Kantate: Apg 16,23-24

29.04.2018 | 12:00

Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da ist und der da war und der da kommt. Amen.

Liebe Gemeinde, früher habe ich in verlässlicher Regelmäßigkeit eine Postkarte in meinem Briefkasten gefunden – mit meiner Adresse und nur einem einzigen Satz: "Die Bibel ist ein Märchenbuch!" Leider blieb der Absender anonym; denn ich hätte gerne mit ihm diskutiert. Nicht weil ich ihn widerlegen wollte – ich würde ihm ja sogar beipflichten - sondern weil ich mit ihm über das Märchen sprechen wollte. Er meint wohl, ein Märchen sei eine einzige Illusion, eine Sammlung unrealistischer Geschichten, die mit unserem Leben nichts zu tun haben.

In der Tat, ein Märchen oder eine Mär ist ja so etwas wie eine Nachricht aus einer anderen Welt, aber genau das ist ja auch das Wesen der Bibel. So gesehen würde ich meinem Postkartenschreiber zustimmen. Aber ich würde ihm widersprechen, wenn er behauptet, das habe alles mit unserem Leben nichts zu tun. Erstens haben auch die klassischen Märchen sehr wohl etwas mit unserem Leben zu tun, und zweitens hat erst recht die Bibel etwas mit unserem Leben zu tun.
Sie ist nämlich realistisch in ihrer Menschenkenntnis, sie weiß, dass es im Leben ungerecht zugeht, dass es Streit zwischen Menschen gibt, dass Einer den Anderen betrügt und dass Kriege irgendwie zum Menschsein dazu gehören. Aber gleichzeitig zeugt die Bibel von einer anderen Wirklichkeit, die die herrschenden Verhältnisse dieser Welt überwindet oder doch wenigstens überwinden möchte. Die Bibel ist gezeichnet von der Hoffnung auf eine andere Wirklichkeit, die die bestehenden Zustände überwindet. Ostern eben! Der Anfang des Neuen – das ist der zentrale Gedanke der Bibel.

Nun, mein anonymer Freund hätte mir vielleicht den Predigttext vom heutigen Sonntag unter die Nase gehalten und gesagt: Ist das etwa kein Märchen – unrealistisch bis zum Geht-nicht-mehr?

Nachdem man sie hart geschlagen hatte, warf man sie ins Gefängnis und befahl dem Kerkermeister, sie gut zu bewachen. Als er diesen Befehl empfangen hatte, warf er sie in das innerste Gefängnis und legte ihre Füße in den Block. Um Mitternacht aber beteten Paulus und Silas und lobten Gott. Und es hörten sie die Gefangenen. Plötzlich aber geschah ein großes Erdbeben, sodass die Grundmauern des Gefängnisses wankten. Und sogleich öffneten sich alle Türen und von allen fielen die Fesseln ab. Als aber der Kerkermeister aus dem Schlaf auffuhr und sah die Türen des Gefängnisses offen stehen, zog er das Schwert und wollte sich selbst töten; denn er meinte, die Gefangenen wären entflohen. Paulus aber rief laut: Tu dir nichts an; denn wir sind alle hier! Der aber forderte ein Licht und stürzte hinein und fiel zitternd Paulus und Silas zu Füßen. Und er führte sie heraus und sprach: Ihr Herren, was muss ich tun, dass ich gerettet werde? Sie sprachen: Glaube an den Herrn Jesus, so wirst du und dein Haus selig! Und sie sagten ihm das Wort des Herrn und allen, die in seinem Hause waren. Und er nahm sie zu sich in derselben Stunde der Nacht und wusch ihnen die Striemen. Und er ließ sich und alle die Seinen sogleich taufen und führte sie in sein Haus und bereitete ihnen den Tisch und freute sich mit seinem ganzen Hause, dass er zum Glauben an Gott gekommen war.

