5. Mose 15, 1-11

17.02.2013 | 15:36

Wolf-Dieter Hauenschild

Liebe Gemeinde,

 

 

nehmen Sie meine Worte mit der Gnade und der Friedfertigkeit auf, die Gott unser Vater und unser Herr Jesus Christus uns im Umgang miteinander geboten hat.

 

 

Wir Laien predigen diesmal über die Bibeltexte, über die auf dem Kirchentag Bibelarbeiten gehalten werden. Mein Thema ist: Erlassjahr-- wie es gehen kann.

 

Der Text ist zu finden im 5.Buch Mose 15. Kapitel die Verse 1 bis 11.

 

Ich lese den Text einmal vor in der Übersetzung, die speziell für diesen Kirchentag angefertigt wurde:

 

 

Ob diese Übersetzung mit der Benennung Gottes als „die LEBENDIGE“ wirklich eine verständliche und eingängige Sprache ist, wie es im Kommentar der Kirchentagsleitung heißt, wage ich zu bezweifeln. Man könnte viel dazu sagen, wozu jedoch keine Zeit ist. Deshalb nur so viel: Alles Lebendige hat für mich immer auch ein Ende,  Gott aber ist von Ewigkeit zu Ewigkeit. Aber natürlich, das sind nur die Gedanken eines Laien.

 

 

Fangen wir also an: In den Versen 1+2 heißt es: Alle 7 Jahre gibt es ein Erlassjahr. In diesem sollen nach dem Gesetz Gottes dem Nächsten die Schulden erlassen werden. Alles, was jemand seinen Nächsten geliehen hat, was in Schuldscheinen verbrieft ist, soll in dem Erlassjahr nicht zurückgefordert, sondern erlassen werden.

 

 

Unklar ist nach den Kommentaren, ob die Schulden völlig erlassen werden sollten oder ob nur eine Stundung oder ein Zinsverzicht gemeint war. In welchem Maße sich die Juden selbst an dieses Gesetz gehalten haben, konnte ich nicht herausfinden.

 

 

Was könnte der Text  für uns heute bedeuten? 

 

 

Beim Stichwort Schuldenerlass denken wir aktuell an die Finanzkrise und die Frage, ob den sogenannten armen Ländern die Schulden erlassen werden sollten. Aber der Text gibt dazu keine Empfehlung,- im Gegenteil: Nach V 3 gilt das Erlassjahr ausdrücklich nicht für die Fremden und in V 6 wird es als Folge von Gottes Segen dargestellt, dass Israel in der Lage ist, anderen Völkern Darlehen zu geben und so über sie zu herrschen, während es selbst keine Darlehen von anderen benötigt.

 

 

Als Jurist fällt mir beim Stichwort Schuldenerlass die sogenannte Restschuldbefreiung ein, eine Art  modernes Erlassgesetz, das bei uns in der Insolvenzordnung geregelt ist. Damit verhält es sich so:

 

 

Ist bei uns ein Mensch überschuldet, so kann er beim Amtsgericht einen Insolvenzantrag  stellen. Wenn er dann den pfändbaren Teil seiner Einkünfte für die Dauer von 6 Jahren an einen Treuhänder abtritt, der diese gleichmäßig an alle Gläubiger verteilt, werden ihm nach Ablauf dieser Frist durch einen Beschluss des Gerichts alle bis dahin nicht getilgten Schulden erlassen. Rechnet man die Zeit des Verfahrens hinzu, so kommt man wie in unserem Text auf eine Schuldbefreiung nach 7 Jahren.

 

 

Aber zurück zum Text. Ich möchte zu 3 Punkten etwas sagen, nämlich

 

1.       zu den Armen und dem Thema Armut heute,

 

2.       dazu, dass geboten wird, den Armen etwas zu leihen, und

 

3.       ist mir aufgefallen, dass es nach dem Text offenbar nur Arme und Reiche gibt und nichts dazwischen.

 

 

Also 1.: den Armen gegenüber sollen wir die Hand weit öffnen und leihen, so viel sie brauchen, heißt es in Vers 8.

 

 

Wer sind die Armen ?

 

Für die biblischen Zeiten ist die Frage leicht zu beantworten. Arm ist

 

wer hungert und dürstet, wer nackt ist und kein Dach über dem Kopf hat, wer der Krankheit ausgeliefert ist und der Willkür der Mächtigen.

 

 

Wie ist das heute ?

 

 

Auch für unser Land gilt wie nach unserem Text für das alte Israel, dass es keine materielle Armut geben sollte. Wir haben in unserem Sozialstaat hierfür gesetzliche Grundlagen geschaffen und diejenigen, die Steuern und Abgaben zahlen, leisten das Erforderliche, damit niemand in diesem biblischen Sinne arm sein muss.

 

 

Die Fürsorge für die Armen ist bei uns verstaatlicht worden. Es gibt gerichtlich durchsetzbare Rechte, die Armen sind nicht mehr Bittsteller, sondern Anspruchsteller. Das Bundesverfassungsgericht entscheidet in letzter Instanz darüber, wie viel sie brauchen.

