Matthäus 11, 25-30 | Sonntag Kantate

28.04.2013 | 02:00

H. Plank | 3. Sonntag nach Ostern

Liebe Gemeinde,

„Singen ist ein Verhalten mit transzendenter Tendenz“ - sagt der Göttinger Theologe Manfred Josuttis. Schaun wir, was er meint und ob das stimmt.

Singen ist in der Entwicklung der Menschheit entstanden als Begleiterscheinung zur Arbeit. Singen war im Ursprung also kein Freizeitverhalten, auch kein religiöses Verhalten, sondern Teil der täglichen Arbeit. Aus dem Schreien und Stöhnen beim Holzspalten, aus den Rufen bei der Ernte zum Beispiel wurde rhythmisches Rufen, nach und nach melodisch geformt. So erleichterte das Singen, die Kraft zu sammeln und gesammelt aus sich herauszulassen. Das heißt: Schon diese Urform des Gesangs hatte etwas mit der Seele des Menschen zu tun. Sich im Schreien, Stöhnen oder rhythmischen Rufen Luft machen oder Kräfte sammeln zu können, ist ein Ausdrucksmittel von Körper und Seele. Arbeiteten mehrere Menschen zusammen, so koordinierte der Rhythmus des Gesangs den Rhythmus der Arbeit. Und später fanden Rhythmus und Gesang den Weg vor die Altäre, wo Menschen ihrer Not und ihrer Freude vor ihrem Gott Ausdruck gaben.

Singen war also am Anfang nicht Selbstzweck, sondern diente einem Wozu, wies immer über sich hinaus. „Transzendent“ heißt: über sich selbst hinausgehend. Der Satz von Josuttis besagt also: Singen weist immer über sich selbst hinaus, ist mehr, als es zu sein scheint; erreicht Tiefendimensionen der Seele und verleiht der Seele Ausdruck, gibt der Arbeit Rhythmus und koordiniert die Handgriffe; Singen kann uns in glücklichen Momenten ein Fenster zu Gott und in die andere Welt öffnen.

Wir können also für uns festhalten: Singen ist heilsam für die Seele, man könnte sagen, Singen ist Therapie. Singen sammelt Kräfte, lässt Klage oder Lob aus uns heraus, auch unterdrückte Schreie können sich lösen, Singen besänftigt, erregt, macht lebendig. Seit den alten Zeiten haben Heiler immer auch Musik zur Therapie eingesetzt. David spielte Harfe, um König Saul zu besänftigen. Musik am Krankenbett tröstet und weckt Lebensmut. Sie nehmen hier also an einer kostbaren Therapiestunde teil.

Singen ist Kooperation. Es verbindet das Leben in einem gemeinsamen Rhythmus, vielstimmig und individuell, und trotzdem gemeinsam. So wie wir zusammengewürfelt sind: Stellen Sie sich vor, es gäbe hier nicht den vorgegebenen Rhythmus der Liturgie und der Musik. Stellen Sie sich vor, wir müssten vor Beginn erst diskutieren, was wir wie und in welcher Reihenfolge machen wollen. Sie würden ganz schnell fortlaufen, vermute ich. Ist aber der Rhythmus der Musik und der Liturgie vorgegeben, ist das etwas, worein wir uns fallen lassen können, uns dem Rhythmus anvertrauen können. So finden wir zueinander, zu einer gemeinsamen Handlung und ahnen gleichzeitig, dass es eine Ordnung in der Welt gibt, die uns vorgegeben ist und die uns trägt. Eine Ahnung von heiler Welt.

Singen ist Kommunikation, Mitteilung an unsere Mitmenschen und an Gott. Wenn wir Klage- oder Loblieder singen, geben wir ganz private Äußerungen von uns, die als gemeinsamer Gesang doch diskret bleiben und uns nicht bloßstellen. Wir würden uns sicherlich nicht voreinander so weit öffnen, das in Worte zu fassen, was wir in unsere Lieder mit Gedanken und Gefühlen hineinlegen. Im Lied können wir uns mitteilen und zugleich diskret für uns bleiben. Vielleicht würden wir auch im Gebet nur schwer Worte finden. Die Lieder leihen uns ihre Worte. Ich finde es manchmal sogar heilsam und erleichternd, Lieder zu singen, deren Texte mir nicht ganz passen, weil sie mich damit über mich selbst hinausführen, mich wegführen davon, mich nur um mich selber zu drehen. Ich kann mich einreihen in die Gebete der Generationen vor uns. Auch das trägt. Und unser Gesang bleibt nicht in diesem Raum, sondern wandert durch eine offene Tür in die andere Welt zu Gott.

