Gründonnerstag Fastenpredigtreihe: Joh 1,5

24.03.2016 | 20:00

 Jesus macht nicht mehr mit.  
Wie Roberts Zweifel meinen Glauben stärkte.

Er lag unbequem in dem flachen Grab. Es war wie immer reichlich kurz geworden, so dass er die Knie krumm machen musste ... Und die Erde war so unirdisch kalt ... Sollte man das ganze Leben so unbequem liegen? Ach nein, den ganzen Tod hindurch sogar! Der war ja noch viel länger.

Zwei Köpfe erschienen am Himmel über dem Grabrand. Na, passt es, Jesus? fragte der eine Kopf ... Jesus antwortete: Jawoll. Passt. Die Köpfe am Himmel verschwanden. Nur der Himmel war noch da mit seinem grauenhaften Abstand.

Jesus ... stützte ... seinen linken Arm auf die Grabkante und stand auf... Er stand in dem viel zu flachen Grab... und sagte leise: Ich mach nicht mehr mit.

Was ist los, glotzte der eine von den beiden ... Ich mach nicht mehr mit, sagte Jesus ebenso leise. ... Haben Sie gehört, Unteroffizier, Jesus macht nicht mehr mit ...

Ich kann das nicht mehr. Er stand in dem Grab und hatte die Augen zu. Die Sonne machte den Schnee so unerträglich weiß. Er hatte die Augen zu und sagte: ... Jeden Tag sieben oder acht Gräber. Gestern sogar elf. Und jeden Tag die Leute da reingeklemmt in die Gräber, die ihnen immer nicht passen. Weil die Gräber zu klein sind.

Jesus ... kletterte aus dem Grab heraus und ging vier Schritte auf einen dunklen Haufen los. Der Haufen bestand aus toten Menschen ... Jesus legte seine Spitzhacke leise und vorsichtig neben den Haufen von toten Menschen. Er hätte die Spitzhacke auch hinwerfen können, der Spitzhacke hätte das nicht geschadet. Aber er legte sie leise und vorsichtig hin, als wollte er keinen stören oder aufwecken ... Dann ging er, ohne auf die beiden anderen zu achten, an ihnen vorbei ... auf das Dorf zu ...

Jesus! Sie kehren sofort um! Ich gebe Ihnen den Befehl! Sie haben sofort weiter zu arbeiten! Der Unteroffizier schrie, aber Jesus sah sich nicht um ...

Jesus heißt in der Erzählung von Wolfgang Borchert Jesus, weil er so sanft aussieht. Er hat mit dem Jesus von Nazareth erst einmal nichts zu tun. Oder vielleicht doch!? Wolfgang Borchert lässt ihn seinen Dienst verweigern. Jesus macht nicht mehr mit. Ich komme darauf zurück.

Die Laienpredigten in dieser Fastenzeit betrachten „Lebenswege – Glaubenswege“ . Es geht um Vorbilder im Glauben.

Ein anspruchsvolles Unterfangen. Als wir in einer Vorbesprechung die Aufgabenstellung erörterten, war mir klar, da ist kein Abstand zu einem Text oder einem Ereignis oder einer dritten Person.  Es geht ans „Eingemachte“ – wenn es um ein Vorbild im Glauben geht, dann geht es um meinen Glauben.

Dass ich Vorbilder im Glauben hätte, kann ich so nicht sagen. Gut, meine Familie hat meinen Glauben geprägt. Ich bin froh, dass meine Eltern und Großeltern mir den Glauben nahe gebracht haben. Und mein Gottesbild hängt eng zusammen mit meinem Bild, das ich von meinen Eltern und auch von meinen Großeltern habe.

Mittags wurde bei uns ein Kapitel aus der Kinderbibel von Anne de Vries gelesen: „Der Herr Jesus kann alles“, so stand es da. Ich zweifelte nicht daran. Ich war für Jesus und gegen die Pharisäer.

Meine Eltern und Großeltern gehören zu meinem Kinderglauben, auch wenn ich sie nicht darauf reduzieren will.

