Karfreitag

14.04.2017 | 12:00

Während einer Wanderung in einem entlegen Zipfel im Süden Frankreichs machten mich Ortskundige aufmerksam auf eine Einsiedelei. Aus der Ferne sah sie eher aus wie ein verlassener Haufen Steine. Man ahnte eigentlich nur die Mauern, die aus groben, unbehauenen Felsbrocken errichtet waren - so, wie sie die Berge ringsherum hergeben. Eine Öffnung könnte wohl ein Fenster sein.
Dort jedenfalls sollte ein Einsiedler wohnen; ein Mönch, der in dieser abgeschiedenen und zugleich auch lieblichen Bergwelt - hoch oben über allem - einem strengen, stillen Tagesablauf folgt. Allein nur mit sich und seinem Gott.

So ein Leben an solch einem aus der Zeit gefallenen Ort hat mich immer schon fasziniert. Kaum zu glauben, dass es so etwas noch gibt, und dass Menschen sich auf so ein Wagnis von einer derart fordernden und gleichwohl ganz intimen Gottsuche einlassen.

Es war erlaubt, dorthin zu gehen und nach einem mühsamen Aufstieg tauchte das alte Gemäuer dann unerwartet plötzlich vor mir auf. Eine alte Holztür war nur angelehnt und ich trat ein. Es war dunkel. Und ich dachte: Ja, genauso muss es sein.

Nur ein schwaches Kerzenlicht flackerte irgendwo weit weg.
Es dauerte eine Weile, bis sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnten.
Ich setzte mich auf ein Brett, das wohl als Bank dienen sollte. Wie still es war.

Mir fallen Geschichten ein, die von Dunkelheit erzählen. Josef kommt mir in den Sinn. In eine Zisterne geworfen von seinen Brüdern. Den Schrecken noch in den Gliedern. Allein gefangen in einem dunklen Loch...
Und Jona, im Bauch des Walfisches. Verzweifelt ringt er um ein Verstehen seiner Situation. Da taucht Gott auf in seinen Gedanken, und es formen sich fast von allein Worte zum Gebet: Als meine Seele in mir verzagte, - spricht er - gedachte ich an den HERRN... und mein Gebet kam zu dir in deinen heiligen Tempel.

Ich denke an Elia, der im Dunkel einer Höhle Zuflucht nimmt, irgendwo in einer Wüste, als er entkräftet und mutlos vor Gott und der Welt flieht. Bis Gott ihn selber aufsucht, ihn herausruft aus seiner inneren Gefangenschaft, aus seiner Erstarrung. Ihn an den Eingang der Höhle stellt und vor seinen Augen ein gewaltiges Schauspiel aufführt, bis nur noch eine verschwebende Stille zurück bleibt.

Es gibt im Christentum eine Tradition der Dunkelheit, so wie es auch eine Tradition des Lichtes gibt. Das sind zwei Wege, die Unterschiedliches in den Blick nehmen und bedenken. Dunkelheit meint dabei nicht nur die dunklen Seiten des Lebens, meint nicht nur Angst, Gewalt, Furcht und Schrecken. Der Weg der Dunkelheit meint vor allem ein Allein-Sein, ein Nicht-Reden, ein Schweigen, ein Nicht-Wissen und Nicht-Verstehen. Dunkelheit meint den Weg nach unten, einen Abstieg, im Gegensatz zum Weg des Lichts, der einen Aufstieg beschreibt.
Beides sind eigene Wege, eigene Glaubenswege und Traditionen: Dunkelheit und Licht – und doch gehören beide zusammen und doch scheint es eine Lebensaufgabe zu sein, beide Wege zusammenzubringen.

Immer noch sitze ich auf diesem Brett an diesem entlegenen Ort. Und ich merke, dass alles, was eben noch Bedeutung hatte und meine Aufmerksamkeit in Anspruch nahm, verschwimmt. Ich tauche ein in eine dunkle Stille. Ich sauge sie auf. Und ich fühle mich geborgen.
Nicht viele Momente bieten sich an, einen tiefen Frieden zu beschreiben. Dieser Moment war so einer.

Den Einsiedler traf ich natürlich nicht. Was zu erwarten war. Aber ich war mir sicher, dass seine täglichen Gebete mir halfen, diesen Frieden zu erleben. Ich fühlte mich ihm vertraut nahe und genauso auch dem Gegenüber seines und meines stillen Gebetes. Ich musste Gott in meiner Stille nicht einmal beim Namen nennen und wusste doch, dass ich auf eine Art ganz mit ihm verbunden war. Ich glaube, es sind Orte wie diese, die die Welt zusammen halten.

Ich saß eine Weile da. Dann erkannte ich mit einem Mal an der mir gegenüberliegenden Wand ein Kreuz. Ein Kruzifix. Im Flackern des Kerzenlichtes war der Gekreuzigte zu erkennen.

Es war eine jener Schnitzereien, die nicht eben sparsam blieb mit der Darstellungen der Wundmale Jesu und die ganz offensichtlich dem Betrachter all seine Leiden spürbar machen wollte. Um damit zu unterstreichen und ins Bewusstsein zu bringen: Ja, es sind auch deine Sünden, für die der Herr gestorben ist.
Ich schaute das Kreuz an und war erstaunt, weil der Frieden, die Ruhe, die Stille – die Geborgenheit an diesem Ort, – immer noch da waren. Müsste es nicht anders sein? Müssten mir nicht Gedanken über Kreuzestheologie und christologische Entwürfe durch den Kopf schwirren? Sollte ich nicht Positionen klären und mich rechtfertigen vor diesem Bild?

