Sexagesimä: Mark 4, 26-29

18.02.2017 | 11:00

Liebe Gemeinde,

Im Garten meiner Eltern hatten wir Kinder früher ein eigenes, kleines Stück Land, das wir selber bepflanzen konnten. Meine beiden Brüder und ich. Es war, wie man sich wohl denken kann, nicht im besten Teil des Gartens gelegen; aus heutiger Sicht würde ich sogar sagen, ja, es war doch eher ein schattiges Randstück, das mein Vater uns zur Verfügung stellte – aber das war egal. Ich weiß immer noch, mit welcher Freude ich mein eigenes Stück Garten bestellte: Den Boden lockerte, ihn von allem Unkraut befreite und dann zum ersten Mal Blumen- und Gemüsesamen aussäte.

Jeden Morgen ging ich neugierig hin, um nachzuschauen, ob schon erste grüne Spitzen erkennbar sind, die aus der Erde hervorkriechen.
Und ich freute mich auf ein Blütenmeer, das ich mir in Gedanken ausmalte und das mindestens so üppig sein würde, wie auf dem Bild der Samentüte.

Das einzige, was nach ein paar Wochen dann allerdings meinen Boden bedeckte, war eine erneute Ansammlung von robusten Unkräutern, die ich vor der Aussaat doch alle herausgerissen hatte, und die mir trotzig entgegen hielten, dass sie sich so ohne Weiteres nicht vertreiben ließen und ihr Terrain meinen Wunschblumen nicht einfach kampflos überlassen. Was für eine Niederlage!
Vielleicht hatte ich zu viel gegossen, was durchaus sein konnte. Oder hin und wieder auch mal vor lauter Ungeduld etwas zu häufig Erde beiseite geschoben, um nachzuschauen, ob die Samen denn auch wirklich wachsen würden. Oder vielleicht war die Gartenecke letztlich doch zu schattig und der Boden zu sandig, um schnelle Erfolge zu erzielen. Heute weiß ich: Ja, auch daraus habe ich gelernt und versuche mich weiter – und bisweilen mit größerem Erfolg – an der Kunst des Gärtnerns.

Ich frage mich heute aber auch, wie ich jene Geschichte vom Wachsen der Saat, die Jesus als ein Gleichnis für das Reich Gottes erzählt, damals gehört hätte.

Ich lese die Geschichte aus Markus 4:

26 Und (Jesus) sprach: Mit dem Reich Gottes ist es so, wie wenn ein Mensch Samen aufs Land wirft 27 und schläft und steht auf, Nacht und Tag; und der Same geht auf und wächst – er weiß nicht wie. 28 Von selbst bringt die Erde Frucht, zuerst den Halm, danach die Ähre, danach den vollen Weizen in der Ähre. 29 Wenn aber die Frucht reif ist, so schickt er alsbald die Sichel hin; denn die Ernte ist da.

Schlicht und einfach erzählt Jesus hier wie von einer natürlichen Ordnung und Selbstverständlichkeit. Man wirft Samen aufs Land, dann wartet man: schläft und steht auf, schläft und steht auf… das dauert schon etwas. In der Zwischenzeit geht der Same auf und wächst. Es passiert einfach. Aus der Erde heraus. Erst der Halm, dann die Ähre. Und wenn die Frucht reif ist, wird geerntet.

Der Sinn der Geschichte, der Sinn dieses Gleichnisses leuchtet ein. Jesus beschreibt das Reich Gottes wie es sein kann hier auf der Erde: als einen Vorgang, als ein Sein und ein Werden gleichermaßen, ein Entstehen und ein Wiederholen, ein Wachsen und ein Vergehen, ein Tätig-Sein und ein Warten und Ruhen, ein Verborgenes und ein Sichtbares.

Menschen tun ihren Teil dazu, letztlich aber haben sie keinen Einfluss auf das Werden. Das Entstehen und das Wachsen können sie nicht beeinflussen, nicht im Reich Gottes.

Ja, ich frage mich: Wie hätte ich damals als Kind diese Geschichte vom Wachsen der Saat gehört. Hätte ich das Wachsen – ganz kindlich vielleicht – in Gottes Hände gelegt? Und ihn selbst zu dem Obersten aller Gärtner erkoren und ihm alle Macht und Entscheidung über Wachsen und nicht Wachsen lassen zugeschrieben? Und hätte ich meine gärtnerische Niederlage dann womöglich als ein persönliches Scheitern empfunden und vielleicht gedacht, ich habe etwas falsch gemacht? Ist Gott mir vielleicht sogar böse, weswegen er meine schönen Pflanzen nicht wachsen lassen will? Ist mein Misserfolg dann letztlich eine Ablehnung von Gott? Und hat Gott meinen Vater dann viel lieber, weil Gott doch so wunderschöne Blumen in meines Vaters Garten hat wachsen lassen?

Jede und jeder von uns hat eine Menge Hilfsmittel, Erfahrungen und Bilder im Kopf, um Geschichten und Lebensgeschichten zu deuten. Und natürlich haben wir auch Vorstellungen davon, wie Gott ist und wie Gott wirkt und wie Gott in Erscheinung treten könnte.