Ja, das ist in der Tat eine – im klischeehaften Sinne – märchenhafte Erzählung. Denn die Geschichte von der wundersamen Befreiung der Gefangenen durch Gesang und Gebet verführt zu ungläubigem Kopfschütteln: "Das kann doch nie und nimmer so geschehen sein!" Und schlimmer noch: Die Agnostiker und Atheisten werden uns, den christlich Gestimmten, natürlich gleich vorwerfen, wir seien verrückt, auf so eine absurde Geschichte zu setzen.

Nun ja, würde ich meinem Anonymus antworten, ich gestehe, dass ich daran glaube. Doch – so würde ich hinzufügen – man hüte sich vor der "Wörtlichkeitsfalle".Es kommt schließlich auf den Sinn und die in den Geschichten verborgene Weisheit an. Also: Wörtlich darf man vieles, was in der Bibel oder etwa im Glaubensbekenntnis steht nicht nehmen; aber man muss die Bibel sehr wohl beim Wort nehmen.

Das kennen wir heute ja auch noch. Denn:
Wie reagieren Sie, wenn jemand zu Ihnen sagt, dass sein Herz vor Liebe brennt oder er Feuer und Flamme für eine Sache ist – holen Sie dann den Feuerlöscher, um den Brand zu löschen?
Oder wenn jemand klagt, diese oder jene Aussage haben ihm einen Stich ins Herz versetzt – suchen Sie dann die spitze Nadel in seinem Brustkorb?
Und wenn jemand meint, er sei am Boden zerstört – kriechen Sie dann etwa auf dem Boden, um die Einzelteile ihres Gegenübers aufzulesen?
Auch unser Leben ist voll von nicht wörtlich zu nehmenden Redewendungen, die aber dennoch beim Wort zu nehmen sind – hin und wieder hat man es ja wirklich mit einem Hornochsen zu tun, aber diese Kollege hat selten Hörner auf, geschweige denn, dass er wie ein Ochse kastriert ist.

Man hüte sich also davor, in die Wörtlichkeitsfalle zu tappen! Wenden wir uns also noch einmal unserem Text zu.

Neulich las ich: "In einem Unrechtsstaat ist der angemessene Ort das Gefängnis." Paulus und Silas wurden verfolgt, weil sie nicht den Römischen Kaiser als Gott, sondern eben Jesus den Christus als ihren "Herren" angebetet haben. Und sie waren überzeugt, dass sie der ewigen Wahrheit näher war als manch Römischer Bürger, der von Christus nichts wissen wollte.

Nun also singen sie, die beiden Apostel, Paulus und Silas, im Gefängnis.
Und wer je gesungen hat, weiß, dass ein Gesang Welten bewegen kann – vielleicht ist es die Alt- oder Sopranstimme in Bachs Matthäuspassion (neulich noch hier in der Kirche erklungen), oder manchmal auch schon, wenn man im Chor singt oder zu zweit in der Kirchenbank nebeneinander sitzt und in unausgesprochener Vertrautheit voller Hingabe gemeinsam einen Choral singt. Da kann schon mal die Erde beben und das Leben aus den Fugen geraten. So als öffneten sich Türen in eine andere Welt und als fielen Fesseln des Altvertrauten ab.

So muss es damals wohl gewesen sein – eine Bewegung oder so eine Art innere Aufruhr, die um sich gegriffen hat und die Menschen drumherum erfasst und eben verändert hat. Für die Mitgefangenen muss sich das Leben (oder die Einstellung zum Leben) verändert haben, nachdem Paulus und Silas von den Taten Gottes in Jesus Christus vermutlich zunächst erzählt und dann gesungen haben. Denn die Beiden leben als Christusgläubige aus einer Hoffnung, die ansteckt; sie leben in oder mit einer Hoffnung auf eine andere Welt; und sie wissen, auch wenn sie als Christen verfolgt werden, haben sie Recht.

