Johannes 1, 29-34 | 1. Sonntag nach Epiphanias 2013

13.01.2013 | 20:13

Thomas Warnke

29 Am nächsten Tag sieht Johannes, dass Jesus zu ihm kommt, und spricht: Siehe, das ist Gottes Lamm, das der Welt Sünde trägt! 30 Dieser ist's, von dem ich gesagt habe: Nach mir kommt ein Mann, der vor mir gewesen ist, denn er war eher als ich. 31 Und ich kannte ihn nicht. Aber damit er Israel offenbart werde, darum bin ich gekommen zu taufen mit Wasser. 32 Und Johannes bezeugte und sprach: Ich sah, dass der Geist herabfuhr wie eine Taube vom Himmel und blieb auf ihm. 33 Und ich kannte ihn nicht. Aber der mich sandte zu taufen mit Wasser, der sprach zu mir: Auf wen du siehst den Geist herabfahren und auf ihm bleiben, der ist's, der mit dem Heiligen Geist tauft. 34 Und ich habe es gesehen und bezeugt: Dieser ist Gottes Sohn.

 

Liebe Gemeinde,

ein Text, der geradewegs auf eine große theologische Frage zusteuert, die in dieser Gemeinde schon seit einigen Jahren immer wieder diskutiert wird.

Eigentlich zwei Worte, die für dieses Thema stehen: Lamm Gottes. Lateinisch: agnus dei. Und unter diesem Namen ein Ordinarium, das heißt ein fester, immer wiederkehrender Bestandteil der Messe und des Gottesdienstes.

In Blankenese, hier bei uns, wird das Agnus Dei nur sparsam, nämlich in den Fastenzeiten, den sieben Wochen vor Ostern sowie der Adventszeit, gesungen .

Warum?

Die Wendung „Lamm Gottes“ stammt aus dem Wortfeld der „Opfersprache“. Tieropfer waren in biblischen Zeiten üblich. Das Alte Testament ist voll davon. Das Passahfest sah ein Opfer vor, in der Regel ein Lamm, das man schlachtete, um im Vergießen seines Blutes Gott mit den Sünden der Menschen zu versöhnen. Ein archaischer Brauch. Ein Opfer, das den Sinn hat, sich – schlicht gesagt - bei Gott zu entschuldigen, seine eigenen Vergehen wieder gut zu machen, stellvertretend durch das Blut eines Lammes.

Bei dem Propheten Jesaja wird von einem Menschen gesprochen, dem sogenannten Gottesknecht, der in einer Zukunft kommen wird, um die Menschen zu erlösen und mit Gott zu versöhnen. Jesaja sagt voraus, dass der Knecht Gottes leiden wird, und schreibt im 53. Kapitel: Als er gemartert ward, litt er doch willig und tat seinen Mund nicht auf wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird...

Jesus, den man mit dem Knecht Gottes identifizierte, als das Lamm Gottes, das zur Schlachtbank geführt wird; ein (blutiges) Opfer am Kreuz, um die Menschen mit Gott zu versöhnen.

Das ist die sogenannte Sühnopfertheologie, die vor allem durch Anselm von Canterbury, ein Theologe und Philosoph des 11., 12. Jahrhunderts, in seiner Satisfaktionslehre eine prominente Ausprägung erfuhr. In der Schrift Cur Deus Homo (Warum Gott Mensch wurde) vertritt er die Auffassung, die Erlösung des Menschen sei als Befriedigung (Satisfaktion) des gerechten Zornes Gottes durch den Opfer-Tod Christi am Kreuz zu verstehen.

Gott ist zornig über den Ungehorsam der Menschen und lässt sich durch das Opfer von Jesus gnädig stimmen.

Diese Deutung hat damals schon Widerspruch geweckt, erstaunlicher Weise nicht bei Luther und den Reformatoren...

Wir widersprechen entschieden, weil damit ein Gottesbild einhergeht, das dem entgegensteht, was wir durch Jesus Christus über Gott hören und erfahren, dass Gott nämlich die bedingungslos annehmende Liebe ist.

So ein Denken widerspricht jeglicher tiefen Gotteserfahrung, die eben auch genau das zu sagen weiß.

Schon bei Hosea, dem Propheten des 8. Jahrhunderts, sagt Gott: ... ich habe Lust an der Liebe und nicht am Opfer (...).

Und eben diese Stelle aus Hosea zitiert Jesus selbst bei Matthäus:  Geht aber hin und lernt, was das heißt (Hosea 6,6): »Ich habe Wohlgefallen an Barmherzigkeit und nicht am Opfer.«

Gott mag kein Opfer, erst recht kein Menschenopfer.

Aber zurück zur Frage, warum bei uns in Blankenese das Agnus Dei, das Lamm Gottes, in der Abendmahlsliturgie nicht dauerhaft gesungen wird: Weil diese Worte an die Satisfaktionslehre, jene Ausprägung der Sühnopfertheologie, erinnern und somit an einen zornigen, opferbedürftigen Gott, der um seiner Genugtuung willen nicht davor zurückschreckt, seinen eigenen Sohn, nämlich Jesus, zu opfern.

An so einen Gott glaube ich nicht, von so einer Theologie distanziere ich mich (wie wohl jeder von uns).

