Micha 4, 1 ff. | „Jeder wohnt unter seinem Weinstock und Feigenbaum“

24.03.2013 | 13:17

Barbara Schurig

Und es wird geschehen am Ende der Tage, da wird der Berg des Hauses Jehovas feststehen auf dem Gipfel der Berge und erhaben sein über die Hügel. Und Völker werden zu ihm strömen; (Jesaja 2.2-4) 2 und viele Nationen werden hingehen und sagen: Kommt und laßt uns hinaufziehen zum Berge Jehovas und zum Hause des Gottes Jakobs! Und er wird uns belehren aus seinen Wegen, und wir wollen wandeln auf seinen Pfaden. Denn von Zion wird ausgehen das Gesetz, und das Wort Jehovas von Jerusalem; (Lukas 24.47) 3 und er wird richten zwischen vielen Völkern und Recht sprechen mächtigen Nationen bis in die Ferne. Und sie werden ihre Schwerter zu Pflugmessern schmieden, und ihre Speere zu Winzermessern; nicht wird Nation wider Nation das Schwert erheben, und sie werden den Krieg nicht mehr lernen. 4 Und sie werden sitzen, ein jeder unter seinem Weinstock und unter seinem Feigenbaum, und niemand wird sie aufschrecken. Denn der Mund Jehovas der Heerscharen hat geredet. (1. Könige 5.5) (Sacharja 3.10) 5 Denn alle Völker werden wandeln, ein jedes im Namen seines Gottes; wir aber werden wandeln im Namen Jehovas, unseres Gottes, immer und ewiglich. - 6 An jenem Tage, spricht Jehova, werde ich das Hinkende sammeln und das Vertriebene zusammenbringen, und dem ich Übles getan habe. (Jeremia 31.8) 7 Und ich werde das Hinkende zu einem Überrest und das Weitentfernte zu einer gewaltigen Nation machen; und Jehova wird König über sie sein auf dem Berge Zion, von nun an bis in Ewigkeit. 8 Und du Herdenturm, du Hügel der Tochter Zion, zu dir wird gelangen und zu dir wird kommen die frühere Herrschaft, das Königtum der Tochter Jerusalem. (1. Mose 35.21)

I.

Der Prophet Micha hat Bilder gesehen, die unsere Wirklichkeit nachhaltig beeinflusst haben. Er hat Bethlehem als die „mitnichten kleinste unter den Städten Judas“ vorhergesehen, weil „von dort der Herr Israels kommen“ soll (Kap. 5, 1). Die Schwerter, die zu Pflugscharen werden, haben nicht nur in der christlichen Widerstandsbewegung der DDR und der gesamtdeutschen Friedensbewegung Sehnsüchte auf eine Formel gebracht, sondern sie dienen weltweit als Bild für den Völkerfrieden.

„Jeder wird unter seinem Weinstock und Feigenbaum wohnen.“

Dieses Bild ergänzt das Bild vom endgültigen Kriegsende um den Aspekt der sozialen Gerechtigkeit, die Voraussetzung für allen Frieden ist. Die Menschen, die „nicht mehr lernen, wie man Krieg führt“, besitzen statt Waffen nur noch jene Werkzeuge des Feldes, welche der Schöpfung ihre Herrlichkeit entlocken. Die Schöpfung  verkörpert sich in zwei Früchten, die für den Superlativ stehen: Wein! Und süße Feigen. Unter den Blättern der Bäume wird endgültig Wohnung genommen.

Jesaja, der sich – teilweise wortgleich (Kap 2, 1 ff.) - mit demselben Thema beschäftigt,  definiert, was das Besondere am Bild des Wohnens unter den eigenen fruchtbaren Pflanzen ist. Die Menschen sollen     

„nicht bauen, was ein anderer bewohnt, und nicht pflanzen, was ein anderer aufisst“ (Kap. 65, 22).

Das heißt: Es ist vorbei damit, dass Menschen sich mit brutalen Mitteln gegenseitig ihr Eigenes wegnehmen. Einsatz auf dem eigenen Acker lohnt sich, denn die Nachbarn sind vertrauenswürdig und berauben sich nicht gegenseitig. Vertrauen bestimmt das Klima. Sicher sitzt man am Ende des Tages gemeinsam da und bietet sich gegenseitig seine Weine zur Verkostung an.

„Soviel Du brauchst“ - dies ist das Kirchentagsmotto 2013, unter dem unsere Predigtreihe steht.

II.

Doch der hier  geschilderte Friede ist nur eine Vision.

