Invokavit - Johannes 8, 12 Ich bin das Licht der Welt
Da redete Jesus abermals zu ihnen und sprach: Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, der wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben.
Gnade sei mit uns und Friede von dem, der da ist und der da war und der da kommt. Amen.
Liebe Gemeinde,
letztes Jahr habe ich von Swimmy erzählt aus der Bilderbuchgeschichte von Leo Lionni. Heute möchte ich von Frederick aus einer anderen Bilderbuchgeschichte von Leo Lionni erzählen. Frederick, eine kleine Feldmaus, lebt mit vier anderen Mäusen unter einer alten Steinmauer am Rande einer Wiese, Als der Winter naht, sammeln die Mäuse Vorräte für die kalte Jahreszeit, nur Frederick nicht. Auf die Frage, warum er nicht arbeite, antwortet Frederick: Ich arbeite doch. Ich sammle Sonnenstrahlen für die dunklen kalten Wintertage. Und was machst du jetzt?, fragen die Mäuse, als Frederick auf die Wiese schaut. Ich sammle Farben, antwortet Frederick, denn der Winter ist grau. Der Winter kommt und die Mäuse verkriechen sich unter der Steinmauer. Es gibt viel zu essen und die Mäuse sind glücklich. Doch die Vorräte gehen zur Neige und die Mäuse fangen an zu frieren. Da erinnern sich die vier Mäuse an das, was ihnen Frederick gesagt hatte. Sie wollen von Frederick wissen, was seine Vorräte machen. Macht die Augen zu, sagt Frederick, jetzt schicke ich euch die Sonnenstrahlen. Und als er von der Sonne erzählt, wird den Mäusen schon viel wärmer. Und was ist mit den Farben, Frederick? Macht wieder die Augen zu, sagt Frederick. Und er erzählt von blauen Kornblumen, von roten Mohnblumen, von gelben Kornfeldern und von grünen Blättern am Beerenstrauch. Da sehen die Mäuse die Farben so klar vor sich, als wären sie aufgemalt in ihren kleinen Mäuseköpfen.
Mich faszinieren wie Frederick Licht und Farben. Frederick versteht es, mit seiner Phantasie die Seele zu erwärmen und zu streicheln. Solche Seelenwärme habe ich neulich wieder erlebt. Vom Zug aus sah ich einen wunderschönen Sonnenuntergang. Ein roter Feuerball entschwand allmählich am Horizont meinen Blicken, wohl wissend, dass die Sonne immer scheint. Es war ein faszinierendes und meditatives, ja geradezu mystisches Erleben, das mich einmal mehr zum Staunen über die wunderbare Schöpfung brachte: … und siehe, es war sehr gut (1. Mose 1, 31).
Das Licht lässt sich physikalisch und biologisch erklären. Aber ich kann es nicht. Deshalb will ich mich dem Phänomen Licht auf andere Weise nähern.
Die Sonne spendet nicht nur Licht, sondern auch Wärme und Energie, wie wir von Frederick wissen. Sie kann Farben zum Leuchten bringen wie bei unseren wunderschönen Kirchenfenstern. Oder wie beim Regenbogen, dem Symbol für die ewige Treue Gottes zu seiner Schöpfung. Künstliches Licht macht manchmal die Nacht zum Tage wie das Flutlicht in den Stadien. Oder es dient der Orientierung wie die Leuchttürme und die farbigen Verkehrsampeln.
In der Bibel spielt das Licht eine herausragende Rolle. Das Wort Licht zieht sich durch die gesamte Bibel, von der Genesis bis zur Offenbarung des Johannes. In der Schöpfungsgeschichte heißt es: Und Gott sprach: Es werde Licht! Und es ward Licht. Und Gott sah, dass das Licht gut war. Da schied Gott das Licht von der Finsternis und nannte das Licht Tag und die Finsternis Nacht. Da ward aus Abend und Morgen der erste Tag (Gen 1, 3-5). In der Offenbarung lesen wir: Und es wird keine Nacht mehr sein, und sie (die Erlösten) bedürfen keiner Leuchte und nicht des Lichts der Sonne; denn Gott der Herr wird sie erleuchten von Ewigkeit zu Ewigkeit (Offb 22, 5).
Und was sagt Jesus zum Licht? Der Predigttext aus dem Johannesevangelium lautet: Da redete Jesus abermals zu ihnen und sprach: Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, der wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben (Joh 8, 12).
