Reminiszere Fastenpredigtreihe

12.03.2017 | 11:00

Predigt über Philipp Melanchthon

Für Martin Luther ist er ein kongenialer Partner, mit dem sich in geistreichen Tischgesprächen – vielleicht bei einem guten Wein – neue Gedanken hin- und herwälzen und schärfen lassen. Ja, seine Freundschaft mit dem Reformator geht so weit, dass er gesagt haben soll: "Ich würde lieber sterben als von diesem Manne getrennt zu sein."

Die Person, die heute im Mittelpunkt steht, ist vielfach talentiert und interessiert: Philologe, Philosoph und Humanist. An der Universität Wittenberg hält er auch Vorlesungen in Theologie. Er schreibt Lehrbücher, Gedichte in der Gelehrtensprache Latein – und vieles mehr.

Aber er ist nicht abgehoben, sondern mit Freude dabei, wenn es darum geht, Wissen an nachfolgende Generationen weiterzugeben. Er wird deshalb auch "Praeceptor Germaniae" genannt, Lehrer Deutschlands.

Liebe Gottesdienstbesucherinnen und -besucher,

Sie haben es ja bereits gehört: Heute geht es um Philipp Melanchthon. Vielleicht würde er so ähnlich, wie ich es gerade gemacht habe, in einer Talkshow vorgestellt werden, wenn er noch lebte.
Philipp Melanchthon war also Zeitgenosse Luthers – allerdings rund 15 Jahre jünger als dieser. In den nächsten Minuten wollen wir jedoch weniger historische Fakten zusammentragen – auch mache ich keine Heldenverehrung. Sondern es gibt Licht und Schatten – bei einzelnen Figuren der Reformation wie auch bei Punkten, die damals wichtig waren. Und vielleicht heute nach wie vor für unseren eigenen Glauben und unsere eigene Haltung zur Kirche bedeutend sein können.

Um diese Punkte zu finden, begeben wir uns ins Augsburg des Jahres 1530. Am 25. Juni hielt sich alles, was damals Rang und Namen hatte, in Augsburg auf: die Kurfürsten und Fürsten des Reichs, die Vertreter der Stände und der Städte sowie die berühmtesten Theologen der Zeit.
Gekommen waren sie auf Einladung Kaiser Karls V., der höchsten weltlichen Autorität. Ihm ging es darum, den "Zwiespalt" in der Kirche zu schließen. Der hatte sich gebildet, nachdem Luther 1517 angefangen hatte, seine Thesen zu verbreiten. Innerhalb von gut zehn Jahren war daraus eine breite Bewegung entstanden, die das Reich zu spalten drohte. Die Reformation.
Die Einladung Kaiser Karls nach Augsburg hatte versöhnlich geklungen. Die Lutheraner hatten deshalb Hoffnung, eine gütliche Einigung zu erzielen. Denn rein rechtlich stand die Reformation auf wackligen Beinen. Luther hatte man neun Jahre zuvor zu einem rechtlosen Menschen erklärt – man nennt das Reichsacht – und aus der Kirche ausgeschlossen, also exkommuniziert. Nun also ein Zusammentreffen, ein Showdown in Augsburg – die Chance auf einen Kompromiss.
Mir ist wichtig, dass es hier nicht um das Einzelschicksal Luthers geht, sondern darum, was für alle Gläubigen, auf dem Spiel stand. Für die Lutheraner ging es darum, dass sie in Frieden das glauben dürfen, was sie auf Basis der Bibel als richtig erachteten – und auch danach leben dürfen.

Und was war das, was sie glauben und leben wollten?
Antworten mussten für den Showdown in Augsburg noch einmal ganz klar und deutlich aufgeschrieben werden. Und so wurde Philipp Melanchthon beauftragt, federführend eine Verteidigungsschrift der Reformation zu verfassen. Melanchthon war der beste Mann hierfür – und fasste bestehende Bekenntnisse und Artikel zusammen. Ergebnis war ein Text, der bis heute eine der gültigen Bekenntnisgrundlagen lutherischer Kirchen ist: Das Augsburger Bekenntnis – die "Confessio Augustana".
Das Augsburger Bekenntnis fasst den evangelischen Glauben in 21 Artikeln zusammen. In ihnen ist von Gott und Jesus Christus die Rede, von der Rechtfertigung, vom freien Willen, von der Kirche, der Predigt und von Abendmahl und Taufe. Auch die staatliche Gewalt kommt darin vor – und wie wir zu ihr stehen sollen.

