Johannes 14, 1 – Jahreslosung
Klaus-Georg Poehls
Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da ist und der da war und der da kommt. Amen.
„Ich möchte Glauben haben, der über Zweifel siegt,
der Antwort weiß auf Fragen und Halt im Leben gibt.
Ich möchte Hoffnung haben für mich und meine Welt,
die auch in dunklen Tagen die Zukunft offen hält.
Ich möchte Liebe haben, die mir die Freiheit gibt,
zum andern Ja zu sagen, die vorbehaltlos liebt.
Herr, du kannst alles geben: Dass Glauben in mir reift,
dass Hoffnung wächst zum Leben und Liebe mich ergreift.“
So ein Gedicht von Eberhard Borrmann
Liebe Gemeinde,
am Anfang des Jahres 2010 ein Gottesdienst, am Anfang des Jahres ein Glaubensfest. Wie sollte es anders gehen, wenn Gott solches geben will und gibt? Zum Glauben sind wir aufgefordert, eingeladen, zum Glauben sind wir berufen. Wo wir noch nicht wissen, was wird, obwohl schon so viele Termine im Kalender stehen, obwohl Prognosen schon die kommenden Monate gedeutet und der Zukunft einen Beigeschmack verliehen haben, wo so vieles fest zu stehen scheint - aber eben doch nur scheint: da erfolgt die Einladung zum Glauben. Anton Tschechow wird der Satz zugeschrieben: „Der Mensch ist, was er glaubt.“ Wer und was also sind wir am Beginn dieses neuen Jahres?
Mit meinen Konfirmanden lerne ich immer wieder, Glauben durchzubuchstabieren. Ein Mädchen fasste ihre Gedanken zum Glauben so zusammen – 14 Jahre alt, selbstbewusst, humorvoll und ganz im sogenannten Hier und Jetzt stehend, schrieb sie: „Meinen Glauben kann ich mir nun aus meinem Leben nicht mehr hinaus denken, es ist mit ihm verwachsen und ich hoffe diese Verbindung wird ewig halten. Mein Glaube ist mir eine Stütze, ein Halt in meinem Leben, ein Licht in finsteren Stunden, Musik in einer großen Stille und Stille und Ruhe an hektischen Augenblicken meines Lebens. Er ist mein Vertrauen auf das Gute, meine Hoffnung, er geht Hand in Hand mit meiner Liebe.“
Zwei Jahre alt ist dieser Text, ich habe ihn mir aufgeschrieben, weil er mir vor Augen hält, was wir teilen können in dieser Gemeinde - mit Jugendlichen wie mit Älteren. Gestützt, gehalten, vertrauend und mit Liebe Hand in Hand gehend, so will Glaube mit einem jeden hier an der Startlinie des Neuen Jahres stehen und losgehen, manche wollen vielleicht auch loslaufen.
Die Losung, die über dem neuen Jahr steht und uns zu einem Glaubensjahr einlädt, heißt: „Euer Herz erschrecke nicht! Glaubt an Gott und glaubt an mich!“
Vom Schrecken ist die Rede und er ist das erste, was kommt, obwohl er doch gar nicht kommen soll laut dieser Jahreslosung. Wenn mir einer sagt: jetzt erschrick bitte nicht, dann ist der Schrecken schon da und es nur noch die Frage, als was er denn daher kommt – als schlimme Nachricht, als Spinne, die gleich über die Schulter krabbelt, als Berührung mit etwas Ekligem…
Mir scheint es auf den ersten Blick nicht ganz glücklich, eine Losung mit dem Schrecken beginnen zu lassen. Viel zu schnell bin ich dann bei alldem, was dieses Jahr verdunkelt – von persönlichen dunklen Perspektiven bis hin zu den Drohungen von Al Quaida.
Zweiter Versuch: „Euer Herz erschrecke nicht!“ Manchmal scheint mir die Übersetzung von Martin Luther auch die immense Anspannung zu spiegeln, unter der er selbst wie auch seine Zeitgenossen standen – die Schrecken von Höllendrohung, von Türkengefahr, von Willkür der Herrschenden – sie lassen eine andere Glaubenssprache entstehen, als wir sie heute sprechen und wie wir heute das Neue Testament in unsere Lebensbezüge hinein übersetzen können:
„Lasst euch das Herz nicht durcheinanderbringen, es bleibe ruhig, seid gelassen“ – so kann der erste Teil unserer Jahreslosung auch übersetzt werden. Eine solche Übersetzung erscheint mir für uns angemessener, wie für Menschen in den meisten Teilen dieser Erde die Rede vom Schrecken und Erschrecken angemessener scheint. Nicht wir sind es, die unter Schrecken leben. So sehr es persönliche und familiäre Dramen gibt, ist unsere Gesamtsituation nicht dramatisch. Wir sind es vielmehr, die eine Hoffnung sein können für die in ihrem Herzen erschreckten Menschen.
