3. Sonntag nach Epiphanias - Lukas 8, 22-25

25.01.2015 | 11:00

Thema des Gottesdienstes: Den Glauben verlieren…

Text: Lk 8, 22-25

 

Liebe Gemeinde!

 

„Wo ist euer Glaube? So die enttäuschte Frage Jesu an seine Jünger. Können Menschen den Glauben verlieren?

Ja, leider Gottes! Sie hat gebetet und gehofft, dass ihr Kind wieder gesund wird. Doch es war alles Beten und Hoffen vergeblich. An diesen gefühllosen und ohnmächtigen Gott kann sie nicht mehr glauben.

Von unzählig vielen Menschen ließe sich erzählen, die das Gefühl hatten, vergeblich geglaubt zu haben, es schließlich aufgegeben haben, zu glauben. Auch in diesen Tagen und Stunden, in den zerbombten Städten Aleppo und Kobane, in den Ebola-Gebieten Westafrikas, auf den Flüchtlingsschiffen im Mittelmeer, bei den Angehörigen der Opfer des Terrors in Paris, in den Krankenhäusern und bürgerlichen Wohnzimmer dieser Stadt.

Von einer gefährlichen Schiffsfahrt auf einem brüchigen Kahn erzählt der Text aus dem Lk- Evangelium. Von Jesus hören wir hier zudem unglaubliche Dinge. Es werden ihm über-menschliche Kräfte zugemessen. Er war für die, die ihm folgten, der göttliche Retter in der Not –hier in unserer Geschichte, in vielen anderen Geschichten der Bibel, wo Jesus Kranke heilte, auf wundersame Weise das Brot vermehrte, Wasser in Wein verwandelte und sogar Tote zum Leben erweckte. Hier in unserer Geschichte gebietet er schließlich dem Sturm und dem Wasser, dass sie Ruhe geben, damit das leichte und seeuntüchtige Boot nicht den to-benden Wellen zum Opfer falle. Ist das so passiert? War Jesus ein mit übermenschlichen Kräften ausgestatteter Wundertäter, dem Wind und Wellen gehorchten?

Die Leute, die mit Jesus in diesem Boot saßen, glaubten das. Sie glaubten an den Gottessohn, der Wunder tun kann, also auch Wind und Wetter zu gebieten vermag. Doch die Wellen schlugen immer stärker ins Boot. Sie drohten zu ertrinken. Da verloren sie ihren Glauben.

Der Gott schläft, er schweigt, er tut nichts. Kann er nicht oder will er nicht? So haben unzäh-lig viele Menschen schon gefragt, in ihrer Verzweiflung aufs tosende Meer, in den donnern-den Bombenhagel und in die Stille der Nacht hinaus geschrien. So weinen und klagen, rufen und beten Menschen immer und immer wieder, überall auf der Welt: in den Krankenzim-mern, auf den Sterbebetten, auf den Flüchtlingsbooten, an den Gräbern. Menschen rufen zu Gott in ihrer Not. Doch es ist als hätte dieser Gott seine Ohren verschlossen oder, schlimmer noch, als sei er unfähig, etwas gegen die Not der Verzweifelten zu tun, ja, als gäbe es ihn überhaupt nicht.

I.

Doch da nun, heute Morgen diese Geschichte von der wundersamen Stillung des Sturms: Da es geht es also doch, Gott greift ein. Seht, Jesus, der Gottessohn, er hat sich von den Leuten im Boot wecken lassen und mit seinen übermenschlichen Mächten Wind und Wellen Einhalt geboten.

So ist die Geschichte auch immer wieder erzählt worden, als Geschichte eines Naturwun-ders, das auf das inständige Bitten der Jünger hin, Jesus, der Gottessohn, vollbrachte. Eine Beispielgeschichte für einen starken Glauben, der Gott zum Eingreifen zwingt. Wenn ihr nur richtig glaubt, glaubt, dass Jesus der Sohn Gottes ist, dann wird Gott euch helfen. Er ist schließlich ein allmächtiger Gott. Wenn er will, dann kann er Wunder vollbringen. Also bittet, so wird euch gegeben.

Muss man die Geschichte von der wundersamen Stillung des Sturms so verstehen? Ich denke gerade nicht. Denn in dieser Geschichte schilt Jesus ja die, die ihn geweckt haben. „Habt ihr keinen Glauben?" – so sein Vorwurf. Warum habt ihr keinen Glauben? Warum weckt ihr mich? Warum verlangt ihr von mir, dass ich Wunder tue? Nein, ihr habt keinen Glauben! Ihr habt kein Vertrauen! Deshalb ruft ihr den Gott an! Der Gott soll euch helfen, wo ihr am Ende eurer Möglichkeiten angekommen seid.

II.

Diesen Gott aber gibt es nicht, den allmächtig in die Welt eingreifenden Gott, rettend oder auch vernichtend, heilsam oder zerstörend, je nachdem ob die Menschen an ihn glauben oder nicht an ihn glauben.

