Lukas 24, 44-53 | Himmelfahrt

09.05.2013 | 02:00

Dr. H. Gorski

Liebe Gemeinde,

wahrscheinlich ist es eine Grundhaltung des Menschen, zum Himmel zu schauen. Schon Kinder tun dies, instinktiv, und es bleibt eine Haltung, die wir durch das ganze Leben mitnehmen und die uns immer wieder fasziniert. In diese Haltung fließen unsere Fragen ein, vor allem die Frage nach Gott. Wo ist Gott, im Himmel, hier bei uns auf der Erde? Damit bilden wir ab, was am Himmelfahrtstag geschah: Die Jünger stehen da als die Alleingelassenen der Schöpfung. Mit der Himmelfahrt hat sich Jesus einstweilen von dieser Welt verabschiedet. Wie auch immer man sich dieses Ereignis vorstellen mag, das Resultat ist eindeutig: Wir sind jetzt allein. Natürlich kann man lange Predigten darüber halten, dass der auferstandene Christus doch trotzdem gegenwärtig ist – aber das ist eine Wirklichkeit, die nur auf Wegen des Glaubens erschlossen werden kann, die aber nicht unmittelbar zugänglich ist. Erstmal müssen wir alleine zurechtkommen.

Mich erinnert diese Situation nach Himmelfahrt an ein Gleichnis, das Platon – in anderem Zusammenhang – benutzt: Jeder Mensch war mal eine Kugel. Also etwas Rundes, in sich Ganzes, Stimmiges. Und dann ist diese Kugel auseinandergebrochen. Platon erklärt so die Anziehungskraft zwischen den Geschlechtern. Ich finde, dieses Bild passt genauso gut auf unsere Verbindung mit Gott. Wir waren mal eins. Jeder Mensch war mal eine Kugel und als solche mit Gott eins. Aber dann ist diese Kugel zerbrochen, der göttliche Teil ist weg, und der Mensch findet sich alleine vor. Was aber geblieben ist, ist eine unerklärliche und unerschöpfliche Sehnsucht nacheinander. Gott sehnt sich nach uns und wir sehnen uns nach Gott als nach unserer anderen Hälfte. Diese Sehnsucht mögen viele Menschen gar nicht bewusst spüren. Aber sie spüren doch eine innere Unruhe, dass sie irgendwie, so wie sie sind, nicht ganz sind, und auf der Suche sind nach etwas, das sie ganz machen könnte. Diese Sehnsucht kann zu beglückenden Begegnungen führen. Oft aber bleibt sie unerfüllt oder läuft scheinbar ins Leere.

So allein gelassen mit einer unerklärlichen Sehnsucht und den vielen Herausforderungen dieser Welt, geht der Mensch ins Leben. Das kann nicht gut gehen und das geht auch nicht gut. Er gerät ins Trudeln und begeht Fehler und kämpft um die Erfüllung seiner Sehnsucht. Nicht immer mit den geeigneten Mitteln. Er versucht, sich zu nehmen, was er kriegen kann.

In der Welt nach Himmelfahrt geht es den Menschen nicht anders als damals Israel in der Wüste, das sich auch verlassen fühlte von Gott, murrte, und dann, als das Manna vom Himmel fiel, sammelte. „So viel du brauchst“. Bischöfin Kirsten Fehrs im Gottesdienst zur Eröffnung des Kirchentages:

„Wer weiß schon, wie viel er wirklich braucht. Und dann: was der oder die Andere braucht?

Wir denken immer: Nimm, was du kriegen kannst. Und so nehmen die einen viel. Und für die anderen ist ́s zu wenig. Das ist wie im richtigen Leben. Und was passiert? Das, was zu viel ist, verdirbt. Den Charakter übrigens auch.“

Präses Nikolaus Schneider in seiner Bibelarbeit: „Die mit dem herrschenden Verständnis unseres Wirtschaftens verbundene Notwendigkeit steten Wachstums zum Erhalt des Wohlstandes und der Stabilität der Gesellschaften verändert die innere Haltung vieler Menschen. Der äußere, wirtschaftliche Zwang zum Wachsen und die Vorstellung, dass das möglichst größte Wachstum das beste Ziel wirtschaftlichen Handelns sei, führen bei vielen reichen Menschen zu maßlosen Ansprüchen auf Einkommen und Besitz. Fähigkeit zur Konkurrenz wird zum Erziehungsziel, Solidarität bleibt auf die Familie beschränkt. Luxus wird zur Normalität des Lebens, Gier eine respektable Lebenshaltung. Gleichzeitig werden arme Menschen zu maßloser Armut gezwungen. Verhungern der fernen anderen wird zu einem zumindest hinnehmbaren wenn nicht sogar zu akzeptierenden Lebensschicksal. Die Rettungsschirme sichern die Banken, statt die in Armut gedrängten Menschen.“

