Judika - Johannes 15, 1 Ich bin der wahre Weinstock
Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserem Vater und unserem Bruder Jesus Christus !
Liebe Gemeinde, bevor ich den Predigttext verlese und gewissermaßen zur Sache komme, erlauben Sie mir bitte eine Vorbemerkung:
Es ist heute das 3. Mal, dass ich im Rahmen der Predigtreihe hier spreche. Zunächst einmal finde ich es sehr freundlich von Ihnen, dass Sie sich das zumuten, und ich finde es großzügig vom Kirchengemeinderat, dass er das zulässt.
Denn mit dem Priestertum aller Gläubigen ist es ja auch in unserer Kirche nicht so weit her. Wenn ich es richtig erinnere, müßte ich nach der Ordnung unserer Kirche wenigstens eine Predikantenausbildung absolviert haben, um hier von der Kanzel sprechen zu dürfen, was ich nicht habe.
Und dem Vernehmen nach sind diese Laienpredigten in Blankenese auch gar nicht so beliebt. Wir haben doch schließlich 3 Pastoren, die das Predigen gelernt haben und es richtig gut können...
Was also könnte der Sinn sein, dass ich trotzdem hier rede? Herr Warncke hat hierzu im vorigen Gemeindebrief schon einiges geschrieben. Lassen Sie mich folgendes hinzufügen.
Wenn ich hier rede, so hat das etwas mit Bekenntnis zu tun. Wir leben ja in einer Zeit, von der Dorothee Sölle einmal geschrieben hat, dass wir Angst davor hätten, unsere eigenen religiösen Erfahrungen auszusprechen. Über seinen Glauben öffentlich zu reden, ist fast etwas peinlich, man möchte nicht in der fundamentalistischen Schublade abgelegt werden, und viele, die öffentlich ihre Kirchenzugehörigkeit einräumen, fügen rasch hinzu, dass sie aber nicht „kirchlich“ seien.
Zu einem lebendigen Gemeindeleben gehört jedoch nach meiner Überzeugung nicht nur, dass wir das Glaubensbekenntnis hier im Gottesdienst aufsagen. Es gehört dazu auch dieses Gespräch über unseren eigenen Glauben. Denn wir hier in der Gemeinde sind doch diejenigen, welche die Botschaft von der Liebe Gottes zu den Menschen weitergeben sollen, hier vor Ort,an unsere Kindern und alle, die an dieser Botschaft interessiert sind.
Gerade dafür könnte es von Interesse sein, wenn sich Laien, Menschen aus dem Publikum zu ihrem Glauben äußern und nicht allein die Pastoren, die hier ein Amt haben und von denen einige Gemeindemitglieder durchaus erwarten, das sie gewissermaßen von Amts wegen zu glauben haben.
Schließlich, und hier knüpfe ich an das an, was Herr Poehls im neuen Gemeindebrief geschrieben hat: der Kanon der Glaubensaussagen, Sie kennen alle unser traditionelles Glaubensbekenntnis.
Auch hier kann ich als Laie leichter sagen, dass ich die eine oder andere Aussage schlicht nicht glaube, dass mein Glaube hier jedenfalls ein Loch, eine blinde Stelle hat, dass ich mich aber gleichwohl aus fester Überzeugung und von ganzem Herzen für einen evangelischen Christen halte. Das könnte eine Ermutigung für die Suchenden sein, die so feststellen können, dass auch gläubige Christen solche Löcher in ihrem Glauben haben und haben dürfen.
Nun aber zur Sache: Mein Text aus dem Anfang des 15. Kapitels des Johannesevangeliums lautet:
Ich bin der wahre Weinstock, und mein Vater ist der Weingärtner. Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt, und ich in ihm, der bringt viel Frucht, denn ohne mich könnt ihr nichts tun. Bleibt in mir und ich in euch.
