1. Korinther 15, 50-58 | Osterpredigt
Propst Dr. Horst Gorski
„...wir werden aber alle verwandelt werden...“,
liebe Gemeinde, Verwandlungen gibt es manche in unserem Leben. So hat der frisch gewählte Bundespräsident gesagt, sie – in der damaligen DDR – hätten gehofft, nach der Wende im Paradies aufzuwachen, statt dessen erwachten sie in Nordrhein-Westfalen... also bitte, nichts gegen... wahrscheinlich hätte er auch Hamburg nennen können. Da hat mit der Verwandlung also offenbar irgendwas nicht ganz funktioniert...
Und manch einer ist schon als Tiger losgesprungen, aber als Bettvorleger gelandet. Eine Verwandlung wider Willen.
Und einst machten auch die Zitronen eine Verwandlung durch, wie Heinz Erhardt uns gelehrt hat:
Ich muss es wirklich mal betonen,
am Anfang waren die Zitronen -
ich weiß nur nicht mehr, wann dies
der Fall war – so süß wie Kandis.
Bis sie dann sprachen: „Wir Zitronen,
wir wollen groß sein wie Melonen!
Auch finden wir das Gelb abscheulich,
wir wollen rot sein oder bläulich.“
Der Herr im Himmel hörte die Beschwerden
und sprach: „Daraus kann nichts werden.
Ihr müsst so bleiben. Ich bedauer.“ -
Da wurden die Zitronen sauer.
„...wir werden aber alle verwandelt werden; und das plötzlich, in einem Augenblick, zur Zeit der letzten Posaune. ... und die Toten werden auferstehen unverweslich, und wir werden verwandelt werden.“
Die Auferstehung – so schreibt Paulus – wird eine einzige große Verwandlung sein für die Lebenden und die Toten. Was verweslich war wird unverweslich, was sterblich war wird unsterblich werden. Eine Verwandlung, die ihr Licht weit vorauswirft in dieses Leben. Im Glauben geschieht schon jetzt Verwandlung, eine Ahnung davon zumindest.
Folgen Sie mir in eine Verwandlungsgeschichte, die alles andere als schön ist, komisch vielleicht, aber bizarr und schrecklich zugleich: Franz Kafka erzählt in seiner Novelle (1912) „Die Verwandlung“ von dem Handelsreisenden Gregor Samsa, der eines morgens, ganz unvermutet, nicht als Mensch, sondern als Insekt, als Ungeziefer in seinem Bett erwacht. Während er erwacht und noch gar nicht richtig registrieren kann, was geschehen ist, wandern seine Gedanken durch seinen Alltag:
Ihm stehen seine Eltern und seine Schwester vor Augen, die er mit seiner ungeliebten Arbeit ernähren muss. Der Vater hatte vor Jahren bankrott gemacht, schleppt sich seitdem niedergeschlagen durch den Tag, die Schwester füllt ihr Leben mit Violinespielen aus, und die Mutter kränkelt. Er selber fährt als Handlungsreisender für eine Firma durch die Lande, leidet unter den Plagen des Reisens, den Sorgen um die Zuganschlüsse, unter dem unregelmäßigen und schlechten Essen. Am meisten aber darunter, dass er den Kontakt zu den Kunden – wie er mit einer anrührenden Formulierung denkt – als einen „immer wechselnden, nie andauernden, nie herzlich werdenden menschlichen Verkehr“ empfindet.
Während Gregor sich seiner Verwandlung langsam bewusst wird und hilflos mit seinem neuen Körper aufzustehen versucht, nimmt das Leben seinen unaufhaltsamen Lauf: Ein Angestellter seiner Firma kommt, um nachzusehen, wo er bleibt. Der Chef argwöhnt bereits, Gregor sei mit der ihm gerade erst anvertrauten Kasse durchgebrannt. Als es Gregor schließlich gelingt, den Schlüssel umzudrehen und die Tür zu öffnen, ist der Schock gewaltig. Man wirft die Tür schnell wieder zu und bricht in Tränen aus. Die Schwester versorgt ihn fortan mit Nahrung, die sie ihm in einem Napf durch die Tür schiebt, er selber verkriecht sich zu dieser Zeit unter dem Kanapee, um ihr seinen Anblick zu ersparen. Durch die Tür belauscht er die Gespräche seiner Familie. Dabei hört er, dass der Vater durchaus ein kleines Vermögen durch den Bankrott gerettet hatte, das nun hervorgeholt wird. Außerdem verdingt sich der Vater als Dienstmann, die Mutter näht für die Nachbarschaft.