Dass es diesen so zwielichtigen Gott nicht gibt, der Meinung scheint Jesus gewesen zu sein. Deshalb fragt er die ängstliche Bootsbesatzung ganz enttäuscht: „Wo ist euer Glaube?" Euer Wunderglaube, euer Glaube an den Gott da droben, der auf unerklärliche Weise helfend oder vernichtend, rettend oder zerstörend in diese Welt eingreift, das ist gar kein Glaube. Das ist ein verkapptes Wissenwollen.

Ihr benutzt Gott als euren letzten Strohhalm in der Not. Oder ihr benutzt ihn zur Legitimati-on eurer Machtphantasien. Nein, das ist für mich kein Glaube an Gott. Das nenne ich eher eine Flucht aus dem Glauben. Ihr hofft darauf, dass der Gott einspringt, wenn ihr am Ende eurer Möglichkeiten seid. Ihr verlasst euch auf Gott, wo euch die Argumente für euer Tun ausgehen. Hättet ihr wirklich geglaubt, dann hättet ihr auf Gott vertraut und mich weiter-schlafen lassen.

III.

Die Bootsleute freilich werden sich mit dieser Rede Jesu nicht zufrieden gegeben haben. Du hast gut reden, werden sie ihm erwidert haben. Siehst du denn nicht, dass wir untergehen? Wir sind am Ende. Wir brauchen deine Hilfe. Ohne dich sind wir verloren! Ohne dein Eingrei-fen ist diese Welt verloren.

Da sieht Jesus die Not und er hilft ja auch. In unserer Geschichte gebietet er schließlich dem Sturm und den Wellen, dass sie schweigen, so wie er auch in anderen Wundergeschichten Kranke heilt und sogar Tote zum Leben erweckt. Dennoch, wir würden diese Wunderge-schichte, wie alle andern Wundergeschichten, die von Jesus erzählt werden, völlig missver-stehen, läsen wir sie als Werbung für einen Glauben, der Gott Wunder tun und seine All-macht beweisen lässt.

Wir dürfen uns ja nicht täuschen lassen, im antiken Weltbild gab es noch gar keine Wunder, wie wir sie verstehen, als göttliche Durchbrechung der Naturgesetze. Alle Wirklichkeit ver-standen die Menschen damals als von göttlichen Kräften durchdrungen. Alles Natürliche war zugleich wunderbar. Von Jesus wurden die Wundertaten erzählt, um deutlich zu machen, dass der Glaube, den Jesus selbst gelebt, sein Vertrauen in Gott den Vater, tatsächlich etwas vermag. Es ist nicht vergeblich, zu glauben. Es nützt etwas, an Gott zu glauben und auf ihn sein Vertrauen zu setzen, auch gegen den Augenschein, auch wenn nichts zu sehen ist, von Gottes Macht. Vertrauen wagen, grundloses Vertrauen wagen, Vertrauen ins Leben haben, das ist die Botschaft Jesu.

So auch in unserer Geschichte. In ihrem Zentrum steht Jesu Frage an die wundergläubigen Jünger.

„Wo ist euer Glaube?" Ihr glaubt an Wunder, ihr hofft auf Wunder? Das sehe ich. Doch das ist kein wahrer Glaube. Euer Glaube ist eine Art Versicherung, dass immer alles gut ausgehen möge. Euer Glaube dient nur der Durchsetzung eurer eigenen Interessen. Ihr instrumentali-siert Gott für euren Überlebenswillen, euren Herrschaftswillen. Das ist ja verständlich. Wer verstünde da nicht. Stellen wir uns nur vor, dass wir mit euch in diesem Boot säßen. Den-noch, euer Wunderglaube ist das Gegenteil des wahren Glaubens. Wahrer Glaube ist grund-loses und vorbehaltloses Vertrauen auf Gott, darauf, dass er ein Gott des Lebens ist. Euer Wunderglaube ist ein Gott verfügbar machen wollen, im Grunde ein Wissen-Wollen – kein vertrauensvolles Sich-Gott-Überlassen.

Du hast gut reden, werden die Bootsleute Jesus erneut entgegengehalten haben. Mir jeden-falls hätte das auf der Zunge gelegen. Siehst du nicht, dass wir verderben. Unzählige werden Jesus das schon entgegen geschleudert haben: Sieh doch, ich bin am Ende. Ich weiß nicht mehr weiter. Sie doch, was in dieser Welt los ist. Ich brauche deine Hilfe. Wir brauchen deine Hilfe. Keine Belehrung über den richtigen Glauben.

Ja, ich bete in der Not, wenn ich nicht mehr weiter weiß, wenn ich verzweifelt bin. Dazu ist doch Gott da, dass wir eine Zuflucht haben, wenn wir in Nöten sind.