Das ist, bei Licht betrachtet, auch noch und wieder die Welt nach Himmelfahrt – nachdem Jesus sich verabschiedet hat. Hat Gott sich verabschiedet von dieser Welt? Die Menschen standen da und sahen Jesus nach und dann? Vielleicht beginnt da schon die Retouschierung der Geschichtsschreibung und das Beschönigen des Lebens. Denn Lukas schreibt: „Sie aber beteten und kehrten dann mit großer Freude nach Jerusalem zurück und waren allezeit im Tempel und priesen Gott.“ Ob das die ganze Wahrheit ist? Die Alleingelassenen in großer Freude? Wer wäre je nach dem Abschied von einem geliebten Menschen in großer Freude nach Hause zurückgekehrt? Das fällt mir schwer zu glauben. Zumindest ging es so freudig dann nicht weiter. Es bleiben Menschen zurück voller Sehnsucht, denen etwas fehlt wie ihre andere Hälfte, versehrte, verletzte Menschen, Menschen mit „Gotteshunger“, wie Dorothee Sölle es genannt hat.

Und dann bleibt uns das, was geschrieben steht und seit damals verkündigt wird, die Botschaft von Leiden und Auferstehung Jesu und von der Buße zur Vergebung der Sünden.

Was ist solcher Glaube? Wie kann man diesen Glauben predigen? Ehrlich, so dass Trost nicht zu einer Vertröstung, ja zu einer Lüge wird?

Vielleicht nur so, indem man all das, was nicht in Ordnung ist, zugibt und nicht beschönigt. Der Glaube ist die Kraft, genau dies auszuhalten. Und – so paradox das auf den ersten Blick klingt – vielleicht ist genau dies tröstlich und befreiend, dass wir nicht länger lügen müssen, nicht länger etwas beschönigen und verteidigen müssen. Ein Trost, der uns einredet, letztlich sei doch alles irgendwie in Ordnung, stößt uns doch im Grunde in die Trostlosigkeit zurück. Diese Erfahrung hat doch wahrscheinlich jeder schon gemacht, wenn er etwas zu bewältigen hatte in seinem Leben, und da kamen all die guten Leute mit ihren Ratschlägen und dem „Das wird schon wieder“ und „Nimm es nicht so schwer“. Ich glaube nicht, dass auch nur einer unter uns das als Trost empfunden hat. Tröstlich ist es gerade, nicht mit solchen faden Wattebäuschchen abgespeist zu werden, sondern ganz ehrlich sagen zu können: Ja, so ist es, und so ist es nicht gut, aber das muss ich nicht beschönigen oder vertuschen.

Und dann sagt der Glaube zwei Dinge: So, wie du bist, bist du angenommen von Gott. Aber auch dies: „Christsein bedeutet das Recht, ein anderer zu werden.“ (Dorothee Sölle)

Wonach sehne ich mich eigentlich mehr: So sein zu dürfen, wie ich bin? Oder das Recht eines Christenmenschen zu haben, ein anderer werden zu dürfen? Ich bin nicht sicher. Könnten Sie das für sich sagen? Vielleicht geht es auch diesen beiden Hälften des Glaubens so, wie den auseinandergebrochenen Teilen der Kugel bei Platon: Sie sehnen sich nach einander. Und sie finden oft nicht zusammen. Die Zusage: Du bist angenommen, wie du bist. Und die Verheißung: Du kannst ein anderer, eine andere werden.

Darin findet der Weg Jesu über Kreuz und Auferstehung auch nach der Himmelfahrt seinen Nachhall. Jesu Weg über das Kreuz heißt für mich: Tröste die Kreuze und Tiefpunkte nicht weg, vertröste nichts. Aber gerade darin, sie zulassen zu können, liegt der Weg aus ihnen heraus. Dann fällt die ganze Last des Lügens und Beschönigens weg. Von da an kann es bergauf gehen, kann es anders werden. Der Glaube ist keine Beruhigung, er ist vielmehr sogar eine dauernde Beunruhigung, weil er daran erinnert, dass das Leben nicht ist, wie es sein sollte. Aber er ist gerade darin tröstlich, weil auch noch das Leben, das so anders ist, als Gott es gewollt hat, von ihm angenommen ist. Tiefer kann man nicht in der Liebe gegründet sein als mit solchem Glauben.

Jesus macht die Träumenden zu Handelnden und die Handelnden zu Träumenden. Und so gehen die, die da stehen und ihm noch träumend nachsehen, los und handeln und träumen wieder und handeln erneut und leben und spüren ihren Gotteshunger. Das ist unser Leben, und es ist gut so, und Gott gibt uns und unserer Sehnsucht und unserem Gotteshunger: so viel wir brauchen. Amen.

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