Lukas 7, 11-17

15.09.2013 | 02:00

Prof. Johann Michael Schmidt

Wer sich an die empfohlenen Predigttexte hält, kann schon einmal in Schwierigkeiten geraten; dh. ihm begegnet ein Text, der ihn beim ersten Lesen nicht anspricht, der ihm langweilig erscheint oder schwierig. So ist es mir in der Vorbereitung des für heute empfohlenen Predigttextes gegangen. Es ist die Erzählung von der Totenerweckung des Jünglings zu Nain aus Luk 7, 11- 17; wir haben sie eben als Evangelium gehört.

11     Und es geschah einige Zeit danach, er (Jesus) ging in eine Stadt genannt Nain, und es gingen mit ihm  seine Jünger und eine Menge, eine große.

12     Als er aber sich näherte dem Tor der Stadt, siehe, da wurde heraus getragen ein Toter, der einzig  geborene Sohn seiner Muter, und sie war eine Witwe, und eine große Menge der Stadt war mit ihr.  

13     Und siehe, als sie sah der Herr, ergriff ihn Mitleid mit ihr, und er sagte zu ihr: „Nicht weine!“ 

14     Und er trat hinzu und berührte die Bahre, die Träger aber blieben stehen, und er sagte: „Jüngling,    dir sage ich: Steh auf!“

15     Und es setzte sich auf der Tote und begann zu reden, und er (Jesus) gab ihn wieder seiner Mutter.

16     Es packte aber Furcht alle, und sie verherrlichten den Gott (Israels), sagend, dass ein großer Prophet aufgestanden sei mitten unter uns und dass fest in den Blick genommen hat der Gott (Israels) sein Volk (Israel)

17    Und es ging hinaus dieses Wort in ganz Judäa über ihn und im ganzen   umliegenden Land.


Die Geschichte klingt so einfach und glatt und – von unserer Wirklichkeit und unseren Erfahrungen meilenweit entfernt: Totenerweckungen erleben wir nicht, und die Erklärung des Geschehens mit Hilfe von Scheintod- oder Nahtoderfahrungen macht die Sache nicht besser; denn sie versucht, mit einem gewaltigen Sprung über den Graben zu springen, der uns von der damaligen Zeit, ihren Vorstellungen und Erfahrungen trennt; außerdem bleibt der Blick allein darauf fixiert, ob so etwas damals wirklich geschehen sei.

            Was tun? Mir hilft, wenn ich mein bibelwissenschaftliches Handwerkzeug zur Hand nehme und so vorgehe wie bei der bibelwissenschaftlichen Beschäftigung mit einem Text wie unserem Predigttext. Das heißt: Ich frage nach dem Text und seiner Geschichte, ich frage also nach den Menschen, unter denen der Text zuerst erzählt wurde und wie das vor sich gegangen sein mag. Ich schiebe die Frage  nach dem, was da von Jesus erzählt wird und was da geschehen sein möge, zur Seite. Statt dessen frage ich nach den Menschen, die diese Geschichte zuerst gehört haben: Wann und wo und wie lebten sie, unter welchen Bedingungen? Welche Probleme treiben sie um? Auf welche sollte die erzählte Geschichte antworten?

            Ich stelle mir eine Gemeinde vor, in der aus dem Luk.-Ev. vorgelesen wird, auch der heutige Predigttext. Wo befindet sich diese Gemeinde, und was ist das für eine Gemeinde? Nach allem, was wir wissen, liegt die Gemeinde in Mazedonien oder Kleinasien, in jedem Fall in einer griechisch (hellenistisch) geprägten Umgebung. Die Gemeinde besteht vorwiegend aus Nichtjuden, auch der Verfasser mit dem verbreiteten Namen Lukas ist Nichtjude.