Zunächst möchte ich Punkte herausgreifen, die ich als positiv werte, über die ich mich freue. Zugegebenermaßen habe ich dies sehr subjektiv, also nach eigenem Geschmack, gemacht.
Letztlich geht die Möglichkeit, dass ich als Laie heute hier stehen und für Sie eine Predigt halten darf, auf die Reformation zurück. Im Augsburger Bekenntnis steht, dass Gott das Predigtamt eingesetzt und das Evangelium und die Sakramente gegeben hat. Vereinfacht gesagt muss ich mich vorbereiten auf so eine Predigt – und Gott schenkt dazu die Wirkung, wann, wo und wie es ihm gefällt.
Der zweite erfreuliche Punkt ist, dass das Augsburger Bekenntnis alle Christen verbinden möchte. Die Lutheraner haben das Dokument so geschrieben, dass die vielen Gemeinsamkeiten mit der katholischen Kirche herauskommen sollten. Über Melanchthon als Person wird geschrieben, dass er den Standpunkt der Lutheraner klar darlegen wollte – und gleichzeitig Offenheit für die Verständigung mit den kirchlichen Autoritäten signalisierte.
Der dritte Punkt ist mir besonders wichtig: Niemand wird durch gute Werke gerecht – da kann man sich noch so anstrengen. Zwar muss man insgesamt Gutes hervorbringen, also schon etwas tun, damit es in der Welt ein Stück wärmer, friedlicher und gerechter wird. Doch sollte niemand auf solche Werke vertrauen, um dadurch Gnade vor Gott zu verdienen. Im Augsburger Bekenntnis heißt es: "Denn wir empfangen Vergebung der Sünde und Gerechtigkeit durch den Glauben an Christus." Es ist einfach ein Geschenk!

Vielleicht hätte das alles die "Gegenseite" noch akzeptieren können. Doch die "Confessio Augustana" enthielt neben den Artikeln über Gott, Glauben, Kirche und Staat auch noch ein paar weitere Punkte – und die erwiesen sich als wahrer Sprengstoff für die Beziehungen der verschiedenen Lager.
In sieben Artikeln, mit den Nummern 22 bis 28, geht es um "Missbräuche" und Traditionen, die aus Sicht der Lutheraner nicht von der Bibel gedeckt waren – man könnte auch sagen: menschengemacht, nicht biblischen Ursprungs. Hier sah Melanchthon echte Unterschiede zur römisch-katholischen Kirche; zum Beispiel sollten Pfarrer heiraten dürfen.
Das Abendmahl sollte den Gläubigen in Brot und Wein gereicht werden. So machen wir es auch heute. Ich finde es schön, dass wir zusammen Abendmahl feiern – und würde mir wünschen, dass es konfessionsübergreifend geht.
Die Lutheraner forderten, dass weltliche und geistliche Macht sauber getrennt werden. Ich bin froh, dass sich in den vergangenen 500 Jahren diese Forderung erfüllt hat – und halte dies für eine große Errungenschaft, die auch in der Reformation ihre Wurzeln hat. Dagegen ist überall dort, wo eine Religion zur richtigen, einzig maßgebenden erklärt wird, programmiert, dass es zu Ausgrenzung, Unterdrückung und Gewalt gegen Andersdenkende kommt. Dies ist aus meiner Sicht nicht zu rechtfertigen.

Insgesamt freue ich mich, dass es einen fast 500 Jahre alten Text gibt, den ich an vielen Stellen unterschreiben kann. Das verbindet mich und uns mit vielen Millionen Menschen auf der ganzen Welt.
Soweit der Teil mit den positiven Punkten aus dem reformatorischen Bekenntnis.

