1. Sonntag n. Epiphanias, Jesaja 42, 1-4
Liebe Gemeinde.
Der Predigttext für heute findet sich im zweiten Teil des Jesajabuches. In Kapitel 42.
Dieser zweite Teil entstand wohl in Babylon, - so um 640 / 630 v.Chr. – als ein Großteil der Israeliten dorthin ins Exil verschleppt wurde. Der eigene Staat existierte nicht mehr. Das winzige Israel wurde geschluckt vom babylonischen Großreich. Palast und Tempel waren zerstört, die Königsfamilie ermordet.
Knapp 30, 40 Jahre lebten die Israeliten nun schon in dieser Metropole des Orients. Das Fremde wurde manchen zur Gewohnheit: die fremde Kultur, die Sprache, die Kleidung und Mode, hier gab es die neuesten Nachrichten, die neuesten Trends! – manche besuchten sogar den Tempel des Gottes Marduk; er galt als Stadtgott Babylons und als Hauptgott der vielen babylonischen Götter.
In diese Welt hinein spricht Jesaja. Er erzählt von dem alten Gott Israels. Vielleicht gab es noch eine brüchige Sehnsucht bei manchen Alten, bei jungen Suchenden, vielleicht aber waren die Geschichte des Gottes Abrahams, Isaaks und Jakob auch längst schon in Vergessenheit geraten.
Dieser zweite Jesaja erinnert und er erzählt Neues.
Denn offensichtlich fehlt etwas. Es gibt viel Oberflächlichkeit in dieser Großstadt Babylon, viel Lärm und Geschwätz, viel Äußerlichkeiten. Die Religion besteht vor allem aus einem Tempelkult; sie ist aber ohne Herz. Marduk war ein grausamer Gott. Eine Religion ohne den Blick für den Menschen, ohne eine Beziehung zu Gott.
Jesaja war beseelt von seinem Glauben an den Gott, der die Menschen liebt. Aber er schien so weit weg.
Eigentlich ist Gott doch immer da – Gottes Lebenskraft, diese Kraft von Liebe und Freude. Gott kann sich gar nicht zurück ziehen. Gott ist da, –– die Menschen ziehen sich zurück von Gott, indem alles andere im Leben bedeutsamer wird, und so diese Sehnsucht nach Gott allmählich überlagert und verschlossen ist.
Es geht um diese in jeden Menschen hineingelegte Sehnsucht nach Gott.
Und hier erzählt Jesaja eine Geschichte, eine Geschichte von der Nähe Gottes. Das erste Gottesknechtlied:
1 Seht, das ist mein Knecht, den ich stütze; das ist mein Erwählter, an ihm finde ich Gefallen. Ich habe meinen Geist auf ihn gelegt, er bringt den Völkern das Recht. 2 Er schreit nicht und lärmt nicht und lässt seine Stimme nicht auf der Straße erschallen. 3 Das geknickte Rohr zerbricht er nicht und den glimmenden Docht löscht er nicht aus; ja, er bringt wirklich das Recht. 4 Er wird nicht müde und bricht nicht zusammen, bis er auf der Erde das Recht begründet hat. Auf sein Gesetz warten die Inseln.
Seht! Heißt es zu Beginn. - Zu sehen gab es damals in Babylon gewiss genug, - das kann man sich vorstellen. So wie auch heute.
Aber: Was soll man sehen? Wo soll man hinschauen?
Dieser Knecht Gottes ist ein Bild, ein Bild für eine Erlösungshoffnung, für eine Befreiung, ein Bild vor allem für die Sehnsucht nach einer Nähe zu Gott. Dieser Gott Israels ist uns nahe, nahe wie ein Mensch, wie ein vom Himmel Gesandter.
Und dann taucht da noch einer auf, in dieser Beschreibung, nämlich Gott selbst: Gott ist dabei, und Gott stützt. „Seht, das ist mein Knecht, den ich stütze.“ Sofort haben wir Bilder vor Augen: einer, der einen anderen stützt. Es ist egal, wer in unserer Fantasie da wen stützt. Es geht um diese Beziehung. Gott ist einer, der stützt. Seht! - Gott ist einer, der in Beziehung ist mit uns Menschen. Was für ein Bild.
