23. Sonntag nach Trinitatis: Röm 13,1-7

04.11.2018 | 10:00

Liebe Gemeinde,

ein paar Worte vorweg zum heutigen Predigttext.

Am vergangenen Mittwoch, dem Reformationstag, hatte ich die Gelegenheit genutzt, einmal ausführlicher dem Verhältnis von Staat und Kirche, von Glaube und Politik nachzugehen, mit einem Blick in die Bibel, in die Geschichte, auf Luther natürlich und schließlich mit einer Art Standortbestimmung heute.

Genau jene biblischen Texte, die ich dabei zitierte, liegen uns heute noch einmal vor. Das hatte ich noch nicht im Blick.

Manchmal fügen sich die Dinge ja seltsam zu einander.
Und ich könnte meine Predigt von Mittwoch noch einmal halten…
Wir können aber auch noch einmal gemeinsam auf die Texte schauen und anderes betrachten.
Paulus schreibt in Römer 13, dem heutigen Predigttext:

Jedermann sei untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat. Denn es ist keine Obrigkeit außer von Gott; wo aber Obrigkeit ist, ist sie von Gott angeordnet. Darum: Wer sich der Obrigkeit widersetzt, der widerstrebt Gottes Anordnung; die ihr aber widerstreben, werden ihr Urteil empfangen. Denn die Gewalt haben, muss man nicht fürchten wegen guter, sondern wegen böser Werke. Willst du dich aber nicht fürchten vor der Obrigkeit, so tue Gutes, dann wirst du Lob von ihr erhalten. Denn sie ist Gottes Dienerin, dir zugut. Tust du aber Böses, so fürchte dich; denn sie trägt das Schwert nicht umsonst. Sie ist Gottes Dienerin und vollzieht die Strafe an dem, der Böses tut. Darum ist es notwendig, sich unterzuordnen, nicht allein um der Strafe, sondern auch um des Gewissens willen. Deshalb zahlt ihr ja auch Steuer; denn sie sind Gottes Diener, auf diesen Dienst beständig bedacht. So gebt nun jedem, was ihr schuldig seid: Steuer, dem die Steuer gebührt; Zoll, dem der Zoll gebührt; Furcht, dem die Furcht gebührt; Ehre, dem die Ehre gebührt.

Man muss bei diesem Text bedenken, - und das hatte ich auch am Mittwoch schon so gesagt - dass die Christen eine kleine Gruppe waren, eine Minderheit im römischen Reich, bisweilen geduldet, in machen Zeiten verfolgt. Ihnen ging es zunächst ums Überleben, eher um ein unauffälliges Verhalten gegenüber der Staatsmacht - und nicht um die Frage, so etwas wie die „moralische Substanz“ in der Gesellschaft mitprägen und mitgestalten zu wollen.

Ohne noch einmal die politischen und historischen Zusammenhänge beleuchten zu wollen, frage ich, was für ein Bild von Gesellschaft entwirft Paulus in diesem Text? Wenn man das in Form der üblichen Schemata darstellen möchte, dann steht Gott ganz oben, und gleich daneben, der von Gott eingesetzte Herrscher, es folgt schließlich im damaligen römischen Reich - die Oberschicht der Senatoren und Ratsherren, dann die Gruppe der freien Bürgerinnen und Bürger und ganz unten Unfreien, die Sklaven.

Es ist ein streng hierarchisches Modell und funktioniert durch Androhung von Gewalt und auf der Basis eines hohen moralischen Drucks, wenn Paulus die Obrigkeit von Gott her eingesetzt weiß, und jedes Vergehen gegen die Obrigkeit gleichsam ein Vergehen gegen Gott selbst darstellt. Paulus spricht ja auch von Furcht, und dass es für einen selbst besser sei, „sich unterzuordnen, nicht allein um der Strafe, sondern auch um des Gewissens willen.“

Ich möchte bei der Dynamik dieses Bildes bleiben.

Es hat unsere Vorstellungen von Organisationen über Jahrhunderte geprägt. So finden wir es prominent in Strukturen beim Militär und in der mittelalterlichen (katholischen) Kirche – teilweise bis heute…
Manche Organigramme in großen Konzernen und auch kleineren Firmen bilden ähnlich so ein hierarchisches Organisations- und Führungsverständnis ab.
Sicher hat sich eine Menge verändert. Der Chef einer Firma ist nicht mehr durch Gottes Gnaden erwählt und eingesetzt. Es gibt Teamarbeit, Mitspracherechte, Interessensvertretungen usw.
Aber unser Organisationsverständnis ist im Grunde immer noch ein hierarchisches.
Konkret geht es doch um die Frage, in welcher Weise wir zusammenleben und zusammenarbeiten wollen. Wie wir Probleme lösen und Visionen entwickeln wollen.

Frederic Laloux, ein belgischer Unternehmens- und Organisationsberater, der sich intensiv mit diesem Thema beschäftigt hat, fragt, wie Organisationen aussehen müssten, die mehr von unserem menschlichen Potenzial zugänglich machen. Darum geht es, dass wir als Menschen vorkommen, ernst und angenommen, mit dem, was uns ausmacht.

Laloux schreibt: Die hierarchische Pyramide erscheint veraltet, aber welche andere Struktur könnte sie ersetzen? Was ist mit der Entscheidungsfindung? Jeder sollte in der Lage sein, bedeutungsvolle Entscheidungen zu treffen, nicht nur ein paar Leute ganz oben, aber führt das nicht ins Chaos?

