1 Timotheus 2, 1-6a

09.05.2010 | 16:31

Klaus-Georg Poehls

Liebe Gemeinde,
da gab es ein Sehnen der christlichen Gemeinden des zweiten Jahrhunderts, entweder nach dem baldigen Ende aller Zeiten und Flucht aus dieser Welt, oder nach einem ruhigen, ungefährdeten Leben in dieser, oftmals für die Christen so feindlichen Welt. Die Seelsorger waren beunruhigt, Flügelkämpfe und Streit herrschten und dazu die Verfolgung von außen. Und die alten Autoritäten waren nicht mehr da, kein Petrus und kein Paulus mehr, und die neuen Autoritäten untergruben einander. Das, was Kirche anderen Menschen als Außenbild zumutete, hatte frühe Anfänge.
In einem Rundschreiben wendet sich da einer an die Christen und beruft sich dabei auf die Autorität des Paulus. Mahnt in seinem Namen und schreibt: „So ermahne ich nun, dass man vor allen Dingen tue Bitte, Gebet, Fürbitte und Danksagung für alle Menschen, für die Könige und für alle Obrigkeit, damit wir ein ruhiges und stilles Leben führen können in aller Frömmigkeit und Ehrbarkeit. Dies ist gut und wohlgefällig vor Gott, unserm Heiland, welcher will, dass allen Menschen geholfen werde und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen. Denn es ist „ein“ Gott und „ein“ Mittler zwischen Gott und den Menschen, nämlich der Mensch Christus Jesus, der sich selbst gegeben hat für alle zur Erlösung.“

Ein ruhiges und stilles Leben im Gebet, in Frömmigkeit und Ehrbarkeit. Das klingt sicher unterschiedlich in den Ohren, aber doch wohl nicht schlecht, doch wohl ganz verständlich – vor allem, wenn die Welt um einen herum so aus den Fugen zu geraten scheint. Aber es ist eine trügerische Stille und eine recht erzwungene Ruhe. Denn die Rollen sind ungleich verteilt, und ein Großteil der Gemeinde kommt schlecht weg, damals, und käme schlecht weg heute, wenn wir dem Wortlaut der Ermahnungen weiter befolgten:
„So will ich nun, dass die Männer beten an allen Orten und aufheben heilige Hände ohne Zorn und Zweifel. Desgleichen, dass die Frauen in schicklicher Kleidung sich schmücken mit Anstand und Zucht, nicht mit Haarflechten und Gold oder Perlen oder kostbarem Gewand, sondern, wie sich's ziemt für Frauen, die ihre Frömmigkeit bekunden wollen, mit guten Werken. Eine Frau lerne in der Stille mit aller Unterordnung. Einer Frau gestatte ich nicht, dass sie lehre, auch nicht, dass sie über den Mann Herr sei, sondern sie sei still.“

Liebe Frauen, was geht es Ihnen und Euch gut in unserer Gemeinde!
Gott will, dass allen Menschen geholfen wird und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen. Wahrheit aber war einst im christlichen und jüdischen Sinne nicht das, was korrekt, aufrechenbar, richtig und absolut ist, sondern Wahrheit war verstanden als das, was mich und den Nächsten trägt und weiterhilft, war umgesetzte Liebe, so wie Niklas Taufspruch sie fordert. Deshalb ist unser christlicher Glaube wahrer Glaube diesem Verständnis nach, deshalb können wir von wahrem Glauben oder von wahrer Liebe reden, ohne dem Glauben oder der Liebe anderer ihre Wahrheit zu nehmen. Dieses Verständnis ist jetzt verlassen.
Die Erkenntnis der Wahrheit meint nicht mehr das, was einen Menschen trägt, was ihn hält und hilft, vor Gott und den Menschen zu bestehen, die Erkenntnis der Wahrheit schafft nicht mehr eine Solidarität unter den Geschlechtern, in welcher alle gleich vor Gott sind, sondern sie bedeutet schon zur Zeit des Briefeschreibers ein Dogma, einen Lehrsatz. „Es ist „ein“ Gott und „ein“ Mittler zwischen Gott und den Menschen, nämlich der Mensch Christus Jesus, der sich selbst gegeben hat für alle zur Erlösung.“
Anerkenntnis von Lehrsätzen wird zum Kriterium für das Christsein, nicht mehr das Vertrauen und die Hingabe an den einen Gott, wie Jesus ihn glaubte und lebte. Fast scheint mir, hier wäre schon der Glaube nicht mehr für den Menschen da, sondern der Mensch für ein paar Glaubenssätze, fast schon scheint mir, hier trennen sich theologisches Lehrgebäude und menschlicher Alltag – auf Kosten der Menschen, hier der Frauen. Fast schon scheint mir, hier werden Gott und Mensch gefangen gesetzt in einem Wahrheitsverständnis, das ihnen keine Möglichkeit mehr lässt, noch ganz anders zu sein.