Der Verf. mag möglicher Weise zu den sog. Gottesfürchtigen gehört haben; diese Gruppe wird mehrfach in der Apg. erwähnt; es handelt sich um gebildete Nichtjuden, auf die das Judentum eine starke Anziehungskraft ausübte und zwar auf Grund seines Gottesglaubens und seiner Ethik; die Fülle der Zeremonialgesetze dagegen wie Beschneidung, Reinheits- und die Speiseregeln hinderte sie, selbst Juden zu werden. Sie kannten sich gut aus im Judentum und fühlten sich ihm eng verbunden. Dass diese Menschen besonders empfänglich waren für die Missionspredigt der Christen, etwa des Paulus, leuchtet ein. In dem, was Paulus und seine Schüler als Evangelium verkündeten, fanden die Gottesfürchtigen alle Vorzüge des Judentums, ohne die unangenehmen und fremden Riten und Regeln; das Evangelium bot ihnen sozusagen ein leichtes Judentum.

Aus ihrer Umgebung waren der Gemeinde Wunder- und Heilungsgeschichten von göttlichen Wundertätern vertraut. Es gibt erstaunliche Parallelen zu biblischen Totenerweckungen. Solche Totenerweckungen  kannten sie aus ihrer „Bibel“, dh. den „ Schriften“, die sie mit den Juden gemeinsam hatten und die später unser AT wurden.

Solche Geschichten waren beliebt. Sie waren nicht nur spannend und unterhaltsam; sie trafen auch die Stimmung, die damals im ganzen Mittelmeerraum herrschte: Die Menschen waren tief verunsichert: Alte und neue Vorstellungen von Leben und Tod, von Gegenwart und Zukunft, von Diesseits und Jenseits geisterten durch ihre Köpfe. Sehnsucht nach Klarheit, nach Gewissheit, nach Erlösung bestimmten ihr Lebensgefühl. Das bedeutete: Wundertäter, Magier und Scharlatane hatten Konjunktur und ebenso Geschichten von ihnen.

            In einem solchen Milieu also  ist das LukEv. entstanden und verbreitet worden, auch die Erzählung vom Jüngling zu Nain, unser Predigttext, die sich übrigens nur bei Luk findet.

Wann ist das geschehen, wann also hörten die Menschen in der  Gemeinde des Lukas zuerst diese Geschichte? Das geschah etwa um das Jahr 90, das bedeutet rund 60 Jahre nach Jesus. Zu der Zeit lebte kein Augenzeuge Jesu oder einer seiner Jünger mehr, der die Geschichte hätte erzählen können. In diesen 60 Jahren ist viel passiert: Sie lebten zwar im Osterglauben, aber die Erwartung, dass der Auferweckte alsbald wiederkommen werde, hat sich nach dann schon mehreren Generationen nicht erfüllt. Zugleich war aus einer kleinen jüdischen Gemeinschaft von Jesusanhängern eine rasch wachsende Bewegung geworden und zwar immer mehr von Nichtjuden, von Christen aus den Völkern.  

Tauchen Sie mit mir ein in das Leben einer solchen Gemeinde, lassen Sie sich entführen in fantasievolle Vorstellungen,  wie die Gemeinde des Luk.Ev. auf die Geschichte von der Totenerweckung des Jünglings aus Nain reagiert haben – könnte.

Als erstes stelle ich mir vor, dass die Geschichte der Gemeinde ihre Lage bewusst macht: Jesus ist leibhaft nicht unter ihnen, auch kein Jünger, dh. keiner ist da, der einen Toten wieder lebendig machen könnte. „Was soll die Geschichte, wenn wir so etwas nie erleben?“ mögen sie gefragt haben und an ihre Toten gedacht haben, auch an Todesfälle wie den, von dem die Geschichte des Jünglings zu Nain handelt.

 Der Vorleser der Geschichte nickt: „Jawohl Jesus ist längst leibhaft nicht mehr unter uns. Was die Zeitgenossen Jesu damals, vor etwa 60 Jahren in Israel erlebt haben, erleben wir nicht“.

Aber“, so fährt er fort, „wenn wir genau hinhören, können wir mancherlei in der Geschichte entdecken, wie Lukas sie erzählt und welche Einzelheiten er hervorhebt: Jesus gegenüber stellt Lukas die Mutter in den Mittelpunkt. Ihre furchtbare Lage betont er: Sie ist Witwe und hat ihren einzigen Sohn verloren, ihren einzigen Ernährer. Jesus sieht die Mutter, so heißt es, und mit ihr hat er Mitleid. >Weine nicht<, sagt er zu ihr. Erst dann hält Jesus den Trauerzug an und spricht den Toten an: >Jüngling, Dir sage ich: Steh auf!< Das klingt feierlich und betont die Kraft der Worte Jesu. Das klingt nach einem festen Schema, wie solche Erzählungen in den Evangelien gestaltet werden.

