8. Gebot

28.03.2004 | 10:27

B. Senf

8. Gebot - Nichts als die Wahrheit


Die Gnade unseres Herrn und Heilandes Jesus Christus, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen. Amen

 

0. Einleitung

 

Liebe Gemeinde,

 

„Lügen haben kurze Beine“
„Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht, und wenn er selbst die Wahrheit spricht.“

Es gibt viele Sprüche über das Lügen. Und es gibt noch mehr Gelegenheiten, von der Wahrheit abzuweichen.

Heute sind wir beim vorletzten Teil der Predigtreihe über die 10 Gebote angelangt, beim achten Gebot: „Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten.“ Oder wie ich es etwas plakativ nach dem umstrittenen Bestseller von Dieter Bohlen formuliert habe: „Nichts als die Wahrheit!“

Ursprünglich war mit diesem Gebot eine Situation vor Gericht gemeint: wenn da ein falscher Zeuge auftritt, dann hat man keine Chance mehr. Das ist auch heute noch ähnlich: Falschaussagen stehen daher unter Strafe, besonders, wenn ein Zeuge unter Eid steht.
Vor Gericht war ein Angeklagter damals besonders schutzlos gegenüber falschen Aussagen.

Nun sind wir nicht ständig als Zeugen vor Gericht geladen. Aber das Gebot gilt aber in anderen Lebensla-gen: So kann man das Gebot auch übersetzen wie es die Gute Nachricht Übersetzung tut: „Du sollst nichts Unwahres über deinen Mitmenschen sagen.“ (GN) oder kurz: Du sollst nicht lügen.
Darunter fällt dann auch das Verbreiten von Gerüchten, wie es vorne auf dem Gottesdienstzettel abgebil-det ist.
Allgemein könnte man auch sagen: Du sollst mit deinen Worten keinen Schaden anrichten. Denn auch die Wahrheit kann, wenn sie lieblos ausgesprochen wird, sehr verletzend sein.

1. Wo wird denn heute gelogen?
Was fällt ihnen als erstes ein? (Pause)
Als ich darüber nachdachte, blieb ich gleich beim Gericht stehen – da wird der Richter belogen, nur um den eigenen Vorteil sicher zu stellen. Dann fielen mir unrichtige Steuererklärungen und der Versiche-rungsbetrug ein.
Ich kam dann auf die Politik – gerade in Wahlkampfzeiten nehmen es manche nicht so genau mit der Wahrheit.
Auch in der Wirtschaft wird gelogen, um den Gewinn zu steigern oder andere auszugrenzen.
Und das gibt es natürlich auch in der Schule. Die Lehrer werden angelogen und beschummelt – es werden Unterschriften gefälscht und Fehlgründe ausgedacht.
Gelogen wird auch in der Familie. Die Kinder verschweigen ihre Schulnoten oder sie werden  ein wenig besser erzählt als sie in Wirklichkeit waren. Und auch die Erwachsenen gebrauchen gerne mal eine nicht ganz zutreffende Ausrede und hintergehen andere Menschen.
Und nicht zuletzt fiel mir die Kirche ein. Fassen wir uns doch mal an die eigene Nasenspitze und kehren vor der eigenen Tür. Denn bei mir selbst fängt die Veränderung an.

2. Auch Christen sind nicht frei von Lüge
Auch wir sind eine Gemeinschaft von Sündern, wenn wir uns hier versammeln.  Zwar von gerechtfertig-ten Sündern, aber wir sind wie Luther es sagt: Immer Sünder und Gerechte zugleich: simul iustus et pecca-tor. Auch als Christen kennen wir die Verlockung des Lügens und Lästerns und wissen, dass wir der Ver-gebung immer wieder neu bedürfen.
Deshalb bitten wir im Vaterunser: Erlöse uns von dem Bösen. Denn der Böse, der Diabolos freut sich, wenn wir uns immer wieder in der Lüge verstricken. Die Bibel sagt, das Wesen des Satans ist die Lüge – das Durcheinanderbringen der Wahrheit. Diabolos, wie der Satan in der Bibel genannt wird, kommt übri-gens von griechisch Dia-balo und bedeutet: Durcheinander bringen. Deshalb sagt Jesus auch über den Teufel (Joh 8,44): „Er ist ein Feind der Wahrheit. Die Lüge gehört zu seinem Wesen, ja er ist der Vater der Lüge.“

