Matthäus 22, 1-14 (2. Sonntag nach Trinitatis)

03.07.2011 | 02:00

Propst Dr. Horst Gorski

Und Jesus fuhr fort und sprach wieder zu ihnen in Gleichnissen: Die gerechte Welt Gottes soll man mal mit der Wirklichkeit in der folgenden Geschichte  von einem Menschenkönig vergleichen, der ein Hochzeitsmahl für seinen Sohn veranstaltete. Und er schickte seine Sklaven, um die Eingeladenen zum Hochzeitsmahl zu rufen, und sie wollten nicht kommen. Da schickte er noch einmal andere Sklaven und sagte: ‚Richtet den Eingeladenen aus: Hört her! Ich habe mein Mahl vorbereitet, meine Stiere und die gemästeten Tiere sind geschlachtet, und alles ist bereit. Kommt her zum Hochzeitsfest.’ Sie aber gingen weg, ohne sich beeindrucken zu lassen, einer zu seinem eigenen Ackerland, ein anderer zu seinen Geschäften. Die übrigen Eingeladenen überwältigten die Sklaven des Königs, misshandelten sie und töteten sie. Da wurde der König zornig und schickte seine Truppen und vernichtete die Mörder und verbrannte ihre Stadt. Dann sagte er zu seinen Sklaven: ‚Das Hochzeitsmahl ist vorbereitet, doch die Eingeladenen waren es nicht wert. Geht zu den Stadtausgängen der Straßen und ladet alle, die ihr findet, zum Hochzeitsmahl ein.’ Und diese Sklaven gingen hinaus auf die Straßen und sammelten alle ein, die sie fanden, böse und gute. Und der Hochzeitssaal war gefüllt mit Menschen, die zu Tische lagen. Der König kam herein, um die zu Tische Liegenden zu besichtigen, und sah dort einen Mann, der trug keine der Hochzeit angemessene Kleidung. Und er sagte zum ihm: ‚Mein Lieber, wie bist du hier hereingekommen ohne festliche Kleidung?’ Der aber blieb stumm. Da sagte der König zu seinen Bediensteten: ‚Bindet ihm Füße und Hände zusammen und werft ihn hinaus an einen Ort, an dem absolute Finsternis herrscht. Dort wird er schreien und vor Todesangst mit den Zähnen knirschen.’ Denn viele sind berufen, aber wenige sind auserwählt.[1]

 

 

 

Liebe Gemeinde,

in den Sissy-Filmen (die ich natürlich unzählige Male gesehen habe...) beeindruckte mich eine Szene schon als Kind: Kaiser Franz-Josef von Österreich, alias Karl-Heinz Böhm, besucht das unterworfene Ungarn gegen den Willen der dortigen Adeligen. Auf seine Einladung zu einem Staatsbankett schickt der Adel aus Protest seine Bediensteten. Sissy, alias Romy Schneider, rettet die Situation, ja kehrt sie um, indem sie sich nichts anmerken lässt und die Bediensteten formvollendet und mit bezauberndem Charme begrüßt. So steht nicht das Kaiserpaar beschämt da, sondern der Adel.

Szenenwechsel: Am 19. April 1942, dem Vorabend von Hitlers Geburtstag, dirigiert Wilhelm Furtwängler in Gegenwart des Führers Beethovens Neunte. Der Vorwurf, die Einladung zu diesem Gala-Auftritt nicht abgelehnt zu haben, wird ihn ein Leben lang verfolgen.

Erneut Szenenwechsel: Nehmen Sie einen beliebigen totalitär geführten Staat dieser Erde und sehen Sie vor sich die jubelnden Massen auf den Straßen zum nationalen Feiertag. Kaum einer wird freiwillig gekommen sein. Wie viel Mut bedeutet es, die Einladung auszuschlagen? Welche Konsequenzen müssen die, die es wagen, in Kauf nehmen?

