1. Petrus 3, 8-15a
K.-G. Poehls
Als die ersten jungen christlichen Gemeinden sich ihren Platz erobert hatten in den Gesellschaften ihrer Städte und Dörfer, als sie nicht mehr übersehen werden konnten, und christlicher Glaube ernstgenommen werden musste – nicht mehr als eine vorübergehende Spinnerei oder Modeerscheinung, sondern als eine wirkliche Alternative und damit als eine Gefahr des Bestehenden, da zogen die Christen als Andersggläubige oder Sündenböcke, meist lässt sich das eine vom anderen wohl nicht trennen, den Unmut, je den Hass vieler Menschen auf sich. Ein Unmut und ein Hass der Freundschaften und Familien trennte, der zu Verleumdungen und Misstrauen führte, und in offene Feindschaft ausartete.
In den Gemeinden war die Verunsicherung groß: wie sollten sie umgehen damit, wie sollten sie zu einem Glauben stehen können, der gerade nicht bringt, was er sein will: nämlich Frieden. Wie sollte der Weg aussehen, den sie mit ihren Gegnern und Feinden gehen sollten? Wie sollten sie die Verfolgungen durchstehen, die der Kaiser Domitian befohlen hatte?
Von Rom aus geht in den 90er Jahren des ersten christlichen Jahrhunderts ein Schreiben in die Provinz Asia, größtenteils die heutige Türkei, und kursiert in den Gemeinden, wird in den Gottesdiensten verlesen. Es beruft sich auf die Autorität des Petrus und will Mut machen in so entmutigenden Verhältnissen. Und so sitzen verängstigte und zweifelnde Menschen im Gottesdienst zusammen und hören immer wieder folgende Worte:
„Seid allesamt gleichgesinnt, mitleidig, brüderlich, barmherzig, demütig. Vergeltet nicht Böses mit Bösem oder Scheltwort mit Scheltwort, sondern segnet vielmehr, weil ihr dazu berufen seid, dass ihr den Segen ererbt. Denn «wer das Leben lieben und gute Tage sehen will, der hüte seine Zunge, dass sie nichts Böses rede, und seine Lippen, dass sie nicht betrügen. Er wende sich ab vom Bösen und tue Gutes; er suche Frieden und jage ihm nach. Denn die Augen des Herrn sehen auf die Gerechten, und seine Ohren hören auf ihr Gebet; das Angesicht des Herrn aber steht wider die, die Böses tun» (Psalm 34,13-17). Und wer ist's, der euch schaden könnte, wenn ihr dem Guten nacheifert? Und wenn ihr auch leidet um der Gerechtigkeit willen, so seid ihr doch selig. Fürchtet euch nicht vor ihrem Drohen und erschreckt nicht; heiligt aber den Herrn Christus in euren Herzen.“
Liebe Gemeinde,
den Christen damals erging es nicht anders als Ihnen heute: sie hören nichts Grundlegend Neues, und sie hören dieses „nicht Neue“ etwas umständlich verpackt. „Was sollen wir tun? Kurze Frage, kurze Antwort“, würde ein Journalist sagen. „Ihr sollt segnen!“, wäre die Antwort, um dann anzufügen:
„Es ist der Ruf Gottes an Euch ergangen, Segen zu empfangen. Und nun segnet auch. Nehmt Euch Jesus den Christus als das Bild Gottes in Euer Herz. Blickt auf diesen Christus, wie er umging mit den Menschen, wie er ihnen die Hand reichte, sie aufrichtete und wieder gehen ließ, wie er die Kinder zu sich rief und sie in den Arm nahm, mit den Ausgegrenzten an einem Tisch saß, mit seinen Jüngern Abendmahl hielt – und spürt seine Liebe zu den Menschen, seine Freundlichkeit, spürt auch, wie sehr Ihr die Freundlichkeit und die Barmherzigkeit dieses Mannes braucht. Heiligt den Herrn Christus in euren Herzen.“
Durch diesen Menschen vermittelt sich Gott. Und in seinem Geist wird spürbar, dass Gott nichts anderes mit uns vorhat, als sich in Jesus selbst und in seinem Umgang mit den Menschen zeigte. Und Neues will entstehen zwischen den Menschen, damals wie heute, langsam und vorsichtig. Es ist das ewig Neue, das sich legt auf alles Alte und Entmutigende, auf Gewohntes und schon Abgestandenes, auf alles, was nun mal so ist und wo man ja doch nichts gegen machen kann. Da legt es sich drauf und versieht es mit einem Zeichen.
