1. Korinther 15, 1-11 (12-20) | Ostern
Dr. H. Gorski
Kommt ein Häschen zum Optiker und fragt: Brauchstu Brille? Sagt der Optiker: Nein. Einige Zeit später kommt das Häschen wieder und fragt erneut: Brauchstu Brille? Genervt wiederholt der Optiker: Nein, ich brauche keine Brille. Kurz darauf kommt das Häschen zum dritten Mal und fragt: Brauchstu Brille? Raunzt der Optiker: Verschwinde, ich kann dich nicht mehr sehen! – Siehstu, sagt Häschen, brauchstu doch Brille.
Der Architekt besichtigt mit dem jungen Paar die neue Wohnung. Er geht ins Nebenzimmer und ruft: Können Sie mich hören? Ja, antworten die beiden. Können Sie mich sehen? Nein! – Sehen Sie, das sind Wände!
Seufzt der Optiker: Liebe auf den ersten Blick ist die einzige Augenkrankheit, an der wir nichts verdienen können.
Liebe Gemeinde,
fröhliche Ostern erstmal! Es geht ums Sehen. Was Paulus der Gemeinde in Korinth über die Auferstehung schreibt, ist voll von dem Wort „sehen“ bzw. dass Christus jemandem „erschienen“, also sichtbar geworden ist. Der auferstandene Christus wurde zuerst von Petrus gesehen, dann von den Zwölfen, von 500 Anhängern auf einmal, von Jakobus, von allen Aposteln, zuletzt von Paulus selbst. Die Frauen, die Christus nach dem Lukasevangelium zuerst gesehen haben, gar nicht mitgezählt. Die Überlieferung, der Glaube, alles hängt daran, dass Menschen den Auferstandenen gesehen haben.
Wenn die Auferstehung aber nicht bloß Vergangenheit ist, wenn Christus auch heute noch lebt – müssten wir ihn nicht auch sehen können? Das mag für viele ein befremdlicher Gedanke sein. Für mich ist es das nicht. Vielleicht kann ich Sie mitnehmen in eine „Seh-Schule“, die zumindest mir hilft, die Augen zu öffnen.
Jesus hat gesagt: „Was ihr einem dieser Geringsten unter meinen Schwestern und Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“ Das ist der erste Schritt in der „Seh-Schule“. Zu versuchen, in jedem Menschen Christus zu sehen. Nicht, weil da so ein heiliger Mensch vor mir steht, auch nicht aus Sympathie, sondern weil jeder Mensch ein Geschöpf Gottes ist, weil Gott in jeden Menschen etwas von sich, einen Funken seines Geistes, hineingelegt hat. Das macht unsere Würde aus. Darum kann man in jedem Menschengesicht das Gesicht des Auferstandenen sehen.
In der Emmausgeschichte heißt es, bevor die Jünger Christus erkennen, „ihre Augen wurden gehalten“. Es gibt so vieles, was unsere Augen „hält“. Zuneigung (Liebe macht blind!) ebenso wie Abneigung (Hass macht mindestens genauso blind wie Liebe!), Desinteresse, das Fixiertsein auf mich selber, das Denken in eingefahrenen Bahnen. In der Seh-Schule versuche ich, diesen Wänden vor meinen Augen auf die Spur zu kommen. Welche Zuneigungen und Abneigungen trage ich mit mir rum, welche Gleichgültigkeit, was bindet mich so an mich selber, was sind meine eingefahrenen Bahnen? Und dann kann es sein, dass ich plötzlich anfange, mehr zu sehen als vorher. Dass der andere Mensch raustreten kann aus den Schubladen von sympathisch oder unsympathisch, intelligent oder dumm, reich oder arm. Plötzlich wird er ein Geschöpf wie ich, in dem ich Christus sehen kann. Vielleicht. Manchmal. Es ist ein Weg.