Und dann geht die Erzählung knapp und nüchtern weiter, Schritt für Schritt: „Und es setzte sich auf der Jüngling, und er begann zu reden, und er – Jesus - gab ihn zurück seiner Mutter“. Darauf läuft die Geschichte, wie Lukas sie erzählt, hinaus: Die Mutter hat ihren einzigen Ernährer wieder, er lebt und darum kann auch sie leben!“

Der Erzähler lenkt also die Aufmerksamkeit darauf, was der Tod für seine Mutter, eine Witwe, bedeutete; und dann, was sein wieder geschenktes Leben für ihr Leben bedeutete.  Diese Blickrichtung der Erzählung war den Zuhörern noch nicht aufgefallen; sie hatten gebannt nur auf das Wunder gestarrt, an die Mutter hatten sie weniger gedacht.

Und doch wollten einige wissen, ob das wirklich so geschehen sei, wie Lukas es erzählt. „Das kann ich mir gut vorstellen“, antwortete der Vorleser. „Aber das war damals nicht einzigartig; Wunderheilungen, auch Totenerweckungen wurden von vielen Wundertätern erzählt, von jüdischen und anderen. Auf das, was da passiert ist, kommt es nicht an. Es kommt vielmehr darauf an, wie die Geschichte erzählt wurde und was danach das Wunder in den Menschen bewirkt habe, die dabei gewesen seien; es heißt, es sei eine große Menge gewesen (V. 11)“. Um das seiner Gemeinde zu erklären, liest er ihnen noch einmal den Schluss der Geschichte vor:

Es packte aber Furcht alle, und sie verherrlichten den Gott Israels mit den Worten, dass ein großer Prophet erweckt worden sei mitten unter uns und dass fest in den Blick genommen hat der Gott Israels sein Volk“. (Hier muss ich eine Bemerkung einschieben: Im Luthertext heißt es: „Gott hat sein Volk besucht“. Das versteht heute keiner mehr; es geht um die Zuwendung Gottes zu seinem Volk „mit einem festen Blick“).

Besonders an einem Detail bleiben die Zuhörer hängen, an der Rede von dem „Gott

Israels“.  Als einige nachfragen, räumt er zwar ein, dass die Geschichte nur von Gott spricht. „Aber“, so fährt er fort, „Gott ist doch der Gott Israels, das ist der Gott unserer Bibel, die wir mit den Juden teilen. Der Gott, von dem diese Jesusgeschichte wie alle anderen handeln, ist nicht irgendein Gott, nicht der Gott der Griechen, nicht Zeus oder Jupiter“.

Die Zuhörer begreifen, dass die Geschichte von der Totenerweckung durch Jesus im jüdischen Volk verwurzelt ist. Jetzt, so spinne ich meinen Faden weiter, verstehen sie auch die beiden Aussprüche, die Lukas den Zuschauern in den Mund gelegt hat: „Ein großer Prophet ist erweckt worden mitten unter uns, und Gott hat fest in den Blick genommen sein Volk“. So konnte es auch in einer biblischen sprich: alttestamentlichen  Geschichte stehen. Lukas stellt seine Geschichte also betont in einen biblischen Rahmen, dh. mitten in das jüdische Volk: „Dadurch“, so erklärt der Vorleser, „bekommt das Wunder seine eigentliche Aussagekraft: Was Lukas von Jesus erzählt, deutet er als Zuwendung des Gottes Israels zu seinem Volk, durch einen großen Propheten, eben durch Jesus“.

            Die Menschen, die das hören, - so stelle ich mir vor – reagieren zwiespältig: „Das ist ja eine wunderbare Geschichte. Aber jetzt wird es uns noch deutlicher, dass so etwas nicht unter uns geschehen kann; denn wir gehören gar nicht zum jüdischen Volk, wir stammen aus den Völkern. Was haben wir mit dem jüdischen Volk zu tun, das am Ende mit Jesus nichts zu tun haben wollte, das mit uns nichts zu tun haben will?

