Trinitatis: Röm 11, 33-36

22.05.2016 | 12:00

Gnade Sei mit Euch und Friede von dem, der da ist, der da war und der da kommt. Amen.

Der Predigttext für heute steht im Römerbrief im 11. Kapitel, in den VV. 33-36:

"Wie unerschöpflich ist Gottes Reichtum! Wie tief ist seine Weisheit, wie unermesslich sein Wissen! Wie unergründlich sind seine Entscheidungen, wie unerforschlich seine Wege!
Hat jemals ein Mensch die Gedanken des Herrn ergründet? Ist je einer sein Berater gewesen?
Wer hat Gott jemals etwas gegeben, sodass Gott es ihm zurückerstatten müsste?
Gott ist es, von dem alles kommt, durch den alles besteht und in dem alles sein Ziel hat. Ihm gebührt die Ehre für immer und ewig. Amen."

(Römer 11, 33-36 Neue Genfer Übersetzung)

Liebe Gemeinde,

da staunt jemand. Und ist hingerissen. Und überrascht. Und komplett überwältigt. Da geht jemandem etwas Fundamentales auf. Da begreift jemand angesichts der Größe Gottes, wie klein er selber ist und wie unangemessen es angesichts dieses Unterschiedes ist, so zu tun als hätte er selbst den Überblick, die Weisheit, die Wahrheit gepachtet, wo er doch nur einen Teil überblickt.

Und er kann nicht anders als diesen Gott zu preisen und erschüttert den fundamentalen Unterschied zwischen Gott und ihm selbst anzuerkennen. Was Paulus hier schreibt im 11. Kapitel des Römerbriefes, ist ein Hymnus, ein Lobpreis.
Ergriffen, demütig, erstaunt.

Jemand hat mir früher einmal etwas süffisant nach einer Predigt gesagt: "Na, da haben wir ja wieder mal Gott auf der Bettkante sitzen gehabt, hm?! Ist ja erstaunlich, was Sie so alles von Gottes Willen und Wollen, von seiner Befindlichkeit und seinen Gefühlen wissen. Scheint ja, als hätte er Sie genauestens eingeweiht."

Auch wenn man es nicht denken sollte, es wurde der Beginn einer langen, tiefen Freundschaft.

Ich konnte die Kritik damals nehmen, obwohl ich zuerst doch schlucken musste. Aber im Grunde, das war mir denn doch schnell klar, hatte er Recht und ich wusste es.
Es passiert so leicht, dass man vollmundig die eigenen Gedanken und Gefühle als Schablone benutzt für Gott. Es passiert so leicht, dass Gott herhalten muss - auch auf der Kanzel - für das, was einem immer schon mal ganz persönlich wichtig war zu sagen.

Ich habe mir diesen Hinweis damals zu Herzen genommen und bin vorsichtiger geworden seitdem. Achtsamer in meiner Sprache von Gott, demütiger in dem, was ich zu wissen meine über ihn.

Vielleicht bin ich auch einfach älter geworden und habe die eine oder andere Erfahrung gemacht, die mir manch schnelle Formulierung, was Gott betrifft, aus der Hand geschlagen hat. Es ist ein Glück, finde ich inzwischen, Gott nicht fassen zu können und doch nicht lassen zu wollen. Vor dem Mysterium Gottes zu stehen und zu begreifen, wie menschlich, wie begrenzt eben unsere Versuche sind, ihn zu verstehen. Und es dennoch immer wieder von Neuem zu versuchen.

So Vieles lässt sich für uns überhaupt gar nicht erklären zwischen Himmel und Erde. Weder die Wunder, die ein Leben erleuchten, noch die Abgründe, die das Leben zeichnen können. Vorsicht, denke ich oft, vor den zu schnellen, zu glatten Antworten auf die großen Fragen, die Menschen haben. Die Fragen nach dem "Warum", nach dem "Warum gerade ich". Manchmal ist Schweigen Gold. Dann, wenn wir es nicht wissen. Dann, wenn eine schnelle Antwort nur uns selbst entlastet. Dann, wenn uns selber um Trost bange ist. Dann ist Schweigen kostbarer als Reden.

Gott, glaube ich, braucht unsere Verteidigung nicht. Und auch bei Hiob erweisen seine Freunde sich als Freunde dadurch, dass sie mit ihm das Grauen aushalten. Als sie beginnen, es erklären zu wollen, ihm einen Sinn darin aufoktroyieren zu wollen, lassen sie ihn allein und verletzen ihn einmal mehr. Bei Hiob ist Gott selbst es, der Hiob antwortet. So antwortet, dass etwas Neues möglich wird. Auf seine Weise. Zu seiner Zeit. Gott braucht unsere Verteidigung nicht, glaube ich.

