9. Sonntag nach Trinitatis: Phil 3,7-14

24.07.2016 | 12:00

Gedenken der aus Blankenese deportierten Juden

Predigt zu Philipper 3:7-14

Aber was mir Gewinn war, das habe ich um Christi willen für Schaden erachtet. Ja, ich erachte es noch alles für Schaden gegenüber der überschwänglichen Erkenntnis Christi Jesu, meines Herrn. Um seinetwillen ist mir das alles ein Schaden geworden, und ich erachte es für Dreck, damit ich Christus gewinne und in ihm gefunden werde, dass ich nicht habe meine Gerechtigkeit, die aus dem Gesetz kommt, sondern die durch den Glauben an Christus kommt, nämlich die Gerechtigkeit, die von Gott dem Glauben zugerechnet wird. Ihn möchte ich erkennen und die Kraft seiner Auferstehung und die Gemeinschaft seiner Leiden und so seinem Tode gleich gestaltet werden, damit ich gelange zur Auferstehung von den Toten. Nicht, dass ich's schon ergriffen habe oder schon vollkommen sei; ich jage ihm aber nach, ob ich's wohl ergreifen könnte, weil ich von Christus Jesus ergriffen bin. Meine Brüder, ich schätze mich selbst noch nicht so ein, dass ich's ergriffen habe. Eins aber sage ich: Ich vergesse, was dahinten ist, und strecke mich aus nach dem, was da vorne ist, und jage nach dem vorgesteckten Ziel, dem Siegespreis der himmlischen Berufung Gottes in Christus Jesus.

Gnade Sei mit Euch und Friede von dem, der da ist, der da war und der da kommt. Amen.

Liebe Gemeinde,

neu anfangen. Einen Schnitt machen mit dem bisherigen Leben, aber richtig. Hinter sich lassen, was nicht nichts war und sich neu orientieren, nach vorn schauen.
Ich weiß nicht, ob Sie mal im Fernsehen "Goodbye Deutschland", gesehen haben, Geschichten von Menschen, die auszogen, Ihr Glück zu suchen, jenseits der Heimat, in der weiten Welt.
Furchtbar naiv kam mir das vor, was ich gesehen habe. Wie Menschen da aufbrechen ohne die geringsten Vorkenntnisse, ohne sich wirklich vorbereitet zu haben auf das, was Sie erwarten könnte. Keine Sprachkenntnisse, keine vernünftige Ausbildung manchmal, keinen Ankerplatz für den Anfang, keine Planung, die diesen Namen verdient, gar nichts.
Einfach der eigenen Sehnsucht hinterher, oder vielleicht besser, einfach weggelaufen vor dem, was so nicht mehr auszuhalten ist hier in der Heimat, hier im eigenen Leben. Mit riesigen Erwartungen an das, was kommen soll. Was auch immer kommt, ist besser als das, was ist. Dachten sie. Hinter sich lassen, was war. Auf zu neuen Ufern.

Neu anfangen. Einen Schnitt machen mit dem bisherigen Leben, aber richtig. Hinter sich lassen, was nicht mehr gut war und sich neu orientieren, nach vorn schauen.
Nicht wenige, die in der Mitte des Lebens das Gefühl haben, so einen Schnitt machen zu müssen. Die das Gefühl haben, das Wesentliche verpasst zu haben, vom Leben noch nicht das bekommen zu haben, was ihnen zusteht. Noch einmal neu durchstarten, noch einmal alles daransetzen wollen, ihr Glück zu machen. Alles hinter sich lassen, was sie ungut bindet. Und manchmal ist das eben eine Ehe, die in die Jahre gekommen ist und eine Familie, die so viel Alltag bietet und so wenig Abwechslung, so wenig Kribbeln. Und manchmal ist der neue Stern am Horizont so viel heller als das Leuchten einer in die Jahre gekommenen Beziehung, die ihre Bindekraft verloren zu haben scheint.
Furchtbar naiv kommen mir diese plötzlichen Kehrtwendungen, Richtungswechsel in der Mitte des Lebens manchmal vor. So, als wüssten Menschen weder um den Preis eines gemeinsamen Weges noch um das Gold in seiner Tiefe, nicht um die Verantwortung, die sie übernommen und nicht um die Dimension des Versprechens, das sie einander einmal gegeben haben.
Vor allem aber naiv, was sich selber angeht. Als wüssten sie wirklich nicht, dass sie sich selber immer mitnehmen, auch an ihnen die Jahre nicht vorbeigegangen sind, auch sie selbst dazu beigetragen haben, wenn der Lack ab ist und das Leuchten verblasst. Nicht viel wert, was war? Auf zu neuen Ufern?