 

 

Wenn also bei uns jemand hungert, dürstet …, liegt das daran, dass er diese staatlichen Hilfen nicht in Anspruch nehmen kann oder nicht in Anspruch nehmen will.

 

 

Für diesen Fall stellen Staat, Kirche und sonstige Hilfsorganisationen vielfältige Institutionen bereit, die bei der Durchsetzung der Rechte helfen. Darüber hinaus bieten die unterschiedlichsten Institutionen Mittagstische, Kleiderkammern, Beratungsstellen, Übernachtungsmöglichkeiten, rechtliche Betreuung an. Ein Freund von mir ist Sozialarbeiter in Berlin und beschäftigt sich nur mit der Hilfe für Obdachlose. Ich habe mit ihm über diesen Punkt korrespondiert

 

 

Doch werden wir damit auch von unserer persönlichen Verantwortung entlastet? Nur von ihr ist in unserem Text die Rede. Du sollst dein Herz nicht verhärten und deine Hand den Armen gegenüber weit öffnen, heißt es dort. Fühlen wir selbst uns davon heute noch angesprochen? Oder verlangen wir nicht eher von anderen, vor allem von den Reichen, von der Regierung,  vom Staat, dass mehr für die Armen getan wird.

 

 

Und wie ist das mit dem Maß? „So viel sie brauchen“, heißt es in unserem Text. Aber was und wieviel brauchen sie ?

 

 

Gerade in dieser Zeit ist überall davon die Rede, dass die Armut in unserem Lande gewachsen sei. Auch Herr Nagel hat vor 2 Wochen an dieser Stelle davon gesprochen. Der Begriff wird inzwischen politisch instrumentalisiert.  Dabei muss man allerdings wissen, dass es sich hier um einen anderen Begriff von Armut handelt, nicht um das, was die biblische Armut ausmacht.

 

 

Arm ist danach derjenige, der nicht in einem bestimmten Umfang am allgemeinen Konsum teilnehmen kann. Armut ist ein statistischer Begriff: Arm ist, wer weniger als 50% des mittleren Einkommens zur Verfügung hat. 

 

 

Armut hängt nach dieser Definition ab vom Durchschnittsverdienst. Steigt er wie bei uns in den letzten 3 Jahren, so wächst auch statistisch der Anteil der Armen. Wenn er dagegen sinkt, wird die Zahl der Armen geringer mit dem absurden Ergebnis, dass in der Krise in Griechenland oder Portugal die Zahl der Armen statistisch gesunken ist.

 

 

Um nicht mißverstanden zu werden: Es kann keinen Zweifel daran bestehen, dass es trotz aller sozialstaatlichen Errungenschaften Armut bei uns gibt. Und um die müssen wir uns kümmern, nach meiner Vorstellung, weil für Christus die Nächstenliebe das zweitwichtigste Gebot ist.

 

 

Die statistische Definition von Armut und die politische Instrumentalisierung führen jedoch dazu, dass ich andere verantwortlich mache, während nach dem Text ich selbst gefordert bin, ich meine Hand weit öffnen soll.

 

 

Armut sieht heute vor allem anders aus als vor 2000 Jahren. Betroffen sind vor allem Kinder und Jugendliche,  zerbrochene Familien, Menschen in besonderen Lebenskrisen, Fremde, also Ausländer ohne Aufenthaltsberechtigung. Damit ändert sich auch das, was getan werden muss, um den Armen zu helfen: statt Geld und Brot vor allem persönliche Zuwendung, bessere Bildungsangebote, Arbeit.

 

 

Es gibt Armut , auch biblische Armut, in der Welt außerhalb unseres Landes. Hilfe ist hier eine Aufgabe der reichen Länder, zu der wir ebenfalls aus christlicher Nächstenliebe berufen sind. Aber dies ist mit unserem Text nicht gemeint. Der Text meint mich und Dich, jeden von uns, die wir hier sitzen.

 

 

Denen, die bei uns mit ihrem Leben nicht zurecht kommen, müssen wir uns zuwenden, damit sie die Hilfen in Anspruch nehmen, die es gibt. Das ist zunächst einmal das, was sie brauchen. Das ist nicht immer leicht. Viele sind schwer anzusprechen und häufig lehnen sie Hilfe, vor allem auch die öffentliche Hilfe ab. Da ist es schon einfacher, die Münze in den Hut zu werfen.

 

 

Das führt mich 2. dazu, dass in dem Text von Darlehen die Rede ist, die den Armen gegeben werden sollen, nicht von Geschenken, Almosen. Was könnte das für uns bedeuten?

 

 

Ein Geschenk ist ein einmaliger Kontakt mit dem Armen. Liegt die Münze im Hut, ist die Sache erledigt. Wer leiht, knüpft dagegen ein Band zum Schuldner. Ein Darlehen  ist ein langfristiger Vertrag, begründet Rechte und Pflichten für beide Seiten.