Ich kürze die Geschichte ab: Gregor verliert immer mehr den Appetit und stirbt schließlich, geschrumpft und verhungert. Sein Kadaver wird beseitigt. Die Familie begibt sich auf einen Ausflug in die Natur. „Während sie sich ... unterhielten, fiel es Herrn und Frau Samsa im Anblick ihrer immer lebhafter werdenden Tochter fast gleichzeitig ein, wie sie in der letzten Zeit trotz aller Plage, die ihre Wangen bleich gemacht hatte, zu einem schönen und üppigen Mädchen aufgeblüht war. Stiller werdend und fast unbewußt durch Blicke sich verständigend, dachten sie daran, daß es nun Zeit sein werde, auch einen braven Mann für sie zu suchen. Und es war ihnen wie eine Bestätigung ihrer neuen Träume und guten Absichten, als am Ziele ihrer Fahrt die Tochter als erste sich erhob und ihren jungen Körper dehnte.“ Damit endet die bizarre Geschichte.
Der Sinn der Verwandlung ist klar: Gregor erwacht als der, als der er sich lange schon fühlt, oder zumindest: als der er sich lange schon behandelt fühlt: als Ungeziefer. Ausgenutzt, missachtet, mit Füßen getreten, ohne echten menschlichen Kontakt. Während er in seiner Verwandlung in seinem Zimmer ausharrt, verwandelt sich auch die Familie: Von Schlappheit und Kränklichkeit ist plötzlich nichts mehr zu spüren, sie packen endlich wieder das Leben an. Die Schwester hat mit der Ernährung des Bruders zum ersten Mal eine sinnvolle Beschäftigung. Sie können durchaus, wenn sie wollen. Der Druck, der auf den Sohn ausgeübt wurde, die Familie durch einen ungeliebten Beruf zu ernähren, wäre nicht nötig gewesen. Äußerlich zumindest. Eine innere Notwendigkeit scheint es in dieser Familie ja gegeben zu haben. Und wie wenig die sich in Wirklichkeit verwandelt, das wird mit süsslich-schwarzem Humor am Schluss angedeutet: Den „braven Mann“, den man nun für die Schwester zu finden gedenkt, dürfte dasselbe Schicksal erwarten wie den Sohn. Wirkliche Verwandlungen im Leben sind selten.
Ich versuch’ mir gerade mal vorzustellen, wie es hier in der Kirche aussähe, wenn wir alle als das Tier hier säßen, als das wir uns behandelt fühlen... Gäbe es hier auch einiges Ungeziefer? Oder Hunde, Schafe, Esel...? Vielleicht aber auch den einen oder anderen Pfau oder schönen Schwan...? Sicherlich manche fleißige Biene oder pflichtbewusste Ameise. Wer weiß...
Wie wäre es, wir drehten das Bild um, und jede und jeder säße hier in der Gestalt, die sie oder er sich in seinen Träumen wünscht...? Das will ich mir nun gar nicht ausmalen... Oder noch anders gewendet: Wir säßen hier in der Gestalt, als die Gott uns gewollt hat und ansieht... Denn anders kann ich die Auferstehung als die große Verwandlung nicht verstehen: Gott wird uns – endlich – sichtbar und gänzlich in das verwandeln, was wir nach seinem Willen immer schon waren, sind und sein sollen. Ob dafür Bilder von Tieren geeignet sind, das weiß ich nicht. Vielleicht übersteigt das letztlich unsere Vorstellungskraft. Irgendwie stelle ich mir uns alle dann leuchtend vor, hübsch, liebenswert, voller Humor, und ohne dass wir uns noch etwas beweisen müssten. Also einfach nett. Aber vielleicht auch ganz anders; menschliche Vorstellungskraft endet hier wohl. Paulus schreibt einige Zeilen vorher auf die Frage, mit was für einem Leib wir auferstehen werden: Du Narr... also müssen wir uns wohl mit dem Glauben bescheiden, dass es gut wird, wie auch immer.
Für die, die an Christus und seinen Sieg über den Tod glauben, hat diese Verwandlung schon begonnen. Sie treten schon jetzt für eine andere Welt ein, in der das Leben über den Tod triumphiert; in der keine losgelassenen Massen im Internet zur Lynchjustiz aufrufen. In der zwischen Opfern und Tätern unterschieden wird. In der keine Kinder an Verwahrlosung zugrunde gehen. In der niemand an fehlendem Sinn innerlich austrocknet. In der keine Einsamkeit mehr zermürbt. Und in der niemand mehr nach seinem Geldbeutel beurteilt wird. Wo das sein kann? Wer weiß, vielleicht schon hier und jetzt. Die Sache mit dem Paradies und Nordrhein-Westfalen kann ja tieferen Sinn haben: Vielleicht ist das Paradies gar nicht woanders. Vielleicht wachen wir eines Tages auf, wo wir immer schon waren. Weil eigentlich dies der Platz ist, den Gott zum Paradies bestimmt hatte. Es fehlt nur noch ein kleines bisschen Verwandlung. Amen.