1. Advent 2015 - Römer 13, 8-12

01.12.2015 | 01:00

Gnade sei mit Euch und Friede von dem, der da ist und der da war und der da kommt. Amen.

Viele kluge Sprüche, schöne Texte, anrührende Bilder und altvertraute Gesänge gibt es nun. Advent ist, vorweihnachtliche Zeit. Sind wir bereit? Von Gertrud von Le Fort heißt es: „Dem Friedensgesang der Engel ging die adventliche Bereitschaft der Menschen voraus?“. Sind wir bereit? Ist alles bereit? Oder lauten die Fragen anders?

Liebe Gemeinde, was kommt jetzt alles, was ist jetzt alles zu schaffen? Welche Anstrengungen müssen gemacht werden, damit wir dann – wann? – eine schöne Zeit haben mit und für unsere Lieben? Wie viel möchte ich auf mich nehmen an Hektik und Unruhe, um zur Stille zu finden? Und wie viel Stille muss eigentlich sein, damit ich all die Unruhe und Hektik hinter mir lassen kann? Und wie viel Stille und Frieden werde ich aushalten können, wo ich doch sehe, was schon nach den lang erwarteten, liebevoll vorbereiteten Tagen alles auf mich zukommt – an Gewissem, schon Abgemachtem, schon Terminiertem und an Ungewissem, Offenem? Und dann all die hohen Erwartungen an das, was kommt.

Und mitten in die Unruhe hinein wird da einer angekündigt, der aus all dem, was noch beendet werden muss, einen Anfang macht, der mit mir, der ich zum Abschluss bringen will und muss, neu beginnen will. Der durch-kreuzt, der um-kehrt.

Es ist jener Prophet aus Nazareth in Galiläa, von dem wir im Evangelium hörten. Ins Zentrum seiner Botschaft, als das höchste der Gebote setzt er das Gebot der Gottes- und Nächstenliebe. Da ist er ganz frommer Jude, zitiert im zweiten Teil des Doppelgebotes aus dem Buch Leviticus, Kapitel 19. Gemeinhin wird hier übersetzt: «Liebe deinen Nächsten wie dich selbst». Doch der jüdische Gelehrte Leo Baeck schreibt: der Satz lautet „in der ganzen Treue des Sinnes: «Liebe deinen Nächsten, er ist wie du.» In diesem «wie du» liegt der ganze Gehalt des Satzes. Der Begriff Mitmensch ist darin gegeben: Er ist wie du, er ist im Eigentlichen dir gleich, du und er sind als Menschen eins.“ (Leo Baeck zitiert in: H. Küng, W. Homolka, Weltethos aus den Quellen des Judentums, 80f.).

Für Jesus war diese Mitmenschlichkeit nicht denk- und nicht lebbar ohne seine Gottesbeziehung. So eng sah er sich gebunden an seinen himmlischen Vater, so erfüllt war er von seiner Liebe, dass wir heute noch – das ist ein Wunder – Gott in Jesus begegnen, Gott wahrnehmen im Wahrnehmen Jesu, Gott einlassen, wo wir Jesus die Tür öffnen. Und er kommt, in unsere Freude, in unsere Not, kommt und macht das Herz weit.

Wir sind auf der Spur Jesu mit jenem Satz, der schon öfters hier erklang: Wer bei Gott eintaucht, taucht beim nächsten wieder auf. Er ist eine Variante des Ausspruchs des französischen Bischofs Gaillot, der konkreter war: „Wer in Gott eintaucht, taucht neben den Armen wieder auf“.

Das ist mehr als ein moralischer Appell, das ist eine Erkenntnis! Sie lautet: Es gibt keine Gotteserkenntnis an der Barmherzigkeit vorbei. Glaube ist keine Privatsache, ist keine bloße Innerlichkeit, sondern er führt zu Wachheit gegenüber den Nöten in der Welt. Glaube öffnet zugleich auch die Augen für die Schönheit der Natur und die Heiligkeit der gesamten Schöpfung, in der sich Gottes Spuren zeigen.

Doch da ist eine Kluft, liebe Gemeinde, zwischen Anspruch und Wirklichkeit.

Eine Kluft dazwischen, wie ich leben möchte z. B. als Ehemann und Vater, und dem, wie Ehe- und Familienalltag aussieht.

Eine Kluft zwischen dem Leitbild unserer Gemeinde, das von der Liebe Gottes und Offenheit spricht, und dem Miteinander der Gruppen und in den Gruppen.

Und so wie ich möchte, dass meine Lieben mir nahe sind, und nicht immer wieder etwas zwischen uns kommt, so wie ich möchte, dass unser Miteinander herzlich und geschwisterlich ist, und nicht immer wieder Kränkungen passieren, Missverständnisse geschehen, so möchte ich auch, dass Anspruch und Wirklichkeit nahe beieinander sind, sich, wenn schon nicht decken, so doch überschneiden, sich, wenn schon nicht überschneiden, so doch wenigstens berühren.

Eine Kluft oder auch ein Sund zwischen dem, was doch zueinander und zusammen gehört. Diese Kluft ist menschliche Entfremdung und Distanz, dieser Sund ist der oft so himmelweite Unterschied zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Dieser Sund wird theologisch und in der Sprache des Glaubens zur Sünde.

Sünde charakterisiert nicht nur unsere Existenz, unser Miteinander, sondern unsere Wirklichkeit. Wir sind Sünder, oft genug schmerzlich getrennt von dem und denen, zu dem und denen wir gehören – auch wenn wir eng beieinander auf der Kirchenbank sitzen.