Das Zeichen ist ein Kreuz und das Kreuz steht für Gott, der alles neu macht. Segen kommt von dem lateinischen Wort signum, und bedeutet im Latein der frühen Kirche „das Zeichen des Kreuzes“.
Ihr sollt segnen! Wer segnet, ist überzeugt, dass sich etwas ändern lässt, dass sich Böses mit Gutem überwinden lässt, dass der Mensch mir gegenüber, so feindlich er mir auch ist, ein Recht hat, sich ändern zu dürfen, ein anderer zu werden. Wer segnet gibt allen denen nicht Recht, die meinen, es bleibe sowieso alles wie es ist.
Wer segnet, bringt Gott zur Geltung, und sieht einen Menschen genauer und liebevoller, trennt zwischen Täter und Tat, zwischen Sünder und Sünde, verhaftet einen Menschen nicht auf seine Vergangenheit, auf seine Taten – und seien sie scheußlich.
Segnen, so einfach es ist, ist deshalb doch nicht einfach. Oft schon habe ich persönlich gemeint, ich hätte keinen Segen für die oder für den. Wer segnet, muss sich durchringen zu dem Auftrag „Ihr sollt segnen!“ und manchmal viel hinter sich lassen an Widerwillen und Abneigung. Wer segnet, verändert sich selbst, besser: wird selbst verändert, erfährt im Segnen Segen.
Auch noch in schwerer Zeit, den Christen in der Provinz Asia viel näher als unsereiner, schreibt Dietrich Bonhoeffer:
„Die Antwort des Gerechten auf die Leiden, die ihm die Welt zufügt, heißt: segnen. Das war die Antwort Gottes auf die Welt, die Christus ans Kreuz schlug. Gott vergilt nicht gleiches mit Gleichem, und so soll es auch der Gerechte nicht tun. Nicht verurteilen, nicht schelten, sondern segnen. Die Welt hätte keine Hoffnung, wenn dies nicht wäre. Vom Segen Gottes und der Gerechten lebt die Welt und hat sie eine Zukunft. Segnen, das heißt, die Hand auf etwas legen und sagen: Du gehörst trotz allem zu Gott. So tun wir es mit der Welt. Wir verlassen sie nicht, wir verwerfen, verachten, verdammen sie nicht, sondern wir rufen sie zu Gott“ (Dietrich Bonhoeffer aus: O. Dudzus (Hg.), Bonhoeffer, Brevier,?)
Ihr sollt segnen – nicht verlassen, verwerfen, verachten, verdammen, sondern da sein, wertschätzen, die Hand auflegen und sagen: Du gehörst trotz allem zu Gott.
Ich blicke zurück in die Woche und frage nach Segen.
Segen für eine junge Mutter und ihren noch winzigen Sohn im Arm, Segen für im hohen Alter oder viel zu früh Verstorbene, Segen für eine Sterbende, Segen für Menschen auf den Weg in den Urlaub – wo eigentlich sollte Segen nicht hin, wer eigentlich bräuchte nicht die Zusage „Du gehörst mit allem und trotz allem zu Gott“?
Ihr sollt segnen. Ihr sollt nicht Eure Pastoren segnen lassen, sondern selbst segnen, selbst das Zeichen des Kreuzes machen, selbst die Hand auflegen, selbst einander anschauen und, wenn nicht sagen, so denken „Ich segne dich“. So kommen mehr Liebe und mehr Barmherzigkeit in unsere Welt, in unseren Alltag; so entsteht ein Lächeln. Ja: Segen ist das Lächeln Gottes. So ändern wir.
Ein Text von Ulrich Schaffer:
wir schlagen kreise
wenn wir handeln
wir schlagen kreise wenn wir nichts tun
was wir getan haben
können wir nicht ableugnen
was wir unterlassen haben wird sichtbar
meine freude breitet sich aus
wie die ringe um den stein im wasser
berührt menschen und verändert ihren tag
mein ärger schlägt einen kreis
und seine feinen wellen sind unsichtbare ketten
für meinen freund und mich
meine ruhe lässt dich aufatmen
mein hochmut lässt dich ersticken
meine demut gibt dir neue hoffnung
meine gleichgültigkeit lässt dich leiden
meine selbstdisziplin verändert dein leben
meine ungeduld raubt dir die ruhe
mein glaube hilft deinem glauben
wir formen die welt
wir tragen bei
es liegt an uns
Was sollen wir tun? Wir sollen segnen. Segnen ist praktizierte Barmherzigkeit. Und was man praktizieren kann, kann man auch lernen. Amen.