Aber ... – nach dieser Einleitung, darf ich auch ein vorsichtiges „aber“ formulieren: ich frage mich auch, ob Johannes, der Evangelist, eben dieses im Sinn hat, als er Johannes den Täufer sagen lässt: Siehe, das ist Gottes Lamm, das der Welt Sünde trägt!

Denkt Johannes dabei an einen Gott, der seinen Sohn wie ein Lamm zur Schlachtbank führt?

Ich bin skeptisch: und zwar deswegen skeptisch, weil Jesus hier bei Johannes, aber auch in den anderen Evangelien und insbesondere bei Paulus, - nicht das Objekt, nicht ein willenloser Gegenstand ist, der einem höherem Willen, einer Genugtuung Gottes geopfert wird, sondern weil Gott selbst das Subjekt ist, weil Gott und Christus eins sind!

Jesus selbst sagt in Joh 10: Ich und der Vater sind eins.

Eigentlich sagt Jesus, dass jeder Mensch eins werden kann mit Gott, das ist die Erfahrung der Mystiker.

Wir alle haben dieses Christus-Wesenhafte in uns, weil es Teil des Menschen ist.

Jesus hat es gelebt.

So kann man Gott und Jesus Christus im Johannes-Evangelium an keiner Stelle trennen.

Gott und Christus sind eins.

Gott ist es, der sich in Jesus Christus, wenn man so will, selbst opfert, besser: sich hingibt, aus Liebe nämlich zu den Menschen.

Natürlich spricht das Neue Testament aus der Terminologie der Opfersprache. Das religiöse (zugegeben) blutige Opfer gehörte zum Alltag dazu. Zur Zeit Jesu wurden im Tempel von Jerusalem täglich mehrere Tausend Tiere geopfert. Vornehmlich zu dem Zweck, Gott gnädig zu stimmen.

Übrigens, nur am Rande: Bei uns in Deutschland wurden 2010 etwa 32 Millionen Tiere pro Tag geschlachtet (eine Zahl der Albert Schweitzer Stiftung).

Zurück zu den Opferschlachtungen im Tempel.

Das ist der Kontext, und wenn wir vor so einer Sprache stehen, die man abstoßend finden mag, dann haben wir doch die Aufgabe, ähnlich wie Archäologen, das Alte, das Gemeinte freizulegen und herauszufinden, was damit in unserem Verstehen und Denken heute gemeint sein könnte.

Ein Versuch, dem ich – zugegebener Maßen auch etwas skeptisch gegenüber stehe – ist das Weglassen vom Agnus Dei aus Angst, es könnte missverständlich wirken.

Hinter diesen Worten steht eine Erfahrung.

Johannes spricht ein Bekenntnis: Er sagt: Dieser ist Gottes Sohn. Von dem was Johannes (der Evangelist) sagt ahnen wir: Das ist Gott selbst. Wir hören: Das Lamm Gottes, wir denken mit: das zur Schlachtbank geführt wird.

Johannes zeigt auf Jesus, der an diesem Morgen an ihm vorrübergeht, irgendwo am Jordan... Und wir sehen es vor uns, das Lamm Gottes wie von Mathias Grünewald festgehalten auf dem Isenheimer Altar, Jesus am Kreuz, der die Sünden der Welt trägt

Heute wollen wir eine unblutige, schlachtfreie Erlösung. Höre ich. Kein Widerspruch, aber schmerzfrei ist Erlösung nie. Erlösung hat ihren Preis, – auf die Art – wie alles, was im Leben dahin führt wirklich und wahrhaftig zu werden, seinen Preis hat. Und Erlösung hat nur dann einen Wert, wenn wir selber ihren Wert erleben, spüren.

Dabei geht es nicht um Stellvertretung, das kann kein anderer für mich tun - es geht um einen Weg für alle, einen Weg, den Christus und Gott selbst gegangen sind, dem man nachfolgen kann.

Es geht darum, anzuerkennen, dass man nur in der Erniedrigung, in der Selbstentmachtung, in dem, was die Bibel Demut nennt, was die Mystiker Hingabe und Entäußerung nennen, dass man nur dann der Erlösung Gottes gewahr werden kann.

In der Sprache des Johannes: Das Lamm Gottes, agnus dei.

Das Kreuz offenbart uns einen leidenden Gott, der selbst entmachtet ist, der sich im Umgang mit den Menschen selbst zum Toren gemacht hat; ein dienender Gott, der den Menschen die Füße wäscht, ein Gott, der selbst Opfer des Leidens dieser Welt geworden ist – auch in den Schlachthöfen unserer Tage, in den Flüchtlingsbooten im Mittelmeer, im Krieg in Gaza, in Syrien woanders, aber eben auch in den ganz eigenen persönlichen Leiden, in Krankheit, im Scheitern, im Verzweifeln, in der Ratlosigkeit, der Ausweglosigkeit. Gott ist in die tiefste Tiefe des Leidens dieser Welt hinabgestiegen.  Und das Kreuz macht die verborgene Wunde des göttlichen Herzens offenbar.

Da kommt Gott uns nahe, so nahe, wie sonst wohl kein anderer. Das ist Gottes Liebe zu uns Menschen, seine Hingabe.

Und das ist der Weg in die Weite und in das neue Leben. Das ist das Versprechen der Taufe, das sind Neubeginn und die Fülle des Himmels.

 

Amen

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