6. Sonntag nach Trinitatis - 1. Petrus 2, 2-10

27.07.2014 | 12:00

Gnade sei mit Euich und Friede von dem, der da ist und der da war und der da kommt. Amen.

Liebe Gemeinde!

Als die ersten jungen christlichen Gemeinden sich ihren Platz erobert hatten in den Gesellschaften ihrer Städte und Dörfer, als sie nicht mehr übersehen werden konnten, und christlicher Glaube ernst genommen werden musste – nicht mehr als eine vorübergehende Spinnerei oder religiöse Modeerscheinung, sondern als eine wirkliche Alternative und damit als eine Gefahr des Bestehenden, da zogen die Christen als Andersgläubige oder Sündenböcke, meist lässt sich das eine vom anderen wohl nicht trennen, den Unmut, je den Hass vieler Menschen auf sich. Ein Unmut und ein Hass, der Freundschaften und Familien trennte, der zu Verleumdungen und Misstrauen führte, und in offene Feindschaft ausartete.

 

In den Gemeinden war die Verunsicherung groß: wie sollten sie umgehen damit, wie sollten sie zu einem Glauben stehen können, der gerade nicht bringt, was er sein will: nämlich Liebe und Frieden? Wie sollte der Weg aussehen, den sie mit ihren Gegnern und Feinden gehen sollten? Wie sollten sie die Verfolgungen durchstehen, die der Kaiser Domitian befohlen hatte?

Von Rom aus geht in den 90er Jahren des ersten christlichen Jahrhunderts ein Schreiben in die Provinz Asia, größtenteils die heutige Türkei, und kursiert in den Gemeinden, wird in den Gottesdiensten verlesen. Es beruft sich auf die Autorität des Petrus und will Mut machen in so entmutigenden Verhältnissen. Der Brief ist voll von Ermahnungen an die Frauen, an die Männer, an die Freien und an die Sklaven, die unter launischen, auch unberechenbaren Herren leiden. Was sollen sie tun? Verängstigte und zweifelnde Menschen sitzen im Gottesdienst zusammen und hören folgende Worte:

Seid begierig nach der vernünftigen lauteren Milch wie die neugeborenen Kindlein, damit ihr durch sie zunehmt zu eurem Heil, da ihr ja geschmeckt habt, dass der Herr freundlich ist. Zu ihm kommt als zu dem lebendigen Stein, der von den Menschen verworfen ist, aber bei Gott auserwählt und kostbar. Und auch ihr als lebendige Steine erbaut euch zum geistlichen Hause und zur heiligen Priesterschaft, zu opfern geistliche Opfer, die Gott wohlgefällig sind durch Jesus Christus. Darum steht in der Schrift (Jesaja 28,16): »Siehe, ich lege in Zion einen auserwählten, kostbaren Eckstein; und wer an ihn glaubt, der soll nicht zuschanden werden.« Für euch nun, die ihr glaubt, ist er kostbar; für die Ungläubigen aber ist »der Stein, den die Bauleute verworfen haben und der zum Eckstein geworden ist, ein Stein des Anstoßes und ein Fels des Ärgernisses« (Psalm 118,22; Jesaja 8,14); sie stoßen sich an ihm, weil sie nicht an das Wort glauben, wozu sie auch bestimmt sind. Ihr aber seid das auserwählte Geschlecht, die königliche Priesterschaft, das heilige Volk, das Volk des Eigentums, dass ihr verkündigen sollt die Wohltaten dessen, der euch berufen hat von der Finsternis zu seinem wunderbaren Licht; die ihr einst »nicht ein Volk« wart, nun aber »Gottes Volk« seid, und einst nicht in Gnaden wart, nun aber in Gnaden seid (Hosea 2,25).

 

Liebe Kindlein, auserwähltes Geschlecht, königliche Priesterschaft, heiliges Volk!

Was fangen wir nun an mit all diesen Bezeichnungen, die die ersten Christen sich geliehen hatten aus der Sprache und Vorstellungswelt des Ersten Testaments und der jüdischen Tradition? Im frühen Christentum noch genutzt, um den angefeindeten Schwestern und Brüdern Trost zu spenden und Selbstvertrauen, wandelte sich all das, als das Christentum dominant wird: nun setzt sich die junge und vor jugendlichem Selbstbewusstsein strotzende Kirche an die Stelle Israels und raubt den Juden den ihnen von Gott gewährten Platz: „Ihr seid das auserwählte Geschlecht – und alle Verheißungen, die dem jüdischen Volk im Ersten Testament noch zugesprochen werden, gelten in Wahrheit und nunmehr Euch, den Christen.“

 

Eberhard Bethge hat sich in einer Bibelarbeit zum heutigen Predigttext einer besonderen Begegnung erinnert. Er schreibt: »Ich vergesse nicht, wie uns der Amsterdamer Rabbiner Ashkenasy, Entkommener aus Auschwitz, einmal sagte, während wir über den modernen Abfall der Christen von ihrem Glauben sprachen: ein Jude kann seinem Judentum nicht entlaufen, er bleibt Jude, ob er glaubt oder nicht. Ihr Christen irrt, wenn ihr jetzt meint, euch so einfach davonstehlen zu können. Wir werden euch diesen billigen Atheismus nicht so leicht machen. Wir behaften euch bei dem, was ihr so lange beansprucht habt. Nun seid das doch: messianisches Volk, das bereits königliche Priestertum, welches Gottes Wohltaten besitzt und weitergibt. Wer wird folgenlos davonkommen, wenn er dies zu sein und zu tun einmal behauptet hat!“« (E. Bethge, Bibelarbeit über 1. Petrus 2, 5-10, Verhandlungen der 24. außerordentlichen rheinischen Landessynode vom 11.-16-1-1976 in Bad Neuenahr, S. 219).

