Lukas 15, 1-7

10.07.2011 | 02:00

Klaus-Georg Poehls

Liebe Gemeinde! 

In christlicher Kunst und Ikonographie kommt dieses Motiv sehr oft vor: Jesus als der gute Hirte.  Googelt man danach, werden einem über 67000 Bilder aufgezeigt, googelt man auf Englisch nach dem „good shepherd“ verdoppelt sich die Zahl.  Guckt man sich die Ergebnisse an, so trifft man auf ungeheuer viel und kaum zu ertragenen Kitsch – so lieblich, so verklärt, so brav das Lämmlein, so mild der Hirte. Die Ikone, die ich fand und Ihnen auf dem Gottesdienstzettel abgedruckt habe, ist ungleich ernster und würdiger. Das Kreuz im Hintergrund zeigt an, dass Jesu Hirtenarbeit, so gut er sie verrichtete, zum Leiden führen und aus der Sicht, derer, die das Kreuz aufrichteten, zum Scheitern verurteilt sein soll. Nichts mehr mit Hirtenromantik.

Aber so haben die Menschen Jesus von Anfang an wahrgenommen, als einen, der die Menschen sucht, aufsucht und zurückbringt in die Gemeinschaft. Und sie haben ihn nur so wahrnehmen können  und können ihn nur so wahrnehmen, weil Jesus an einen Gott glaubte, der selbst – hier verlässt die Logik die religiöse Sprache und wird zur Liebessprache – der selbst ein Suchender ist.

Der Rabbiner Abraham Heschel schreibt in seinem Buch „Gott sucht den Menschen“: „Die gesamte menschliche Geschichte, wie die Bibel sie sieht, kann in einem Satz zusammengefasst werden: Gott ist auf der Suche nach dem Menschen“ (A.J. Heschel, Gott sucht den Menschen, Eine Philosophie des Judentums, 5. Aufl. Berlin 2000).

Und Menschen, die dann von Gott redeten und schrieben, die Verfasser der alt- und neutestamentlichen Bücher, die konnten sich begreifen als Wiedergefundene, als nach Hause Geführte oder gar Getragene und ihre Freude darüber, so glaubten sie, könne doch nur ein Spiegel der Freude Gottes und des Himmels sein. Und dafür suchten sie Bilder und Gleichnisse, so wie Jesus es tat mit dem Gleichnis vom verlorenen Schaf.

Er erzählt es Zöllnern, Sündern, Pharisäern und Schriftgelehrten. Es gilt dieses Gleichnis allen, denn alle können verloren gehen, können sich verlieren – auch in Selbstgerechtigkeit und vermeintlich berechtigter Abgrenzung von anderen.

Die Pharisäer und Schriftgelehrten murren, sie klagen an: Jesus hat eine Grenze zu den Unreinen überschritten. Sie murren nicht aus Gewohnheit, aus Selbstgefälligkeit. Wenn sie Jesus mit unreinen Menschen zusammenstehen sehen, mit Menschen, denen aufgrund ihres Berufes oder Lebenswandels die Bürgerrechte entzogen wurden, dann erheben sie ihre Stimme um Gottes Willen. Sie haben den Mut zu entscheiden, was gut ist oder böse, gerecht oder ungerecht. Sie wissen sich als die Gerechten - in aller Ernsthaftigkeit und Demut, aber selbstbewusst.

In der christlichen Tradition, insbesondere lutherischen Tradition wissen sich Christen - manchmal pharisäerhaft eng und unbeweglich - als Sünder. So sehr Sünder, dass nichts getan, nicht entschieden wird, was Recht ist und was nicht, und alles schon vorher entschuldigt wird mit den Fehlern, die kommen, weil wir Sünder sind. Wir meinen hier, unsere religiöse Rolle spielen zu müssen, ihr gerecht werden zu müssen.

Den Gerechten, vielleicht zu sehr Gerechten von damals und heute, sagt Jesus: Gerechtigkeit orientiert sich nicht an Buchstabentreue, sondern an der Liebe Gottes, die niemanden verloren gibt. Den Sündern, vielleicht zu sehr Sündern von damals und heute, sagt Jesus: Du kannst und musst dich abgrenzen, gut und böse, richtig und falsch benennen im Vertrauen darauf, dass Gott eine große Freude am Finden und an der Vergebung hat.

So eben wie ein Herdentreiber, der am Abend seine Schafe zählt und feststellt, dass eines der einhundert fehlt. Und der dann das Risiko eingeht, seine Herde allein zu lassen, um das Schaf zu suchen, das sich nach Art der Schafe orientierungslos irgendwo hingelegt hat und nicht mehr aufstehen wird. Es stirbt oder wird gefunden. Der Mann findet es, packt es sich auf die Schultern – nicht aus übertriebener Tierliebe, sondern als Notwendigkeit. Er muss es zurückbringen, erst in der Herde wird es wieder laufen - erst in der Gemeinschaft lernt ein Verlorener wieder allein zu gehen. Jedenfalls: der Mann freut sich riesig und macht ein Fest daraus. So muss doch Freude im Himmel sein!

