Johannes 12, 44-50
K.-G. Poehls
Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da ist und der da war und der da kommt! Amen.
Derzeit ist unsere Glaubenslandschaft wohl etwas unübersichtlich: von Weihnachten kommen wir her, vom Kind in der Krippe, das ist erst ein paar Tage her. Doch jetzt geraten die Zeiten durcheinander und unsere biblischen Geschichten verdichten die Zeit:
Im Evangelium, das wir eben hörten, sind Maria und Joseph schon den nächsten Schritt gegangen, den die Tora verlangt: Das Kind ist nach acht Tagen beschnitten worden und ihm wurde der Name „Jesus“ gegeben – „Gott rettet“.
Und nun, nach weiteren 33 Tagen, den Tagen, in denen eine Frau nach der Geburt eines Sohnes als unrein gilt und ihr der Zugang zum Tempel verwehrt ist, bringen die beiden, wiederum wie es die Tora verlangt, ihren Sohn zum Tempel - zur Darstellung. Nebenbemerkung: schon dieser Teil des Lukasevangeliums scheint von einer Jungfrauengeburt nichts mehr zu wissen – Maria, eine Frau wie jede andere jüdische Frau, hat wie jede andere jüdische Frau zu tun, was eine Frau nach der Geburt eines Kindes zu tun hat.
Und das Kind Jesus wird dem Herrn gezeigt, der im Tempel als anwesend geglaubt wird - ein Urbedürfnis von Eltern, wenn sie das Geschenk eines Kindes erleben durften, es vor Dankbarkeit und Freude dem Schöpfer des Lebens zu zeigen.
Und zugleich ist ihr Glaube, dass alle Erstgeburt Gott gehört, und dass sie, wenn sie denn ihr Kind wirklich als ihr eigenes begreifen wollen, diese Erstgeburt auslösen müssen durch ein Opfer.
Und so opfern Maria und Joseph Tauben, auch nach dem Gesetz; denn geschrieben steht: „Vermag sie (die unreine Frau) aber nicht ein Schaf aufzubringen, so nehme sie zwei Turteltauben oder zwei andere Tauben, eine zum Brandopfer, die andere zum Sündopfer; so soll sie der Priester entsühnen, dass sie rein werde.“ (3. Mose 12, 8). Maria und Josef bringen also das Opfer der Armen dar, für ein Schaf reicht es nicht.
Und dann kommt ein alter, hellsichtiger Mann, nimmt ihnen ihr Kind aus dem Arm in den seinen und spricht Worte, die Maria und Joseph staunen lassen, so als ob sie noch nie davon gehört hätten, dass ihr Sohn in einer ganz besonderen Bindung zu Gott stehen sollte.
Wahrscheinlich hat Lukas hier einen damals eigenständigen Text, der losgelöst war von der Geburtsgeschichte Jesu und von Jungfrauengeburt und von Engelsbotschaft nichts wusste, an seine Geburtsgeschichte angefügt. Wir wissen ja, dass alle Evangelien Kompositionen sind aus damals kursierenden mündlichen oder schon verschriftlichten Einzelgeschichten oder Sammlungen.
Und bevor wir nun beim Predigttext und beim Johannesevangelium ankommen an diesem ersten Sonntag nach dem Christfest nehmen wir noch einen „Brücken-Satz“aus dem 2. Kapitel des Lukasevangeliums: „Das Kind aber wuchs und wurde stark, voller Weisheit, und Gottes Gnade war bei ihm“ (Lk 2, 40).
Und jetzt erst kann ein Mann in unserer Glaubenslandschaft stehen und einen Ruf erschallen lassen, einen Ruf, der durch die Zeiten geh, heute auch schon ins neue Jahr hinüberschallt:
„Wer an mich glaubt, der glaubt nicht an mich, sondern an den, der mich gesandt hat.
Und wer mich sieht, der sieht den, der mich gesandt hat.
Ich bin in die Welt gekommen als ein Licht, damit, wer an mich glaubt, nicht in der Finsternis bleibe.
Und wer meine Worte hört und bewahrt sie nicht, den werde ich nicht richten; denn ich bin nicht gekommen, dass ich die Welt richte, sondern dass ich die Welt rette.
Wer mich verachtet und nimmt meine Worte nicht an, der hat schon seinen Richter: Das Wort, das ich geredet habe, das wird ihn richten am Jüngsten Tage. Denn ich habe nicht aus mir selbst geredet, sondern der Vater, der mich gesandt hat, der hat mir ein Gebot gegeben, was ich tun und reden soll. Und ich weiß: sein Gebot ist das ewige Leben. Darum: was ich rede, das rede ich so, wie es mir der Vater gesagt hat.“
Völlig mit sich eins, eins mit seiner Bestimmung, eins mit seinem Gott, und ganz nah bei den Menschen, um sie werbend und sie lockend in ein weites offenes Leben, stellt sich das einst kleine Kind aus Bethlehem nun den Menschen vor.
Das weihnachtliche Programm findet seine Fortsetzung: nicht richten, sondern retten, nicht eine weit entfernte Allmacht, sondern ein naher Gott, jesusnah, menschennah. Bei allen großen Worten, die hier fallen: hier ist Bescheidenheit, hier stellt sich Jesus ganz in den Dienst Gottes.