 

Bleiben wir ganz bei uns und unserer Tradition, unserem Selbstverständnis als Christen: haben wir den Mund zu voll genommen? Müssen denn nicht Selbstbezeichnungen wie „auserwähltes Geschlecht“, „königliche Priesterschaft“, „das heilige Volk“ viel zu groß und viel zu anspruchsvoll für uns sein, so dass wir sie niemals werden abdecken können mit unserem Glauben und unserem Tun? Sind uns die königlichen und priesterlichen Gewänder nicht viel zu groß, so dass wir vor anderen aussehen könnten wie verkleidete Kindlein in Erwachsenenkleidern? Steht uns nicht vielmehr Bescheidenheit besser an?

 

Am 8. Mai 2007 hielt Altbundeskanzler Helmut Schmidt in Tübingen die 7. Weltethosrede und sagte unter anderem: „Was mich bis heute bei der Berufung auf den christlichen Gott immer wieder stört – sowohl bei manchen Kirchenleuten als auch bei manchen Politikern – , das ist die Tendenz zur Ausschließlichkeit, die wir im Christentum antreffen – und ebenso auch in anderen religiösen Bekenntnissen: Du hast unrecht, ich aber bin erleuchtet, meine Überzeugungen und meine Ziele sind gottgefällig. Mir ist seit langem klar geworden: Unsere unterschiedlichen Religionen und Weltanschauungen müssen uns nicht hindern, zum Besten aller zusammenzuarbeiten; denn tatsächlich liegen unsere moralischen Werte nahe beieinander. Friede unter uns ist möglich, allerdings müssen wir den Frieden immer wieder aufs Neue herstellen und »stiften«, wie Kant gesagt hat.“

Ich gebe Helmut Schmidt Recht und äußere meine Vorbehalte gegen jegliche Erwählungsvorstellungen:

Wann immer sich ein Mensch, eine Religion, ein Volk, als von Gott, von der Geschichte, vom Schicksal als „erwählt“ betrachtet, fangen die Probleme an. Denn die Nicht-Erwählten werden zum Objekt der Erwählten: entweder als Objekte von Missionierung oder von Ausbeutung.

Theologisch ist die Gefahr groß, Gott wird zum Gefangenen der Erwählungsvorstellungen derer werden zu lassen, die sich für erwählt halten. Er darf nicht sein, was er nach dem Evangelium Jesu Christi ist: unbedingte und unbegrenzte Liebe, oder dem Koran nach der Allerbarmer oder dem Judentum nach der, der alles gesegnet hat. (Vgl. dazu K.-P. Jörns, Notwendige Abschiede, 202)

 

Wohlgemerkt, das ist eine Gefahr. Sie lässt sich vermeiden, wenn wir zweierlei bedenken:

Das Erwählungsverständnis des jüdischen Volkes ist untrennbar verbunden mit dem Glauben an einen treuen Gott, der zu seinen Menschen und zu seiner Schöpfung steht und der deshalb Erwählung stets mit einem Auftrag verbunden hat, die Erwählung auch zu einer Last werden lassen kann: das jüdische Volk soll der Welt zum Segen, soll der gesamten Völkerwelt Bote von Gottes Frieden werden.

 

Und das Zweite verhindert gleich, dass wir Christen uns über die Juden erheben: Wir können nur Volk Gottes sein, wenn wir uns in unserem Glauben und Tun auf den Juden Jesus von Nazareth berufen können, jenem lebendigen Stein, jenem kostbaren Eckstein, wie er im zweiten Petrusbrief genannt wird. Die geistlichen Opfer, die wir zu erbringen haben, sind Demut und Sanftmut, sind Friedfertigkeit und Einsatz für Gerechtigkeit, ganz im Sinn der Seligpreisungen, wie sie uns mit unseren Antependien vor Augen hängen.  

 

Verräterisch zu leben, das wäre es. Lothar Zenetti schreibt:

Was dich verrät

 

Du bist auch einer von denen,

die zu Jesus gehören.

Deine Sprache verrät dich,

dein Lächeln,

die Leichtigkeit, mit der du

Undenkbares denkst,

Unsagbares sagst und

Ungewöhnliches tust.

 

Aber auch die

seltsame Manie, dich einzusetzen,

anderen zu helfen.

Deine Wahrheitsliebe,

deine spürbare Unruhe,

wenn einer in Not ist,

dein Hunger und Durst nach Gerechtigkeit.

 

Dieses unerklärliche Vertrauen,

das dich trägt, der Friede,

der von dir ausgeht.

Wie wenn du etwas siehst,

was wir gewöhnlichen Sterblichen

nicht sehen,

ach, nicht einmal ahnen.

(Lothar Zenetti, aus: Wege nach Golgatha, Biblische Texte verfremdet 10, 48)

 

 

 

 

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