4. Sonntag nach Trinitatis - Römer 12, 17-21

13.07.2014 | 12:00

Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da ist und der da war und der da kommt. Amen.

 

Liebe Gemeinde,

ein schrecklicher Satz ist dieser Tage gefallen. Ich erschrak über ihn, weil ich dachte, die Zeit für solche Sätze sei vorbei, und weil er die Schraube der Gewalteskalation mit Macht weiterdrehen wird. Der ukrainische Präsident Poroschenko sagte nach dem Raketenangriff von Separatisten auf ukrainische Streitkräfte, bei dem am Freitag 23 Soldaten starben: „Für jedes Leben unserer Soldaten werden die Kämpfer mit Dutzenden und Hunderten der Ihren zahlen“.         Ob in Rage, in Empörung, in Trauer oder aus politischem Kalkül gesprochen: dieser Satz ist böse und wird Böses gebären. Und mit dem Aussprechen einer solchen Bewertung stehe ich schon in Gefahr, das eben verortete Böse weiterzutragen, einen Menschen zu „ver-bösen“, wenn nicht zu „ver-teufeln“, von dem ich nicht mehr weiß, als dass er diesen Satz so gesagt haben soll – laut Zeitung…  Das ist die Eigendynamik des Bösen.

 

Also lieber schweigen?  Nach dem bekannten Motto: Si tacuisses, philosophus mansisses? Aber wenn man nun nicht Philosoph hätte bleiben wollen, sondern Christ sein will? Was setze ich als ein solcher dem Bösen entgegen?

 

Vergeltet niemandem Böses mit Bösem. Seid auf Gutes bedacht gegenüber jedermann. Ist's möglich, soviel an euch liegt, so habt mit allen Menschen Frieden. Rächt euch nicht selbst, meine Lieben, sondern gebt Raum dem Zorn Gottes; denn es steht geschrieben (5.Mose 32,35): »Die Rache ist mein; ich will vergelten, spricht der Herr.« Vielmehr, »wenn deinen Feind hungert, gib ihm zu essen; dürstet ihn, gib ihm zu trinken. Wenn du das tust, so wirst du feurige Kohlen auf sein Haupt sammeln« (Sprüche 25, 21-22). Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.“

 

Ich bleibe hängen an dem Gottesbild und der Rede von der Rache und dem Zorn Gottes. Ihm soll ich meine Mitmenschen überlassen, ihm, der so rächt wie in Psalm 58, wo es heißt:

„Gott, zerbrich ihnen die Zähne im Maul, zerschlage, HERR, das Gebiss der jungen Löwen! Sie werden vergehen wie Wasser, das verrinnt. Zielen sie mit ihren Pfeilen, so werden sie ihnen zerbrechen. Sie gehen dahin, wie Wachs zerfließt, wie eine Fehlgeburt, die die Sonne nicht sieht. Ehe eure Töpfe das Dornfeuer spüren, reißt alles der brennende Zorn hinweg. Der Gerechte wird sich freuen, wenn er solche Vergeltung sieht, und wird seine Füße baden in des Gottlosen Blut; und die Leute werden sagen: Ja, der Gerechte empfängt seine Frucht, ja, Gott ist noch Richter auf Erden“ (Ps 58, 7-12).

 

Es schmerzt mich, wenn ich in meiner Bibel solche Worte lese, wenn ich Bilder von solcher Gewalt finde: die Zähne im Maul zerbrechen, das Gebiss zerschlagen, andere wie eine Fehlgeburt ansehen, im Blut des Gottlosen die eigenen Füße baden. Stellen wir uns vor, solche Worte fänden sich im Koran: ständig würden sie zitiert, um die grundsätzliche, religiös bedingte Gewaltbereitschaft der Muslime zu belegen. Aber es ist unsere Bibel und wir dürfen nicht vergessen, wie brutal es in ihr zugehen kann.

 

Jetzt mag man denken: „Typisch Altes Testament, da gibt es eben diesen blutgierigen Gott der Rache“.