Mein Großvater hieß Robert. Ein guter Typ. Ich mochte ihn. Er war auch bei meinen Freunden beliebt. Das machte mich stolz. Kennen Sie den fliegenden Robert aus dem Struwwelpeter. Etwas davon hatte mein Großvater. Klein, drahtig, bei Wind und Wetter draußen. Leicht nach vorne gebeugt. Die Hände auf dem Rücken gefaltet. Solch eine Haltung führt zwangsläufig nach vorne. Er konnte gut zeichnen, sammelte Briefmarken und machte lange Wanderungen mit uns. Noch bis ins hohe Alter. Er war ein frommer Mann. Er glaubte fest und treu wie Daniel.  Ein Held war er aber nicht. Auch keine Da-geht’s-lang-Persönlichkeit. Er war eher schüchtern. Er starb mit 84 Jahren. Da war ich 15.

Er hatte einen gnädigen Tod, jedenfalls körperlich gesehen. Er war nur kurz krank und starb an Lungenentzündung. In den letzten Wochen haben ihn Glaubenszweifel geplagt. Mein Vater erzählte, dass das so sei. Gesprochen haben wir weiter nicht darüber. Sein Jesus, wie Wolfgang Borchert es sagen würde, machte nicht mehr mit. Angesichts des nahenden Todes dessen verlustig zu gehen, woran man das ganze Leben lang geglaubt hat, ist schlimm. Ich konnte es mir nicht vorstellen. Habe aber immer wieder darüber nachgedacht. Und je älter ich werde, desto öfter denke ich bei meinen eigenen Zweifeln an Robert.

Über meinen Glauben habe ich nie gerne gesprochen. Mitunter habe ich mich dafür geschämt. Nicht, dass ich meinen Glauben nicht wertgeschätzt hätte. Darüber zu reden, ist mir zu intim. Ich trage mein Herz nicht auf der Zunge. Wirklich Bemerkenswertes gibt es von meinem Glauben auch nicht zu berichten.  Und sicher bin ich mir meines Glaubens keinesfalls.

Mein Glaube hätte verloren gehen können. Wie bei Robert...  Nein, nicht wie bei Robert. Ich hätte ihn fahrlässig verloren. Robert, hat ihn verloren, als es ernst wurde.

Der Jesus in der Geschichte von Wolfgang Borchert macht nicht mehr mit. Der Herr Jesus aus der Kinderbibel kann eben doch nicht alles.

Die Borchert-Geschichte ist keine moderne Passionsgeschichte. Da will ich mich nicht überheben. Ein einziger Gedanke hat mich bewogen, sie in die Predigt einzubeziehen. Was ist, wenn Jesus nicht mehr mitmacht?  Wenn er seinen Dienst verweigert. Da kann ich noch so brüllen. Jesus dreht sich nicht um...

Wie ist es Robert gegangen? Der ganze lange Tod lag vor ihm. Und Jesus drehte sich nicht mehr um... Ich weiß nicht, wie es ihm gegangen ist.

Ich habe meinen Glauben nicht verloren. Aber Zweifel habe ich. Ich rede nicht von dummen oder oberflächlichen Zweifeln, die sich durch Information leicht beseitigen lassen. Ich rede von Zweifeln, die dann bleiben oder wieder kommen. Zweifel gehören scheinbar zum Glauben. Aber zufrieden geben mag ich mich damit nicht.

Ich habe versucht, zu verstehen, woran ich glaube. Ich wollte nicht einfach nur „glauben“, sondern auch „wissen“. Ich wollte vernünftig glauben. Glauben, so Hans Küng, meint mehr als das Fürwahrhalten bestimmter Glaubenssätze, meint, was Vernunft, Herz und Hand eines Menschen bewegt, was Denken, Wollen, Fühlen und Handeln umfasst.

Leicht gemacht habe ich es mir nicht.  Ich habe Theologie studiert - gelernt, biblische Aussagen aus dem Kontext zu begreifen - die Bibel nicht wörtlich, sondern ernst zu nehmen. Zu entmythologisieren gibt es da reichlich. Abschiede von übernommenen Vorstellungen sind notwendig.

