Reformationstag 2018

31.10.2018 | 10:00

Am 28. Februar 1896, knapp ein halbes Jahr bevor diese Kirche hier in Blankenese eingeweiht wurde, schreibt Kaiser Willhelm II. ein Telegramm an seinen Geheimrat Hinzepeter, in dem er seinem Unmut über seinen ehemaligen Hofprediger Adolf Stoeckel freien Lauf lässt.

Stoeckel hatte eine christlich-soziale Bewegung begründet.
Und der Kaiser poltert: „Politische Pastoren sind ein Unding. Die Herren Pastoren sollen sich um die Seelen ihrer Gemeinden kümmern, die Nächstenliebe pflegen, aber die Politik aus dem Spiel lassen, derweil sie das gar nichts angeht.“

Wie ist das eigentlich mit Politik und Kirche? Mit dem Verhältnis zwischen Staat und Religion? Ist Religion reine Privatsache? Sollte sich Glaube nur mit den privaten Fragen des Lebens beschäftigen? Oder gibt es auch so etwas wie einen politischen Anspruch und eine gesellschaftliche Verantwortung?

Als vor bald 100 Jahren der erste Weltkrieg zu Ende ging, waren es u.a. revolutionäre Räte in ganz Deutschland, die erst den Kaiser ins niederländische Exil trieben und nach einander alle Fürsten zur Abdankung zwangen.

Kein Jahr später stand die Verfassung der ersten Republik in Deutschland, die in Weimar beschlossen, und mit der auch das Verhältnis von Kirche und Staat neu geregelt wurde. Fortan waren Kirche und Staat getrennt. Allerdings spricht die Verfassung der Kirche einige Sonderrechte zu, wie die Erteilung des Religionsunterrichts, eine eigene Rechtsgebung und Selbstverwaltung, Seelsorge in Militär, Krankenhäusern und Gefängnissen u.a.

Das wurde 1949 dann eins zu eins in das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland übernommen.

Schaut man in die Bibel, wird immer wieder die Geschichte nach der Zinssteuer herangezogen, um Jesu Haltung an dieser Stelle deutlich zu machen.
Als Jesus direkt gefragt wird, ob man, wenn man ihm nachfolgen will, Steuern bezahlen soll, zeigt er auf das Bild des Kaisers auf einer römischen Münze und antwortet weise, aber auch ausweichend: „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist.“ Das heißt, man soll beide Sphären trennen, sich aber in der Sphäre des Staates ordentlich und gesetzestreu verhalten.
Auf dieser Linie liegen auch die Aussagen etwa des Paulus, der im 13. Kapitel des Römerbriefes schreibt: „Jedermann sei Untertan der Obrigkeit, denn sie ist von Gott“.
Man muss hier berücksichtigen, dass die Christen jener Zeit eine angefochtene, bald auch verfolgte Minderheit war, für die es ums Überleben, nicht aber um das Mitgestalten der Gesellschaft ging.

Dies änderte sich in dem Moment, in dem Kaiser Konstantin sich dem Christentum zuwandte. Seinen Sieg über Maxentius in der Schlacht an der Milvischen Brücke im Jahre 312 führte er auf die Hilfe des christlichen Gottes zurück und begünstigte fortan die Christen. Taufen allerdings ließ er selber sich erst auf dem Sterbebett im Jahre 337.
Nun veränderten sich sozusagen die Vorzeichen und der christliche Glaube wurde zur Staatsreligion, die Kirche nach und nach zur Staatskirche. Diese Wende hat die Entwicklung des Verhältnisses von Glaube und Gesellschaft, von Kirche und Staat entscheidend geprägt, bis heute. Aus der verfolgten religiösen Minderheit war die staatstragende Mehrheit geworden. Das veränderte gewaltig auch eine Ethik, die man aus den Aussagen Jesu ableiten kann, das änderte das Verhältnis zur Gewalt, zu Armut und Reichtum, zu Freiheit und Gehorsam. Das Christentum stand nun auf der Seite der Macht. Manche sehen in der Konstantinischen Wende den Sündenfall der Kirche schlechthin, die Abwendung von der Lehre Jesu in der Bergpredigt.

Fortan ging es um die Balance der Macht zwischen Papst und Kaiser. Mit welchen Bandagen zum Teil gefochten wurde, illustriert u.a. der sogenannte „Gang nach Canossa“, die Unterwerfungsgeste König Heinrich 4. unter Papst Gregor 7. im Jahre 1077.

Auch zur Zeit Martin Luthers war das Verhältnis zwischen Kirche und Staat, zwischen Karl V. und den wechselnden Päpsten – um es einfach zu sagen – ziemlich kompliziert.