Wir Menschen aber brauchen die Erlaubnis, unsere Fragen auszusprechen, unser Entsetzen hinauszuschreien, an unseren Zweifeln nicht zu ersticken. Wir Menschen brauchen andere Menschen, die unsere Fragen aushalten und daran festhalten – trotz allem - dass Gott die richtige Adresse dafür ist, sie zu stellen. Wir Menschen brauchen andere, die uns beistehen in den Fragen, die da sind. Gerade in den Fragen, die lange Zeit oder nie eine Antwort finden, aber eine Seele umtreiben können.

Ja, manchmal wächst man in eine Antwort hinein, wie Rilke dies so wunderbar formuliert hat. Ja, manchmal reicht es aus - was schon schwer genug ist -, die Fragen zu leben, ganz, vor ihnen nicht wegzulaufen, sie durchzubuchstabieren und auszuhalten und eines Tages wächst man in die Antwort hinein. Was für ein Segen, wenn das passiert. Was für ein Segen.

Es passiert nicht immer.

Es gehört Mut dazu, dann an Gott festzuhalten und dieses Mysterium nicht zu lassen, es nicht abzutun als Märchen für Kinder. Sich immer wieder genau da hin zu wenden. Obwohl wir Gott nicht fassen können. Ihn deshalb nicht zu lassen. Und in all unserem Suchen zu begreifen, wie menschlich, wie begrenzt eben unsere Versuche sind, ihn zu verstehen. Und es dennoch immer wieder von Neuem zu versuchen. Nicht als Selbstzweck, sondern auf den Spuren derer, die ihn gerade da gefunden haben, manche gerade in der dunklen Nacht der Seele, wie viele gerade in den Brüchen ihres Lebens. Jesus selbst bürgt dafür, dass seine verzweifelte Frage am Kreuz "Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?" nicht ungehört verhallt ist, sondern an Ostern Antwort gefunden hat.

Alle, welche dich suchen, versuchen dich

(sagt Rilke in einem seiner Gedichte so treffend und weiter:)

Und die, so dich finden, binden dich
an Bild und Gebärde.

Wie leicht passiert es, dass wir ihn binden, an Bild und Gebärde. Binden ist das Problem, nicht das Bild und nicht die Gebärde.
Denn beides zu brauchen ist menschlich.
Es ist menschlich, das Kino im Kopf, die Tonspur, in der Gefühle und Stimmungen vorkommen, Bilder eben.
Es ist menschlich, sich etwas vorstellen zu müssen. Das weiß auch das Judentum und redet – trotz des Bilderverbots - in den schönsten menschlichen Bildern von Gott, seiner Liebe, seiner Güte, seiner Eifersucht, seinem Werben um das Volk Israel.
Und hat sich im Zentrum dennoch die Achtung vor dem Geheimnis Gottes bewahrt, vor seiner Unausforschlichtkeit, vor seiner Heiligkeit.
Der muss ihm nahe gekommen sein, der so voll Demut von ihm redet.

Das ist mir mit Erschrecken klargeworden damals, wie unangemessen es ist, von Gott zu reden als kennte ich ihn, als wüsste ich seine Ratschlüsse und könnte zwischen den Zeilen seine Antworten herauslesen auf die brennenden Fragen eines Lebens.
Wie schnell wir fertig sind mit Gott, wenn wir die Bilder, die wir uns von ihm machen, nicht auch immer wieder bereit sind, loszulassen. Wenn wir nicht bereit sind, die Vorläufigkeit unserer Bilder anzuerkennen und immer wieder eine neue Erfahrung mit ihm zu machen.

Das sind ja selbst die biblischen Bilder: Ausdruck menschlicher Erfahrung mit ihm, nicht mehr und auch kein Stück weniger. Ausdruck gelebten Glaubens.
Als solche laden sie ein, eigene Erfahrungen mit diesem Gott und diesem Glauben an ihn zu machen.
Sich den Worten und Erfahrungen derer anzuvertrauen, die vor uns auf diesem Weg waren, um selbst den Weg zu finden.

Wir können ja nicht einmal das Mysterium eines anderen Menschen ergründen, ihn wirklich im Tiefsten verstehen, um wie viel weniger vermögen wir die Tiefe Gottes auszuloten und können von ihm sagen, wie er wirklich ist.

Vielleicht reicht es oft schon aus, das demütig anzuerkennen und manches Mal lieber ein schlichtes "ich weiß es nicht" zu formulieren als vollmundige Antworten zu versuchen, die schön klingen, aber am Ende wohl für zu leicht befunden werden werden. Vielleicht sitzt Gott sogar ab und zu auf meiner Bettkante, ohne dass ich es weiß. Manche meiner Fragen jedenfalls hat er auf ganz unverhoffte Art und Weise beantwortet, ohne dass ich sie jemals laut ausgesprochen hätte. Vielleicht tut das letztlich aber auch gar nicht Not. Vielleicht tut es vielmehr Not, ihn zu suchen und mich von ihm finden zu lassen als ihn beschreiben zu wollen und alles erklären zu können. Vielleicht ist es wichtiger, in der Stille und auch im Getriebe des Alltags meine Sinne beieinander zu haben, damit ich ihn nicht verfehle.