Ein Mensch wird von Liebe gefunden, findet zu Mensch und Gott zurück und damit zu sich selbst.

Denn Liebe will Einheit, sie kann nicht verloren geben.

Deshalb kann auch wohl diese Liebe Gottes nicht bei mir, bei meiner Gemeinde, meiner Konfession, meiner Religion stehen bleiben - oder? Wenn das so ist - wie viel Anlass zur Freude geben wir Gott mit unserer Konfessionalität, unserem Wahrheitsanspruch? Wir dürfen unsere Konfession und unseren christlichen Glauben nutzen, um auf dieses unsere Weise Gottes Liebe zu feiern. Aber wer meint, hier finde sich allein Gottes Liebe, der schmälert himmlische Freude.

In der letzten Ausgabe der ZEIT findet sich in der bemerkenswerten Rubrik Glauben & Zweifeln ein Interview mit dem Hindu Sri Ravi Shankar. Darin stellt der den Hinduismus als eine Religion vor, die nur einen Gott kennt, den Gott der Liebe, der allerdings viele Namen hat. Und er sagt: „Alle Religionen geben Zeugnis von der Existenz der einen absoluten Wirklichkeit. Nur unsere Ignoranz gegenüber den heiligen Schriften unserer Nachbarn verursacht Konflikte“ (DIE ZEIT Nr. 27, Seite 62). Heilsames Ertapptsein – nicht nur meine Ignoranz, auch meine Vorurteile dem Hinduismus gegenüber traten mir vor Augen.

Und andersherum: dort, wo ein Mensch verlorengehen wird, geht es nicht nur um dessen Schicksal, sondern um das der Gemeinschaft, in die er gestellt war: Ihre Liebe hat abgenommen, die Hoffnung ist um einen Menschen ärmer geworden. Es soll eine Geschichte im Talmud, der Lehre der Tora, geben. Darin soll es heißen: In jeder Generation gibt es gerechte Menschen, und wenn es nur sehr wenige sind. Unerkannt, verkleidet ermöglichen sie in jeder Generation den Bestand der Menschheit. Gäbe es diese Gerechten nicht, wären der Schwund von Menschlichkeit und die Verlustquote von Menschen noch größer.

Zusammen mit den jüdischen Schwestern und Brüder sind wir eingeladen, uns zu diesen Gerechten zu zählen, das Böse zu benennen und dem Guten auf der Spur zu sein. Das Gute ist vorgezeichnet in Jesu Weg: die verlorenen Menschen zu suchen und zu retten. Jesu Gleichnis von der Freude des Findens – so klingt es mir besser als „Vom verlorenen Schaf“ will dabei manch pharisäerhafte Verkrustung aufsprengen. Und es will ermutigen keinen Menschen verloren zu geben und sich einzusetzen für die Rettung aller vom Untergang bedrohter Menschen. Mag naiv klingen, aber lieber naiv als zynisch.

Vielmehr will uns der gute Hirte doch zeigen, dass es nicht einen noch so verlorenen Menschen gibt, der nicht auch gerecht und in Gerechtigkeit leben könnte und zu leben verdiene. 

Denn wir sind zur Freude berufen, weil Jesus uns erzählt von einem Gott, der die Menschen sucht und zur Freude befreien will, der die Freude als Grundmelodie des Glaubens hören möchte. Das Lachen und die Freude bedeuten ja Zustimmung zum Menschen, sei es zum anderen, den ich anlachen kann, sei es zu mir selbst in meiner Lebenslust. Freude ist Zustimmung, ist das große Ja zu dieser Welt, zum Leben überhaupt – ohne das Elend zu leugnen, ohne das Dunkle außer Acht zu lassen. Die Welt ist zum Weinen, ja und überall höre die Klage derer, die krank sind oder einsam, die verloren haben und nicht mehr zu gewinnen glauben.

Aber mehr noch ist die Welt, ist das Leben zum Lachen und nirgends ist ein Lachen heller und befreiender als mitten in der Not. In den dunkelsten Ecken der Welt werfen Menschen immer noch ihre Freude in den Himmel – das ist ein Wunder. Und ich kann kaum etwas Schöneres erleben, als wenn ein Mensch wieder zu einem Lächeln findet - und damit zu sich selbst, zu seinem Leben, zu seiner Welt. Wenn die Klage der erste Protest, das erste Nein des Lebens gegen alles Lebensfeindliche ist, dann scheint mir das Lachen, dann scheint mir die Freude das erste Ja des Lebens zu dieser Welt.

Und sollte die Freude nicht auch das erste Ja eines Menschen zu Gott sein können? Das soll heute unsere Hoffnung sein, gespeist aus Gottes Liebe, ins Gelingen verliebt, so sehr ins Gelingen verliebt, dass der Himmel sich freuen wird.

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