Septuagesimae: Luk 17, 7-10

12.02.2017 | 11:00

Gnade sei mit Euch und Friede von dem, der da ist, der da war und der da kommt. Amen.

Liebe Gemeinde,

der Predigttext für den heutigen Sonntag steht bei Lukas im 17. Kapitel, in den Versen 7-10 und wenn Sie ihn schon auf dem Ablaufzettel überflogen haben, werden Sie vermutlich schon eine Menge erster – gelinde gesagt - Irritationen hinter sich haben und gespannt sein darauf, was sie nun aus diesem Text machen wird, die Predigerin, die die Freude dieses Predigttextes hat.

Für alle anderen lesen ich ihn noch einmal :

Wer unter euch hat einen Knecht, der pflügt oder das Vieh weidet, und sagt ihm, wenn der vom Feld heimkommt: Komm gleich her und setz dich zu Tisch? Wird er nicht vielmehr zu ihm sagen: Bereite mir das Abendessen, schürze dich und diene mir, bis ich gegessen und getrunken habe; und danach sollst du essen und trinken? Dankt er etwa dem Knecht, dass er getan hat, was befohlen war? So auch ihr! Wenn ihr alles getan habt, was euch befohlen ist, so sprecht: Wir sind unnütze Knechte; wir haben getan, was wir zu tun schuldig waren.

Paulus benutzt in seinen Briefen immer mal wieder eine Redewendung, die hier auch passen könnte: "was sollen wir nun dazu sagen"?

Ich kann und will Ihnen den Ärger nicht ersparen, der sich vermutlich schnell einstellen wird ob dieses Vergleichs von uns Christenmenschen mit einem Knecht, noch dazu mit einem unnützen – wobei man wissen muss, dass Luthers Knecht in Wahrheit ein Sklave ist im griechischen Urtext, was das Ganze noch mal eine Runde anstößiger macht.

Ich kann und will Ihnen die Überlegung nicht ersparen, ob man diesen Text vielleicht doch besser streichen sollte nach dem Motto: "Kann nicht so gemeint gewesen sein, von Jesus jedenfalls, kommt auf die interne Zensurliste, entspricht nicht dem, was 'Christum treibet'. Wir sollten die Perikopenreihe überdenken und überarbeiten." Luther selbst hat ja genau an dieser Richtschnur entlang – ob es dem Evangelium von Jesus Christus entspricht - den Hebräerbrief z.B. eine stroherne Epistel genannt und sie auf die hinteren Plätze der biblischen Bücher verbannt. Manche Predigt, die mir untergekommen ist zu dieser Textstelle, hat genau diesen Schluss gezogen und eine Gegenpredigt zu ihr versucht.

Kann man machen, spricht nichts dagegen im begründeten Einzelfall, finde ich.

Wobei ich hier, nach längerem Studium zu einem anderen, vielleicht sogar entgegengesetzten Schluss gekommen bin angesichts dieses sperrigen Textes. Und den würde ich Ihnen jetzt gern – ohne Ihnen den langen Umweg dahin, den auch ich nehmen musste in extenso darzulegen - predigen. So viel aber doch vorweg: es geht hier nicht, wie es zunächst scheinen mag, um eine religiöse Verbrämung von unguten Macht- und Abhängigkeitsstrukturen. Damit war Kirche immer wieder auch ganz weit vorn, und Luther selbst - Kind seiner Zeit - hatte eine seiner Zeit, aber wohl eine nicht dem Evangelium entsprechende Vorstellung von den Ständen in einer Gesellschaft, den zugewiesen Orten Einzelner und der Vorstellung, dass sich jeder schön in diese "gottgegebene" Ordnung hineinzufügen hätte.

Es geht auch nicht um eine von Gott geforderte oder über uns verhängte Selbsterniedrigung von Christenmenschen, wie wir sie leider auch ungut aus der Tradition unserer Kirche kennen ("der Herr allein ist König, ich eine welke Blum", um nur eine der harmloseren Gesangbuchdichtungen zu nehmen, die den Irrglauben, sich selbst und alles, was daran besonders, schön, einzigartig sein könnte, als eitel und nicht geboten runterzumachen angesichts des ganz Anderen Größeren). Immer schon erschien mir die Vorstellung, Gott hätte das nötig, absurd kleinlich von ihm gedacht. Auch darum geht es hier nicht, glaube ich, sondern im Gegenteil: darum, wie wir die wirkliche Freiheit eines Christenmenschen definieren, die von Gott verbürgt und in ihm grundgelegt ist und wie wir die Dienstbarkeit eines Christenmenschen, seine gottgefällige Antwort darauf beschreiben und durchbuchstabieren.

