Quasimodogeniti, Jesaja 40, 26-31
26 Hebt eure Augen in die Höhe und seht! Wer hat dies geschaffen? Er führt ihr Heer vollzählig heraus und ruft sie alle mit Namen; seine Macht und starke Kraft ist so groß, dass nicht eins von ihnen fehlt. 27 Warum sprichst du denn, Jakob, und du, Israel, sagst: »Mein Weg ist dem HERRN verborgen, und mein Recht geht vor meinem Gott vorüber«? 28 Weißt du nicht? Hast du nicht gehört? Der HERR, der ewige Gott, der die Enden der Erde geschaffen hat, wird nicht müde noch matt, sein Verstand ist unausforschlich. 29 Er gibt dem Müden Kraft, und Stärke genug dem Unvermögenden. 30 Männer werden müde und matt, und Jünglinge straucheln und fallen; 31 aber die auf den HERRN harren, kriegen neue Kraft, dass sie auffahren mit Flügeln wie Adler, dass sie laufen und nicht matt werden, dass sie wandeln und nicht müde werden.
Liebe Gemeinde,
dieser Text wirkt ein wenig, wie ein sich langsam steigerndes Crescendo, wie ein Aufstieg auf einen Berg, bis mit dem letzten Satz der Gipfel erreicht und der sich bietende Ausblick mehr als Lohn ist für alle zurückliegenden Strapazen: die auf den Herrn harren, kriegen neue Kraft. Dass sie auffahren mit Flügeln wie Adler, dass laufen und nicht matt werden, dass sie wandeln und nicht müde werden.
Jesaja will ermutigen, er will Licht bringen in Dunkel und müdes Trotzen.
Und da sind es nicht die Freizeit-Spaziergänge auf einen Berg, so steil er auch sein mag, zu denen er anspornen will. Er hat andere Wege vor Augen, andere Berge, die zu steil scheinen, die keine Wanderwege bieten, keine Halteseile.
Sein Schlussakkord spricht in die Herzen derer, die verzweifelt sind, die die Fundamenten ihres Lebens in Frage stellen.
Ich denke dabei an Menschen, denen gesagt wurde, dass sie sehr krank sind. Der Körper macht nicht mehr mit. Und die Ärzte sagen, es sei ungewiss, wie viel Zeit noch bliebe.... Kann man da noch auf den Herren harren und neue Kraft bekommen? Und was ist das für eine Kraft?
Mir kommen andere in den Sinn. Menschen in der Mitte ihres Lebens, die sich mit einem mal ganz neu mit der Frage nach dem Sinn ihres Lebens und ihres Tuns konfrontiert sehen. Das Alte, das Gewohnte, erfüllt nicht mehr, es ist schal geworden. Und die Fragen kommen ganz von alleine und sie fordern Wahrhaftigkeit und Echtheit: wie und wohin und mit wem kann es weitergehen? Geht es auch anders? Was will ich eigentlich noch tun? Was brauche ich denn zum Leben? Hilft da so ein Satz, wie Jesaja ihn schreibt? ...die auf den HERRN harren, kriegen neue Kraft, dass sie auffahren mit Flügeln wie Adler, dass sie laufen und nicht matt werden, dass sie wandeln und nicht müde werden.
Und gar nicht so selten wird dieser Satz auch als Konfirmationsspruch gewählt. Die Konfirmationen stehn ja vor der Tür. Jugendliche, die sich eine Zeit lang intensiv mit ihrem Glauben beschäftigt haben – meistens - so bewusst - wie noch nie vorher in ihrem Leben - suchen Übereinstimmungen zwischen ihren Wünschen, Hoffnungen und Träumen an das Leben und alten biblischen Worten.
Da sind manche Ängste, denn auch sie wissen schon, dass man in diesem Leben einigermaßen gut funktionieren muss, wenn man seinen Platz finden will, und dass die Orte zum Durchatmen, bisweilen ziemlich eng sind....