Denn Micha sagt die glückliche Zukunft seines Volks angesichts der krassen Realität unsozialer und ungerechter Verhältnisse voraus, an denen er dem Königshaus und der geistlichen Führung die Schuld gibt. Die Mächtigen raffen Äcker an sich und nehmen mit Gewalt die Häuser einflussloserer Menschen an sich. Erbfolgen werden missachtet (Kap. 2,2). Wie Micha es drastisch formuliert (sinngem.): Starke zerteilen und kochen die Schwachen und fressen sie bis aufs Knochenmark auf. Und die Priesterkaste legitimiert diese Vorgänge still, wenn sie nur selber genug „zu fressen kriegt“. Kannibalistische Bilder und Bilder der  Verlorenheit unter unkontrollierter Willkür (Kap. 3, 2 ff.) schrecken mich als Leserin des Michabuchs so auf, wie mir die Vision von Genug für Jedermann Sehnsucht erzeugt.

Jeder wohnt unter seinem Weinstock und Feigenbaum: Auch für uns in Deutschland und europaweit bleibt das bisher eine bisher ganz unerhörte Aussage. Denn die südeuropäischen Länder, in denen gerade diese Früchte gut gedeihen, sind krisengeschüttelt in einem Europa, in dem das schwere Ringen um  wirtschaftlichen Ausgleich schon lange begonnen hat. Die Zeichen: Rettungsschirme, die zunehmend ungern ausgegklappt werden, wohlstandsbedingte Wanderbewegungen quer durch die Union, Medienberichte über Nachbarländer, in denen die sozialen Absicherungssysteme Stück für Stück demontiert werden. Die Alternative zu diesem Ringen: ein Zerbrechen Europas? Jeder wieder zurück hinter seine Grenzen?  Hoffentlich nicht!

 

Liebe Gemeinde! Wir hier in Blankenese mögen das nicht so empfinden. Doch wir selber sind diese Gesellschaft, in der viel zu wenig Menschen unter ihrem eigenen Weinstock und Feigenbaum wohnen. Um dies festzustellen, reicht es aus, nach der Kirche aus der Tür zu treten und die Obdachlosen zu sehen, die vor unserer Kirche sitzen, oder im Supermarkt einzukaufen, oder mit der S-Bahn zu fahren. Überall schauen wir nicht nur in Gesichter des Wohlstands, sondern auch in die Gesichter der Entwurzelten.

Die bestehende Ungerechtigkeit ist nicht direkt durch einen jeden von uns verschuldet! Ich glaube an unser aller Wunsch und Willen, dass die Welt gerecht werden möge. Doch die Ungerechtigkeit findet sich in allen menschengemachten  Systemen, auch mitten in unserer Demokratie. Zu wenige unserer Mitmenschen, direkt vor unserer Haustür und in Europa, haben, „soviel sie brauchen“. Diese Wahrheit muten wir uns nicht gern zu. Aber Micha mutet sie uns heute morgen zu.

Die Frage ist: Was machen wir denn mit dieser Zumutung und der Vision, die Micha proklamiert? Wie sollen wir denn dieses komplexe, schwierige Thema vom ungerechten Menschen und seiner Berufung zum Frieden konkret in Angriff nehmen?

Je globaler und krakenartiger ein Problem in die Geschichte zurück- und um sich greift, desto passiver wird uns doch zumute. Was hilft uns dazu, hier noch umlenken zu wollen oder zu können?

III.

Die Vision Micha's hilft, weil sie uns wach rüttelt. 

Die Vision überhaupt bewegt und berührt uns. Sie bringt uns, je nach Inhalt, zum Blutvergießen - oder zum Tränenvergießen, was die Voraussetzung für Verzeihung und Friede ist. Gerade durch ihre Zukunftsgerichtetheit, gerade durch ihren utopischen Charakter löst sie in uns den Drang aus, unsere Realität gerade an ihr zu messen. Und das tut der Realität sehr gut, so in Frage gestellt zu werden.

Wenn eine Vision geteilt wird, wenn Menschen sich gegenseitig mit ihr anstecken, dann wirkt sie noch stärker.

IV.

Doch bei aller Inspiration, die die Vision in uns auslöst: Woher nehmen wir die Kraft zum Handeln? Bleibt uns letztlich nicht doch nur übrig, die Augen zu verschließen?

Nein. Ich meine, als Kraftquelle kommt nun Gott selber ins Spiel. Unsere Rückbesinnung auf den Auferstandenen entscheidet über Lethargie oder Aufstehen.