3. Wie kommt es nun dazu, dass wir lügen?
Leider wird in uns schon ganz früh die Erkenntnis wach: Ich kann mir Vorteile verschaffen, wenn ich die Wahrheit etwas korrigiere – oder ich kann Unannehmlichkeiten vermeiden, wenn ich etwas an der Wahr-heit drehe.
Ich gehe mal davon aus, dass jeder von uns schon mal gelogen hat – das ist irgendwie im Menschen drin. Ich glaube, es ist sehr schwer, ganz ohne Lüge zu sein.
Möglicherweise wird schon manches kleine Kind zur Lüge erzogen (wenn auch unwillentlich) – wenn es bestraft wird, nachdem es die Wahrheit gesagt hat: 
„Hast du das kaputt gemacht?“ „Ja!“ „Dann wirst du jetzt erleben, was du davon hast, dass du die Wahr-heit gesagt hast!“

Liebe Gemeinde,
Ich bin überzeugt dass der tiefere Grund für das Lügen in gestörten Beziehungen zu suchen ist: Lügen haben immer etwas mit Beziehungsstörungen zu tun.
Lüge zerstört Vertrauen und erwächst wiederum aus gestörtem Vertrauen.

Wenn wir guten Freunden etwas erzählen, dann können wir ganz offen sein und die Wahrheit sagen – das hält eine gute Freundschaft aus. Aber wenn da nicht genug Vertrauen ist, dann versucht man etwas zu vertuschen oder zu verheimlichen.

Bei der Frage nach der Wahrheit geht es also letztlich immer um die Frage nach gesunden Beziehungen: gesunden Beziehungen zu meinen Mitmenschen, zu mir selbst und auch um eine gesunde Beziehung zu Gott.

Denn auch im christlichen Glauben, in der Vertrauensbeziehung zu Gott, geht es vor allem auch um Ehr-lichkeit vor Gott, der ohnehin ganz genau weiß, was wir denken und was uns bewegt.

Die Lüge aber zerstört die Beziehung zu Gott und meinen Mitmenschen
Und das gilt auch für die Beziehung zu mir selbst. Die Lüge kann in mir innere Schäden hervorrufen. Es kann passieren, dass ich mir selber eine Scheinwelt aufbaue, die zu meinem Lebensraum wird.
Dann wird unser Leben zur „gelebten Lüge“ – wie es ein von mir sehr geschätzter Pastor formuliert hat.

Die „gelebte Lüge“ meint die tiefe Unaufrichtigkeit vor uns selber, vor anderen und vor Gott. Mit ihr bauen wir uns einen Schutzschild gegen das Licht der Wahrheit – und wir werden blind für uns selber.
Wir leben die „gelebte Lüge“, wenn wir nach außen einen Schein abgeben, den wir im Herzen gar nicht haben. Wenn wir uns lieber in der Finsternis unserer Scheinwelt verschanzen als uns dem Licht der Wahr-haftigkeit auszusetzen.

Die „gelebte Lüge“ – das ist ein Wesenszug des alten Menschen – des Menschen ohne Gott: Es ist der innere Sog, der uns dazu bewegen will, im Dunkel der Unaufrichtigkeit zu verharren.

Auch wenn wir Christen werden und vor Gott ehrlich unsere Schuld bekennen, dann werden wir unsere alte Natur hier auf Erden nie vollständig los. Paulus beschreibt diese Spannung des Christen in seinem Römerbrief so: „Das Gute, das ich will, das tue ich nicht; sondern das Böse, das ich nicht will, das tue ich“ (Römer 7,19).

[Du sollst nicht schlecht über jemanden reden]
Und unser anfälligstes Körperteil, wenn es um das Böse geht, ist unsere Zunge. Darauf weist uns schon der Jakobusbrief hin: Dort wird die Zunge mit einem kleinen Feuer verglichen, das einen ganzen Wald in Brand setzen kann.

Das achte Gebot erinnert uns daran, wie gefährlich unsere Worte sind.  Martin Luther hat die Bedeutung des Gebotes deshalb so erläutert: „Wir sollen Gott fürchten und lieben, dass wir unseren Nächsten nicht fälschlich belügen, verraten oder in Verruf bringen, sondern (und jetzt kommt der neue Gedanke!) unse-ren Nächsten entschuldigen, Gutes von ihm reden und alles zum Besten kehren.“  Das ist noch mal eine ganz andere Denkrichtung als einfach nicht zu lügen: „Unseren Nächsten entschuldigen, Gutes von ihm reden und alles zum Besten kehren.“ Damit wird das Ver-bot zu einem Ge-bot, das uns einen guten Weg weist.

Es weist uns auch als Gemeinde einen guten Weg, denn das Reden über andere macht leider auch vor den Toren einer Kirchengemeinde nicht halt: wie viel wird übereinander und wie wenig wird manchmal mit-einander gesprochen – wir wählen lieber den Umweg, mit anderen über einen Dritten zu sprechen, als den (schweren) direkten Weg, uns mit ihm selber auseinander zu setzen.

