüber anderen Menschen. Was der Prophet unter Fasten versteht, ist dann schon eher ein konkretes sozialethisches Programm:
Lass los, die du mit Unrecht gebunden hast, lass ledig, auf die du das Joch gelegt hast! Gib frei, die du bedrückst, reiß jedes Joch weg! 7 Brich dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus! Wenn du einen nackt siehst, so kleide ihn, und entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut! (- deinem Volk)
Fasten ist die Aufforderung zu einem anderen Tun, zu einem sozialen, mitfühlenden und gerechten Handeln. Nicht begrenzt für eine Zeit, sondern als eine Haltung im Leben.
Fasten ist ein Bild für ein Umdenken.
Fasten ist auch ein Bild für Verzicht.
Und wenn wir diesen Fokus noch etwas schärfer denken, sehen wir in diesem Propheten-Wort die Traditionslinie, die sich dann in den Bildern vom Reich Gottes in der Predigt Jesu wiederfindet. Es ist diese um Gerechtigkeit und Würde schreiende Stimme – das „Rufe getrost“ am Anfang unseres Textes heißt soviel wie: Schrei so laut du kannst! - es ist dieser prophetische Schrei, der in die die Verkündigung Jesu hineinmündet, der sich in vielen Gleichnissen vom Reich Gottes wiederfindet...
Eine der Kernbotschaften Jesu – neben der Nächsten- und Feindesliebe - heißt „Verzicht“. Er predigte offen von Verzicht auf Macht, auf Herrschaft, auf Status, auf Besitz. Und er hat es gelebt.
Die Theologie spricht hier von Demut und meint damit die Überwindung von Unterschieden. Jesus predigt von der Überwindung von Unterschieden in Macht, in Besitz und Statuts – und zwar in beide Richtungen, von oben nach unten und von unten nach oben. Bei Lukas sagt Jesus: „So werden die Letzten die Ersten und die Ersten die Letzten sein“, in dem Reich-Gottes-Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg.
Das ist keine Gleichmacherei. Dazu sind die Menschen viel zu verschieden. Es ist der Weg von dem Bemühen um Gerechtigkeit und Solidarität hin zum Reich Gottes.
III.
Das Evangelium ist keine Gewinner-Geschichte, denn im Reich Gottes gibt es keine Verlierer. Verlieren kann nur das Volk Gottes als Ganzes., die Menschheit – wenn man so will.
Die Frage bleibt, ob so ein etwas sperriges und unattraktives Wort wie „Verzicht“ motivieren kann zu einem anderen Tun und Denken?
Kann Demut eine Lebenshaltung werden? Und welche Stimme stellt sich da gleich und sofort in den Weg?
Die ab Mittwoch beginnende Fastenzeit gibt jedenfalls wieder einmal die Möglichkeit, dies auf Zeit auszuprobieren.
Als Jesus seine Jünger aussendet, damit sie selber mal ausprobieren können, wie es ist, in Vollmacht des Geistes Gottes - Apostel zu sein, schickt er sie mit nichts los: „Steckt euch kein Gold, kein Silber und kein Kupfergeld in euren Gürtel; ´besorgt euch` auch keine Vorratstasche für unterwegs, kein zweites Hemd, keine Sandalen und keinen Wanderstab...“
Denn dahinter liegt etwas weit Größeres, wenn es gelingt, wenn das Miteinander gelingt und das Vertrauen aufbricht, dass Gott all das gibt, was es zum Leben braucht:
Dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte, und deine Heilung wird schnell voranschreiten, und deine Gerechtigkeit wird vor dir hergehen, und die Herrlichkeit des HERRN wird deinen Zug beschließen. 9 Dann wirst du rufen und der HERR wird dir antworten.
Amen