Ostern, 1. Korinther 15, 19-28

20.04.2014 | 12:00

Frohe Ostern, liebe Schwestern und Brüder!
Michel aus Lönneberga, dieser kleine schwedische Junge aus der Feder Astrid Lindgrens, hat seine eigene Vorstellung vom „Reich Gottes“. Eines Weihnachtstages hatte seine Mutter einen großen Korb voll Leckereien gepackt und ins Armenhaus gebracht. Im Armenhaus in Lönneberga fristeten die Alten und Erwerbslosen ein erbärmliches Dasein. Und als wäre das nicht schon schlimm genug, wird das Armenhaus von einer Frau geleitet, die „Kommendora“ genannt wird und im Übrigen in der Geschichte namenlos bleibt. Aber „Kommendora“ – das sagt genug, wie sie die armen Bewohner des Hauses kommandiert und wohl auch terrorisiert. Ihr will Michel eins auswischen. Sein Sinn für Gerechtigkeit gibt es ihm sozusagen ein. An diesem Weihnachtstage nun sieht Michel, dass die Kommendora den Korb seiner Mutter mit den Leckereien ganz allein verputzt, statt ihn an die Armen zu verteilen. Daraufhin lädt er alle Armen zu sich nach Hause ein und öffnet die Vorratsschränke. Seine Eltern sind auswärts auf Besuch, und so hat er freie Bahn, sein Festmahl für die Armen zu geben. Als die Kommendora Wind von der Sache bekommt, schleicht sie zum Hof von Michels Familie, fällt dort aber im Garten in eine Grube. Nur über eines ist Michel an diesem Tage enttäuscht: Eigentlich hatte er in der Grube einen Werwolf fangen wollen, nun ist es die Kommendora. Aber vielleicht ist der Unterschied gar nicht so groß...

Etwas naiv, wie Michel aus Lönneberga sich die Welt Gottes vorstellt. Die Armen werden zum Festmahl geladen. Davon erzählen auch biblische Geschichten. Geht es ohne Naivität eigentlich? Kann man Ostern feiern, ohne eine Portion Naivität und Humor, die Raum schaffen, sich die Welt auch ganz anders vorzustellen? Von Woody Allen wird berichtet, dass er auf die Frage, ob er an ein Jenseits glaube, geantwortet hat: „Ja, im Prinzip schon. Es ist nur die Frage, wie weit es von der Innenstadt entfernt ist und wie lange es geöffnet hat.“ Dazu fällt mir der Aufruf ein, mit dem der damalige Bürgermeister von New York, Robert Giuliani, im September 2001 nach den Terroranschlägen die Bevölkerung aufmunterte. Er schrieb an die New Yorker: „Show you’re not afraid! Go shopping!“ Ob Michel oder der New Yorker Bürgermeister naiver ist, könnte man da überlegen...

Ostern hat etwas von der „Leichtigkeit des Seins“: Wenn der Stein von Jesu Grab weggerollt wird, kommen auch die Steine, die sich auf unsere Seele oder Brust gelegt haben, ins Rollen.

Paulus stellt sich das Ende der Welt als ein apokalyptisches Szenarium vor: In Stufen wird die Veränderung vor sich gehen. Zuerst steht Christus aus dem Tod auf – das ist der Anfang und das ist schon geschehen. Damit hat er sozusagen eine Tür zum Leben geöffnet. Dann, wenn er wiederkommen wird auf die Erde, werden die auferstehen, die zu ihm gehören. Und dann wird das Ende kommen, wenn Christus die Herrschaft über die Welt an Gott, den Vater zurückgibt. Dann werden alle irdische Macht und Gewalt vernichtet werden. Und Gott wird Christus als neuen Herrscher einsetzen, wird ihm alle Feinde unter die Füße legen, und als letzter Feind wird der Tod besiegt werden. Dann wird Gott alles in allem sein.

Ostern ist so etwas wie ein „Türöffner“: Es gibt andere Welten als diese. Man kann Türen zu ihnen finden. Veränderungen sind möglich. Vielleicht muss man ein bisschen „ver-rückt“ sein, wie der Stein vor dem Grab „ver-rückt“ wurde. In dem kleinen Himalaya-Staat Bhutan hat der König das „Bruttosozialprodukt“ – nach dem alle Länder der Erde ihren Wohlstand messen – durch das „Bruttonationalglück“ ersetzt. Was das ist, wurden die Bewohner in Interviews gefragt. Die Antworten gingen in die Richtung: Dass wir langsamer leben, uns nicht hetzen lassen, im Einklang mit der Natur und mit uns selbst leben. Wie groß ist das „Bruttonationalglück“ hierzulande? Was steuern wir dazu bei?