Liebe Gemeinde, mit diesen vielleicht überraschenden Szenen räume ich erstmal unsere gängigen Bilder dieser Geschichte von der Bühne ab. Wir denken gewohntermaßen an  unsere eigenen, harmlosen Feiern, an Verletzungen durch Absagen, und sind innerlich sofort voll auf der Seite des gekränkten Gastgebers. Immer diese Leute, die gerade was anderes vorhaben, wenn man sie einladen will oder braucht! Schaut man die Geschichte aber mit distanziertem Blick an, so fällt doch auf, in welchem Umfeld gewaltsamer Exzesse sie spielt. Wenn es um eine harmlose Einladung ginge, wären die Morde, die anschließend von beiden Seiten verübt werden, nicht erklärlich. Ich kann den gewaltsamen Verlauf der Handlung nur verstehen, wenn ich Bilder von Einladungen wachrufe, die Teil von Herrschaft und Machtdemonstrationen sind. Dass der Gastgeber ein König ist, sollte die Gedanken doch eigentlich auch von vornherein in die Sphäre von Machtpolitik lenken. Wir sind es nur so gewohnt, die Geschichte zu verharmlosen.

Wenn man an die Stelle der gewohnten Bilder aber die von mir gewählten Szenen setzt – bekommt man dann nicht mit der Übertragung auf Gott ein dickes Problem? Soll Gott einem Despoten oder einem Gewaltherrscher gleich gesetzt werden?

Noch mit einer weiteren Gewohnheit muss ich brechen: Meist wird der Anfang in etwa übersetzt mit „das Himmelreich gleicht einem König usw.“ In Wirklichkeit steht dort ein Wort, das ungefähr bedeutet: „das Himmelreich soll man mal vergleichen mit...“ Dieser Unterschied ist umso deutlicher, als Matthäus in allen seinen anderen Gleichnissen (vom Sämann, vom Schatz im Acker usw.) immer beginnt mit „ist gleich“. Nur hier benutzt er ein anderes Wort. Offenbar soll das Himmelreich nicht mit der Regierung dieses Königs einfach gleichgesetzt werden. Die Aufforderung „soll man mal vergleichen mit“ lässt alles offen. Sie kann auch ausgehen mit dem Ergebnis: Eben, genau so ist die gerechte Welt Gottes nicht!  Es geht aber gar nicht schon um das fertige Ergebnis. Wichtiger scheint bei diesem Gleichnis die Aufforderung zum vergleichenden Nachdenken zu sein. Mach dir selbst Gedanken, heißt das. Vergleiche sind Schulen der Aufmerksamkeit.

Wenn ich schon dabei bin, unsere Hör- und Sehgewohnten abzuräumen, mach ich mal gleich weiter: Wenn wir über Gott sprechen, denken wir in der Regel, wir hätten etwas über Gott gesagt. In Wirklichkeit sagen wir meistens eher etwas über uns selbst. Wie und wer Gott ist – da sollten wir vorsichtig sein, was wir wirklich wissen. Und selbst die Aussagen der Bibel dazu lesen wir durch unsere menschliche Brille. Wir machen uns Gott in der Regel so zurecht, wie unsere Seele ihn braucht.

Die Rede vom „lieben Gott“. Ja, dass Gott die Liebe ist, lesen wir in der Bibel. Ein „lieber Gott“ ist aber etwas ganz anderes. Den haben wir uns gebastelt, weil wir ihn offenbar so brauchen. Harmlos eben, wie einen netten Onkel. Alles Kantige, Herausfordernde, Strafende haben wir – jedenfalls im mainstream-Glauben unserer Zeit in Europa – aus Gott verbannt.

Aber auch umgekehrt: Da wo Gott mit Zorn und Rache gepredigt wird – und das gibt es nicht nur in Teilen des Islam heute, das gab und gibt es in unserer Tradition auch – auch da machen wir Gott zum Erfüllungsgehilfen unserer eigenen Träume von Zorn und Rache. Und ich bin überzeugt, dass wir davon viel mehr in unseren Seelen haben, als wir uns heutzutage eingestehen. Vermutlich gibt es keinen Menschen, der seinen friedlichen Alltag nicht mit Träumen von Gewalt kompensiert. Im Schlaf machen wir die Menschen, denen wir uns tagsüber friedlich beugen, gelegentlich fertig, mit Worten und auch mit Taten.

So, wie das Gleichnis zur Zeit des Matthäus erzählt und aufgeschrieben wurde, hat es auch etwas mit der Seelenlage der ersten Christen zu tun. Sie verarbeiten hier die schmerzhafte Ablösung vom Judentum, dichten den Juden die Zerstörung Jerusalems („er verbrannte ihre Stadt“ dürfte ein Hinweis auf die Zerstörung Jerusalems im Jahre 70 n. Chr. sein) als Rache dafür an, dass sie Christus nicht angenommen haben.