Diese Worte stehen nicht im Zusammenhang mit irgendeiner Geschichte oder mit einem tatsächlichen Geschehen. Sie stehen in einer Zusammenfassung von Reden Jesu an seine Jünger in den Kapiteln 13 bis 16., eigentlich etwas unvermittelt : Ich bin der wahre Weinstock, und mein Vater ist der Weingärtner.
Der Weinstock ist ein uraltes Bild, an sehr vielen Stellen im Alten Testament gebraucht, angefangen bei Noah in der Genesis, der nach der Sintflut einen Weinberg pflanzte. Der Weinstock bringt den Wein, von dem ebenso häufig die Rede ist, der das Herz der Menschen erfreut, zur Freude der Menschen geschaffen wurde, heißt es. Korn, Öl und eben auch Wein waren die guten Gaben Gottes, die zur Fülle des Lebens gehörten, das allen versprochen war.
Im Buch der Prediger heißt es: „Wohlan denn, iß fröhlich dein Brot und trinke vergnügt deinen Wein! Denn von jeher gefällt es Gott, wenn Du so tust.“ Wenn man das liest, fragt man sich, warum Kirche manchmal so freudlos daherkommt. Dass Jesus ausdrücklich dieses Bild verwendet, ist für mich ein Hinweis darauf, dass auch er für uns ein Leben in Freude und Fülle vorsieht.
Für diejenigen, die jetzt vielleicht meinen, dass ich als Weinliebhaber das zu euphorisch sehe, füge ich hinzu, dass immer nur der mäßige Genuss gut geheißen wird und dass die Probleme beim Mißbrauch durchaus nicht verschwiegen werden. Auch dafür ist ja Noah ein gutes Beispiel.
Doch zurück zum Weinstock. Er ist im AT zugleich ein Symbol für das Volk Israel. Im 80. Psalm heißt es z.B.:
Einen Weinstock holtest du aus Ägypten, Völker vertriebst du, ihn aber pflanztest du ein. Das Erdreich hast du bereitet für ihn. Da fasste er Wurzel und erfüllte das Land.
Dabei ist an diesen Erzählungen bemerkenswert, dass der Weinstock und die Reben durchaus entgegen den Bemühungen des Weingärtners ein Eigenleben entfalten und sich in eine Richtung entwickeln können, die dem Weingärtner nicht gefällt. Der Weingärtner kann oder will dies offenbar nicht verhindern. Aber der Weinstock wird nach den Texten des AT vom Weingärtner dafür bestraft, die Schutzmauern werden eingerissen und der Weinstock der Verwüstung durch die wilden Schweine anheim gegeben. In dem erwähnten 80. Psalm ist davon die Rede, aber auch bei Jesaja, Jeremia und anderen.
Es ist das alte Bild von einem sehr vermenschlichten Gott, der sich ärgert über die Menschen, enttäuscht ist, der gewissermaßen wütend wird, Rache nimmt und vernichtet, was er selbst geschaffen hat.
Jesus verändert nun nach unserem Text dieses Bild grundlegend. Er sagt: Ich bin der wahre Weinstock, mein Vater ist der Weingärtner und ihr seid die Reben.
An die Stelle des Volkes Israel stellt er sich selbst und die Reben sind seine Jünger, bzw. diejenigen, die an ihn glauben, alle Menschen, die seine Botschaft hören. Der Weingärtner hat es danach nicht nur mit dem Volk Israel zu tun, sondern, und das ist ja auch das Besondere an der Botschaft Jesu, mit Juden und Heiden, also mit allen Menschen.
Mein Vater ist der Weingärtner, sagt Jesus. Das kann aus meiner Sicht vieles bedeuten:
Jesus und Gott sind unterschiedliche Personen. Jesus ist Weinstock, ist Mensch wie wir. Wir hängen mit ihm zusammen wie der Weinstock und die Reben. Ohne ihn können wir nicht bestehen, können wir keine Trauben hervorbringen. Gott steht uns gegenüber als Weingärtner, also als derjenige, der uns geschaffen und gepflanzt hat, damit wir gute Früchte erbringen.