Ist es nicht vielmehr die Unruhe des Herzens, die mir, uns, zu schaffen macht? Und nun will der Glaube das Herz zur Ruhe, will es in Ordnung bringen: „Lasst euch das Herz nicht durcheinanderbringen, es bleibe ruhig“. Gott ist doch über uns, bei uns. In Psalm 91 heißt es doch: „Wer unter dem Schirm des Höchsten sitzt und unter dem Schatten des Allmächtigen bleibt, der spricht zu dem Herrn: Meine Zuversicht und meine Burg, mein Gott, auf den ich hoffe.“ (Psalm 91, 1-2)
Unser Glaube ist schön: Gott als der Höchste selbst, ist über einem Menschen, wie ein Vogel über seinen Jungen. „Er wird Dich mit seinen Fittichen decken; und Zuflucht wirst Du haben unter seinen Flügeln“, heißt es weiter im Psalm (Ps 91, 4). Und deshalb:
„Lasst euch das Herz nicht durcheinanderbringen, glaubt an Gott, eure Zuversicht und Burg!“
Wir kommen von Weihnachten her in das Neue Jahr. Und die Frage ist: Was anderes wird das Kind aus Bethlehem tun und vorleben, als diesen Glauben, diese Hoffnung, diese Zuversicht? Wie erzählt nicht schon die Krippe von dem Abenteuer der Liebe, und wie wird das Kreuz an Jesu Ende nicht das letzte große Zeichen dafür sein, dass einer sich da ganz Gott überlässt!
In alles was kommt im neuen Jahr, sei es erwartet oder ersehnt, sei es überraschend oder befürchtet, möchte ich mit hinein nehmen die Nähe meines Gottes, die Zuversicht und die Hoffnung auf ihn, den Glauben an die Liebe, die sich traut, die sich riskiert – kurz ich möchte Gott und seines Geistes Sohn, unseren Bruder mit nehmen in das neue Jahr.
„Glaubt an Gott und glaubt an mich!“
Gott und Jesus gehören für uns untrennbar zusammen. Wir haben keinen doppelten Glauben, keinen Glauben an zwei Instanzen. Vielmehr: Geht es um Jesus, so geht es stets um den in ihm und an ihm handelnden Gott, und wer sich auf Jesus bezieht, der bezieht sich auf Gott. Gott wird also ohne Jesus, den Christus, für uns nicht aussagbar. Der Glaube an Jesus ist nichts anderes als der Glaube an den in ihm handelnden Gott. Wer Jesus wahrnimmt, annimmt, der nimmt Gott wahr und an. Und so glaubt, wer an Jesus glaubt, nicht an ihn, sondern an Gott. Wir glauben Jesus seinen Gott und finden in ihm, Jesus, den Weg und Wahrheit und das Leben Gottes. In ihm setze ich auf die grenzüberschreitende Liebe, in ihm in ihm gebe ich dem Tod nicht Recht, in ihm bin ich Gott gehorsam.
Denn so wie Gott und Jesus zusammengehören, so gehören nun auch Glaube und Gehorsam zusammen. Ich kam auf diesen seltenen Begriff des Gehorsams durch die Lektüre der vorab gedruckten Neujahrsansprache unserer Kanzlerin.
Als ein Ebenbild der zerknitterten und schon veralteten Zeitung las ich also heute morgen von der Kraft der Freiheit, die die Kanzlerin beschwor. Ein politischer Begriff, für sie geprägt und gefüllt durch die Erfahrung des Mauerfalls. Mit dieser Kraft der Freiheit sollten wir nun auch die kommenden großen gesellschaftlichen und weltweiten Probleme lösen können.
Meine Bedenken entstanden durch den Rückblick auf Kopenhagen, durch das neue alte Selbstbewusstsein von Börsen- und Finanzwelt und deren Gehabe. Und so scheint mir Freiheit viel zu schnell verbunden mit Einzelinteresse und auf Vorteil und Gewinn bedachten Aktionismus.
Gehorsam unserem Gott gegenüber scheint mir eher das Gebot dieses Jahres. Bonhoeffer ist der Ansicht, „dass Glaube nur im Gehorsam existiert, niemals ohne Gehorsam ist, dass Glaube nur in der Tat des Gehorsams Glaube ist“ (D. Bonhoeffer, Nachfolge, 1983, 35 f.).
Und so soll der Glaubende gehorsam sein – ja, das versuchen wir ja auch, meist als den zweiten Schritt des Glaubens und sind geneigt, Glaube und Gehorsam zu trennen und zu fragen, wann denn jetzt wohl Gehorsam nötig sei.
Aber Jesus zeigt, dass Gehorsam selbst Glaube ist und so nur der Gehorsame glaubt.
Das klingt mir in meinen Ohren sehr gesetzlich und radikal, das klingt mir nach einem Verlassen der Glaubensstube, in der ich es mir kuschelig eingerichtet habe und mich wohlfühle.
Glaube wird nicht nur zu einer Sache des Gemütes, sondern nun auch des Willens und des Verstandes. Denn gehorsam zu gestalten ist die Aufgabe – und eben nicht nur unser Zusammenleben, sondern mehr und mehr die Schöpfung unseres Gottes gehorsam zu gestalten.
Das konnte kein Thema Jesu sein, das musste erst in den letzten Jahrzehnten durch den Ungehorsam unserem Schöpfer gegenüber zu unserem Thema werden – in diesem Jahr, in diesen Jahrzehnt, so hoffe ich.
Soviel Wissen und Kompetenz, so viel Phantasie und soviel Freude an der Schöpfung warten darauf, gehorsam in Zeichen und Projekte dieser Gemeinde umgesetzt zu werden. Gehorsam blickt dabei nicht auf Erfolgsaussichten; Gehorsam ist auch nicht blind. Er vertraut nur auf Gott und seinen guten Willen für die gesamte Schöpfung, für Himmel und Erde, Tier und Pflanze und Mensch und gibt dann seine Antwort, verantwortet sich.
Jesus spricht in dieses neue Jahr hinein: „Euer Herz erschrecke nicht! Es bleibe ruhig, lasse sich nicht durcheinanderbringen! Glaubt an Gott und glaubt an mich!“
Und der Friede Gottes, welcher höher ist als all unsere Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.
Lasst uns mit den Worten des Glaubensliedes von unserem Glauben singen und dazu aufstehen…