Vielleicht haben sich die Türen und Tore des Gefängnisses ja gar nicht im wortwörtlichen Sinne geöffnet, aber für die Gefangenen spielten sie eben keine Rolle mehr. Ihre Wirklichkeit ist mehr als Schloss und Riegel. 1600 Jahre später wird Friedrich Graf von Spee genau das dichten: "O Heiland reiß die Himmel auf; herab, herab vom Himmel lauf, reiß ab vom Himmel Tor und Tür, reiß ab, wo Schloss und Riegel für."

Und dann der Gefängniswärter! Der war vermutlich versunken in den seligen Schlaf eines Staatsbeamten. "Er schlief" – heißt es. Ja, so kommen sie einem ja manchmal vor, die Staatsdiener, die, ohne sich selbst oder die Verhältnisse zu hinterfragen, ihrem "Job" nachgehen. Sie wissen oft nicht, was sie da tun; alles läuft in größter Selbstverständlichkeit ab. Sie erledigen ihre Geschäfte im Schlaf.

Und dieser Mann wird mit einem Male aus seiner bequemen Lethargie erweckt, weil er spürt: Da geschieht Ungeheuerliches. Alles, was ihn bisher getragen hat, sein gesamte Wertesystem wird durch dieses außergewöhnliche Gotteslob der beiden Gottesmänner in Frage gestellt. Was liegt da näher, als den bisherigen Lebensentwurf zu hinterfragen?! Aber anstatt sich das Leben zu nehmen oder – vielleicht ist es besser so gesagt – anstatt sich und seinen bisherigen Lebensstil zu verdammen und an dem zu verzweifeln, was gewesen ist, sucht Paulus das Gespräch mit ihm und führt ihn in ein anderes Leben.

Er hört – das steht nun nicht in unserem Text, aber ich vermute es – er hört, wie Paulus ihm von der Taufe als Umkehr zu einem anderen Leben erzählt, von der Möglichkeit des Neuanfangs, ja, eines Neubeginns jenseits aller bisherigen Vorschriften und Verpflichtungen. So wie es Johannes der Täufer gelehrt hat und Jesus gelebt hat. Es ist diese Umwertung der Werte, die ihn erfasst. So wird er verstanden haben, dass Gottes Kraft in den Schwachen mächtig ist; dass, wer sich über andere Menschen erhebt und damit sich selbst erhöht, erniedrigt wird. Und vor Gott der erhöht wird, der sich selbst erniedrigt.
Vielleicht hat Paulus ihm in dem nächtlichen Gespräch auch von seiner eigenen radikalen Umkehr erzählt, wie er selbst vom Christenverfolger zum Christusapostel geworden ist – vom Saulus zum Paulus. Eben weil er erkannt hat, dass der Wert menschlichen Lebens nicht darin besteht, sich an äußere Dinge zu klammern, sondern dass es auf die Geisteshaltung ankommt. "Der Mensch sieht, was vor Augen ist, Gott aber sieht das Herz an"- so wird er den Profeten Samuel zitiert haben.

Der Wärter lässt sich also taufen. Und so geschieht im Leben dieses Mannes eben ein Erdbeben. Vorher hat er im Trott seines Alltags und getreu den damals herrschenden Vorschriften die Gefangenen schikaniert und ihnen Schläge verabreicht. Jetzt aber – so steht es in der Apostelgeschichte – "nahm er in derselben Nachtstunde die Gefangenen zu sich und wusch ihnen ihre Schlagwunden." Eine radikalere Umkehr lässt sich doch nicht denken!
Jesus hatte es so gesagt: "Der Glaube kann Berge versetzen." Der Wärter muss genau das empfunden haben.

Für uns Alle gilt, was von dem Wärter in unserer Geschichte so anschaulich geschildert wird: "Der Wächter fuhr vom Schlaf auf!" Vermutlich heißt Taufe nichts anderes als "Aufwachen!" Und zwar nicht nur einmal, sondern täglich neu.

Amen

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