Aber nicht nur, dass wir im Neuen Testament einen Gott finden können, von dem behauptet wird, er brauchte Blut zur Versöhnung, nein, es findet sich auch einer, der Rache übt, so wie heute bei Paulus: „Rächt euch nicht selbst, meine Lieben, sondern gebt Raum dem Zorn Gottes; denn es steht geschrieben (5.Mose 32,35): »Die Rache ist mein; ich will vergelten, spricht der Herr.«“ (Röm 12, 19).

Und wer rachgierig ist, der kann getrost die Rache einem Gott überlassen, der so rächt wie im Psalm 58 – so voller Gewalt, so unbarmherzig und brutal. Wie wollen wir umgehen mit solchen Gottesbildern??

 

Zunächst muss ich wohl anerkennen, dass sich eine blutige Spur der Gewalt durch die Bibel zieht. Und eben nicht nur eine Spur menschlicher, sondern auch geglaubter göttlicher Gewalt. Und wie sehr sie hineingewirkt hat in die Geschichte unseres Glaubens bis hinein in unsere Gegenwart, in der Gewalt immer noch religiös begründet wird, in der Kinder geschlagen werden, weil es solcherlei „pädagogische Ratschläge“ in der Bibel gibt (z.B. Spr 13, 24), in der Christen andere verteufeln und so gottlos machen, wage ich kaum zu ermessen.

Nur wenn ich den Weg der Gewalt auch in meinem Glauben erkenne, kann ich diesen Weg auch verlassen. Will ich das?

Will ich mir den anderen Weg zumuten, der sich parallel durch die Bibel Alten und Neuen Testaments durchzieht, den neuen Weg, den Weg, den wir den „Weg Jesu“ nennen? Ich muss mich entscheiden.

 

Am Anfang dieses Weges steht der eine Satz: „Ich will über Gott nichts Liebloses glauben“. Ich setze auf einen Gott, der Gedanken des Friedens denkt, der barmherzig ist, der alle Gewalt umfängt und begegnet mit einer Liebe, in deren Angesicht mir meine eigene Lieblosigkeit und die Gewalt, die Rache, die Vergeltung bitter schmecken. Ich sage Nein. So wie Tinte sich nicht abwaschen lässt mit Tinte, Ölflecken sich nicht reinigen lassen mit Öl, so wird Blut sich nicht abwaschen lassen mit Blut.

„Auge um Auge“, sagte Mahatma Gandhi, „und die ganze Welt wird blind sein“. Das schon, wenn Gleiches mit Gleichem vergolten wird, wie viel schlimmer wird und ist es schon, wenn Rache, gerade religiös begründet, sich austobt.

 

Der Gerechte wird sich nicht freuen, wenn er Vergeltung sieht, er wird seine Füße nicht baden wollen in des Gottlosen Blut; er wird erkennen und einüben, wie das Böse sich nicht mehr nähren soll von seinesgleichen, wird Böses nicht mit Bösem vergelten, sondern mit Gutem und so das Böse zu Fall bringen.

 

Wieder zurück bei Paulus also.„Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.“

 

Nehmen Sie Paulus ab, was er da glaubt? Ist das Böse überwindbar durch das radikal andere? Soll auf Gewalt, die aus Hass entspringt, aus Frustration oder krimineller, menschenverachtender Energie, nicht sich wehrende Gegengewalt antworten? Soll auf Schmähung und Entwürdigung nicht Verfluchung erfolgen? Auf Betrug und Untreue nicht Verachtung und Ablehnung?

 

Das Böse lässt sich vom Guten überwinden? Glaube ich diesen Satz? Und will ich diesen Satz glauben? Will ich es mir antun, mich daraufhin selbst zu überprüfen, mich daraufhin in Verantwortung stellen zu lassen?