Und ich denke an eine andere Geschichte, bei der es auch um das Hinsehen geht. Jesus geht auf dem Wasser. Auch so ein großes Bild. Es war Nacht geworden, seine Jünger sind im Boot vorausgefahren, plötzlich taucht er auf. Alle sind erschrocken, natürlich, bis sie ihn erkennen. Und Petrus, der Wagemutige, bittet Jesus: Lass mich auch auf dem Wasser gehen und zu dir kommen.
Jesus sagt: Komm! Petrus steigt aus dem Boot und geht ihm entgegen, bis er plötzlich merkt, dass der Sturm zunimmt, die Wellen mächtiger werden und er Angst bekommt: da beginnt er zu sinken, bis Jesus seine Hand ergreift und ihn hält, ihn stützt.
Als Petrus auf Jesus schaute, war ihm alles möglich - ich mein, wer kann schon auf dem Wasser gehen?
Das, was wir anschauen, verwandelt uns. Egal, was es ist, es wirkt in uns. Hier war es die größere Kraft Gottes, die Petrus in Jesus erblickte, die ihm Kraft gab. Wenn wir Gott vertrauen wollen, dann sollten wir Gott anschauen. Darum sagt Jesaja: Seht! Schaut hin, schaut auf Gott, der stützt, der Kraft gibt, der seine Hand ausstreckt...
Es ist schwer, Gott im Sturm des Alltags wahrzunehmen, im Trubel des Lebens. Unser Blick wandert ab, überall hin, weil unser Geist so ist. Wir lassen uns ablenken, wir denken tausend Gedanken.
Jesaja ruft die Gedanken zur Ruhe und lenkt den Blick hin auf Gott: Seht!
Er schreit nicht und lärmt nicht und lässt seine Stimme nicht auf der Straße erschallen.
Es braucht ein anderes Hören, um Gott wahrzunehmen. Nicht im Lärm der Straße ist er zu finden, nicht in zu vielen Worten, eher da, wo es still ist...
Das wichtigste jüdische Gebet aus dem 5. Buch Mose beginnt mit dem Wort Höre: Höre, Israel, dein Gott ist einer. Mit dem Hören beginnt eine Beziehung, im Hören liegt der Wert einer Beziehung, – Hinhören und Zuhören öffnet für das Gegenüber, öffnet für das Du, - wenn ich nicht bloß oberflächlich höre, und nicht nur auf mich und meine Gedanken höre, nicht nur höre, was ich hören will, was in mein Weltbild passt usw... - irgendwo hinter diesem beginnt das Hören auf Gott: Er schreit nicht und lärmt nicht und lässt seine Stimme nicht auf der Straße erschallen.
Mit dem Bild vom Gottesknecht wird ein Samen gestreut für eine neue Beziehung zu Gott, - alle sind eingeladen, dieser Spur zu folgen, die Jesaja legt. Man kann diesen Weg gehen. Es ist ein Weg, der nach innen führt. Weil Gott da zu finden ist. Und es ist ein Weg zu sich selbst. Und so verstehe ich dieses wunderbare Bild, das Jesaja erzählt:
Das geknickte Rohr zerbricht er nicht und den glimmenden Docht löscht er nicht aus;
Es ist ein Bild für alles, was schwach geworden ist im Leben, kraftlos, brüchig, - für das, was gescheitert ist. Eine Freude, eine Hoffnung, ein Glaube, das Vertrauen, dass es nochmal wieder anders wird, erfüllter wird. Was auch immer.
Ein Vertrauen in das Leben, in Gott selbst, - das schwach geworden ist, schwach, wie ein glimmender Docht, verletzt, wie ein geknicktes Rohr...
Gott sieht es. Und Gott ist da.
Wir können es ihm hinhalten, was schwach geworden ist. Und Gott wirkt. Wir müssen nicht tun.
Jesaja sagt, Gott bringt sein Recht. Das ist seine Tora, seine Lebensweisung. Und das ist ein altes Bild – ein Bild für das Leben selbst. Da, wo Gottes Weisung ist, da ist Leben. – Gott bringt neues Leben.
Gott ist da und Gott wirkt.
Amen