Aber dann sind da genauso auch Lebenskraft und Lebenswillen und eben auch dieser jugendliche Blick, dem die Welt offen steht, die entdeckt werden will, die erobert werden will. Und die noch jugendliche Auffassung, dass die Geschicke des Lebens doch vor allem aus der eigenen Kraft erwachsen. Diese eigene Kraft braucht es, um seinen Weg zu gehen, und wie gut, wenn Gott einem – eben dann, wenn man müde wird – neue Kraft schenkt.
Hebt eure Augen in die Höhe und seht!
Wen hat Jesaja vor sich? Wen spricht er an? Im Predigttext werden Stimmen zitiert, die von einer Gottesferne sprechen: „Warum sprichst du denn, Jakob, und du, Israel, sagst: »Mein Weg ist dem HERRN verborgen, und mein Recht geht vor meinem Gott vorüber«?
Vielleicht sind es Menschen, die einst voller Euphorie mit Gott an ihrer Seite in das Leben gezogen sind und dann durch die Geschichten des Lebens enttäuscht wurden, die ein schweres Schicksal traf, eine Krankheit, eine Trennung, ein Verlust, ein Krieg, ein Tod. Das kann so vieles sein.
Manche fühlen sich betrogen... von Gott... Und Gottes Schweigen ist schwer zu ertragen. Wir haben unsere Bilder, unseren Glauben, wie Gott doch sein soll: barmherzig, allmächtig, liebevoll. Und dann, wenn wir ihn brauchen, rührt er sich nicht.
Auf der anderen Seite ist es so, dass wir von Gott nichts so stark, nicht so existentiell erleben, wie sein Schweigen. Wenn Gott zu einer Frage wird. Manche halten diese Frage nicht aus. In der Schönheit des Lebens hinterfragen wir Gott nicht. Das nehmen wir als Geschenk – und Gott schenkt gerne, auch das Leben beschenkt uns gerne und reich.
In der Not fragen wir: – bist du da? Ich sehe dich nicht, ich fühle dich nicht...
Und das fällt schwer, diesen schweigenden Gott als die Wirklichkeit unseres Lebens anzusehen…
Und doch: Aus diesem Schweigen, das wir erleiden und aushalten, entstehen die wahren Fragen, - entstehen auch die Fragen, die uns dem Geheimnis Gottes näher bringen.
Martin Luther schreibt davon – bilderreich und mit etwas Pathos gewürzt- als er sich selbst in äußerster Not für sein Leben befand: Er sagt: »Ich muss verzweifeln. Aber das lass ich bleiben. Wie Judas an den Baum hängen, das tu ich nicht. Ich hänge mich an den Hals oder Fuß Christi wie die Sünderin. Ob ich auch schlechter bin als diese, ich halte meinen Herrn fest. Dann spricht er zum Vater: Dieses Anhängsel muss auch durch. Es hat zwar nichts gehalten und alle Gebote übertreten. Vater, aber er hängt sich an mich. Was soll’s! Ich starb auch für ihn. Lass ihn durchschlupfen. Und Luther sagt: Das soll mein Glaube sein.«
Ein Bild von diesem Geheimnis Gottes, ein Bild von Glauben, gut 500 Jahre alt.
Und natürlich braucht es Kraft – wenn wir in diesem Bild von Luther bleiben - um sich an den Hals oder den Fuß Christi zu klammern. Kraft, wenn man meistens eben diese nicht mehr hat.
Und ist nicht genau das die Kraft Gottes? So wie Paulus Gott sagen lässt: Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig? Wenn eigentlich - keine Kraft mehr da ist?
Hebt eure Augen in die Höhe und seht, spricht Jesaja allen zu. Ein alter Instinkt von uns Menschen, Gott in der Höhe zu ahnen, auch wenn wir es heute in manchen Dingen anders wissen.
Und Jesaja meint: Seht auf Gott. Man kann manches im Leben nicht verstehen, und anders scheint ungerecht und empörend, verzweifelnd...
Dann seht auf Gott.
Der Glaube braucht auch ein Maß an Beharrlichkeit. Mit der Auferweckung Jesu hat Gott seine Beharrlichkeit unter Beweis gestellt. Und wir dürfen weiter harren – trotz so vieler unbeantworteter Fragen in der Ferne wie in der Nähe – wir dürfen harren auf Gott und vertrauen auf seine Kraft.
Amen