            Die Verwirrung ist groß. Der Vorleser, so fantasiere ich weiter, hat es nicht leicht, Verständnis für seine Deutung zu finden: „Lukas“, versucht er zu erklären, „war alles daran gelegen, den Christen aus den Völkern von Beginn seines Evangeliums an klar zu machen, wie untrennbar Jesus mit seinem eigenen Volk verbunden ist. Lukas erzählt in seinem Evangelium aber auch, wie Ihr wisst, was schließlich aus Jesus geworden ist: Nur ein kleiner Teil seines Volkes hat Jesus über seinen Tod hinaus die Treue gehalten; dieser kleine Teil war überzeugt, dass der Gott Israels Jesus nicht im Tod gelassen, dass er ihn auferweckt habe; dieser kleine Teil hat sein Werk fortgesetzt und zwar mehr und mehr unter Nichtjuden. Jesus wurde dadurch zum >Propheten< für die Nichtjuden, er wurde zum Künder seines Gottes, des Gottes Israels, unter den Völkern, auch unter uns!

Wir können uns also“, so redet sich  der Erzähler womöglich immer mehr in Begeisterung, „wir können uns und unsere Rolle in der Geschichte, die ich Euch nahe bringe, wieder finden: Es sind sogar zwei Rollen: Zuerst übernehmen wir die Rolle Jesu. Wir können zwar einem Toten das Leben nicht wieder geben; wir können aber das Leben einer Mutter retten, die ihren einzigen Sohn und Ernährer verloren hat. So können wir das Werk Jesu unter uns Nichtjuden fortführen. Damit können wir auch zeigen und erfahren, was es bedeutet, dass Gott Jesus auferweckt hat. Jesus selbst ist zwar leibhaft nicht mehr da, aber sein Werk wirkt weiter durch diejenigen, die ihm nachfolgen. Jesus lebt in seiner Gemeinde“.

Und“, so fährt der Vorleser in meiner Fantasie fort, „wir können zugleich auch in die Rolle der damaligen Zuschauer schlüpfen: Wir können wie sie unseren Zeitgenossen von dem Gott Israels und von Jesus und von seinem jüdischen Volk erzählen. Wir können wie sie unseren Mitmenschen in der Unsicherheit unserer Zeit einen Lebensweg zeigen, einen Weg, auf dem die Sehnsucht vieler Zeitgenossen nach Klarheit, nach Gewissheit und Erlösung  ein gutes Stück erfüllt würde. Wir können mit dieser Jesusgeschichte unseren nichtjüdischen Mitmenschen klar machen: Jesus macht uns Nichtjuden nicht nur mit dem Gott seines jüdischen Volks bekannt und verbindet uns mit ihm, sondern auch mit seinem Volk; der Gott Israels und sein Volk nämlich gehören zusammen. Darum spreche ich auch von >seinem Volk Israel>, das >der Gott Israels fest in den Blick genommen hat<“.

Zur Bekräftigung seiner Gedanken  weist der Vorleser – in meiner Vorstellung – seine Zuhörer auf den Anfang des LukEv. zurück, wie er es eben schon getan hatte. Er ruft ihnen die Szene mit dem greisen Simeon ins Gedächtnis, die Luk im Zusammenhang mit der Geburt Jesu erzählt: Als Simeon das Jesuskind auf den Armen gehalten habe, so heißt es, legt Lukas ihm einen wunderbaren Lobgesang in den Mund, das bekannte ‚nunc dimittis’. >Meine Augen haben dein Heil, Gott Israels, gesehen, das du bereitet hast vor den Völkern, ein Licht zur Offenbarung für die Völker und zur Verherrlichung deines Volkes Israel< (2, 30- 32). „Kommt Euch das nicht bekannt vor“, fragt der Vorleser seine Zuhörer: >Verherrlichung des Gottes Israels und seines Volkes  vor den Völkern< und >Offenbarung seines Heilshandelns an seinem Volk für die Völker?< Das eignete sich doch als Schlusspointe zu unserer Geschichte, der Geschichte von der Totenerweckung des Jünglings aus Nain! In dieser Geschichte, so will ich sagen, erfüllt sich der Lobpreis des Simeon“