Wie Sie vielleicht schon aus diesen Worten heraushören, bin ich damit bei Luther, der auf seinem Sterbebett mit den – wenn es stimmt - wunderbaren Worten gegangen sein soll: "Wir sind Bettler, das ist wahr!"

Wunderbar, sage ich, weil auch diese Worte natürlich vor einem unterschiedlichen Hintergrund aus gehört werden können. Man kann sie auf derselben Linie hören wie: "Wir sind unnütze Knechte Gottes. Wir bringen gar nichts zustande und sollen nur nicht glauben, irgendwas 'zu reißen' in Gottes Welt! Bild dir mal ja nichts ein auf dich!"

Ich höre sie ganz anders. Ich höre sie als ein getrostes gewisses, im besten Sinne demütiges Wissen darum, in Gottes Schuld zu stehen, von ihm abhängig zu sein, ohne dass das irgendetwas ändern könnte an seinem Ja zu uns, an seiner Zuwendung, an seiner Liebe. Und darin berührt es mich, gesprochen am Ende eines Aufsehen erregenden Lebens, wenn es um die letzten Dinge geht.

Das ist ja die bahnbrechende Erfahrung, die Luther machen durfte, als er tief verzweifelt ist an seinem Gottesbild und dem Bild von sich selbst, das er gelernt hatte zu sehen.

Dass er nicht nur erkannt, sondern im Tiefsten erfahren hat: Gott liebt mich. Weil er ist, wie er ist. Nicht weil ich bin, wie ich bin. Seine Liebe zu mir hängt nicht an meinem Tun und Machen, meinem Gelingen und Versagen. Erstaunlicherweise liebt er mich einfach, und manchmal sogar, obwohl ich bin, wie ich bin. Um meiner selbst willen. Um Gottes willen.

Der Satz: "Wir sind Bettler, das ist wahr!", das ist – wenn er aus einem Herzen, das sich aufgehoben weiß bei diesem anderen, gesehen und getröstet in der Not, herausgeholt aus dem Elend und wie der verlorene Sohn mit ausgebreiteten Armen willkommen geheißen und wieder aufgenommen selbst nach einer grandiosen Abkehr - eine Liebeserklärung, Eingeständnis und Einverständnis in eine zutiefst inkongruente Liebe, die in ihrer wirklichen Dimension fast einseitig, auf jeden Fall unverdient, unzerstörbar ist und es bleibt. "Geliebt wird man einzig da, wo man sich schwach zeigen darf, ohne Stärke zu provozieren", soll Adorno einmal gesagt haben. In diesem Sinne verstanden: Wo ich mich zeigen darf, wie ich bin, mit meinem Angewiesensein, mit all dem, was ich will, aber oft nicht besser kann, mit all meinen kleinen und großen Nicklichkeiten und meinen Bemühungen, den gelungenen und den so bruchstückhaften, zu denen wir oft nur fähig sind. Wo ich mit meinen Versuchen, der Liebe zu antworten, die mir begegnet, nicht beschämt werde, nicht abgewiesen, nicht klein gemacht, sondern geliebt, da bin ich frei.

Eine der berühmtesten Schriften Luthers, "Von der Freiheit eines Christenmenschen" aus dem Jahr 1521, beginnt mit einer berühmten Doppelthese:
"Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemandem untertan."
Und daran schließt er sofort die Gegenthese an:
"Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan."

Und hier wie dort ist es derselbe heilsame Anker, der dem oft so selbstzerstörerischen Kreislauf unserer Leistungs- und Verdienstgedanken einen Riegel vorschiebt.

Es geht eben nicht um die Frage: Ist es genug, was ich tue? Bin ich genug, so wie ich bin? Reiche ich aus ? An mir hängt eben nicht das Heil der Welt, weder meins noch das eines anderen Menschen.

"Wir sind unnütze Knechte; wir haben getan, was wir zu tun schuldig waren", heißt es in unserem Predigttext. Das ist eine heilsame Konfrontation mit den Grenzen unserer Macht und unserer Möglichkeiten. Es ist ein Befreiungsschlag, wenn man in der Lage ist, es nicht als Kränkung zu hören. So wie Paul Gerhard dichtet in seinem Lied "Befiehl du deine Wege":

Bist du doch nicht Regente,
der alles führen soll:
Gott sitzt im Regimente
und führet alles wohl.