 

 

Gerade darin steckt ein besonderer Sinn. Denn die andauernde  Bindung führt dazu, dass ich mich um den Schuldner, um meinen Nächsten kümmere. Ein guter Gläubiger wird schon bei der Hingabe des Darlehens sich mit dem Schuldner darüber auseinander setzen, was dieser braucht.

 

 

Das heißt, er wird mit dem Armen dessen Situation auf Augenhöhe besprechen, um mit ihm heraus zu finden, was zu tun ist, um diesem in seiner Situation wirklich zu helfen. Er nimmt ihn als Menschen ernst, traut ihm etwas zu, dass er nämlich das Darlehen zurückzahlen wird. Und er wird ihn dann auch in der Folgezeit begleiten, damit er den Weg aus seiner Armut findet.

 

 

Das bedeutet neben der menschlichen Zuwendung vielfach Förderung von Bildung und Ausbildung, Stärkung der Persönlichkeit, Entwicklung der Kenntnisse, Fähigkeiten und Begabungen.

 

Mein 3. Gedanke beschäftigt sich damit, dass es in dem Text nur zwei Gruppen gibt: die Armen, die Hilfe brauchen, und die anderen, die die Hand öffnen und leihen sollen, so viel die Armen brauchen, und denen  Gott nach dem Text ja auch ohne weiteres ein Erlass ihrer Forderungen zumutet.

 

 

Eine Gesellschaft besteht jedoch nicht nur aus diesen zwei Gruppen. Der größere Teil liegt zwischen beiden. Viele kommen gerade so zurecht und haben nichts zu verleihen. Andere können zwar zeitweilig etwas mit Geld aushelfen, können aber unter keinen Umständen auf die Rückzahlung verzichten, sondern brauchen die Mittel zum vereinbarten Zeitpunkt zurück, um davon ihren eigenen Lebensunterhalt zu bestreiten.

Das kann bedeuten, dass hier neben der biblischen und der statistischen eine dritte Art von Armut gemeint ist, die man als geistig-seelische oder auch als metaphysische Armut bezeichnen kann: die Mühseligen und die Beladenen, Menschen ohne Lebensmut und Lebenssinn, ohne Wertvorstellungen und Sinn für Gemeinschaft, verzweifelt, innerlich leer und vereinsamt. Als Christ formuliere ich, dass sie sich nicht von Gottes Liebe umfangen fühlen.

Diese Art von Armut kann zusammenfallen mit der biblischen oder der statistischen Armut. Das muss aber nicht so sein. Diese geistig-seelische Armut findet sich nicht selten auch bei Menschen, die sonst  im beschriebenen Sinne nicht arm sind. Und mancher im biblischen Sinn Arme ist reich an Lebensmut und Glaubensstärke.

Wer in der Liebe Gottes lebt, ist reich gesegnet und beschenkt. Ich wünschte mir, dass das möglichst viele von Ihnen sagen könnten. Von diesem Reichtum sollen wir abgeben, unser Herz gegenüber denjenigen öffnen, die an diesem Reichtum nicht teilhaben. Die Botschaft von der Liebe Gottes zu den Menschen sollst du nicht allein für dich behalten, sondern weitersagen.

Hier ist in besonderer Weise die Zuwendung erforderlich zu denen, die arm sind, weil sie nicht mit Lebensmut, Wertvorstellungen, mit Glauben beschenkt wurden. Dabei reicht nicht kurzfristiger Aktionismus, die Münze im Hut, sondern gefragt ist langfristige Zuwendung, Beispiel, Ermutigung.

Erlass bedeutet hier Ertragen von Enttäuschungen und Ungerechtigkeiten, die auch der Hilfsbedürftige begeht. Vergebung, Innehalten, wieder von vorn beginnen, wenn die Hilfe nicht angekommen ist.

 

 

Was ich hier tun kann, ist außerordentlich vielfältig. Jeder Einzelne von uns ist mit seinen besonderen Fähigkeiten, Kenntnissen, Möglichkeiten und Begabungen gefragt.

 

 

Beispiele? Im heutigen Hamburger Abendblatt ist ein großes Interview mit dem Journalisten Reinhold Beckmann abgedruckt, in dem berichtet wird von den vielfältigen Aktivitäten seiner Stiftung „NestWerk“. Und ich erwähne hier natürlich ganz bewusst die vielfältigen Aktivitäten und Angebote in unserer eigenen Gemeinde, wo sich jeder Einzelne einbringen kann, um seinem Nächsten zu geben, so viel er braucht. Und dort, wo etwas fehlt, kann Neues begründet und geschaffen werden.

Wir sind alle, oder sagen wir besser, --denn ich will niemanden ungewollt vereinnahmen--: wir sind fast alle in irgendeiner Weise reich. Wir müssen diesen Reichtum nur entdecken, manchmal entdecken lassen. Dann können wir auch abgeben.

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als all unsere menschliche Vernunft, bewahre Eure Herzen und Sinne in Christo Jesu.

 

Amen.

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