Hier unterscheidet der Bote sich selbst von dem, der ihn sendet, hier nimmt Jesus eine dienende Funktion an, die sich dann auch ausweiten muss auf die jegliche Rede von Gott: „Es geht nicht um einen isolierten Glauben an Jesus, um eine für sich stehende Christologie, sondern um die Wahrnahme des in Jesus präsenten Gottes. … Wer an Jesus glaubt, glaubt nicht an ihn, sondern an Gott“ (K. Wengst, Neutestamentliche Aspekte zur trinitarischen Rede von Gott, in: K. Kriener, J.M. Schmidt (Hgg.), „… um seines NAMENs willen“. Christen und Juden vor dem einen Gott Israels, Neukirchen-Vluyn 2005, S. 92).
Und wenn wir also von Jesus als „Sohn Gottes“ reden, dann nicht, um Jesus zu Gott zu machen, auch nicht zu einem Halbgott, sondern um ihn als Kind des Geistes Gottes zu verstehen:
Alle neutestamentliche Rede über die Beziehung zwischen Gott und Jesus hat dienenden oder funktionalen Charakter: es geht um Gott und den Menschen, es geht darum zu zeigen, dass, wer sich auf Jesus einlässt, auf Gott selbst sein Vertrauen setzt. Nur auf ihn, auf den einen Gott, wie er an Jesus gehandelt hat, sich an ihm erwies.
Nun ist dieser Jesus keinem von uns direkt zugänglich, es spiegelt sich in den neutestamentlichen Schriften nur die Wahrnehmung dieses Jesus und seines Lebens.
Und in aller Unterschiedlichkeit der Wahrnehmungen lässt sich doch so etwas empfinden, hier will ich ganz vorsichtig formulieren, wie ein Jesusbewußtsein, lässt sich ein Geist spüren, der jesuanisch und zugleich göttlich ist, der bewegt, der einnimmt, der befreit, der löst.
Ich höre oder lese biblische Worte. Sie spiegeln, als von Menschen gemacht, den Glauben ihrer Verfasser wieder, und manchmal, gänzlich unverfügbar, werden sie mir zu Gottesworten – im Alten Testament schon und im Neuen als Jesusworte zu Gottesworten. Sie berühren, lösen, weiten; sie führen mich heran an Gottes Wirklichkeit, an seine Liebe. Sie sind voll des Geistes.
Der Geist macht wirksam, holt in die jeweilige Gegenwart das Jesusgeschehen hinein, holt über den Boten den hinein in unsere Wirklichkeit, der ihn gesendet hat. Wieder geht es nur um Gott selbst und es ist sein Geist, der Geist des Gottes Israels, der wirkt und bewirkt. Und letztlich ist der Heilige Geist niemand anderes „als... Gott selbst, sofern er der Welt und dem Menschen nahe ist, ja, innerlich wird als die ergreifende, aber nicht greifbare Macht“ (H. Küng, Der Anfang aller Dinge, 176).
Und in diesem Geist hat der Evangelist Johannes Jesus diese Worte in den Mund gelegt:
„Ich bin in die Welt gekommen als ein Licht, damit, wer an mich glaubt, nicht in der Finsternis bleibe. Und wer meine Worte hört und bewahrt sie nicht, den werde ich nicht richten; denn ich bin nicht gekommen, dass ich die Welt richte, sondern dass ich die Welt rette.“
Solche Worte verbinden die Botschaft des Jesus von Nazareth mit dem Glauben an den Christus, den Sohn Gottes. Sie machen deutlich, warum dieser Mann aus Nazareth schon über seine Botschaft Titel beigelegt bekam, wie Sohn Gottes, Menschensohn, Messias, Christus.
Sein Wesen zog diese Titel auf sich, drei Jahrhunderte später bestimmten diese Titel sein Wesen, machten ihn wesensmäßig zum Sohn Gottes, bis hin zum „wahren Menschen und wahren Gotte“.
Die Anfänge sind bescheidener. Menschen spüren:
Endlich einer, der nicht beäugt, sondern lächelt.
Endlich einer, der nicht einschätzt, einordnet, sondern da ist.
Endlich einer, der nicht beurteilt, verurteilt, richtet, sondern zuhört und einen neuen Weg weist.
Endlich einer, der im Namen Gottes nicht Macht, nicht Gewalt, nicht Unterordnung will, sondern Heil.
Endlich einer, der nicht richtet, sondern rettet.
Endlich einer, der sagt: Gott ist Liebe. Vertraue darauf und lebe.
Zum Jahreswechsel singen wir so gern von den „Guten Mächten“, die uns wunderbar bergen.
Das Lied beruht auf dem Gedicht, das Bonhoeffer in seinem letzten Brief an seine Verlobte zu Weihnachten 1944 schrieb – aus der Gefangenschaft, in Erwartung seines Todes. Gesegnet, wer solches schreiben kann.
Die Worte werden ihm nicht zugefallen sein, er hat sich an sie herangedacht, herangeglaubt. Ein knappes halbes Jahr vorher predigt er so über den Umgang mit unserer Welt:
„… Nicht verurteilen, nicht schelten, sondern segnen. Die Welt hätte keine Hoffnung, wenn dies nicht wäre. Vom Segen Gottes und der Gerechten lebt die Welt und hat sie eine Zukunft, Segnen, d. h. die Hand auf etwas legen und sagen: du gehörst trotz allem Gott. So tun wir es mit der Welt, … . Wir verlassen sie nicht, wir verwerfen, verachten, verdammen sie nicht, sondern wir rufen sie zu Gott, wir geben ihr Hoffnung, wir legen die Hand auf sie und sagen: Gottes Segen komme über dich, er erneuere dich, sei gesegnet, du von Gott geschaffene Welt, die du deinem Schöpfer und Erlöser gehörst.“ (Dietrich Bonhoeffer, Predigt vom 08.06.1944 in: O. Dudzus (Hg.), Bonhoeffer Brevier, Gütersloh, 9. Aufl. 2002, S. 311).