Wenn das nun aber alles so ist, was machen wir dann damit? Was sagt uns das?

Ich nehme wörtlich, was da steht: Den Gewaltexzess im Reich dieses Menschkönigs soll man mal mit der gerechten Welt Gottes vergleichen. Das ist noch keine Antwort, sondern die Aufforderung, gründlich und aufrichtig selbst nachzudenken über Liebe und Gewalt in unserem Glauben.

Wenn ich auf den Jesus der Bergpredigt sehe, auf den Jesus der Heilungsgeschichten, auf den Jesus, der uns im „Vaterunser“ Gott als barmherzigen Vater nahegebracht hat – dann ist klar, dass die Liebe Zentrum und Richtschnur unseres Glaubens ist. So wie Paulus „Glaube, Hoffnung und Liebe“ genannt hat, „aber die Liebe ist die größte unter ihnen“. Und zum Erbe der evangelischen Kirche gehört es, von dieser Liebe aufgeklärt und freiheitlich zu sprechen. Wir sollen starke, freie Menschen sein, die aufgeklärt ihren Verstand benutzen und die Welt in Liebe gestalten. Dies in die Gesellschaft einzubringen, sehe ich heute als eine der wichtigsten Aufgaben des Protestantismus an.

Wenn Vergleiche Schulen der Aufmerksamkeit sind, dann macht mich der Vergleich in dieser Geschichte darauf aufmerksam, dass es aber auch eine dunkle Seite der Liebe gibt, die wir nicht unterschlagen dürfen. Andernfalls wird die Liebe „lieb“, zu lieb, oder „schlabberig“. Und manchmal kommt mir unser Glaube tatsächlich so vor. Liebe braucht Durchsetzungskraft, Liebe kommt ohne Grenzziehungen nicht aus. Sogar strafen muss die Liebe gelegentlich, auch wenn das immer ein heikler Grenzbereich bleiben wird. Luther ist mit Blick auf das Kreuz Jesu und unsere Leidenserfahrungen sogar soweit gegangen, dass er gesagt hat: Gott offenbart sich verborgen unter seinem Gegenteil. Auch in finsteren Zeiten des Lebens kann Gott da sein. Er kann uns gerade zum Ziel führen, indem er uns auch durch ganz bittere und dunkle Zeiten führt. Irgendwie hört das Verstehen da auf. Und man kann wohl auch nur andeutungsweise darüber sprechen. Das bleiben immer persönliche Grenzerfahrungen. Und trotzdem gibt es das. Und es ginge auch nicht ohne. Weder könnten wir unser Leben verstehen, wenn es nicht Gottes Liebe auch in finsteren Zeiten gäbe; noch könnten wir die Liebe in die Welt tragen, wenn sie nicht auch durchsetzungsstark sein dürfte. Liebe muss offene Worte vertragen, muss Unrecht Grenzen setzen können. Sonst wäre sie keine Liebe mehr.

Eine Kirche, die das Evangelium so predigt, wäre beunruhigend frei. Sie würde ihre Liebe, aber auch ihren Schatten kennen und sich eingestehen. Sie würde die Erinnerung wach halten, dass die Welt nicht ist, wie sie sein soll; dass auch wir nicht sind, wie wir sein sollen. Und dass die Liebe stark sein muss, um „Gottes gerechte Welt“ hier und da zu verwirklichen. Ein solches Evangelium würde nicht den Mantel falscher Beruhigung und Beschönigung über die Welt decken. Es würde uns sagen, dass wir geliebt sind, trotzdem. Aber eben: trotz allem. Und was dann einmal nach diesem Leben sein wird, ob Gott dort allen Menschen vergibt oder nicht – das sollten wir Gott überlassen. Wir können nur auf seine Zusage vertrauen: Die Liebe ist stärker als der Tod. Stärker als alles. Amen.

 


[1] Übersetzung von Luise Schottroff aus der „Bibel in gerechter Sprache“. Das Verb homoióthe in Vs. 2 ist selbst übersetzt mit Hilfe der Auskunft einer griechischen Grammatik zum modalen Aspekt des Aorist I. Vs. 14 ist selbst nach dem Urtext übersetzt.

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