Doch sagt uns der Text heute selber, worum es vor allen Dingen zu gehen habe: „…dass man vor allen Dingen tue Bitte, Gebet, Fürbitte und Danksagung für alle Menschen, für die Könige und für alle Obrigkeit, damit wir ein ruhiges und stilles Leben führen können in aller Frömmigkeit und Ehrbarkeit.“

Der Sonntag „Rogate“ nimmt sich dieses Hauptanliegens an.
„Rogate“ als Mutmach-Sonntag zum Gebet, an dem wir uns nicht verstehen als Profis im Beten, denn wir alle können ja das Vaterunser auswendig, sondern als Menschen, die oft nicht wissen, wie denn zu beten und worum denn zu beten sei. Allein schon heute: Was soll am Wahltag in Nordrhein-Westfalen denn „Beten für die Obrigkeit“ bedeuten? Ein Beten nach Parteibuch?

Zwei Dinge sehe ich, die dem Beten ein großes Hindernis sind: Da mag es ein Selbstbewusstsein und ein Selbstvertrauen geben, mit denen ich ganz gut auf das Beten und ein vermeintliches Kleinmachen vor Gott verzichten und mein Leben ohne Gottes Hilfe gestalten kann. „Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott, kann leicht das Motto eines Menschen werden, der auf das Gebet verzichtet und die eigenen Möglichkeiten und Kräfte als hinreichend ansehen kann. Was bloß, wenn ich an meine Grenzen komme und meine Kraft nicht reicht?

Da mag es eine Resignation geben, die dem Gebet nichts mehr zutrauen kann, sondern spricht: „Es ändert sich ja doch nichts“. Milliarden von Gebeten steigen täglich in den Himmel und mit ihnen wird für noch unzählige Menschen mehr gebetet, um Heilung, um Frieden, um Gerechtigkeit, um Schutz. Und blicke ich dann auf unsere Welt, dann hat sich doch nichts geändert, seit Menschen zu ihrem Gott flehen. Und es gibt doch auch Gebete, die den Himmel über uns geradezu verpesten, Gebete, die Opfer schaffen, fanatische, selbstgerechte, die im eigenen Glauben das Heil aller sehen, ohne Gott zuzutrauen, dass er allen Menschen hilft, in dem er ihnen gerecht wird und sie zu ihrer Wahrheit führt.
Doch was ist, wenn ich mir vorstelle, die Menschen beteten nicht, nehmen unsere Welt nicht mehr ins Gebet?
Läge sie ohne die Gebete schon weitaus ärger im Argen? Erhalten die Gebete der Menschen gar diese Welt?  Erheben mit den Gebeten die Menschen ihre Häupter und lernen, sich aufzurichten und aufrecht zu gehen und Oasen der Hoffnung und Felder aktiver Nächstenliebe zu schaffen?

Das Gebet ist der Ort, an dem wir Gottes Nähe erfahren. Worte sind schwer zu finden, um zu beschrieben, was die Nähe Gottes bedeutet. Dichtes erfülltes Leben, Getragensein, Schönheit oder Sinn erfahren, Geborgenheit – Gottes Nähe ist eng damit verbunden. Sie kann spürbar sein – erbetet oder betend – bei der Geburt eines Kindes wie beim Tod eines lieben Menschen, sie kann durch Leid hindurch tragen oder der ganzen Lebensfreude Ausdruck verleihen. Dementsprechend zahlreich sind die Formen des Gebets: Loben und Danken, Schweigen, Nachsinnen, Hören, Erinnern, Fragen, Zweifeln – wie mit einem Freund reden.

Und Fürbitte tun – diese lebendige lebenschaffende Nähe anderen Menschen wünschen und ihnen dabei nahe kommen, sich an sie und ihre Not heranbeten, bis sie mir im Herzen sind, bis ich mich an ihrer Stelle sehe und für sie eintrete. Das
Gebet ist der Ort, an dem mir Menschen zu Nächsten werden.
Für wen ich nicht bete, für den habe ich keine Hoffnung, den habe ich aufgegeben, den hat Gott meiner Ansicht nach aufgegeben, für den gilt Gottes Willen nicht.

Das Gebet ist der Ort, an dem Gottes Wille seinen Anfang bei mir nimmt. Damit ist keine Identifizierung gemeint von dem, was geschehen ist und geschieht, mit dem Willen Gottes – eine solche Identifizierung wäre in großen Teilen Blasphemie. Sondern im Gebet richten sich, langsam, mühsam, widerstrebend und manchmal immer wieder von vorn anfangend mein Denken, mein Wollen und mein Handeln auf Gottes Willen für seine Menschen und seine Schöpfung hin aus. Das Gebet stellt mich neu in diese Welt hinein, mit einem neuen Bewusstsein, mit neuer Hoffnung. Es trägt in sich den Keim der Veränderung, das Saatkorn des Reiches Gottes. Wir müssen unsere Welt ins Gebet nehmen. Es ist eine Liebestat.

Kurt Marti schreibt:
„Was aber beten,
was wünschen?
Dass komme,
was kommen will: das Reich Gottes auf Erden.
Und daraufhin
in jedweder Lebenslage
wach werden
für andere Menschen,
für neue Erfahrungen, Horizonte,
für Schwesterlichkeit, Brüderlichkeit
im täglichen Trubel;
für Widerstand, für Verweigerung,
wo diese nötig;
für gemeinsamen Kanpf,
wenn Verderben auftritt als Heil.

Unnütz ein Beten,
das nicht
uns selber verändert.
    (Kurt Marti, Die gesellige Gottheit, Stuttgart 1989, S. 92 f.)

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

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