Der Evangelist lässt Jesus das zu den Schriftgelehrten und Pharisäern sagen. Es waren alle in Jerusalem versammelt, um das Laubhüttenfest, ein einwöchiges Erntedankfest, zu feiern. Teil des Brauches war die allnächtliche Festbeleuchtung. Vier große goldene Leuchter ragten über die Umfassungsmauern des Tempels empor und breiteten das Licht über ganz Jerusalem aus. Vor diesem Hintergrund ist es verständlich, dass Jesus das Bild des Lichtes aufgriff, um deutlich zu machen, in welcher Mission er unterwegs war.
Jesus, von Gott gesandt, zeigt uns den rechten Weg zu Gott. Er zeigt uns, was Leben heißt. Er ist der Leuchtturm, die grüne Ampel, diese bedeutet freie Fahrt auf dem Weg zu Gott. Worauf warten wir noch? Lasst uns den von Jesus freigeschalteten Weg nehmen, nicht als Ziel, sondern zum Ziel hin, nämlich zu unserem Gott. Also: Gott ist das Ziel, nicht der Weg zu ihm.
Ich sehe einen inneren Zusammenhang zwischen dem Licht und dem Wort. Nach der Schöpfungsgeschichte ist die Welt durch das Wort entstanden. Das Johannesevangelium greift das auf: Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort. Dasselbe war im Anfang bei Gott. Alle Dinge sind durch dasselbe gemacht, und ohne dasselbe ist nichts gemacht, was gemacht ist. In ihm war das Leben, und das Leben war das Licht der Menschen (Joh 1, 1-4).Licht als Synonym für Leben: eine wundervolle Vorstellung!
Mir ist bei der Beschäftigung mit dem Predigttext klar geworden, dass das Kerzenlicht mehr ist als ein schönes Accessoire zur Ausschmückung des Kirchenraumes. Es ist ein starkes Symbol für unser Leben im Glauben. Und auch für unseren Tod im Glauben. Darum zünden wir Kerzen an für Menschen, denen wir verbunden sind.
Nun ist es nicht so, dass eitel Sonnenschein herrscht hier bei uns auf Erden. Wo Sonne ist, da ist auch Schatten oder, wie die Bibel es nennt: das Gegenüber vom Licht ist die Finsternis oder die Nacht. Davor dürfen wir die Augen nicht verschließen. Wir Menschen nehmen das Licht nicht mehr wahr, das uns Leben verheißt. Vielmehr folgen wir eigenen, egoistischen Zielen, individuell oder kollektiv. Da ist Misstrauen und Zwietracht vorprogrammiert, im Großen wie im Kleinen. Ich denke zum Beispiel an Syrien, an die Ukraine, an die vielen Konflikte in Afrika, aber auch an Neid. Missgunst, Betrug und Diskriminierung vor unserer Haustür.
Jesus selbst hat die Finsternis durchlitten, woran wir uns in der begonnenen Passionszeit erinnern. Das Kreuz macht uns Angst. Nur dürfen wir nicht in dieser Angst und in der Finsternis verharren. Denn das Kreuz verliert seine Bedrohlichkeit, wenn es Licht durchlässt, wie das Lichtkreuz bei uns auf dem Friedhof. Und es gibt ein Licht am Ende des dunklen Tunnels: Ostern geht uns ein Licht auf. Christus strahlt uns entgegen, wie wir im Osterfenster so eindrucksvoll sehen können: unten das schwarze Grab und oben der strahlende Christus. Er will uns erleuchten. Wir sind die Reflektoren, die das göttliche Licht widerspiegeln. So haben wir es im Evangelium gehört: Wir sind das Licht der Welt. Wirklich? Ist unser Licht überhaupt zu sehen oder ist es erloschen oder nur noch eine Funzel ohne Strahlkraft? Nietzsche soll gesagt haben: Die Christen müssten erlöster aussehen, soll ich an ihren Gott glauben. Wollen wir wirklich Licht der Welt sein, muss man uns das auch ansehen, meinetwegen als Erlöste, aber zumindest als Strahlende. Das Strahlen können wir von den Kindern lernen. Wenn ich in ein strahlendes Kindergesicht sehe, färbt das auf mich ab, dann glätten sich meine Gesichtszüge und ich strahle zurück.
Wir müssen uns klar machen, welch schöne Aufgabe, um nicht zu sagen Verpflichtung, damit verbunden ist, das Licht der Welt zu sein. In Verantwortung vor Gott und den Menschen müssen wir unser Licht neu entzünden lassen vom göttlichen Licht, vom göttlichen Wort, von der göttlichen Kraft, von der göttlichen Liebe und von der göttlichen Herrlichkeit und Schönheit. Dazu verhelfe uns Gott, damit wir mit dem Psalmbeter sagen können:
Dein Wort ist meines Fußes Leuchte und ein Licht auf meinem Wege (Ps 119, 105).
Amen.