Der Weg geht weiter. „Man sieht nur mit dem Herzen gut.“ Für die Augen des Herzens wird Christus manchmal auch unmittelbar sichtbar. In der Mystik nennt man so eine Haltung „inneres Beten“. Also nicht Beten mit Worten, sondern mit dem Bewusstsein durch den Tag gehen, dass Gott da ist. Beten ist die Hinwendung des Herzens zu Gott. Das kann jederzeit und überall geschehen, bei der Arbeit, bei der Ruhe, immer. Und in einer solchen Haltung des inneren Betens fängt das Herz an zu sehen. Und manchmal kann es dann Christus sehen. Das ist viel weniger abgedreht, als es klingt. Ganz viele Menschen kennen das, Momente unmittelbarer Gottesgegenwart, dass man für einen Augenblick weiß, er ist da, er ist ganz nah, ich bin berührt von ihm. In solchen Augenblicken fängt manchmal das Herz an zu sehen. Das Erscheinen des Auferstandenen hat nicht aufgehört, es geht weiter. Wie gesagt, die meisten Menschen kennen das. Alles Große in der Religion ist einfach. Es ist vielleicht eher eine Frage, ob man es sich als das deutet, was es ist. Das, womit man nicht rechnet, übersieht man leicht. Was wissen wir schon über uns?!
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Treffen sich zwei Rühreier. Sagt das eine: Ich bin heute so durcheinander...
Ingeborg Bachmann schrieb: „Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar.“
Was ist denn unsere Wahrheit, meine Wahrheit? Das Rührei kennt seine Wahrheit offenbar ziemlich gut! Damit dürfte es weiter sein als wir zumeist. Oder könnten Sie sich auf Anhieb so treffend in einem Satz beschreiben? „Ich bin heute so...“
Wenn es stimmt, dass der auferstandene Christus da ist; dass es eine andere Welt gibt, die Bedeutung für mich hat – dann ändert sich alles. Vor allem ist da dann eine Aufforderung, nach der Wahrheit zu suchen. Hinter die Dinge zu sehen. Mich nicht mit der sichtbaren Oberfläche zufrieden zu geben.
Das kann ich auf mich persönlich beziehen. Wer bin ich eigentlich? Jenseits der Oberfläche, hinter allen Rollen, Masken, Mauern...? Das kann ich auf unsere Gesellschaft und die Welt beziehen. Einmal die Zeitung in die Hand nehmen mit der Frage: Was ist hinter dem Sichtbaren?
Das Thema des sexuellen Missbrauchs, das im Augenblick so im Mittelpunkt steht, zeigt wie so viele andere Themen, wie sehr unsere Gesellschaft mit Versteckspielen und Tabus lebt. Was wird alles unsichtbar gehalten!? Und selbst jetzt ist so etwas wie „aufklären ohne zu erkennen“ zu beobachten. Alle sind sich einig, die Fälle sollen aufgeklärt werden, ja. Aber gleichzeitig werden schon wieder Mauern des Erkennens aufgerichtet: Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche dürfen nichts mit dem Katholizismus zu tun haben. Missbrauchsfälle in reformpädagogischen Schulen dürfen nichts mit Reformpädagogik zu tun haben. Die heiligen Kühe dürfen nicht angetastet werden. Der Film „Das weiße Band“ zeigt auf brutale Art, wie viel Grausamkeit es früher auch in der protestantischen Strenge gab. Trotz aller sexuellen Revolution ist unsere Sexualität in der ganzen Gesellschaft immer noch die am besten unsichtbar gemachte Kraft unseres Lebens. Aber das soll möglichst nicht auf die Tagesordnung kommen. Aufklärung ohne Erkennen. Und wenn Margot Käßmann gesagt hat „Nichts ist gut in Afghanistan“, dann hat sie – unabhängig davon, ob dieser Satz so wörtlich stimmt – ebenfalls gefordert, hinter eine Fassade zu blicken. Wenn wir an die Gegenwart des Auferstandenen und seiner Welt mitten unter uns glauben, dann können wir gar nicht anders, als immer weiter fragen, immer wieder hinter die Dinge sehen. Ohne Rechthaberei. Niemand sieht alles. Aber die Frage, ob wir alles sehen, was zur Wahrheit nottut, diese Frage wenigstens hält der Auferstandene durch seine Gegenwart offen.