IV.

In der Tat, so ist es, sagt Jesus. Das will ich gar nicht bestreiten. Deshalb frage ich euch doch nach eurem Glauben. Wo ist euer Glaube? Jetzt glaubt ihr, jetzt wo das Boot wieder ruhig durch die Wellen gleitet! Jetzt wo ihr denkt, dass Gott zu eurer Rettung doch eingegriffen hat. O ihr Kleingläubigen! Das ist religiöses Sicherheitsdenken. Kein Glaube, kein Vertrauen auf Gott.

Vorher, als ihr eure Angst in den Sturm und die Wellen hinausgeschrien habt. Als ihr an mir gerüttelt habt, dass ich doch aufwachen möge. Da habt ihr geglaubt. Da habt ihr euer Ver-trauen ganz auf mich geworfen. Da, wo nichts zu spüren war von meiner göttlichen Macht.

So ist es immer und immer wieder. Menschen schreien zu Gott in ihrer Not. Manchmal ha-ben sie schon keine Stimme mehr. Aber Gott schweigt. Es ist nichts zu sehen von seiner Macht. Schläft er? Ist er anderswie beschäftigt? Gibt es ihn gar nicht?

Dann an Gott festhalten, dann auf ihn sein Vertrauen setzen – mit einem trotzigen Dennoch. Dann nicht aufhören, nach ihm zu rufen, ihm den Schmerz und die Verzweiflung entgegenschreien, das machen die, die glauben. Wirklicher Glaube hat keine Absicherung an göttli-chen Machterweisen, an Heilstatsachen, an Bibelsätzen, an kirchlichen Dogmen und Wun-derereignissen. Wirklicher Glaube geht erst recht nicht dazu über, die Rettung der Welt in menschliche Hände zu legen. Wirklicher Glaube ist grundloses Grundvertrauen. Das trotzige Dennoch in unserem Willen zum Leben.

V.

Schließlich, so stelle ich mir vor, ist es den Jüngern Jesu wie Schuppen von den Augen gefal-len. Aus und mit diesem Glauben leben wir ja – und das nicht erst jetzt, nachdem sich Wind und Wellen wieder beruhigt haben. Ohne diesen Glauben hätten wir uns gar nicht erst in dieses brüchige Boot begeben. Ohne diesen Glauben würden wir überhaupt uns nicht ins Leben wagen, die Aufgaben nicht angehen, die sich uns täglich stellen. Keine Pläne machen, uns nicht engagieren. Nichts Gutes schaffen und nichts wissen können. Es gibt so viele Un-wägbarkeiten und Risiken. Wer sich in Gefahr begibt, kommt leicht darin um.

So wir nur jeden Morgen wieder aufstehen und unseren Tag beginnen, leben wir aus diesem Glauben. Wir glauben, dass ein Sinn ist in dem, was wir tun. Das ist von Gott geschehen und täglich ein Wunder vor unseren Augen.

Können wir diesen Glauben verlieren? Nein, diesen Glauben kann im Grunde kein Mensch verlieren, nicht solange er noch einen Atemzug zu tun imstande ist.

Dieser Glaube nimmt keinem Menschen die Angst. Dieser Glaube bleibt vom Zweifel ange-fressen. Dieser Glaube eignet sich nicht dazu, ein „Gott mit uns" auf die Koppelschlösser zu prägen. Dieser Glaube kennt keinen Siegeswillen.

Dieser Glaube macht demütig und dankbar. In diesem Glauben ringen Menschen aber auch immer wieder ihre Angst nieder. In diesem Glauben riskieren Menschen viel. Die, die auf den Flüchtlingsbooten im Mittelmeer um ihr Leben kämpfen. Die, die sich für die Gestrandeten in unserem Land einsetzen. Die Ärzte und Schwestern, die in den Krankenhäusern den Patien-ten nicht verlorengeben. Dieser Glaube ist unser aller Mut zum Leben.

Dieser Glaube wird immer wieder vom Zweifel zerfressen und in die Verzweiflung getrieben. Aber ohne diesen Glauben hätten wir uns selbst und diese Welt schon längst verloren gege-ben. Es geschieht so viel Schreckliches in der Welt, auch in Gottes Namen, so viel Schreckli-ches immer wieder auch im eigenen Leben. Das Elend unzähliger Menschen schreit zum Himmel. Doch unser Glaube, dieses Vertrauen in den Gott, der der Grund aller Lebenszuver-sicht ist, der macht, dass wir in der Liebe bleiben und die Hoffnung nie ganz verlieren müssen.

Amen

 

Prof. Dr. Wilhelm Gräb

Lehrstuhlinhaber für Praktische Theologie/ Homiletik, Liturgik, Poimenik und Kybernetik

Leitung des Instituts für Religionssoziologie und Gemeindeaufbau an der Humboldt-Universität in Berlin

 

 

 

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