Heilige Nacht 2014 - Horst Gorski

25.12.2014 | 00:00

Predigt über Johannes 1, 1-14 in der Christmette am 24. Dezember 2014 um 23.00 Uhr in der Blankeneser Kirche

Liebe versammelte Schwestern und Brüder in der Christnacht!

Neuerdings soll das christliche Abendland gerettet werden. Ja, das möchte ich auch! Ob Grund zu einer solchen Rettungsaktion besteht, lassen wir einmal dahingestellt. Aber was eigentlich ist „das christliche Abendland“? Als ich in diesen Tagen die Bilder demonstrierender Menschen sah, deren Ziele ich nicht ganz verstehe, die aber sangen: „Alle Jahre wieder kommt das Christuskind auf die Erde nieder, wo wir Menschen sind“ – da wusste ich nicht, ob ich das für missbräuchlich halten sollte oder ob es mich nicht doch rührte, dass Menschen, wie verquer auch immer, bei dieser Botschaft vom Christuskind Halt suchen.

Ich möchte mich mit Ihnen auf eine Spurensuche machen. Auf die Spurensuche nach den Wurzeln des christlichen Abendlandes. Keine Stunde im Jahr wäre dazu geeigneter als diese. Denn wann soll das christliche Abendland begonnen haben, wo soll es seine Wurzeln haben, wenn nicht in dieser Nacht, in der Gott Mensch und Christus geboren wurde.

Betrachten möchte ich mit Ihnen die Weihnachtsgeschichte des Johannesevangeliums. Keine „Geschichte“, erzählt wie bei Lukas, eher ein geheimnisvoll-spekulativer Text. Er beginnt in der Lutherübersetzung mit dem berühmten Satz „Im Anfang war das Wort.“ Im Griechischen steht dort „Logos“ – ein Wort mit großer Bedeutungsbreite. Logos kann Wort heißen, aber auch Weisheit, Sinn, Kraft... und es kann etwas bedeuten, das man auf deutsch nur unzureichend, aber ungefähr mit „Gottesfunke“ übersetzen kann. Und mit diesem Begriff will ich es einmal versuchen. Dann lautet die Weihnachtsgeschichte bei Johannes so:

„Im Anfang war der Gottesfunke, und der Gottesfunke war bei Gott, und Gott war der Gottesfunke. Derselbe war im Anfang bei Gott. Alle Dinge sind durch den Gottesfunken gemacht, und ohne ihn ist nichts gemacht, was gemacht ist. In ihm war das Leben, und das Leben war das Licht der Menschen. Und das Licht scheint in der Finsternis, und die Finsternis hat's nicht ergriffen. ... Der Gottesfunke war das wahre Licht, das allen Menschen leuchtet, die in die Welt kommen. Er ist in der Welt und die Welt ist durch ihn entstanden, aber die Welt hat ihn nicht erkannt. ... All denen aber, die ihn angenommen haben, gab er Vollmacht, Kinder Gottes zu werden. ... Und der Gottesfunke wurde Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seinen Glanz, einen Glanz wie den eines einziggeborgenen Kindes von Mutter und Vater voller Gnade und Wahrheit.“

Können Sie etwas anfangen mit dieser Vorstellung, dass Gott in jeden Menschen einen Funken von sich gelegt hat? Das klingt etwas spekulativ, aber manchmal ist mir das ganz unmittelbar nah: Wenn ich in der Stille, im Gebet, versuche, auf den Grund meiner Seele zu schauen, dann ist es mir, als ob dort so ein Funke zu sehen, oder wenigstens zu ahnen ist.

Diese Vorstellung hat ihren Wert aber nicht nur für die fromme Betrachtung des einzelnen, in der privaten Frömmigkeit. Wenn ich ernst nehme, was Johannes schreibt, dass dieser Funke Gott selbst ist und alle Dinge durch den Gottesfunken gemacht sind und er allen Menschen leuchtet, dann hat das ziemlich weitreichende Konsequenzen für die Würde aller Menschen und der ganzen Schöpfung.

„Und der Gottesfunke wurde Fleisch...“ – was Johannes mit Fleisch meint, ist auch für die Fachleute nicht ganz klar. Ganz sicher heißt es nicht: Und der Gottesfunke wurde Deutscher. Auch nicht: Und der Gottesfunke wurde Patriot. Und auch nicht: Und der Gottesfunke wurde Christ. „Fleisch“ meint mindestens alle Menschen: Der Gottesfunke wurde Mensch, in Jesus Christus und dadurch in allen Menschen. Wahrscheinlich muss man „Fleisch“ bei Johannes aber noch weiter fassen und die Tiere und Pflanzen oder sogar die ganze Schöpfung einbeziehen.

Auf diese Botschaft geht das christliche Abendland zurück, darauf und nur darauf kann es sich berufen, wenn es ein christliches Abendland sein will: Der Gottesfunke wurde Mensch, wurde Schöpfung. Ein Funke Gottes lebt in jedem Menschen, in jedem Teil der Schöpfung. Diese Botschaft ist von großer Humanität, ja Liebe zur Schöpfung erfüllt. Das christliche Abendland ist kein „closed shop“, sondern eine Liebesbewegung für die ganze Welt. Wäre das christliche Abendland nur damit zu retten, dass man menschenfeindliche Ansichten vor sich herträgt, wäre da wohl nichts, was sich zu retten lohnte...