Genau wie bei Michas Vision von einer konfessionsunabhängigen Völkerwallfahrt nach Zion kommt es heute am Palmsonntag zu einer Wanderbewegung, zu einem beweglich-Werden unseres gesamten Glaubenssystems:

Jesus zieht hinauf nach Jerusalem, und viel Volk zieht mit ein. Die Menschen huldigen ihm, weil sie verstehen, dass Jesu Bewegung heilbringend sein wird. Jesus zieht nach Jerusalem hinauf, um dort seine Gegner so eng wie möglich zu umarmen. Er zieht hinauf, um sich von seinen Gegnern, der herrschenden Klasse der Gläubigen und Mächtigen, umbringen zu lassen. Sanftmütig zieht er ein, wie der Prophet Sacharja ihn eindrücklich beschreibt. Sein „Gefährt“, der Esel, steht symbolisch für den Frieden, den Jesus, dieser „Prophet aus Nazareth“, verkörpert.

Wenn sich sein Schicksal auf dem Berg Golgatha vollendet haben wird, dann hat er der Ungerechtigkeit nicht nur eine Vision entgegengesetzt. Er zeigt dann nicht nur, wie es sein könnte. Sondern er geht so mitten hinein in die Ungerechtigkeit, dass er genau an der Realität verendet, die er mit der Menschwerdung betrat. Im gleichen Moment aber wird die Welt mit einem Schlag befreit, genau so, wie Micha es in unserem Sonntagstext ankündigt. Das Zeichen des Gelingens für uns Gläubige: Der Sohn Gottes geht aus dem Leiden und Sterben drei Tage später als Auferstandener hervor.

Jesus legt mit seiner Passion den Grundstein für die Realisierung der Vision, um die es im Michatext heute geht.

Und genau hieraus erwächst uns Kraft. Denn wir können uns auf die so ausgedrückte Liebe und Aufopferung verlassen und uns anlehnen. Sinn der jährlich neu abgehaltenen Passionszeit ist es, diese Liebes- und Aufopferungskraft Gottes neu in uns Menschen aufzunehmen.

V.

Ich finde es nachvollziehbar, dass wir leicht die Augen vor den Leidtragenden unserer Gesellschaft verschließen. Es ist nämlich schwer zu ertragen, der Ungerechtigkeit in die Augen zu blicken.

Doch ich denke, dass wir aus der in der Passion erlebten Liebe die Kraft finden können, der Realität zukünftig mehr ins Auge zu blicken. Wir schauen künftig nicht in einer großen Negativmeditation zuerst und zuletzt auf das scheinbar unabwendbare Elend, bis wir uns nur noch schaudernd abwenden können. Sondern wir schauen immer zuerst und zuletzt auf unseren Herrn, der uns vorauseilt, um mit den Verachteten und Gefangenen, mit der Sünderin und mit dem Aussätzigen, dem Blinden und dem Lahmen zu reden und zu essen. Und dazwischen schauen wir auf die Härte des Alltags unserer eigenen benachteiligten Nächsten. Und mit diesem Pendelblick können wir besser hingucken und fühlen uns mehr zum Handeln aufgefordert. Denn da ist einer, der macht es zuverlässig immer wieder vor.

Daheraus können wir stückchenweise Gerechtigkeit realisieren helfen, und dabei immer wieder auf auf die geschenkte, kraftvolle Vision davon schauen, wie es werden wird, wenn alle ein weißes Hemd tragen und ihren Nachbarn den eigenen Wein anbieten können.

Ich möchte Ihnen am Schluss meiner Auseinandersetzung mit diesem Text drei kurze Impulse  mit nach Hause geben:

  1. Gibt es in meinem privaten und beruflichen Leben eine Situation sozialen Unfriedens, an der ich Mit-Verantwortung trage und wo ich ausgleichen oder helfen kann?
  2. Gibt es sonst irgendeine Mauer der Ungerechtigkeit, die ich mit meinen Mitteln einreißen kann: Einfluss, Zeit, Geld, Ideen oder Know how? Ab wann, wo und in welchem Maß will ich investieren.
    Das Schöne an der Frage: Sobald ich sie mir stelle, fallen mir meine vielen Ressourcen ein, die ich noch habe. Die Reflexion tut mir wohl. Sie schenkt mir Freiheit: Freiheit, mein Hab und Gut, mich selber an meinem konkreten Ort einzusetzen.
  3. Kann ich mich auf Gemeindeebene engagieren, weil Visionen am besten gemeinsam getragen werden?  Könnten die Engagierten der Gemeindeakademie es zu ihrem Thema machen, ein europäisches Denken unserer Gemeinde einzuleiten? Könnte die Gemeindeakademie Plattform für regelmäßige Begegnungen zwischen uns und Berichtenden anderer Mitgliedstaaten - eventuell auch anderer Glaubensgemeinschaften von dort-  werden?

Lassen wir die kommenden Wochen im Zeichen der Prophezeiung stehen, dass sozialer Friede von uns weiter getrieben werden wird, je da, wo wir gerade stehen und uns einbringen können!

 

Amen.

 

Lied im Anschluss: 325, 1,3,5,9: Sollt ich meinem Gott nicht singen?

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