2. Korinther 12, 9 | Jahreslosung 2012

01.01.2012 | 01:00

Klaus-Georg Poehls

Gnade sei mit euch und Friede vom dem, der da ist und der da war und der da kommt. Amen.

Wir haben die Geburt Jesu gefeiert, die Geburt eines Menschen, der für uns gelebt hat, wir haben mit Glockenklang unserer Kirche die Geburt eines neues Jahres gefeiert, eines Jahres, das wir aus Gottes Hand nehmen können wie ein Geschenk.

Und heute Morgen beim ersten Kaffee kam mir als Umschreibung für die nachfestliche Befindlichkeit, wie auch für das Ringen mit der Jahreslosung nur ein Wort in den Sinn: „gerupft“.

Das ist nicht so schön und bedarf der Erklärung und hoffentlich dann auch der Ergänzung – ganz im Sinn der vielen Festessen: „gerupft, gebraten, gegessen und gelobt“.

Silvester gestern ohne die flügge gewordenen Kinder als ein wenig angerupfte Eltern zu zweit auf dem Balkon. Auch dieser sah aus wie ein vor einem halben Jahr gerupfter und dann liegen gelassener Sommertag. Und am Himmel ein gerupftes Feuerwerk: da müssen sich einige wunderbares und hoffentlich sicheres Raketen- und Böllerwerk gekauft, es sicherheitsbestimmungsgemäß entzündet haben, um es dann in einem Himmel verschwinden zu sehen, der so nebel- und nieseldicht ist, dass er die Farben und Formen verschluckt. Ein um die Pracht gerupftes Feuerwerk also auf einem gerupften Balkon, aber mit Glockenklang.

Und im Hinterkopf immer das Ringen mit einer Jahreslosung, die mir auch von Anfang an als halbgerupft erscheint: „Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig“.

Vertraut ist mir dieser Satz nur mit dem Vorspann: „Lass dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig“. Nun steht die Kraft nackt da – ohne den Kontext der Gnade.

Der Blick in den griechischen Urtext zwingt leider zum Weiterrupfen: da steht gar nicht „meine“ sondern nur der Artikel: die Kraft – und sie kann sich entweder auf den beziehen, der da spricht: und das ist nicht unbedingt Jesus, wie auf vielen frommen Postkarten zu finden: „Jesus Christus spricht: Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig“, sondern das kann auch Gott als der Herr sein.

Oder aber kann die Kraft auch ganz allgemein verstanden werden: Die Kraft, jegliche Kraft. Sie kann aber auch „Macht“ bedeuten, ja, sie kann sogar Synonym für Gott sein.

Weiterrupfen: das Gegenüber der Kraft oder Macht oder das Gegenüber Gottes selbst sind nicht „die Schwachen“, wie in unserer Losung und im Luthertext, sondern ist „die Schwäche“, oder auch: „die Kraftlosigkeit“ oder auch „die Ohnmacht“.

Weiterrupfen: Da steht im Griechischen ein ganz anderes Verb: es bedeutet „vollenden“ oder „erfüllen“ oder „ans Ziel kommen

Was liegt da jetzt vor uns, liebe Gemeinde – nach all dem Rupfen! Ist der Vogel noch erkennbar?

„Kraft – Macht – Gott vollendet sich - findet ihr / findet sein Ziel – erfüllt sich - in Schwachheit – Ohnmacht.“ 

 

Nebenbemerkung: ich empfinde es als einen Reichtum der Bibel, dass wir uns ihrem Wortsinn nur annähern können, dass wir Wahrscheinlichkeiten und keine Sicherheiten haben bei unseren Übersetzungen.

Stehen hinter den Worten der Bibel wirklich Wahrnehmungen Gottes, wie ganz unterschiedliche Menschen sie gemacht haben,  dann kann es doch gar nicht anders sein, dann können wir ihn in seinem Wesen doch nicht eindeutig und richtig erfassen, sondern mehrdeutig, reicher, tiefer.

Es geht nicht um richtig oder falsch bei den Übersetzungen der Bibel, sondern um angemessen und wahrscheinlich, es geht nicht darum, Räume zu verschließen, sondern zu öffnen. Staunend sollen wir in ein neues Jahr gehen und nicht rechthaberisch.

So ist die Mehrdeutigkeit der Bibel Geschenk und nicht Last, Herausforderung und nicht Grund für Resignation oder Ablehnung.

 

Schwachheit und Ohnmacht werden mit unserer Jahreslosung, wie auch immer ich sie für mich übersetze, gewürdigt. Unsere Neujahrswünsche würde ich daraufhin gern überprüfen: Geht es um Gesundheit vor allem, um Erfolg, um Glück – geht es also um Leistung und Kraft, die ich aufzubringen habe? Denn selbst mein Glück kann ich ja angeblich selbst schmieden… Oder geht es um all das, was ich mir nicht machen kann, wo ich mit all meiner Kraft doch nichts ausrichten, doch nichts bewirken kann?

Geht es also um Gnade, um ein Beschencktsein, das ich mir niemals verdienen kann, dass mir mit all meiner Kraft, meinem Wissen meiner Leistung, meinem Ansehen doch nicht als Bilanz und Belohnung zusteht?