Neu anfangen. Einen Schnitt machen mit dem bisherigen Leben, aber richtig. Hinter sich lassen, was richtig schlecht war und sich neu orientieren, nach vorn schauen.
Mancher, der diesen Schritt macht und sich ,haltlos wie er ist, fundamentalistischen Strömungen anschließt, einfache Antworten sucht und findet auf komplexe Zusammenhänge und damit loszieht, sich selbst zu erlösen und Menschen das Fürchten zu lehren, ist so unterwegs. Manch einer versucht auf diese Weise, endlich etwas aus einem Leben zu machen, in dem es für ihn keine Perspektiven zu geben scheint. Glaubt, dadurch endlich absehen zu können von den eigenen Defiziten und Einschränkungen und träumt sich in eine Zukunft hinein, die davon frei ist.
Getrieben davon, aus den perspektivlosen Erfahrungen ihres Lebens auszubrechen, endlich jemand zu sein, endlich aufzufallen und groß rauszukommen, endlich Beachtung zu bekommen, und sei es als Schlagzeile, als Fernsehfahndung zur besten Sendezeit. Furchtbar, was da brodeln kann in Menschen, scheinbar unbemerkt für lange Zeit, und dann plötzlich ausbricht wie in Würzburg oder München. Selbst in München, wo so vieles noch gar nicht klar ist, hat sich gezeigt, dass der Täter offenbar fasziniert war von Amokläufen, darüber gelesen, sie im Internet recherchiert hat.
Vorher ein Niemand, nachher einer, von dem die Welt spricht. Alles Dreck, was war. Jetzt fängt mein Leben an. Und sei es mit dem Tod so vieler unschuldiger Menschen und dem eigenen Tod.

Fassungslos macht es mich, wie die eigene mangelnden Möglichkeiten, die Unzufriedenheit mit dem hier und jetzt bestimmt, was passiert, wie erschreckend wenig Möglichkeiten da sind, sich Hilfe zu holen und zu bekommen, wie wenig Menschen im Umfeld es offenbar gibt, die einer solch fatalen Entwicklung in die Speichen fallen könnten.