            So weit meine Vorstellung: Ich wollte Sie, liebe Blankeneser Gemeinde, in die Gemeinde des Lukas entführen, in der die Geschichte vom Jüngling zu Nain erzählt wurde und in der sie lebhafte Fragen ausgelöst haben dürfte, rund 60 Jahre nach Jesus und ohne seine leibhafte Gegenwart, damals in Griechenland oder Kleinasien. Ich habe frei fantasiert, gewiss, aber ich bewege mich auf festem Boden. Den festen Boden verschafft mir die Bibelwissenschaft, mit ihrem Handwerkszeug, mit ihren Mitteln und Zugangsweisen zu biblischen Texten. So hat mich dann auch der heutige Predigttext gepackt, der mir zunächst so fremd klang: Er erschloss sich mir, indem ich nach den Menschen fragte, unter denen er erzählt wurde und die ihn weiter erzählt haben.

            Und was löst diese Entführung in eine ferne Vergangenheit in uns heute aus? Da gibt es mehrere Gemeinsamkeiten über den weiten Zeitabstand hinweg:

Erstens: Wir befinden uns heute grundsätzlich in der gleichen Lage wie die Gemeinde des Lukas damals: Auch von uns hat keiner Jesus je gesehen; auch wir erleben Jesus nur aus den Geschichten, die die Generationen vor uns von ihm erzählen, genau wie damals zur Zeit, als Lukas seinen nichtjüdischen Gemeinden seine Jesusgeschichten erzählte. Heute sind es zwar viele Generationen mehr, die uns zeitlich von Jesus trennen; aber das ist nur ein quantitativer Unterschied. Entscheidend ist: Jesus war damals leibhaft nicht mehr da, und er ist heute leibhaft nicht mehr da.

            Zweitens: Auch wir  können - wie die die Gemeinde des Lukas - keine Toten aufwecken; aber auch wir können heute wie sie damals die materielle und soziale Not lindern, in die der Tod oft zusätzlich zum Schmerz des Verlustes Überlebende stürzt. Auch wir können wie die Gemeinde des Lukas das weiter tun, was Jesus getan hatte, wir können sein Werk am Leben halten, einen Abglanz von Ostern erfahren und erfahrbar machen.

            Und drittens: Was damals zur Zeit des Lukas geschah, geschieht heute, wenn wir, Nichtjuden wie er, Jesusgeschichten aus seinem jüdischen Volk einander und anderen erzählen. Zumindest dämmert uns dann etwas von dem Licht des Gottes Israels, das in Jesusgeschichten aufleuchtet: Der Gott, von dem die Jesusgeschichten handeln und den wir „unseren Vater im Himmel“ nennen, ist der Gott seines jüdischen Volkes. Das wird dann ein Stück Erfüllung aus dem Lobgesang des Simeon: „Ein Licht zur Offenbarung des Gottes Israels  für die Völker und zur Verherrlichung seines Volkes Israel“.  

AMEN

 

Johann Michael Schmidt

In den Wundergeschichten finden wir dann nicht nur Großartiges von Jesus; hören wir nicht nur, was er unter seinem Volk getan hat, wie er gewirkt hat und was damals vor langer, langer Zeit geschehen sein soll. In den Wundergeschichten finden wir auch ein Vorbild für unser Handeln mit unseren Mitteln. Einen Teil der Zeichen, auf die Jesus in seiner Antwort auf die Frage Johannes d. Täufers aus dem Gefängnis verwiesen habe – Lukas erzählt die Szene  gleich im Anschluss an unseren Text, - einen erheblichen Teil dieser Zeichen können wir wie Jesus, können wir an seiner Statt tun: „Blinde sehen, Gelähmte gehen, Aussätzige werden rein, Taube hören und Armen wird das Evangelium verkündigt“.  Zumindest in unserer westlichen Welt können wir eine erstaunliche Menge solcher Zeichen tun, wie Jesus; gewiss können wir nicht alle heilen; aber was wir heute können, ist er erheblich mehr als damals zur zeit des Lukas Menschen möglich war. Stehen wir darum Jesus näher als die Menschen zur Zeit des Luk.Ev. und des NTs? Ein tiefer Unterschied bleibt: Wir können nicht Tote erwecken; die Menschen damals glaubten zumindest, dass Jesus es konnte.