„Vergeltet niemandem Böses mit Bösem. Seid auf Gutes bedacht gegenüber jedermann. Ist's möglich, soviel an euch liegt, so habt mit allen Menschen Frieden.“

 

Kann ich vielleicht prinzipiell Paulus zustimmen - „eigentlich“ irgendwie -  und über den Satz „soviel an euch liegt“ eine kleine Fluchttür aufstoßen? Denn meine Kräfte sind ja begrenzt, und manches kann man wirklich nicht von mir verlangen und manchmal muss man doch zurückschlagen.

Das ist wohl so. Aber darf ich von vornherein so reden? Muss nicht am Anfang der Wille stehen, meine Kräfte zum Guten zu stärken und davor: meinen Willen in den Willen Gottes zu zwingen?

„Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was der HERR von dir fordert, nämlich Gottes Wort halten und Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott“ (Micha 6, 8).

Noch einmal: sind das unsere, sind das meine Antworten auf das Böse – Gottes Wort halten, Liebe üben, demütig vor Gott sein?

 

„Ja, das Böse lässt sich mit Gutem überwinden.“

Nehmen Sie diesen Satz, schmecken sie ihm nach, merken sie auf das, was sich regt in Ihnen. Und stellen Sie Ihr ganz eigenes Ausrufezeichen oder Fragezeichen dahinter. Mit diesem Satz rühren wir an die Bergpredigt Jesu, an sein Gebot der Feindesleibe, an seine Seligpreisung der Sanftmütigen und der Friedensstifter.

 

Im Namen Jesu sagen wir der oft noch unter uns verbreiteten Lehre ab, Gott, wie er uns im Alten Testament begegnet, sei ein Gott der Rache und Vergeltung, der Gott der Juden. Erst im Neuen Testament begegne uns durch Jesus Christus der barmherzige Gott der Liebe.

Diese Lehre ist falsch und Böses ist in ihr angelegt. Vielmehr gilt es zu bekennen: Der Gott der jüdischen und der christlichen Bibel und der Gott des Koran ist ein Gott. Der Gott Israels ist kein anderer Gott als der Vater Jesu Christi, ist kein anderer Gott als Allah. Er gerecht und barmherzig.

Wir trennen nicht zwischen der Würde Andersgläubiger und ihrem gleichwohl defizitären Glauben. Vielmehr erkennen wir in der Vielfalt der Religionen den Willen Gottes, sein Ja zu ihrem Dasein, sein Ja zu ihrer eigenen Würde. Daher bemühen wir uns um Kenntnis der Anderen, wollen von ihrem Reichtum lernen, wollen uns mit ihnen freuen und mit ihnen weinen.

 

Ich zitiere zwei Texte, die uns aufhorchen lassen müssen: Im fünften Buch Mose finden wir den Satz (5. Mose 23, 8): „Du sollst nicht verabscheuen den Edomiter, denn er ist dein Bruder“. Der jüdische Theologe Hermann Cohen sagt dazu: „Dies ist einer der goldenen Sitze für die Menschenliebe: der Edomiter, dieser Feind Israels, wird Bruder genannt. Also nicht allein der Israelit ist Bruder, sondern selbst der feindliche Götzendiener wird so genannt.“ (Hermann Cohen, zitiert in: H. Küng, W. Homolka, Weltethos aus den Quellen des Judentums, 77f.)

 

Und in Sure 41, Vers 34 steht: „Nicht gleich sind die gute und die schlechte Tat. Wehre ab mit einer Tat, die besser ist, da wird der, zwischen dem und Dir eine Feindschaft besteht, so, als wäre er ein warmherziger Freund“(A.-Th. Koury (Hg.). Themenkonkordanz Koran, 560).

Wieder bewahrheitet sich, dass gerade die abrahamischen Religionen sich auf der Ebene der unverrückbaren Maßstäbe und Haltungen, der Werte oder des Ethos wahre Geschwister sind. „Wie du mir, so ich dir“ gilt nicht. Vielmehr: „Wie Gott mir, so ich dir“. Das gilt und wartet auf meine, auf unsere  Umsetzung. Gott hilft uns. Amen.

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