Nun hatte sich Martin Luther intensiv mit der Frage der gesellschaftlichen Pflichten eines Christenmenschen auseinandergesetzt.
Luther sieht eine sehr enge Verbindung von christlicher Verantwortung und Bürgerpflicht.
Der Glaube ist sozusagen die Wertebasis, auf der die Bildung zum Staatsbürger geschieht. Und gebildete Staatsbürger heranzuziehen, das war für Luther oberste Pflicht der Obrigkeit. Auch die Kirche hatte dazu ihren Beitrag zu leisten, indem sie Schulen betrieb und die akademische Lehre förderte.
Etwas missverständlich hat Luther von „zwei Reichen“ gesprochen, in denen der Christ lebe. Im Reich Gottes, in dem die Bergpredigt gelte, mit dem Heiligen Geist im Herzen, quasi als inneres, inwendiges Gesetz, - und daneben - das Reich der Welt, in dem die staatlichen Gesetze gelten, die durch die Macht und das Schwert der Obrigkeit durch- und umgesetzt würden: Luther schreibt: „Es ist wie ein böses und wildes Tier, das man in Ketten und Bande legt,  - und meint den sündhaften Menschen - dass es nicht beißen und reißen kann nach seiner Art“ – eben durch die weltlichen Gesetze um  damit auch Gott und dem göttlichen Gesetz Geltung zu verschaffen.

Der Fortschritt daran war, nach der Konstantinischen Wende endlich wieder klar zwischen Kirche und Staat zu unterscheiden. Das Missverständliche bestand darin, als könne der Christ oder die Kirche sich aus weltlicher Verantwortung zurückziehen, den Staat seiner Eigengesetzlichkeit überlassen, in einem zum Teil blinden, einem zum Teil naiven und - zum Teil gefährlichen Vertrauen in die Obrigkeit.
Genau dieses Missverständnis ist in der lutherischen Tradition wirkungsgeschichtlich mächtig geworden, genau das kommt im Poltern von Kaiser Wilhelm zum Ausdruck, aber auch im fehlenden Widerstandswillen weiter Teile der evangelischen Kirchen im Dritten Reich.

Dabei sah Luther den Christenmenschen sehr wohl deutlich in der Pflicht.
Alle Getauften sind schon Priester und Papst, schreibt er.
Und aus dieser Aufwertung des Einzelnen resultiert von sich aus schon eine gesteigerte Verantwortung. Genau diesen Apell Luthers gilt es geschärft in den Blick zu nehmen.

Heute beschreiben wir das Verhältnis zwischen Kirche und Staat im Sinne einer „wohlwollenden Neutralität“ oder einer „hinkenden Trennung“.
Dabei muss sich das Religionsverfassungsrecht in Deutschland heute von zwei Seiten kritisch anfragen lassen. Nämlich von dem Zusammenwachsen der europäischen Union, wo kürzlich erst ein Urteil über das kirchliche Arbeitsrecht gesprochen wurde, was die Kirchenmitgliedschaft bei Neuanstellungen anbelangt. Und gleichzeitig wirft die immer stärker werdende Säkularisierung in Verbindung mit dem Erstarken anderer Religionen die Frage auf, ob die kirchliche Sonderstellung auch auf andere Religionen ausgeweitet werden oder nicht lieber ganz abgeschafft werden sollte.

Der Reformationstag heute kann also so etwas sein wie eine Art Standortbestimmung.

Wo stehen wir?

Als lutherische Kirche haben wir mit unser Tradition von Luther her - wie auch mit unserer staatlichen Verfassung ein Fundament, auf dem Glaube und Religion ein gesellschaftliches Gewicht entfalten dürfen, und wo dann Glaube und Religion gemeinsam mit anderen meinungs- und moralbildenden Kräften in unserer Gesellschaft mitwirken darf und soll an der Gestaltung und Bewahrung der „moralischen Substanz“ in unserem Land, wie es der Staatsrechtler Ernst-Wolfgang Böckenförde in einem berühmt gewordenen Diktum 1976 formulierte.

Es gibt eine politische Dimension unseres Glaubens, allein, weil unser ganzes Leben eingebettet ist in politische Entscheidungen, Strömungen, Ereignisse.
Es gibt eine klare ethische Ausrichtung unseres Glaubens, wenn wir aus dem Handeln Jesu herauslesen, dass Gesetze und Weisungen, welcher Art auch immer, dem Leben und dem Menschen zu dienen haben, wie es z.B. deutlich wird in der Aussage über den Sabbat: Nicht der Mensch ist für den Sabbat da, sondern der Sabbat für den Menschen.
Es gibt ein Nachdenken über Gerechtigkeit in unserer Tradition, die Jesus ausdrückt in einer Option für die Armen, für die Benachteiligten, die Witwen und Waisen – ganz in der Linie der Propheten in der hebräischen Bibel.
Und uns wird zugesprochen, frei sein zu dürfen für das Leben, uns befreien zu dürfen von dem, was am Leben hindert.
Und wir müssen zusehen, wie wir all dies Lebensdienliche in unserem geistlichen Gepäck, diese Spur von Gerechtigkeit, von Würde und Liebe und Freiwerden als Maßstab anlegen an die Aufgaben und Herausforderungen von heute.

Wie wollen wir Gemeinde sein?
Was ist wichtig, in den Blick zu nehmen. Woran hängt unser Herz? Und was darf, kann oder soll neu werden?

Das liegt bei uns.

Amen

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