Stehen wir Jesus näher als die Menschen zur Zeit des Lukas und des NTs? Verstehen wir Jesus auch besser als die Menschen damals? Wer ist aber überhaupt Jesus für uns? – Das führt mich zu einem anderen Thema aus unserem Predigttext, über das sich die Menschen in der Gemeinde des Lukas die Köpfe heiß geredet haben könnten: Was sagt die Geschichte von der Totenerweckung über Jesus aus?

Nur ein oberflächlicher Blick sieht in Jesus einen Wunderrabbi, von denen es damals etliche gab. Lukas erzählt mit Bedacht die Reaktion der Augenzeugen und wählt dafür biblische Sprache und Bilder. Er erzählt ganz im Stil biblischer Geschichten; dh: er erzählt die Totenerweckung als eine Offenbarung des Gottes Israels. Zu solchen Offenbarungsgeschichten gehören Erschrecken, Furcht, Erfahren und Lobpreis. Der Lobpreis gilt dem Gott Israels, nicht Jesus; darin bleibt  Lukas ganz bei seiner Bibel, bei unserem AT.

Lukas gibt diesem Lobpreis auch Worte: „Ein Prophet, ein großer (bedeutender) ist erweckt worden unter uns, und es hat angenommen der Gott Israels sein Volk“. Beide Aussagen verweisen auf den Gott Israels; denn auch in dem ersten Satz, ist Gott der eigentlich Handelnde, und der Prophet erfährt sein Prophet- Sein passiv; denn wörtlich übersetzt heißt es:  „Ein großer (bedeutender) Prophet ist erweckt worden“ – nämlich durch den Gott Israels. Lukas benutzt übrigens die gleiche Formulierung, wie das NT für die Auferweckung Jesu von den Toten.

Da gibt es mehrere Stellen in unserem AT, an die Lukas gedacht haben mag, ich nenne zwei: Die Totenerweckung lässt an Elia denken, von dem die Erweckung ebenfalls eines einzigen Sohnes einer Witwe erzählt wird (1Kön 17, 23). Hier dient das Wunder als Beglaubigungszeichen des Propheten Elia. – Im Blick auf Überlieferungen von Jesus dürfte eine andere Stelle eher noch in Betracht kommen: Im 5. Buch Mose  wird Mose folgende Ankündigung in den Mund gelegt: „Einen Propheten wie mich (Mose) wird dir JHWH, dein Gott, erwecken aus dir (Israel) und aus deinen Geschwistern; auf den sollt ihr hören“.

Diese Verheißung hat zur Zeit Jesu und danach im Judentum eine große Rolle gespielt: Sie wurde auf die Endzeit gedeutet. In diesem Sinn spielt auch Luk mehrere Male darauf an (7, 39; 9, 35); in der Rede des Stephanus zitiert Luk die Verheißung sogar wörtlich. Darum liegt es nahe, dass Lukas seinen Hörern und Lesern Jesus nicht nur als einen Wunder wirkenden Propheten nach der Art des Elia vor Augen und Ohren führt, sondern zugleich als endzeitlichen Lehrer der Tora nach dem Vorbild des Mose.

Dazu passt dann auch die zweite Aussage: Die Totenerweckung des Jünglings zu Nain spricht Lukas als Erweis dafür an, „dass der Gott Israels sein Volk angenommen hat“. Über diese Aussage wunderten sich viele in der Gemeinde des Lukas, waren sie doch keine Juden, waren es auch nie gewesen; was ging sie das an?