Lassen Sie uns das doch einmal beherzigen, Gutes übereinander zu reden. Im Epheserbrief schreibt Pau-lus: „Lasst kein faules Geschwätz aus eurem Mund gehen, sondern redet, was gut ist, was erbaut und was notwendig ist, damit es Segen bringe denen, die es hören.“ (Epheser 4,29). Ich glaube, dass auch eine Ge-meinde dann reich gesegnet würde.

Von einem Pastorenehepaar habe ich einmal folgende Geschichte gehört: Sie waren neu in die Gemeinde gekommen. Viele Menschen haben versucht, bei ihnen gut anzukommen, indem sie sie mit negativen Dingen über bestimmte Gemeindeglieder beglücken wollten.
Das Ehepaar hat sich überlegt, dass es ja über diese Menschen, über die gesprochen wird, sicher auch viel Gutes zu sagen gibt. Und so haben sie es getan: Jedes Mal, wenn einer anfing, ihnen etwas Schlechtes zu erzählen – haben sie selber etwas Gutes über diesen Menschen gesagt, der gerade Gesprächsthema werden sollte. Sie setzten dem „Fluch“ des schlechten Redens einen „Segen“ des guten Redens entgegen. Und schon bald hörten die Leute auf, dem Ehepaar negative Dinge über Dritte mitzuteilen. Denn: es macht einfach keinen Spaß zu tratschen, wenn der andere nicht mitmacht.

Liebe Gemeinde,
das Tratschen, Lügen und Lästern entspringt letztlich der Angst vor dem Wahrhaftigsein – davor, sich selber in das Licht der Wahrheit zu stellen.

Sie kennen sicher die Geschichte von Pinocchio: Das ist die kleine Holzpuppe, die lebendig wird und abhaut – und dann ihre Abenteuer erlebt - Dabei nimmt Pinnochio es mit der Wahrheit nicht so genau. Da kommt eines Tages eine gute Fee ins Spiel, die dem Pinocchio etwas anzaubert: und zwar wird seine Nase bei jeder Lüge ein Stückchen länger. So steht ihm die Lüge immer ins Gesicht geschrieben. Wohl-gemerkt: das war eine gute Fee – denn sie wusste: sobald eine Lüge offenbar wird, verliert sie ihre Macht, denn die Lüge sucht das Verborgene, das Geheime. Sie scheut das Licht. Ich kann die Lüge also entmach-ten, wenn ich sie ans Licht bringe.

Aber wie kann das konkret  geschehen?
Eigentlich ist es einfach und schwer zugleich: Ich muss mich Gott zuwenden: Denn
Gottes Wesen ist genau das Gegenteil von Lüge: Gott kann gar nicht lügen, sagt die Bibel. Gottes Wesen ist Wahrheit - völlige Wahrhaftigkeit. Jesus spricht nicht nur die Wahrheit: er ist die Wahrheit in Person. Jesus sagt von sich: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben, niemand kommt zum Vater denn durch mich“ (Johannes 14,6).

Wenn wir uns Jesus zuwenden, vergeht jeder Schein und Trug – in seinem Licht ist kein Raum mehr für Finsternis und Lüge – und manches kommt ans Licht, das wir lieber bewusst oder unbewusst verheimli-chen würden. Wer aufrichtig zu Gott kommt, der verlässt die Finsternis der eigenen Unaufrichtigkeit und betritt den Raum der Wahrhaftigkeit.
Und das Wunderbare ist: Wir werden durch die Begegnung mit der Wahrheit nicht bestraft oder gefangen genommen, sondern Jesus verspricht, wie wir es vorhin in der Lesung gehört haben: Die Wahrheit wird euch frei machen! Jesus verlängert nicht unsere Nase, sondern er befreit uns aus der gelebten Lüge.

Das habe ich ihnen vorhin zugesprochen, als wir in der Stille vor Gott unsere Schuld bekannt haben und das können wir nachher spüren, wenn wir gemeinsam das Abendmahl feiern.
Die Befreiung aus der „gelebten Lüge“ bedarf manchmal aber auch der Hilfe eines anderen Menschen. So können wir uns einem anderen Christen in der Beichte anvertrauen: Wir treten vor Gott und sagen ihm, wie schwer es uns fällt, aufrichtig und wahrhaftig zu sein. Damit stellen wir uns in das Licht seiner Wahr-heit und Liebe.

Das wünsche ich uns allen, dass uns Gottes Wahrheit frei macht. In diesem Sinne ist es ein gutes Motto zum Leben

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