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Einer junger Kandidat des Predigtamtes hält seine erste Predigt. Ausgerechnet in einem Gefängnis. Er ist ziemlich nervös. Als er die Stufen zur Kanzel hinaufgehen will, stolpert er über seinen Talar und stürzt. Die Menge johlt. Da hat er einen Geistesblitz, rafft sich auf, tritt auf die Kanzel und sagt: „Dazu bin ich gekommen, um euch zu zeigen, dass man wieder aufstehen kann, wenn man gefallen ist.“
Der Auferstandene in dieser Welt ist nicht bloß zum Angucken und auch nicht nur zum Fragen da. Seine Gegenwart kann uns nicht ruhen lassen. Wenn Christus da ist, dann ist meine Enttäuschung oder Mutlosigkeit oder Traurigkeit nie die ganze Wahrheit, kann es nicht sein. Dann ist da immer noch eine andere Wirklichkeit, die ihre eigene Dynamik hat. Manchmal schwappt diese Dynamik auf mich über. Dann finde ich Kräfte zum Aufstehen, von denen ich vorher nicht wusste, dass ich sie habe. Mit diesen Kräften gehen wir los und helfen anderen, die enttäuscht oder mutlos oder traurig oder gefallen sind. Diese Welt darf nicht bleiben, wie sie ist. Nicht, wenn der Auferstandene in ihr lebt.
Das alles ist kein Rezeptbuch und funktioniert nicht immer und steht nicht auf Knopfdruck zur Verfügung. Aber diese Kräfte sind in der Welt, sie sind real, nicht weniger real als das Schlechte und Ungerechte. Manchmal bekommen wir sie geschenkt; manchmal werden sie zugänglich im inneren Beten. Erstmal ist wichtig, dass sie da sind. Eine Wirklichkeit jenseits des Sichtbaren.
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Ein Pastor hat eine Ehefrau beerdigt. Ein halbes Jahr später trifft er den Ehemann auf der Straße, grüßt freundlich und sagt: „Wie geht’s? Und die Frau Gemahlin?“ Da durchzuckt es ihn. Schnell schiebt er hinterher: „Immer noch auf demselben Friedhof?“
Es wird noch viel Bewegung kommen in die Gräber. Wenn es nur das ewige Leben der Seelen gäbe, dann ginge es weiter, wie es hier war, im Prinzip. Aber in der Auferstehung mischt Gott die Karten neu. Was hier keine Gerechtigkeit gefunden hat, wird sie in der Auferstehung finden. Was hier sinnlos und ohne Antwort geblieben ist, wird sie in der Auferstehung finden. Damit soll keine Vertröstung gepredigt werden. Die Auferstehung ist kein Wattebäuschchen auf unsere Wunden. Sie tröstet nicht, indem sie etwas zudeckt, sondern indem sie zulässt, was war. Sie tröstet mich, weil ich mit ihrer Kraft aushalte, das Leben ohne Beschönigung und ohne Abwertung anzusehen. In letzter Konsequenz ruft sie das Leben aus dem Ungelebten, dem Unsinnigen und dem Tod. Was hier nicht leben konnte, wird dann leben. Denn die Auferstehung ist der Aufstand gegen den Tod.
Das könnte manchen herren so passen
wenn mit dem tode alles beglichen
die herrschaft der herren
die knechtschaft der knechte
bestätigt wäre für immer
das könnte manchen herren so passen
wenn sie in ewigkeit
herren blieben im teuren privatgrab
und ihre knechte
knechte in billigen reihengräbern
aber es kommt eine auferstehung
die anders ganz anders wird als wir dachten
es kommt eine auferstehung die ist
der aufstand gottes gegen die herren
und gegen den herrn aller herren:
den tod
(Kurt Marti)
Amen.