 

Paulus beschriebt in seinem Brief ja eine Glaubens- und Gebetserfahrung: er bittet im Angesicht einer Krankheit, die wir nicht kennen, die ihn aber einschränkt, ihm wie ein Pfahl im Fleisch sitzt, um Heilung, um Linderung zumindest. Auf dass er leistungsfähiger wird und damit anderen gegenüber auch stärker und glaubwürdiger. Und er erfährt von außen her, von einem Du das ganz andere. Kann es nur in Ansprache ausdrücken, in wörtlicher Rede: „Lass dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft ist, ich selbst bin in den Schwachen mächtig, komme in der Ohnmacht an mein Ziel“.

 

Wenn nicht einmal der Tod nicht Ort von Gottes Kraftentfaltung sein kann, wie sollte es meine Schwäche, meine Ohnmacht nicht sein können? Es gibt keine Schwäche, mit der Gott nicht sein Ziel verfolgen könnte, weil es keinen Menschen gibt, der nicht auch in seiner tiefsten Schwäche von Gott erzählen könnte.

Und wie wollte ich wohl anders vor Gott dastehen, als mit leeren Händen, als ohn-mächtig, um zu empfangen, was von ihm her kommt, um mein Leben zu erfüllen? Denn die Schwäche der Kraft besteht doch darin, nur auf sich selbst, auf Kraft zu vertrauen. Ohnmacht aber, die ich vor Gott bringe, wird mich Erbarmen und Liebe lehren und keine Kraftmeierei.

Weder also soll ich mit meiner Schwachheit hausieren gehen, um so andere zu Objekten meiner Schwäche zu machen, noch soll ich meiner Kraft zutrauen, mit ihr empfänge ich das wahre Leben.

Vielleicht kennen Sie diese kleine Geschichte nach Selma Lagerlöf:

Er war harte Arbeit gewohnt. Ja, er fühlte sich als Sklave seiner Arbeit. Er meinte überhaupt, dass das Leben hart gegen ihn war. Dass der HERR stark gegen ihn war.

So versenkten ihn seine Gedanken immer tiefer in die Finsternis. Sie zogen ihn immer tiefer in sich selbst. Und jetzt war es geschehen, dass Trine ihr Kind zur Welt bringen sollte. Die Aussicht, dass da noch einer zu ernähren war und dass man Zeit haben musste, für ein Kind zu sorgen - Zeit, die auf Kosten der Arbeit ging -, diese Aussicht machte, dass er sich noch mehr Leid tat.

Jan Andersson saß draußen im Schuppen, und Regen tropfte auf ihn herab. Auch nebenan, im Geburtszimmer, war er unerwünscht. Er fühlte sich verachtet und übergangen. Einen Moment dachte er, wenn bei der Geburt irgendwas passiert - ja, so tief war er gesunken -, wenn etwas passieren sollte, dann würde ihm das nichts ausmachen. Aber er hatte nicht es ausgesprochen. Denn jetzt klang der Schrei von drinnen, und er konnte sich denken, was das zu bedeuten hatte. Hinein ging er. Jetzt war der Raum gefegt und geschmückt, eine weiße Tischdecke lag auf dem Kaffeetisch, und der Tisch war mit dem feinen Porzellan gedeckt. Er konnte den Gedanken nicht unterdrücken, dass es diesmal so aussah, als wäre er die wichtigste Person bei dem Ganzen. Und dort lag Trine im Bett mit einem verklärten Licht in ihren Augen.

Die alten Weiber reichen ihm das Bündel mit dem Kind, das in Windeln gewickelt ist. Unbeholfen steht er da mit dem Kind im Arm. Und siehe da, es gab einen Ruck in ihm! Sein Herz begann zu klopfen wie nie zuvor. Er war in seinem Innern nicht mehr wie steif gefroren. Wärme erfüllte ihn. Er war nicht mehr sauer und mürrisch und besorgt. Alles war gut.

Er verstand es nicht. Er bat die Hebamme, ihm den Puls zu fühlen. Etwas musste nicht in Ordnung sein. Nein, er hatte keine Schmerzen. Die Hebamme wollte ihm das Kind abnehmen - aber er wollte es nicht weggeben. „Lass mich das kleine Ding behalten", sagte er. Da begann sie zu lächeln, die Hebamme, und sagte: „Habt Ihr nie jemanden so gern gemocht, Jan, dass Ihr ihretwegen Herzklopfen hattet?" „Neee", sagte er. Aber im selben Augenblick begriff er, was sein Herz klopfen ließ. Und damit nicht genug, ihm wurde langsam klar, was ihm sein Leben lang im Wege gestanden hatte (vgl. www.predigten.uni-goettingen.de/predigt.php.  

Hier findet unsere Jahreslosung einen Ort mitten im Leben eines Menschen. „Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig“ – Gott teilt sich mit,  wo ein Mensch ohne seine eigene Macht empfängt, nur empfängt. Und eine neue Zeit beginnt. Amen.

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