Aber das schien mir eindeutig zu viel. Zuviel Worte, zuviel Theologie... Ich wollte nicht nach Worten und Widerworten suchen, nicht nach dogmatischen Grundsätzen und genauso wenig nach befreienden Erklärungen.

Es gibt Erfahrungen, über die sich nicht sprechen lässt. Es gibt Momente, die man nicht beschreiben kann, weil die Sprache, die zur Verfügung steht, nicht würdig genug erscheint. Das sind Augenblicke, die das eigene Sehen, ein Hören und ein inneres Erkennen wecken. Sie liefern keine fertigen Ergebnisse, sie weisen auf etwas hin. Erklärungen würden bloß das Staunen zerstören, das diesen Moment so besonders macht.

Je länger ich das Kreuz betrachtete, desto weniger war es seine Äußerlichkeit, waren es die Details seiner Darstellung, an denen ich hängen blieb. Ich spürte etwas Tröstliches beim Hinschauen.

Wie sich Gott selbst - gänzlich unerwartet - meiner bemächtigte in der Stille und der Dunkelheit dieses Raumes, so wusste ich mich auch in diesem Kreuz verbunden mit einer anderen, – ganz menschlichen Seite und einer ganz irdischen Kraft Gottes. Es war, als ob alle Mauern fielen...

Fast erschrak ich. Kann das Kreuz, ein barbarisches Folterinstrument der Antike, und auch heute immer noch ein Zeichen, das hinweist auf ganz gegenwärtige Schrecken, auf Gewalt und Terror in unserer Welt, – kann das Kreuz auch ein Symbol für Frieden sein?

Paulus, der erste Theologe des Christentums, kannte noch kein geordnetes, sortiertes Kirchenjahr. Die Karwoche gab es noch nicht. Karfreitag und Ostern hatten ihren Platz in der Abfolge der Feiertage noch nicht gefunden. Die Evangelien, die uns einen zeitlichen Bericht der Ereignisse liefern, waren noch nicht geschrieben. Darum trennt Paulus nicht zeitlich, was für ihn inhaltlich nicht zu trennen ist. Er spricht vom Tod Jesu und klammert die Auferstehung dabei niemals aus. Als ob er uns damit an eine Ordnung erinnern will, die Gott uns für das Leben gegeben hat, die so etwas wie eine Grundkonstante des Lebens darstellt: Dass wir abwärts gehen müssen, bevor wir überhaupt wissen können, was aufwärts ist, was Aufsteigen bedeutet; dass nur ins Licht treten kann, wer davor im Dunkel gewesen ist. Und dass es persönlich wertvoll ist, Schmerzen und Leiden nicht auszuklammern und zu verbannen, weil sie dann höchstwahrscheinlich weitergegeben werden an Nachfolgende, sondern darin, - und in ihnen - immer wieder eine Art Sterben zu lernen – vor dem Sterben...

Eben dieses halte ich für eine der Größen und der erleuchtenden Themen unseres Glaubens, – des Christentums. Nämlich, was es uns lehrt im Umgang mit dem Absurden, mit dem Tragischen, Sinnlosen und Ungerechten; wie es gelingen kann, Schmerz zu verwandeln, um frei zu werden für das Leben selbst.

Dort an jenem fast vergessenen Ort irgendwo auf einem Berg in Frankreich ahne ich, was es meint, wenn Licht und Dunkelheit zusammenfinden. Ohne, dass ich Worte dafür finde in meinem Gebet, weiß ich, dass Gottes Kraft heraus strahlt aus dem Umrissen des Mannes, der da am Kreuz hängt. Dass Gott es trägt, - das Leiden dieser Welt - auch wenn er es nicht ändern kann. Und dass es eine Geschichte gibt mit ihm. Eine Geschichte, die ohne Anfang ist und ohne Ende – und in der von Urzeiten an eine unbeschreibliche Liebe wirkt, die alles durchflutet. Eine Liebe, aus der alles Sein ins Leben kam, die nicht ablässt, wenn ein Leben zu Ende geht, die sich nicht verbirgt oder zurückzieht, wenn ein Leben nicht mehr auszuhalten ist, die neuen Sinn finden lässt, wenn Sinnlosigkeit sich wie Mehltau auf alles niedergelegt hat ist. – Eine Liebe, die uns wie die Luft zum Atmen umgibt, und die trotzdem erst in den Geschichten unseres Lebens Schritt für Schritt entdeckt werden will.

Als Josef alt geworden war und er sich mit seinen Brüdern, die ihn einst umbringen wollten, längst wieder versöhnt hatte, da sagte er zu ihnen, als sie alle gemeinsam vor dem Grab ihres Vaters Jakob standen:
Ihr gedachtet es einst böse mit mir zu machen, aber Gott gedachte es gut zu machen...

So schaue ich auf das Kreuz, nicht um es zu verstehen, – nur, um es anzuschauen.

Amen

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