Paulus hier in unserem Predigttext spricht von einer ganz anderen Veränderung, einem ganz anderen vor – und nachher, auch wenn es zunächst ganz ähnlich aussieht.
Aber Paulus war gerade keiner, der von Haus aus unzufrieden war. Gar nicht. Er war keiner, der einen Grund gesucht hätte , aus seinem Leben aussteigen zu können. Er war erfolgreich. Er stand mitten im Leben. Er war gebildet: Hervorragend ausgebildet durch namhafte Lehrer. Er war berühmt, vielleicht sogar berüchtigt als frommer Jude und kenntnisreicher Christenverfolger. Man sprach von ihm. Er hatte ein gutes Auskommen in seinem Beruf. Es lief gut in seinem Leben.
Es gab für ihn keinen Grund, sich nach Veränderung zu sehnen. Alles war in bester Ordnung. So hätte es weitergehen können.
Bis etwas ihn komplett aus der Bahn geworfen hat, im wahrsten Sinne des Wortes. Bis vor Damaskus aus Saulus, dem selbstbewussten, dem wortgewandten, dem selbstsicheren frommen Juden seiner Zeit Paulus wurde, ein glühender Anhänger Christi, Missionar des Christentums. Bis der, der sich überhaupt gar nicht danach gesehnt hat, ein anderer zu werden, aus seinem Leben auszusteigen, noch einmal neu durchzustarten, einer wird, mit dem Jesus Christus, mit dem Gott selbst neu anfängt. Ohne dass dieser Saulus danach gesucht hätte. Er fällt dem lebendigen Gott in die Hände und wird ein anderer dadurch.
Wie alle wirkliche Wandlung an uns geschieht, an uns herangetragen wird, uns von außen –oder vielleicht besser von innen, aber ohne unser Zutun- wandelt. Im Tiefsten sind das nie wir selbst, die das vermögen. Alles, was wir tun können, ist antworten darauf, dieser Wandlung nicht im Wege zu stehen.
Gottes Wort trifft ihn ins Mark und fällt in sein Leben ein wie ein Blitz. Das war ganz sicher nicht harmlos. Das war ganz sicher nicht einfach. Das war ganz sicher etwas, was er sich so nicht gewünscht hat. Weil es all seine Pläne über den Haufen geworfen hat. Weil es all das, was er bisher als richtig angesehen hatte, in Frage stellte und in einem neuen Licht erscheinen ließ. Weil es die Prioritäten in seinem Leben komplett neu angeordnet hat, ohne ihn zu fragen. Das macht man nicht mal eben so. Damit kommt man auch nicht mal eben so klar.
Wie viele Menschen hat es gegeben in der Zeit des zweiten Weltkrieges, davor und danach, denen es ganz genau so ging. Die hingeworfen worden sind in eine Situation und eine Aufgabe, die sie sich nicht gesucht haben, herausgefordert wurden über sich selbst hinauszuwachsen und wirklich ein Held zu werden, ungewollt, ungefragt, mit bangem Herzen.
Weil eine größere Macht sie in Bann geschlagen, in Ihr Herz eingefallen ist und sie in Dienst genommen hat für ihr eigenes Leben oder das von anderen, denen sie sich nicht entziehen konnten und wollten. Es hat sie gegeben, die Menschen, die die Zeichen der Zeit sehen konnten und Verantwortung übernommen haben in den dunklen Zeiten der Judenverfolgung und der ideologischen Menschenverachtung und Hinrichtung.
Es hat auch die gegeben, die ihre Schuld oder Mitschuld später eingestehen konnten und bereut haben, was Sie getan oder – obwohl sie es gekonnt hätten- unterlassen haben.  Die wenigsten von ihnen haben es als ihre eigene Kraft empfunden, die sie dazu ermächtigt hat.
Auch Paulus empfindet es nicht als seine eigene Kraft, sondern eine, die ihm zuwächst. Später wird er Gott zu sich sprechen hören und sagen: "Lass dir an meiner Gnade genügen; denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.
Als wäre ein Vorhang plötzlich aufgezogen und sein Leben erscheint in einem neuen Licht.
Und gemessen daran ist alles Frühere plötzlich wertlos. Gemessen daran verliert es den Wert, den es immer hatte : der Stolz auf seine Herkunft, die geschwellte Brust ob der eigenen Bildung, die leise Arroganz angesichts des gut gefüllten Portemonnaies, die satte Selbstzufriedenheit, die aufhört an den engen Grenzen des eigenen Lebens, wird auf einmal schal.
Früher hielt er es für Gewinn. Jetzt erkennt er seinen begrenzten Wert, die kurze Dauer, begreift, dass es für zu leicht befunden werden wird im Reich Gottes. Jetzt, im Rückblick, aus der neuen Perspektive, verliert an Wert, was bisher wertvoll war.
Und damit geht es um etwas anderes als um die simpel gestrickte vorher- nachher Rhetorik, die aus dem eigenen Leben aussteigen will, um sich selber besser zu fühlen.
Damit geht es um eine Gottesbegegnung, die die Wahrnehmung des eigenen Lebens schärft und die Achtsamkeit gegenüber dem Menschen und seinem Leben neben mir neu justiert. Denn dieser Gott, dem Paulus in die Hände gefallen ist, lehrt ihn, dass andere Dinge zählen als das, was er kannte und hatte und erklärt ihm das Doppelgebot der Liebe noch einmal neu. Und da ist dann der entscheidende Unterschied sichtbar zu den kurzsichtigen "Aussteigerphantasien und –reisen" derer, die ihr Leben so nicht mehr aushalten,  in der Hinwendung zum Anderen, im Einbeziehen seiner Perspektiven, in der Sorge auch um sein Wohl. Eben nicht nur : jetzt komm ich.
So wie Jesus Zeit seines Lebens und noch im Sterben dieses Doppelgebot der Liebe gelebt hat, so heißt es uns –wie er – in seiner Nachfolge die andere nicht aus dem Blick zu verlieren und auch für sie die Perspektive Gottes offenzuhalten in Wort und Tat.
Wer diesem Gott in die Hände gefallen ist, der kann nicht billigend in Kauf nehmen, dass es Versehrte und an Leib und Seele Verletzte gibt durch das eigene Tun und es schönreden, der kann nicht Gott reklamieren für Mord und Totschlag. Der lernt in der Nachfolge Jesu den Teufelskreis zu durchbrechen und am Frieden in dieser Welt zu arbeiten, Gottes Gerechtigkeit zu suchen.
"Ich habe es noch nicht ergriffen", sagt Paulus, "ich jage ihm aber nach".  Weil es so wunderbar ist, aus dieser Freiheit, die er gerade erst geschmeckt hat, ganz zu leben. Sich nicht zersorgen zu müssen um Ansehen, um Auskommen, um den eigenen Wert, weil er selber satt geworden ist an Liebe, an Güte, an Vergebung und deshalb austeilen kann davon an andere. Weil er gerade nicht zu kurz gekommen ist, sondern die Fülle des Lebens kennt.
Nicht, dass ich's schon ergriffen habe oder schon vollkommen sei; ich jage ihm aber nach, ob ich's wohl ergreifen könnte, weil ich von Christus Jesus – und der Liebe Gottes, die in ihm spielt- ergriffen bin.  Damit lässt sich wirklich neu anfangen, ein Schnitt machen mit dem bisherigen Leben. Hinter sich lassen, was nicht gut war und sich neu orientieren,  nach vorn schauen, auf den, der Herkunft und Heimat unseres Lebens ist und uns auf unserer Reise hier alle Möglichkeiten offenhält, damit wir sie teilen.

Amen.

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