Josuttis fasst all dies in folgende unnachahmliche Sätze: „Auf präverbale Weise gestalten Körper, Seele und Geist in der Ordnung der Töne die Einsicht, dass die Welt letztlich in Ordnung ist. Im Akt des Singens findet Vereinigung statt, Integration innerhalb des singenden Menschen, Kommunikation mit anderen bei Arbeit und Spiel, Initiation in das symbolische Universum der jeweiligen Gesellschaft. Die Vereinigung geschieht im Medium der Leiblichkeit, aber anders als in der sexuellen Begegnung bleibt die Distanz zwischen den beteiligten Menschen erhalten. Im gemeinsamen Singen erweitern sich die Ich- und die Gruppengrenzen, ohne dass, wie in obsessiven Elementen der Ekstase, das Bewusstsein ausgelöscht wird. Singen ist ein Verhalten mit transzendenter Tendenz.“ (Es ist doch schön, von einem klugen Mann erklärt zu bekommen, was wir immer schon getan haben, wenn wir singen, und nur noch nicht so genau wussten.)

„Singen ist ein Verhalten mit transzendenter Tendenz“ - das stimmt in jedem Fall. Das Singen ist heute weit gehend ausgewandert aus Alltag und Arbeit. Damit ist etwas verloren gegangen, ohne Frage. Es wäre doch schön, wenn unsere Smartphones alle im selben Augenblick klingeln und wir dann singend im selben Rhythmus die Smartphones aus der Tasche nehmen und ans Ohr halten würden. In den Arbeitsvorgängen sind wir Individualisten geworden. Das Singen ist – wenn es denn überhaupt noch praktiziert wird, in den Freizeitbereich und die Religion gewandert. Etwas Gutes ist aber an dieser Veränderung: Es ist weit gehend zweckfrei geworden, ein Teil des Spiels und des Suchens der Seele nach einem Ziel außerhalb dieser Welt.

Im christlichen Glauben richtet sich das Singen auf die Hoffnung, die Jesus Christus in die Welt gebracht hat. Hoffnung auf Überwindung des Leids und der Ungerechtigkeit, Hoffnung auf Geborgenheit in der Liebe Gottes. Das sprechen wir mit unseren Liedern aus, davon lassen wir uns trösten. Singen verändert, oberflächlich gesehen, nicht die Welt. Singen kann Leid nicht verhindern oder auslöschen. Aber Singen kann eine innere Gegenwelt entwerfen, kann der Hoffnung, der Liebe oder dem Kummer Sprache geben.

Im Singen rufen die Kinder Gottes nach der Gegenwart ihres Heils. Und Gott antwortet mit seinem Wort. Mit dem Jubelruf Jesu: Gott hat die Nachricht vom Heil für die Menschen den Unmündigen offenbart, den Weisen aber verborgen. Aus dem Mund von Kindern und Unmündigen lässt Gott sich das Lob bereiten. Um Gott vertrauen und ihn loben zu können, muss man nicht studiert haben. Unser Glaube ist letztlich eine Herzensangelegenheit. Manchmal sprechen ganz einfache Menschen Herzenswahrheiten aus, die viel mehr wert sind, als kluge Bücher. Und Singen ist die Sprache des Herzens, in der jeder sprechen kann.

Doch Singen nicht alleine. Ich weite den Bogen, aus gutem Grund, und obwohl heute der Sonntag Kantate ist: Denn es haben in diesem Gottesdienst auch andere Künste ihren Platz. Ein Altar wird nachher präsentiert werden, als Teil der Vorbereitung auf den Kirchentag im Rahmen des Programms „artists in parish“. Was man über das Singen sagen kann, kann man sinngemäß über alles künstlerische Schaffen des Menschen sagen. Es ist „ein Verhalten mit transzendenter Tendenz“, das Suchen der Seele über ihren eigenen Horizont hinaus. Oder mit Goethes Worten: „Die Kunst ist eine Vermittlerin des Unaussprechlichen“.

Die Kunst ist eine Himmelsgabe. Gott hat sie uns als Sprache des Herzens gegeben. Und sie spricht selber unmittelbar zu unserem Herz. Die Kunst wird auch beim Kirchentag Menschen auf Gott ausrichten und untereinander verbinden: Im Rhythmus der gemeinsamen Lieder in Bus und Bahn, in den Gottesdiensten und Festen, in Bildern und Altären und in der Poesie. Über die Kunst finden Worte Eingang ins Herz, die Seele wird heil, weil sie sich ausdrücken kann oder vom Klang gestreichelt wird, der Körper freut sich, weil er sich im Rhythmus der Musik von Gottes Ordnung getragen fühlt.

Jesus hat gesagt: „Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken.“ Dazu hat Gott die Kunst geschaffen: ihn zu loben und uns zu erquicken. Amen.

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