Es gibt aber auch Schattenseiten:
Im Augsburger Bekenntnis ging es auch ganz stark um Abgrenzung. Abgrenzung von Andersdenkenden und Gruppen, die in einzelnen Punkten der Glaubenspraktik etwas anderes machten, als das, was die Lutheraner für richtig hielten.
In verschiedenen Artikeln der Confessio wurden religiöse Gruppen für das, was sie glaubten und praktizierten, verdammt. Verdammt wurden zum Beispiel die so genannten Wiedertäufer und andere, die davon ausgingen, dass man zum Predigen nicht das Evangelium brauche, sondern den Heiligen Geist durch eigene Bereitung, Gedanken und Werke erlangen könne. Und das reiche dann auch zum Predigen.
Bei der Recherche für diese Predigt ist mir aufgefallen, dass sich die Kirchen, die sich auf das Augsburger Bekenntnis beriefen, schwer taten, Verdammungen zurückzunehmen. Mancher Zwist zwischen verschiedenen Gruppierungen der christlichen Glaubenswelt hat sich bis zu unseren Lebzeiten hingezogen oder zieht sich sogar noch hin. So gab es erst in den 1990er-Jahren eine Stellungnahme zu den gegen die Täufer gerichteten Verwerfungen der "Confessio". Hierin wurde festgehalten, dass die radikale Ablehnung der Täufer in Hinblick auf Spiritualismus, Taufe und Buße bestimmte Glaubensgruppen der Gegenwart nicht mehr beträfen. Ich würde mir wünschen, dass es gelingt, andere Glaubensgruppierungen als solche anzuerkennen – auch wenn man dafür Punkte aus einem 500 Jahre alten Papier aufgeben muss.

Noch ein letzter Punkt gehört für mich persönlich zu den Schattenseiten:
Der 16. Artikel der "Confessio" hält fest, dass eine legitim eingesetzte öffentliche Regierung zur guten Ordnung Gottes gehört. Christen sei es daher gestattet, öffentliche Ämter, wie das Richteramt und den Soldatenberuf auszuüben. Sie dürfen nach geltenden Gesetzen Recht zu sprechen und Urteile fällen. Das konnte nach damaliger Auffassung auch bedeuten, "Übeltäter mit dem Schwert zu bestrafen".
Ebenso seien Christen berechtigt, an sogenannten "rechtmäßigen Kriegen" teilzunehmen, explizit: in ihnen mitstreiten zu dürfen. Christen dürfen weiterhin Eigentum haben, in den Ehestand treten, Recht vor Gerichten erstreiten, Eide leisten, am Wirtschaftskreislauf teilnehmen usw. Jedoch gilt für Christen sowohl privat wie beruflich, dass sie Gott mehr zu gehorchen haben als den Menschen.
Ich muss sagen, dass ich meine großen Schwierigkeiten damit habe, wenn meine Kirche dem Staat zubilligt oder in der Geschichte früher einmal zugebilligt hat, sogenannte "rechtmäßige Kriege" zu führen. Auch hier täte eine Auffrischung der Glaubenssätze gut.

Wie ging es 1530 nach dem Showdown in Augsburg weiter?
Eine Gruppe aus 20 katholischen Theologen um die Gelehrten Eck und Faber schrieb auf Anweisung Kaiser Karls die "Confutatio Augustana". Confutatio ist lateinisch und bedeutet "Widerlegung". Das heißt, dass aus Sicht der Katholiken und des Kaisers mit der "Confutatio Augustana" die "Confessio Augustana" der Lutheraner widerlegt war.
Eine weitere Verteidigungsschrift der Lutheraner, die "Apologie der Confessio Augustana", wurde nicht mehr angenommen. Der Rest ist Geschichte: in den nächsten 25 Jahren kam es zu weiteren Auseinandersetzungen wie dem Schmalkaldischen Krieg mit vielen Toten.
Anhänger der "Confessio Augustana" wurden erst im Jahr 1555 durch den Augsburger Religionsfrieden reichsrechtlich geschützt und als gleichberechtigt neben den Katholiken geduldet.

Und nun?
Für mich ist ein "Weiterfreuen wie bisher" nach dem Vertiefen in die hellen und dunklen Seiten der Reformation vor 500 Jahren nicht mehr uneingeschränkt möglich. Am 31. Oktober dieses Jahres genießen wir alle einen arbeitsfreien Tag – wir gedenken der Reformation und der vielen guten Errungenschaften, die darin ihren Ursprung haben. Aber wir sollten auch die Aussagen und Standpunkte der Reformatoren hinterfragen – und nicht alles für uns heute annehmen.
Was ich aber gern von meinem Themengeber Melanchthon übernehme ist dies:
Es ist gut, Überzeugungen zu haben, sie zu formulieren und öffentlich dafür einzustehen. Und es ist gut, den Menschen mit anderen Überzeugungen zuzuhören. Und sie ihnen zu lassen! Ich halte es für enorm wichtig, das zu tun in einer Zeit, in der ein nennenswerter – und leider wohl auch wachsender – Teil unserer Mitbürger unversöhnlich, radikal, ausgrenzend sein möchte.

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