Matthäus 7, 12 | Fastenpredigtreihe

18.03.2012 | 01:00

Friedrich Eckart Marwedel

Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da ist, der da war und der da kommt. Amen.

 

Liebe Gemeinde,

Martin Bauschke von der Stiftung Weltethos des Hans Küng, in unserer Gemeinde kein Unbekannter, hat in seinem Buch Die Goldene Regel folgende Begebenheit aus Nigeria, dem bevölkerungsreichsten Staat in Afrika, in dem sich die schärfsten Konflikte zwischen Christen und Muslimen abspielen, geschildert:

Zu Beginn der 1990er Jahre waren Imam Muhammad Ashafa und Reverend James Wuye zwei militant-religiöse Führer im Bundesstaat Kaduna. Im Verlauf der Konflikte hatten die beiden Männer versucht, einander zu töten. Der Imam war Anführer einer islamischen Miliz, der Pastor Anführer der christlichen Miliz an demselben Ort. Ein Angehöriger der Miliz des Imam schlug Pastor Wuye eine Hand ab, als dieser seine Kirche verteidigte. Die christlichen Extremisten töteten den geistlichen Berater des Imam und zwei seiner Brüder. Hass auf „den Anderen“ und der Wunsch nach Rache füllten die Herzen des Imam und des Pastors aus.

Was hat das mit der Goldenen Regel zu tun? Und was ist überhaupt die Goldene Regel?

Sie alle kennen sicher das Sprichwort Was du nicht willst, dass man dir tu, das füg auch keinem andern zu; eine Redewendung, die typisch deutsch zu sein scheint. Doch bei näherer Betrachtung habe ich festgestellt, dass es diese Maxime überall auf der Welt gibt, in fast allen Religionen und Kulturen, und dass sie schon dreitausend Jahre alt ist. Die Bezeichnung als Goldene Regel stammt allerdings erst aus neuerer Zeit, ist aber, so meine ich, als Schlagwort gut zu gebrauchen und leicht verständlich.

Schaue ich mich in der großen weiten Welt oder auch in der kleinen Welt vor meiner Haustür um, könnte ich schier verzweifeln, denn ich muss feststellen, dass viele der Großen der Welt und viele der Kleinen in meinem Umkreis die Goldene Regel offenbar vergessen haben, vielleicht, weil sie schon so alt ist oder sie nicht ernst nehmen und sie nur als Redensart abtun. Beispiele, dass die Goldene Regel keine Beachtung findet, sind Legion. Ich greife nur einige heraus.

Der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, Barack Obama reklamiert die Goldene Regel für sich. Er bleibt für mich aber unglaubwürdig, solange er sein Versprechen, das Gefangenenlager Guantanamo aufzulösen, nicht in die Tat umsetzt.

Trotz der Finanzkrise will Griechenland seinen Verteidigungshaushalt für das Jahr 2012 um 18,2 Prozent erhöhen, während gleichzeitig der Sozialhaushalt um neun Prozent schrumpfen soll. Griechenland befindet sich mit der Türkei in einem Rüstungswettlauf. Dabei gehören beide Länder der Nato an. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Natomitglieder gegeneinander Krieg führen. Ein weiterer Aspekt, der mir die Zornesröte ins Gesicht treibt, ist, dass Griechenland und die Türkei vor allem deutsche Waffen importieren; Griechenland ist der zweitgrößte Abnehmer deutscher Waffen. Die deutsche Waffenlobby wird sicher dafür sorgen, dass das so bleibt. Von der Goldenen Regel keine Spur. Es geht um Eigennutz und Profit.

Die Behandlung von Asylbewerbern und Menschen ohne Papiere entspricht nicht der Menschenwürde. Diese Menschen werden wie Objekte und nicht wie Menschen behandelt. Sie werden weggesperrt (in so genannte Abschiebehaft), obwohl sie nichts verbrochen haben und Familien werden auseinander gerissen.

Gilt die Goldene Regel nicht für die Politik?

Im näheren Umkreis beobachte ich vielfache Rücksichtslosigkeit. Man spricht nicht umsonst von der Ellenbogengesellschaft. Es geht um den eigenen Vorteil, nicht um das Gemeinwohl. Das war auch  zur Zeit des Alten und des Neuen Testaments nicht anders. Ich erinnere als Beispiel an die Geschichte im Alten Testament vom reichen und armen Mann. Sie steht im 2. Samuelbuch [12, 1-4]: Der reiche Mann nimmt dem armen Mann sein einziges kleines Schäfchen weg, um es für einen Besucher zuzubereiten, obwohl der reiche Mann über sehr viel Vieh verfügt. Im Neuen Testament fiel mir die Geschichte vom reichen Kornbauern und die Geschichte von den bösen Weingärtnern ein, die beide in allen synoptischen Evangelien bezeugt sind.

Und was sagt Jesus?

Ihr habt gehört, dass gesagt ist (2. Mose 21, 24): „Auge um Auge, Zahn um Zahn.“
Ich aber sage euch, dass ihr nicht widerstreben sollt dem Bösen. ... Alles nun was ihr wollt, dass euch die Leute tun sollen, das tut ihnen auch!