Seit 16 Jahren lebe ich in Blankenese. Für meine Frau und mich ist es ein Glück, gleich ein Zuhause auch in der Kirchengemeinde gefunden zu haben.

In den Predigten begegnete mir eine neue Christologie. Dass Gott ein Versöhnungsopfer braucht, um seine Geschöpfe, die er liebt, zu erretten, wird in Frage gestellt. Das war für mich eine Befreiung. Gottes Liebe ist bedingungslos. Nicht an meine gute Tat gebunden. Und auch nicht an Jesu stellvertretend erlittenen Sühnetod. Gleichzeitig stellen die Predigten mir Jesus als den vor, der mir, wie kein anderer, Gott nahbar macht. Er bezeichnet Gott als Vater. Nicht exklusiv als seinen Vater, sondern als unseren Vater. Zu ihm will er mir den Zugang verschaffen.  Er ist die Tür.

So will ich glauben und verstehen. Aber mir ist klar, dass mit dem, was ich gerade verstanden habe, eben noch nicht alles verstanden ist. Es gibt keine fertigen Antworten. Da zählt sich nicht 1 und 1 zu 2 zusammen. Die Sache mit dem Glauben ist komplexer. Außerdem spüre ich eine Skepsis gegenüber meinem eigenen Verstehensvermögen. Ich will den Glauben nicht auf das, was zu verstehen ich in der Lage bin, reduzieren.

Wie war es bei Robert. Er ist seinen Fragen nachgegangen. Ich besitze seine Bibel. Die Seiten sind dünn gelesen. Viele Randnotizen weisen darauf hin, wie ernsthaft er bei der Sache war. Doch am Ende waren die Zweifel vorne. Da war es finster.

Wie im Johannes-Prolog:

Im Anfang war das Wort. Und das Wort war bei Gott. Und Gott war das Wort. Dasselbe war im Anfang bei Gott. Alle Dinge sind durch dasselbe gemacht. Und ohne dasselbe ist nichts gemacht, was gemacht ist. In ihm war das Leben und das Leben war das Licht der Menschen. Und das Licht scheint in die Finsternis. Und die Finsternis hat´s nicht ergriffen.

Die Finsternis hat´s nicht ergriffen. Das scheint in Glaubensangelegenheiten eine Grunddisposition zu sein.

Mir ist es tröstlich, dass Zweifel scheinbar zum Glauben gehören. Wenn Robert zweifeln durfte, dann darf ich es auch. Durch meine Zweifel fühle ich mich mit ihm verbunden. Und umgekehrt, stärkt sein Zweifel meinen Glauben.

Ich habe meinen Kinderglauben erwähnt. In den letzten Jahren empfinde ich wieder eine stärkere Verbundenheit zu diesem Kinderglauben. Mein Grundvertrauen – um das mich meine Frau beneidet – fußt nicht in meinem aufgeklärten, sondern in meinem Kinderglauben.

Das, was ich zwischenzeitlich verstanden habe, bleibt. Und auch die Zweifel bleiben. Zweifel muss sein, schreibt Margot Käsmann in ihrem neuen Buch „Im Zweifel glauben“, sonst wird Glauben zum Fundamentalismus. Zum Amen gehört das Aber.

Robert wusste, dass er sterben würde. Und das Danach war für ihn finster. Wenn wir wüssten, dass mit dem Tod nicht alles zu Ende ist, hätten wir eine andere Einstellung zum Tod, sagte Wolf-Dieter Hauenschild in seiner Laienpredigt. Es wird ganz anders, sagt mein Vater und stellt damit allen romantischen Vorstellungen von einem ewigen Leben und einem großen Wiedersehen ein Fragezeichen entgegen.

Wir glauben an die Auferstehung der Toten und an das ewige Leben, werden wir gleich gemeinsam bekennen. Wie immer das wird. Ich kann es gläubig mitsprechen. Aber nicht ohne Zweifel.

Glauben und Zweifel gehören zusammen. Das relativiert den Glaubenden als Akteur. Und es stellt klar: Zweifel und Versagen haben nichts miteinander zu tun.

Robert hat nicht versagt. Jesus macht doch noch mit.

Das bezweifle ich. Und das glaube ich ganz fest.

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