Diese Fragen interessieren mich. Und ich hatte mich deswegen vor einiger Zeit angemeldet zu einem Seminar über kollegiale Führungsmethoden. Noch vor dem ersten Treffen bekam ich einen Berg von Lesestoff zugeschickt, der mich erstaunte. Ich erwartete theoretische Begründungen und Grundsatzerklärungen zu der Frage: Was ist denn eigentlich kollegiales Führen? - Stattdessen bekam ich eine Einführung in Gesprächsführung und Feedback-Regeln. Es ging um Bausteine gewaltfreier Kommunikation. Und es ging dann um Beispiele, wie man mit anderen Menschen / Kolleginnen und Kollegen ein Gespräch suchen und durchführen kann - auch über nicht ganz einfache Themen, die – und das wurde mir an dieser Stelle deutlich – normalerweise nicht angesprochen, - oder eben beim Chef auf dem Schreibtisch landen würden.

Ich verstand, dass es noch vor aller Theorie und Methodik um eine innere Haltung geht, um eine Haltung den anderen gegenüber und für ein anderes Miteinander. Als Teil einer kollegialgeführten Organisation liegt die Verantwortung für alles, was passiert, auch mit bei mir. Und das beginnt mit einem – ganz schlicht: menschlich gestaltetem, auf Augenhöhe begegnendem – Miteinander, das beginnt mit Kommunikation, mit Gesprächen, mit Begegnung, mit einem miteinander reden.

Frederic Laloux bringt in seinem Buch „reinventing organisations“ zahlreiche Beispiele von Betrieben und Firmen, die in dieser Weise arbeiten.

Ich habe natürlich auch eine Kirchengemeinde und ganz konkret auch unsere Gemeinde im Blick. Ich frage mich, ob sich so ein Miteinander und so eine Verantwortung füreinander und für so ein Miteinander auch in der Organisation unserer Gemeinde abbilden lässt?

Was würde Paulus dazu sagen?

Da, wo Paulus nicht von staatlicher Gewalt und Obrigkeit spricht, klingen seine Worte ganz anders.
Die Gemeinde beschreibt er ja mit dem wunderbaren Bild des Leibes Christi, in dem wir alle – im Sinne eines Körpers - miteinander verbunden sind.
Christus ist das Haupt, schreibt er, geistlich, geistig anwesend. Entscheidender ist das gemeinsam verantwortlich und solidarisch Sein aller anderen in und für die Gemeinschaft.
Hier ist nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Sklave noch Freier, hier ist nicht Mann noch Frau; denn ihr seid allesamt einer in Christus Jesus. Schreibt er im Galaterbrief.

Nur, wie findet sich genau diese Haltung in dem Bild einer Organisation wieder?

Ich möchte von Experiment aus der Politik erzählen.
"Ich will das Ohr möglichst nah an den Bürgern haben, dabei soll mir der Bürgerrat helfen“, so Oberbürgermeister Daniel Schranz aus Oberhausen, der im Sommer 2016 ein politisches Experiment wagte.
Er installierte einen Bürgerrat.
Ein wesentliches Ziel dieses Bürgerrates ist es, dass Themen, die der Stadtbevölkerung unter den Nägeln brennen, in den regelmäßig stattfindenden Gremiensitzungen offen zur Sprache kommen. Kritik in jeglicher Form ist dabei nicht nur geduldet, sondern ausdrücklich erwünscht. Die Mitglieder des Bürgerrates sollen Defizite sichtbar machen, gemeinsam mit dem Oberbürgermeister möglichst konkrete Handlungsempfehlungen erarbeiten und - falls nötig - als eine Art „Frühwarnsystem“ für unerwünschte Entwicklungen dienen.

Die 15 Mitglieder des Bürgerrates - und das ist das Erstaunliche – wurden aus über 650 Bewerberinnen und Bewerber für einen Zeitraum von zwei Jahren ausgelost.
Und seitdem treffen sie sich regelmäßig und suchen Lösungen für die Probleme ihrer Stadt in Ergänzung zu den anderen politischen Beteiligungsmöglichkeiten.

Das ist ein neuer Weg.

Ausgangspunkt heute war ja der Gedanke des Paulus von dem Gehorsam gegenüber der Obrigkeit, die von Gott eingesetzt sei.
Ich will den Gedanken an Gott an dieser Stelle ja keineswegs aufgeben. Ich würde ihn ergänzen wollen um das Petrus-Wort aus der Apostelgeschichte, wo Petrus sagt: Man soll Gott mehr gehorchen als dem Menschen.

Und dann stellt sich mir die Frage, in welcher Weise können Organisationen, von Politik über Wirtschaft bis hin zu einer Kirchengemeinde wie der unseren, eine Form entwickeln und gestalten, die der Menschlichkeit und dem Leben dient, die der Entfaltung aller menschlichen Potenziale Räume und Möglichkeiten öffnet; wo Gott nicht benutzt und beschrieben wird, um eine Machtposition zu untermauern, sondern als ein Impuls zur Freiheit, als ein vertrauensvolles Miteinander - und ein Wille zur Gemeinschaf und als Kreativität, diese Gemeinschaft zu gestalten.

Wohin könnten wir kommen auf diesem Weg?

Amen

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