Vielleicht ist die einzig angemessen Form überhaupt, diesem Mysterium zu begegnen, der Kontakt selbst, das Gebet.

Rilke hat das einmal wunderbar ausgedrückt in seinem Gedicht "Gebet":

"Ich sprach von dir als vom sehr Verwandten,
zu dem mein Leben hundert Wege weiß,
ich nannte dich: den alle Kinder kannten,
den alle Saiten überspannten, für den ich dunkel bin und leis.
Ich nannte dich den Nächsten meiner Nächte und meiner Abende Verschwiegenheit,
Und du bist der, den keiner sich erdächte,
wärst du nicht ausgedacht seit Ewigkeit.
Und du bist der, in dem ich nicht geirrt,
den ich betrat wie ein gewohntes Haus.
Jetzt geht Dein Wachsen über mich hinaus:
Du bist der Werdenste, der wird."

So kann nur sprechen, wer wie Paulus in unserem Predigttext staunt. Über diesen Gott. Über das, was er erlebt mit diesem Gott. So kann nur einer sprechen, der ihm begegnet ist. Und der, im Mark getroffen, erkennt, wie groß der Unterschied ist zwischen Gott und uns Menschen. Wie wenig wir in der Lage sind, Gott zu begreifen und wie vermessen es deshalb im Grunde ist, was wir oft so schnell über ihn dahersagen.

Martin Luther hat einmal gesagt:

"Das christliche Leben ist nicht ein Frommsein, sondern ein Frommwerden, nicht ein Gesundsein, sondern Gesundwerden, überhaupt nicht ein Sein, sondern ein Werden, nicht Ruhe, sondern Übung. Wir sind's noch nicht, wir werden's aber. Es ist noch nicht getan und geschehen, es ist aber auf dem Weg."

Das finde ich ungemein tröstlich. Dass unser Leben und unser Glaube Zeit hat, sich zu entwickeln. Dass wir Zeit unseres Lebens Zeit haben, uns zu entwickeln und in die Tiefe zu wachsen. Andere zu werden, oder vielleicht besser gesagt: die zu werden, die wir eigentlich sind, in den Augen Gottes. "Wir sind's noch nicht, wir werden's aber."

Dafür bürgt Gott. Das hat er versprochen. Das Gelingen der ganzen Reise. Wie auch immer die Wegstrecken zwischendrin aussehen mögen. Welche Täler auch immer dazugehören mögen zu den Sternstunden, welche Wüsten es zu durchwandern gilt neben den Festen des Gelingens und den Offenbarungen der Nähe und Liebe Gottes mittendrin.

Wer sich auf den Weg macht, fängt früher oder später an zu staunen. Über diesen Gott. Über die verschlungenen unausforschlichen Wege, auf denen er zurechtbringt, tröstet, heilt und hilft. Über die abenteuerlichen Wege, auf denen er an sein Ziel kommt. Über die Zeichen und Wunder, in denen er uns seine Liebeserklärung auf den Weg malt. Was am Ende bleibt, ist das, was am Anfang steht: das Staunen, die tiefe Freude, die Dankbarkeit und das Gottvertrauen, das gelassen macht und von Herzen froh. Mascha Kaleko hat ein "Rezept" dazu geschrieben:

Jage die Ängste fort 
und die Angst vor den Ängsten. 
Für die paar Jahre 
wird wohl alles noch reichen. 
Das Brot im Kasten 
und der Anzug im Schrank.
Sage nicht mein. 
Es ist dir alles nur geliehen.
Lebe auf Zeit und sieh, 
wie wenig du brauchst. Richte dich ein. 
Und halte den Koffer bereit.
Es ist wahr, was sie sagen: 
Was kommen muss, kommt. 
Geh dem Leid nicht entgegen. 
Und ist es da, 
sieh ihm still ins Gesicht. 
Es ist vergänglich wie Glück.
Erwarte nichts. 
Und hüte besorgt dein Geheimnis. Auch der Bruder verrät, 
geht es um dich oder ihn. Dein eignen Schatten nimm zum Weggefährten.
Feg deine Stube wohl. 
Und tausche den Gruß mit dem Nachbarn. 
Flicke heiter den Zaun 
und auch die Glocke am Tor. 
Die Wunde in dir halte wach unter dem Dach im Einstweilen.
Zerreiß deine Pläne. Sei klug und halte dich an Wunder. 
Sie sind lang schon verzeichnet 
im großen Plan. 
Jage die Ängste fort 
und die Angst vor den Ängsten."

Amen.

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