Der Vorleser oder Prediger musste es erklären: „Die ganze Jesusgeschichte“, so fing er an, „gehört in die vorherige Geschichte des Gottesvolkes Israels. Lukas, der auch kein Jude war, hatte das aber begriffen, dass Jesus untrennbar mit seinem Volk verbunden war und selbst nichts anderes wollte als sein Volk noch einmal zu sammeln und zu seinem Gott zurückzuführen. Darum verweist er immer wieder auf die Schriften Israels und zitiert sie immer wieder. Lest darauf nur noch einmal die Kindheitsgeschichte. Ein Großteil seines Volkes allerdings hat das grausame Ende Jesu nicht verstanden. Sie hatten gedacht, er wäre es, der Israel erlösen, dh. von der Fremdherrschaft befreien sollte. So lässt Lukas die beiden Jünger auf dem Weg nach Emmaus klagen (Luk 24, 21). Den Jüngern und etlichen Anderen sind in der Begegnung mit Jesus beim gemeinsamen Essen die Augen aufgegangen. Sie haben sich auf den Weg gemacht und die Botschaft von der Auferweckung des Gekreuzigten zuerst zu ihren Geschwistern gebracht.

Auf diesem Weg sind sie aber auch immer wieder auf Ablehnung gestoßen; im kleinasiatischen Antiochien, so erzählt es Luk in der Apg, kam es zum Bruch: Nachdem etliche Juden Paulus und Barnabas widersprachen und sie verhöhnten, legt Lukas ihnen diese Worte in den Mund: >Euch, ihr Juden, musste das Wort Gottes zuerst gesagt werden; da ihr es aber von euch weist ..., siehe, so wenden wir uns zu den Völkern< (Apg 13, 46) Und wieder zitiert Luk dazu die Schrift aus Jes 49, 6: >Ich habe dich – und damit meint Lukas Jesus – gesetzt zum Licht der Völker, dass du die Rettung seiest bis ans Ende der Welt<.

Genau, so fuhr der Vorleser fort, habt Ihr es erlebt; ich Nichtjuden habt Jesus angenommen und durch ihn den Zugang zum Gott seines Volkes und zu seiner Geschichte gefunden. Durch Jesus gehört auch ihr jetzt zu Gottes Volk. Darum betont Lukas immer wieder, dass Jesus mit seinem Volk verbunden bleibt. Darum erzählt er dann auch die Totenerweckung in Nain als Zeichen, dass der Gott Israels durch Jesus an seinem Volk handelt. Darum lässt er in dieser Geschichte auch Jesus in den Augen der Anwesenden als „einen großen, einen bedeutenden Propheten“ auftreten. Ein Prophet ist das Sprachrohr Gottes. Und das gilt vor allem jetzt für uns Nichtjuden“.

Vielleicht hat der Vorleser oder Prediger des Luk.Ev. so oder so ähnlich gesprochen: Jesus ist das Sprachrohr des Gottes Israels, und er hat damit die Aufgabe erfüllt, die er seinem Volk gegeben hat, „ein Licht zur Erleuchtung der Völkern“, wie Lukas den greisen Simeon das Jesuskind zu Beginn seines Evangeliums rühmen lässt (1, 32). 

Ich habe Ihnen jetzt den Weg gezeigt, wie mir der heutige Predigttext lebendig geworden ist, wie ich seine Fremdheit überwunden habe. Ich habe nicht danach gefragt, was ursprünglich damals in Nain zu Lebzeiten Jesu geschehen sein mag; darüber können wir nur spekulieren. Ich habe mich an die Menschen gehalten, unter denen Lukas diese und alle anderen Jesusgeschichten erzählt hat. Mit ihnen habe ich schnell Gemeinsamkeiten gefunden: Sie waren keine Juden - wie wir. Sie haben Jesus leibhaft nicht erlebt - wie wir. Sie haben durch das Erzählen ihrer Vorfahren von Jesus erfahren – wie wir. Sie haben begriffen, dass sie als Nichtjuden durch Jesus mit dem Gott seines Volkes und dadurch auch mit seinem Volk verbunden worden sind – wie wir. Sie konnten leben und handeln nach seinem Vorbild – wie wir. Sie konnten zwar keine Toten erwecken – wie wir; aber sie konnten für die Hinterbliebenen sorgen – wie wir. Sie haben das Werk Jesu fortgeführt – wie wir; in mancher Hinsicht, was die Heilung von Krankheiten anbelangt, können wir sogar mehr als sie damals vor bald 2000 Jahren. Aber nur dann führen wir ihr Werk fort, wenn wir es tun im Geist Jesu – wie sie.

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