Da haben wir sie, die Goldene Regel. Sie gehört zu meinem Glauben. Sie sagt positiv, wie ich mich gegenüber meinen Mitmenschen verhalten soll: respektvoll, versöhnlich, die Würde des Anderen achtend, nicht nachtragend, sondern verzeihend. Das, liebe Schwestern und Brüder, ist schwerer als die Goldene Regel in ihrer Sprichwörtlichkeit suggeriert. Aber es ist möglich. Zwei Beispiele mögen das verdeutlichen:

Die Begebenheit, die ich am Anfang schilderte, geht weiter, nämlich so:

Überraschend trafen sie (der Imam und der Pastor) Jahre später bei einer Versammlung im Hause des Gouverneurs aufeinander. Sie wurden dazu aufgefordert, aufeinander zuzugehen und ihre Differenzen beizulegen. Der Imam ergriff die Initiative und der Pastor ließ sich darauf ein. Sie begannen, sich gegenseitig in ihren Gotteshäusern zu besuchen. Ein weiter Weg des Dialogs und der Vertrauensbildung hatte seinen Anfang genommen – durchaus gegen Widerstand in den eigenen Reihen. Pastor Wuye brauchte Jahre, um seine Rachegelüste zu überwinden. Ihn überzeugte schließlich das Wort eines anderen Predigers: „Man kann das Evangelium von der Liebe Gottes nicht mit Hass, sondern nur mit Liebe verkündigen.“ Für Imam Ashafa kam der Wendepunkt ebenfalls durch die Predigt eines Kollegen über das Vorbild des Propheten Muhammad, der Gott für seine eigenen Feinde, die ihn fast zu Tode gesteinigt hatten, um Vergebung bat. Seither bedeutet „Islam“ für Ashafa nicht mehr Kampf gegen das Christentum, sondern einen sicheren Lebensraum für alle Menschen zu schaffen. 2001 gründeten die beiden das „Interfaith Mediation Centre“, eine christlich-muslimische Versöhnungsinitiative, die durch Gespräche, Workshops und Mediation in Konflikten zwischen Muslimen und Christen zu vermitteln sucht. ... Der Imam und der Pastor sind der Überzeugung: Menschen, die ihren Mitmenschen vergeben, sind nicht schwach. Sie werden vielmehr stärker dadurch, dass sie vergeben können. Diese Macht der Vergebung haben sie allerdings nur deshalb erleben können, weil die beiden Männer sich gegenseitig vergeben konnten.

Die zweite Begebenheit betrifft den Parents Circle in Nahost.

Gegründet wurde die Organisation 1994 durch den israelischen Kaufmann Yithzak Frankenthal, dessen Sohn von den Hamas erschossen wurde. Nach dem Tod des Sohnes entschied er sich, Familien in Palästina aufzusuchen, die ebenfalls einen Angehörigen verloren haben. Bis heute umfasst der Parents Circle mehr als fünfhundert israelische und palästinensische Familien, die Angehörige, meist Söhne und Töchter, in dem Konflikt verloren haben. Jährlich halten sie, jeweils ein israelischer und ein palästinensischer Vertreter, tausend Vorträge vor Schulklassen, um das Feindbild abzubauen. Sie organisieren gemeinsame Freizeiten für Kinder und Jugendliche, sowie Aktionen, die die Menschen in dieser Region für mehr Menschlichkeit gewinnen sollen. Ihr Motto: Es hört nicht auf, wenn wir nicht miteinander reden und uns als Menschen verstehen.

Ich habe neulich den Film Hass und Hoffnung gesehen und werde den Eindruck nicht los, dass es ein langer Weg ist, den Parents Circle vor sich hat, weil offensichtlich die Kinder und Jugendlichen jeweils von ihren Eltern beeinflusst werden. Denn die Kinder, ob israelische oder palästinensische, wiederholten stereotyp, dass ihnen das Land gehöre. Um so wichtiger ist es, die Initiative des Parents Circle zu unterstützen. Deswegen sammeln wir öfter in unseren Gottesdiensten hierfür Kollekten.

Das Geheimnis der Goldenen Regel ist, dass sie mehr aussagt, als dieser eine Satz Alles, was ihr wollt, dass euch die Leute tun sollen, das tut ihnen auch oberflächlich besehen sagt. Bei genauerer Betrachtung umschließt die Goldene Regel die Verantwortung für sich und andere,  Gerechtigkeit und Fairness, Ehrfurcht vor dem Leben und Friedfertigkeit, Vergebung und Versöhnung, Mitgefühl und Liebe. So lässt sich die Goldene Regel auch als Regel der Liebe bezeichnen, denn die Liebe umfasst alles, was die Goldene Regel meint. So mündet die Goldene Regel in das Liebesgebot, wie es schon im Alten Testament [3. Mose, 19, 18] bezeugt ist und  von Jesus zitiert wird [Matthäus 19, 19]: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst oder anders ausgedrückt: Liebe deinen Nächsten, er ist wie du. Für mich unmittelbar einleuchtend ist, dass ich fair behandelt werden möchte, so wie ich mir vornehme, die Menschen, denen ich begegne, fair zu behandeln. Ich will versuchen, in Verantwortung vor Gott, dem Nächsten und  mir der allumfassenden Liebe in Gedanken, Worten und Werken gerecht zu werden. Ich bitte Gott, dass er mir dabei helfe.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle menschliche Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.

Amen.

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