Auch wenn die gelernten Theologen das Johannesevangelium wohl anders verstehen: In diesem ich-bin-Wort jedenfalls identifiziert Jesus sich nach meiner Überzeugung nicht mit Gott, sondern mit uns Menschen. Der Weinstock und die Reben sind eins. Ihnen steht der Weingärtner gegenüber. Dies kommt meiner Glaubensvorstellung entgegen, wonach für mich Jesus in erster Linie ein Mensch war, unser Bruder. Damit, dass die Kirche später gesagt hat, er sei zugleich auch Gott, kann ich wenig anfangen. Hier hat mein Glaube so eine blinde Stelle.
Weiter: Wenn der Weingärtner der Vater ist, so wird damit auch ein anderes Verhältnis beschrieben, ein völlig anderes Verhältnis zwischen Gott und uns Menschen. Der Vater liebt seinen Sohn und diejenigen, die mit ihm die Einheit von Weinstock und Reben bilden. Das Verhältnis ist allein von Liebe geprägt und nicht wie nach den alten Bildern von Enttäuschung, Verärgerung, Wut und Gedanken an die Vernichtung des Weinstocks und die Verwüstung des gesamten Weinbergs. Nach der frohen Botschft Jesu hat Gott solche menschlichen Regungen nicht. Er ärgert sich nicht über uns und nimmt keine Rache. Gott ist Liebe.
Weinstock und Reben, beides gehört zusammen. Der Weinstock gibt den Reben die Kraft und hält sie. Er versorgt sie mit allem, was sie zu ihrer Entwicklung benötigen, mit fast allem. Denn die Reben brauchen auch den Sonnenschein und ein geeignetes Klima, so wie auch unsere Entwicklung nicht nur von Gottes Geist und Wort abhängig ist, sondern zusätzlich von äußeren Umständen, der Umgebung, in der wir uns entwickeln, von den Menschen, mit denen wir zusammen leben.
Und wenn die Reben sich einmal nicht so entwickeln, wie es der Weingärtner sich erdacht hatte. Dann wird er nicht wütend werden und zornig. Er wird den Weinstock Jesus nicht vernichten. Ob er etwas tun wird und was dies sein wird, wissen wir nicht. Wir wissen nur etwa aus dem Gleichnis vom verlorenen Sohn, dass er sich freuen wird, wenn die Rebe nicht verdorrt, sondern neu austreibt und Frucht ansetzt.
Schließlich: Die Reben sind es, die die Trauben entwickeln, die des Menschen Herz erfreuen. Das heißt, wir sollen Frucht bringen. Das heißt weiter, dass Gott durch Menschen, also durch uns in der Welt handelt und dass er durch uns seine Verheißungen erfüllt. Dabei sollen wir am Weinstock bleiben, unsere Kraft schöpfen aus dem Wort und dem Geist Gottes, wie Jesus uns das vorgegeben hat.
Aber was heißt das konkret? Hier hatte ich zunächst formuliert, wir sollten die Welt verändern hin zu einem Reich Gottes auf Erden. Aber dieser Begriff kann heute leider zu Mißverständnissen führen. Er ist mir auch etwas zu großartig. Bleiben wir bei den eigenen Maßstäben. Schauen wir noch einmal in das 15. Kapitel von Johannes. Dort heißt es einige Verse weiter ganz schlicht: Bleibt in meiner Liebe. Das ist mein Gebot, dass ihr euch unter einander liebet, gleich wie ich euch liebe. Das ist schon schwierig genug.
Und ich kann auch anknüpfen an das, was Herr Tübler hier vor einer Woche gesagt hat: Versuchen wir, etwas Göttliches in dem anderen zu sehen. Und der Friede Gottes, welcher höher ist als unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christo Jesu. Amen.