Ich habe vor allem eine Frage:
Hat die Geschichte, die Jesus hier von dem Wachsen der Saat erzählt, auch einen Raum für das Scheitern? Gibt es in dieser auf den ersten Blick so ordentlichen Erfolgsgeschichte auch leere Seiten für Misserfolge?
Braucht es für das Reich Gottes immer nur beste Treibhaus Bedingungen oder haben auch Hagel, Unwetter und Dürrezeiten, – Missernten und Schicksalsschläge dort ihren Platz?

Die Bauern und Dorfbewohner, denen Jesus diese Geschichte erzählte, wussten sehr wohl um die Abhängigkeiten von der Natur und von den Gewalten der Natur. Sie kannten die Unbarmherzigkeit der Dürre und sie wussten um den Segen eines Frühregens.
Jesus erzählt keine Erfolgsgeschichte. Keine Geschichte, in der jener mit der größten Ernte am Ende gewinnt.
Und darum: Ja, natürlich gibt es auch im Reich Gottes diesen Erfahrungsraum für das Scheitern und für den Misserfolg.
Die Lebensgeschichte von Jesus selbst – gemessen an "normalen" Lebensentwürfen (was immer das dann auch im Konkreten heisst) – ist selber eine Geschichte des Scheiterns.

Jesus beschreibt eine Beobachtung. Eine Beobachtung über das Säen, das Wachsen, das Ernten. Und er beschreibt Erkennbares und Verborgenes, Sichtbares und Unsichtbares, Tätigkeiten und Ruhephasen. Es sagt nichts über Erfolg und Misserfolg, nichts über Belohnung und Strafe. Nichts über Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit. Jesus bewertet nicht, urteilt nicht. Er beschreibt eine Art Ordnung, die aber von Natur aus natürlich auch anfällig ist für Unordnung und für Störungen.

Wir fragen uns dann, wir man diese Störungen einzuordnen und zu bewerten hat. Wir legen Maßstäbe an diese Geschichte, an unser Leben und letztlich auch an Gott.

Ich möchte dazu einen Satz aus einer anderen religiösen Schrift zitieren, der Bhagavad Gita, dem Gesang Gottes der indischen Religionen.

Krishna, der eine Inkarnation Gottes ist, spricht zu Arjuna, seinem Schüler. Er sagt: Und beherzige diesen wichtigen Punkt, der ganz generell für das Leben steht. Die großen Aufgaben im Leben besteht man dadurch, dass man Schmerz und Freude, Nutzen und Schaden, Sieg und Niederlage in gleicher Weise annimmt.

Hier hören wir auch von einem Blick auf das Leben ohne, dass Ereignisse bewertet oder eingeordnet werden: Die großen Aufgaben im Leben besteht man dadurch, dass man Schmerz und Freude, Nutzen und Schaden, Sieg und Niederlage in gleicher Weise annimmt.

Wir fragen häufig nach der Position und nach dem Standpunkt Gottes bei so vielen Ereignissen des Lebens. Als ob Gott das eine tun und das andere verhindern könnte und so das Leben bestimmen würde. Vielleicht hätte ich als Kind tatsächlich gedacht, dass Gott mir aus irgendwelchen Gründen gram gewesen ist und deshalb meine Blumensamen nicht wachsen ließ. Heute lerne ich, dass ich so etwas wie Gottes Kraft nicht anhand meiner Wünsche und Bedürfnisse kreieren und bewerten kann, auch nicht nach Maßgabe so tiefer Wünsche und Sehnsüchte wie Gerechtigkeit und Liebe, und dass das Wirken Gottes eben zu den verborgenen Bereichen des Lebens gehört. Und dass Gott eben dann am nächsten ist, wenn ich nicht unterscheide und die Bewegungen des Lebens – nach oben wie nach unten – in gleicher Weise annehmen kann.

Dazu eine abschließende Geschichte von Christian Morgenstern:

Eines Tages lief einem Bauern das einzige Pferd fort und kam nicht mehr zurück. Da hatten die Nachbarn Mitleid mit dem Bauern und sagten: "Du Ärmster! Dein Pferd ist weggelaufen - welch ein Unglück!"
Der Landmann antwortete: "Wer sagt denn, dass dies ein Unglück ist?"
Und tatsächlich kehrte nach einigen Tagen das Pferd zurück und brachte ein Wildpferd mit.
Jetzt sagten die Nachbarn: "Erst läuft dir das Pferd weg - dann bringt es noch ein zweites mit! Was hast du bloß für ein Glück!"
Der Bauer schüttelte den Kopf: "Wer weiß, ob das Glück bedeutet?" Das Wildpferd wurde vom ältesten Sohn des Bauern eingeritten; dabei stürzte er und brach sich ein Bein. Die Nachbarn eilten herbei und sagten: "Welch ein Unglück!"
Aber der Landmann gab zur Antwort: "Wer will wissen, ob das ein Unglück ist?"
Kurz darauf kamen die Soldaten des Königs und zogen alle jungen Männer des Dorfes für den Kriegsdienst ein. Den ältesten Sohn des Bauern ließen sie zurück - mit seinem gebrochenen Bein.
Da riefen die Nachbarn: "Was für ein Glück! Dein Sohn wurde nicht eingezogen!"
Und der Bauer antwortete: "Wer sagt denn, dass dies ein Glück ist?"

Amen

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