Die Welt ist Sünde, oft genug brutal und schmerzlich getrennt von dem, was Reich und Wille Gottes ist - auch wenn beide mitten unter uns sind.

Und wenn ich stehe am Rand dieser Kluft, dann kann es so kalt werden, dass ich zittere, und wenn ich sehe auf den Sund, der mich trennt von dem, was meine Heimat und mein Ziel ist, über den es aber keine Brücke zu geben scheint, dann verkrümmt sich die Seele und zieht sich in sich selbst zurück.

Ist der Schmerz darüber aber schon weg, und tut die Trennung nicht mehr weh, dann habe ich mich eingerichtet in der Resignation, dann ist eben alles so, wie es ist, und lässt sich nicht ändern. Glücklich, wer Sünde erkennt und wem sie weh tut, denn er weiß, wo er hingehört.

Und dann gibt es den Versuch, die Kluft zwischen Mensch und Mensch zu überwinden. Es wird appelliert, es wird aufgefordert. Und der Appell erreicht mein Ohr und schafft es, dass ich zustimmend nicke, und mit mir nicken alle anderen, die den Appell hören, denn er spricht sie an auf ihre Sehnsucht nach Zusammensein und Frieden, auf das Bedürfnis, Liebe zu empfangen und Liebe zu geben.

Und er mag ins Herz fallen und sollte dort gut aufgehoben sein, aber – er schaffte den Weg in ein sündiges Ohr und fiel in ein sündiges Herz. Er ist getroffen auf einen Menschen, der all diesen Appellen und Aufforderungen zustimmt, der sie aber da ablegt, wo er selbst doch nicht ist, und wohin er nicht allein zu kommen weiß.

Paulus appelliert an die Römer (Römer 13,8ff):

„Gegenüber jedem erfüllt eure Pflicht und Schuldigkeit! Nur in der Liebe ist es anders: Hier gibt es keine begrenzte Pflicht, sie ist grenzenlos. Denn wer den anderen liebt, hat das Gesetz erfüllt. Alle Gebote, wie die gegen Ehebruch, Mord, Diebstahl, Gier und so weiter, kann man in dem einen Satz zusammenfassen: »Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.« Wer den Nächsten liebt, tut ihm nichts Böses. So ist die Liebe die vollkommene Erfüllung des Gesetzes.“

Ich stimme zu. Liebe ist die Erfüllung nicht nur der Tora, nicht nur der alttestamentlichen Gesetze und Weisungen, sondern aller Gesetze. Aber Liebe unterliegt keinerlei Gesetz und keiner Gesetzmäßigkeit. Es kann empfohlen werden, es mit Liebe zu versuchen, aber Liebe kann nicht befohlen werden. Liebe muss nichts tun, sie tut. Sie tut dem Nächsten nichts Böses, weil sie aus sich selbst heraus nicht anders kann als lieben.

Eine der Liebe und auch der Bibel angemessenere Übersetzung des höchsten Gebotes müsste daher lauten: „Du wirst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“.

Du wirst es, weil du dem Menschen, der dir voraus ist, und der du werden sollst nach Gottes Willen, näher kommen kannst.

Paulus schreibt (Römer 13):
„Daran haltet euch, denn ihr wisst ja, dass nicht mehr viel Zeit ist. Ihr müsst langsam aufwachen, denn seit damals, als wir Christen wurden, ist das Heil näher gerückt. Die Nacht geht dem Ende zu, der Tag ist zum Greifen nahe. Deshalb müssen wir alles, was dunkel ist, abstreifen und alles anlegen, was strahlendes Licht ist.“

Für Paulus ist Erfüllung des Gesetzes, ist Liebe möglich, nicht, weil wir uns mehr Mühe geben, uns mehr anstrengen, sondern weil mit seinen Worten das Heil näher gekommen ist, weil Gott so nahe ist, wie ein Tag, der neu beginnt, wie die ersten Strahlen der Sonne, die auf die Erde und auf uns fallen. Und ich finde zu mir selbst und bringe neu die Liebe ans Werk.

Sie ist zugesagt, bedingungs- und grenzenlos. Und die bedingungslose Zusage einer grenzenlosen Liebe ist zugleich Befehl, sie weiter zu geben. „Wer bei Gott eintaucht, taucht beim Nächsten wieder auf.“

Denn Liebe will sich mitteilen. Und wer das manchmal vergisst, der braucht eine Erinnerung daran, dass Liebe da ist, und den Befehl, dieser Liebe gerecht zu werden.

Und ich werde ihr gerecht im Nächsten, nicht in unendlichen, unerreichbaren Aufgaben, sondern im erreichbaren Nächsten.

Das Wesentliche ist schon da. Das, was den Menschen menschlich, was ihn wesentlich macht, ist schon da.

Die Brücke ist schon da, die das Getrennte wieder einen kann, der Weg ist schon da, Jesus hat ihn gezeigt, der Anspruch und Wirklichkeit verbindet. 

Dorothee Sölle schreibt, und mehr kann ich nicht sagen:„Das Wesentliche ist schon da, die Wurzel, in der wir gründen, aus der wir grünen, Gottes Liebe zu uns, kann im Advent neu entdeckt, neu entfaltet werden, weil Gottes Nähe in dieser Zeit besonders gefeiert wird. »Gott ist, dass wir lieben können.« (D. Sölle, Den Rhythmus des Lebens spüren, Seite 81)

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