Ostern hat etwas von der Leichtigkeit des Seins, wenn man es „sein“ lässt, nicht zu zwingen versucht. Immer wieder hat die Menschen die Frage bewegt, ob wir als Christinnen und Christen eigentlich gerufen sind, das Reich, das Gott am Ende aufrichten wird, jetzt schon zu bauen und herzustellen. Dabei sind skurrile und monströse Gebilde herausgekommen. Das Reich Gottes auf Erden, von Menschen gemacht und erzwungen, das hat regelmäßig in die Hölle geführt. Als man zur Kolonialzeit die Erde erkundete und neue Flecken entdeckte und manche Flecken für unbewohnt hielt – indem man die dortigen Ureinwohner einfach ignorierte, für Untermenschen erklärte und sie im Zweifel versklavte oder ausrottete – da also machte sich beispielsweise der Jesuitenorden auf, im Gebiet des heutigen Paraguay einen Gottesstaat zu errichten. Paraguay, das damals eben recht leer und insofern so etwas wie ein leeres Blatt Papier zu sein schien, auf dem man seine Welt aufmalen konnte, zog viele Sonderlinge an. Anhänger des Philosophen Friedrich Nietzsche zogen dort hin, um das Reich des „Über-Menschen“ zu errichten. Was aus all den Versuchen wurde, muss ich nicht sagen... Auch das sog. „Dritte Reich“ – das mit seinem Namen ja an die Apokalypse des Johannes anknüpft – wollte die Menschen auf furchtbare Weise zu ihrem Glück zwingen. Und andere Formen von „Gottesstaaten“ gibt es auch heute. Auch der Sozialismus war eine Weise, das Paradies auf Erden mit menschlichen Mitteln herbeizuführen. Was dabei herausgekommen ist, machte neulich eine Umfrage in Mecklenburg deutlich, wo Menschen auf der Straße gefragt wurden: „Sind Sie Christ oder Atheist?“ Ein Passant antwortete: „Weder noch, ich bin normal!“ Da scheint einer von allen Weltverbesserungsansprüchen die Nase einfach voll zu haben.

Die Lehre daraus kann nur lauten: Lasst Gottes sein, was Gottes ist. Sein Reich ist sein Reich und nur er wird es errichten. Wenn Menschen sich daran vergreifen, wird es unmenschlich. Und trotzdem bleibt die Verheißung seines Reiches doch immer auch ein Anspruch an uns, die Welt in Gottes Sinne schon hier und jetzt zu gestalten. Irgendwie fällt doch ein Glanz von der Herrlichkeit des Paradieses rüber über die Mauern, die die Cherubim bewachen, zu uns, jenseits von Eden. Reich Gottes und Weltgestaltung – das ist immer ein Thema. Auch heute. Ich denke an den gerade erschienen 5. Weltklimabericht. Gottes Reich müssen wir ihm überlassen, aber aus der Verantwortung stehlen können wir uns deswegen nicht.

Woran scheitert die Verbesserung der Welt eigentlich? Ich befürchte, an uns, den Leuten. So sagt es Hans-Magnus Enzensberger:

 
„Einfach vortrefflich
All diese großen Pläne:
das Goldene Zeitalter
Das Reich Gottes auf Erden
Das Absterben des Staates.
Durchaus einleuchtend.
Wenn nur die Leute nicht wären!
Immer und überall stören die Leute.
Alles bringen sie durcheinander.
Wenn es um die Befreiung der Menschheit geht
Laufen sie zum Friseur.
Statt begeistert hinter der Vorhut herzutrippeln
Sagen sie: Jetzt wär ein Bier gut.
Statt um die gerechte Sache
Kämpfen sie mit Krampfadern und mit Masern.
Im entscheidenden Augenblick
Suchen sie einen Briefkasten oder ein Bett.
An den Leuten scheitert eben alles.
Mit denen ist kein Staat zu machen.
Ein Sack Flöhe ist nichts dagegen.
Man kann sie doch nicht alle umbringen!
Man kann doch nicht den ganzen Tag auf sie einreden!
Ja, wenn die Leute nicht wären
Dann sähe die Sache schon anders aus.
Ja wenn die Leute nicht wären
Dann gings ruckzuck.
Ja wenn die Leute nicht wären
Ja dann!
(Dann möchte auch ich hier nicht weiter stören.)“

Einen kleinen Moment stör’ ich Sie doch noch...! Ich will Sie und mich doch noch nicht aus der Verantwortung entlassen. Irgendwas muss man doch tun können, um dem Reich Gottes wenigstens ein bisschen aufzuhelfen, irgendwas muss man zur Steigerung des „Bruttonationalglücks“ doch tun können...

Der katholische Theologe Johann Baptist Metz hat geschrieben: „Die einfachste Form von Religion ist Unterbrechung“. Natürlich kann man den Satz nicht umkehren: Nicht jede Unterbrechung ist Religion – dann wären wir Handyklingler und Amsmartphoneemailabrufer ja die religiösesten Menschen seit Erschaffung der Welt. Aber das andere ist spannend: Religion als Unterbrechung. Dem Hamsterrad von Arbeit, Konsum und Hetze in die Speichen fallen. Sich dem „Immer mehr“ und „Immer alles“ verweigern, jedenfalls für Momente. Manchmal kommt es mir heute so vor, als sei ein Augenblick der Stille die revolutionärste Tat überhaupt. Aus der Stille kann alles andere neu wachsen. Festmähler für Arm und Reich, Leichtigkeit des Seins, die Steine auf den Herzen können ins Rollen kommen, vielleicht kann aus der Stille sogar die Welt gerettet werden, wer weiß. Man darf ja mal träumen. Wenigstens Ostern. Amen.

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