IHN, ihn lass tun und walten!
Er ist ein weiser Fürst
und wird sich so verhalten,
dass du dich wundern wirst,

wenn er, wie ihm gebühret,
mit wunderbarem Rat
das Werk hinausgeführet,
das dich bekümmert hat.

Hier wie dort ist es in Bezug auf Gott gesprochen. Der ist der, der unser Herr ist. Wir selber sind gar keine "Herren" und sollen es auch andern gegenüber nicht sein.

Jesus selbst benutzt dieses für uns so anstößige Bild vom unnützen Knecht, um auf Gott zu verweisen, der Herr ist über alle und alles. Gott ist der, der uns ruft, der uns fordert, der uns brauchen will für die Arbeit in seinem Weinberg, damit sein Evangelium und seine Verheißung für uns menschliches Geschlecht alle erreicht. So, dass wir ihm dabei möglichst wenig mit unserem Ego im Wege stehen, wenn er uns brauchen will dafür. Ihm ergeben wir uns, wenn wir ihm vertrauen, und sind ihm, wenn Sie so wollen "untertan". Und damit frei von allen anderen Knechtschaften, die es gibt auf dieser Welt. Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemandem untertan, außer Gott, wenn er das Abhängigkeitsverhältnis von ihm als Glück betrachten kann, wie Schleiermachen Glauben einmal definiert hat.

Freiheit aber und Bindung gehören zusammen: Der Christenmensch ist ein freier Herr und niemand untertan und ein dienstbarer Knecht und jedermann untertan – beides. Und weiter: Nicht die guten Früchte machen den guten Baum, sondern der gute Baum trägt gute Früchte! Aus sich selbst heraus. Wenn das verkehrt wird, wenn wir es gar umkehren, dann führt es uns unweigerlich zurück in wirkliche Knechtschaft.

Wenn der Dank von anderen oder die gesellschaftliche Anerkennung, der Belohnungsgedanke zum Motor dessen werden, was wir tun als Christenmenschen, dann steht unsere Freiheit insgesamt auf dem Spiel. Dann sind wir nämlich ehe wir es uns versehen, Knechte und Mägde der vielerlei Erwartungen, Wünsche und Erfordernisse anderer Menschen und knechten uns damit genau so wie andere.

Darum: Wenn wir uns als dienstbare Mägde und Knechte Gottes verstehen können, ohne in unserer Eitelkeit gekränkt zu sein, dann werden wir frei. Dann können wir anerkennen, dass uns Gottes Liebe zu uns voraus ist und immer voraus bleiben wird. Dann wird uns bewusst, dass wir immer nur – und es ist viel, wenn wir das aus vollem Herzen tun, so gut wir es vermögen - antworten auf ihn, der uns zuerst geliebt hat. Dann nimmt er uns in Dienst für andere Menschen. Dann ist er selbst es, der uns dazu anstiftet, anderen zu dienen, dem Leben zu dienen, dem Frieden, der Gerechtigkeit. Dann ist er selbst es, der uns unter die Arme greift, wo es nötig ist und in seinem Geist präsent und geistesgegenwärtig handeln heißt und die Sorge um uns selbst wirklich loslzulassen. Das ist Gottesdienst, wirklich Dienst, aus einem freien Herzen, für diese Welt. Es ist Antwort und deshalb nicht mehr als das, was wir ihm – wenn uns seine Liebe wirklich erreicht hat - schuldig sind. "Wir sind Bettler – das ist wahr."

Diese Welt und die Menschen in ihr hängen nicht von uns ab, wir sind nicht die "Herrschaften", von denen in unserem Bibeltext die Rede ist. Es hängt wirklich nicht alles ab von uns. Es hängt aber alles von Christus ab, von Gott! Martin Luther hat einmal gesagt: Wir sollen Gott Gott sein lassen! Und wir sollen Mensch sein wollen – und also nicht Gott sein wollen!

Dann sind wir Dienerinnen und Diener Gottes. Das ist und bleibt unser Auftrag, wenn Gottes Geschenk bei uns angekommen ist, das ist tatsächlich das, was wir alle zu tun schuldig sind: aus seiner Liebe zu uns liebevoll zu werden auch anderen gegenüber, der Gerechtigkeit zu dienen, Vergebung zu versuchen, Gottvertrauen zu wagen, immer wieder. Auch wenn wir unnütze Knechte und Mägde bleiben, das zu tun sind wir ihm schuldig. Amen.

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