Der einziggeborene Sohn Gottes war voll Gnade und Wahrheit. Wahrheit heißt auf griechisch „a-lätheia“, d.h. das „Un-verdeckte“. Wahrheit ist als biblischer Gedanke also nicht das, was einer hat und andere nicht und wofür man Menschen ausgrenzt oder umbringt. Wahrheit ist das Unverdeckte, also das, was wir erkennen können, wenn die Decke dieser sichtbaren Welt eines Tages von unseren Augen abfällt. Wahrheit ist das, was wir mit dem Herzen sehen, beim Blick in unsere eigene Seele und beim Blick ins Angesicht eines Menschen oder der Schöpfung. Wahrscheinlich ist, wenn die Decke von unseren Augen abfällt, eben nichts anderes als der Gottesfunke zu sehen.

Wir erleben heute, dass diese Botschaft in einer gewissen Verunsicherung über der Suche nach Heimat und Geborgenheit unter die Räder zu geraten droht. Zu Weihnachten sind wir Heimatsucher. Die meisten von uns fahren zu Weihnachten irgendwie nach Hause, sei das eine Familie, ein Ort, Freunde... Auch der Gang zur Kirche in der Christnacht hat wohl etwas mit Heimatsuche zu tun, uns treibt eine Sehnsucht, einen Ort zu finden, an dem wir uns geborgen fühlen können. So ist es vielleicht – auch wenn es natürlich davon unabhängig andere Faktoren gibt – nicht zufällig, dass die Demonstrationen zur Rettung des Abendlandes gerade in der Vorweihnachtszeit so hochgekocht sind. Wann, wenn nicht zu Weihnachten, wird die Sehnsucht nach Heimat und Geborgenheit besonders spürbar? Und es ist schwer auszuhalten, dass Heimat und Geborgenheit immer vorläufig und heikel bleiben.

Wir haben den Stall von Bethlehem zum Bild der Sehnsucht nach Geborgenheit gemacht. Aber eigentlich erzählt uns Lukas eine Geschichte, in der diese Geborgenheit zerbrechlich und vorläufig ist. Den Stall werden Maria und Josef und mit ihrem Kind bald verlassen und vor dem Mordanschlag des Herodes auf die Flucht gehen. Dass wir diese Geschichte feiern, indem wir uns in die heimische Idylle unserer Wohnzimmer zurückziehen, wird der Geschichte eigentlich nicht gerecht. Aber unsere Sehnsucht danach ist stark. Die Botschaft von der Geburt im Stall, die Botschaft vom Gottesfunken, der in alle Menschen eingeht, ist ziemlich anspruchsvoll. Wir würden es uns so gern allein mit dem Gottesfunken gemütlich machen.... , Wohnzimmer, Tür zu, Zaun drum. Aber die Botschaft ist anders, ist weiter. Der Gottesfunke ist auch in den anderen, den Muslimen, den Juden, den Atheisten, den Unentschlossenen und Gleichgültigen. „Jede Religion ist ein Haus der nach Gott verlangenden Menschenseele“, hat Martin Buber gesagt. Jede Religion ist ein Haus, das die in ihm wohnenden Menschen schmücken und das ihnen Schutz gibt – aber es gibt viele solcher Häuser. Und sie werden alle vom selben Gottesfunken erleuchtet und beheizt.

Die christliche Botschaft ist ein anspruchsvolles Projekt, so gesehen. Sie mutet uns zu, Heimat zu haben in Gott selbst, hier auf der Erde aber Grenzen durchlässig zu machen für die Liebe. Ich habe Verständnis für jede und jeden, die oder der sich damit schwertut. Ich selber tue mich damit auch schwer. Aber die Antwort des christlichen Abendlandes, wenn es denn christlich zu sein beansprucht, auf diese verständliche Verunsicherung kann nicht in Menschenfeindlichkeit bestehen. Nur die Erinnerung an die Botschaft selber kann uns retten, die Botschaft vom Gottesfunken, der am Anfang war und in Jesus Christus Fleisch wurde und in der ganzen Schöpfung lebt.

25 Jahre nach den echten Montagsdemonstrationen fällt mir ein Text zu, der 1989 in der Leipziger Nikolaikirche bei den Friedensgebeten gelesen wurde:

Endlich Einer
Denn mit Jesus war Einer da, der sagte:
Selig sind die Armen!
Und nicht: Wer Geld hat, ist glücklich.
Endlich Einer, der sagte: Liebe deine Feinde!
Und nicht: Nieder mit dem Gegner!
Endlich Einer, der sagte:
Erste werden Letzte sein!
Und nicht: Es bleibt alles beim Alten!
Endlich Einer, der sagte:
Wer sein Leben einsetzt und verliert,
der wird es gewinnen!
Und nicht: Seid schön vorsichtig!
Endlich einer, der sagte:
Ihr seid das Salz!
Und nicht: Ihr seid die Creme.
Endlich Einer, der starb,
wie er lebte.

Amen

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