zum 450. Gedenktag der Einführung der Reformation in der Herrschaft Pinneberg

13.02.2011 | 01:00

Propst Dr. Horst Gorski

Texte: Römer 3, 21-28
und die Texte, mit denen die mecklenburgische Kirchenordnung eröffnet: Matthäus 28, 18-20 und Johannes 14, 23-26

 

Liebe Gemeinde!

Einem guten Blankeneser mag es ein gewisses Unbehagen verursachen, die Geschichte seines geliebten Stadtteils unter dem Titel der Geschichte der „Herrschaft Pinneberg“ wiederzufinden. Und doch ist es so, dass Blankenese – wie der größte Teil des heutigen Hamburger Westens -  im 15. und 16. Jahrhundert zur „Herrschaft Pinneberg“ gehört hat. Diese Herrschaft, von der ich gleich in kurzen Zügen mehr erzähle, war in ihren Grenzen ganz ähnlich dem heutigen Kirchenkreis Hamburg-West/Südholstein. Dessen Umfang ist deshalb so wunderlich nicht, wie manche heute denken. Vielmehr könnte man in Anlehnung an die Worte eines großen Staatsmannes unserer Zeit sagen: Es wächst wieder zusammen, was schon vor alters zusammengehört hat.

Zur Geschichte Schleswig-Holsteins gibt es die Anekdote eines Geschichtsprofessors, der gesagt haben soll: „Die Geschichte Schleswig-Holsteins ist so kompliziert – der einzige, der sie verstanden hat, bin ich. Und ich hab’s vergessen.“ So will ich Sie denn auch nicht mit historischen Einzelheiten traktieren, immerhin soll dies eine Predigt werden. Trotzdem gehört es zu diesem Tag, dass wir verstehen und würdigen, was unsere Väter (und das waren es) damals getan haben und worauf wir bis heute aufbauen.

Im Vertrag von Ripen (das müssen Sie sich nicht merken!) wurde nach dem Tode des kinderlosen Grafen Adolf VII.von Holstein 1460 geregelt, dass die Herrschaft Pinneberg, die den Schauenburger Grafen unterstand, eben bei den Schauenburgern bleiben solle und nicht, wie das übrige Holstein, unter die Herrschaft des dänischen Königs ging. 1544, also mitten in den Turbulenzen der Reformationszeit, übernahm Otto IV. das gräfliche Zepter der Schauenburger. Er stammte aus einer zutiefst katholischen Familie, hatte einen Bruder, der Erzbischof von Köln war, und wurde selber in Hildesheim zum Bischof bestimmt, trat dieses Amt aber nie an.

So kam es, dass die Lande um die Herrschaft Pinneberg herum um 1550 schon evangelisch geworden waren, nämlich Hamburg und Schleswig-Holstein, während die Herrschaft Pinneberg noch dem alten Glauben angehörte. Vor Ort allerdings tat sich einiges. In Ottensen hielt Rumond Walther bereits evangelische Predigten. Und auch an anderen Orten der Herrschaft traten nach und nach reformatorisch gesinnte Pastoren auf. Blankenese hatte noch keine eigene Kirche. Das Gebiet gehörte zur Kirchengemeinde Nienstedten, wo ebenfalls bereits evangelische Predigten stattfanden. Offiziell aber galt die Regelung des Augsburger Religionsfriedens „cuius regio, eius religio“, zu deutsch also, dass der jeweilige Fürst entschied, welcher Konfession seine Untertanen angehörten. Besonders kompliziert wurde die Situation dadurch, dass die Gemeinden der Herrschaft Pinneberg kirchlich der Aufsicht des katholischen Hamburger Dompropstes unterstanden. Als Hamburg nun aber schon evangelisch geworden war und es keinen Dompropst mehr gab, war die Aufsicht über die hiesigen Gemeinden unklar.

Bewegung kam in diese Lage erst, als der erzbischöfliche Bruder des Grafen gestorben war und dieser außerdem eine evangelische Frau geheiratet hatte. Danach entschied er sich 1559, nun selber auch evangelisch zu werden. Wobei ihm die Historiker kein wirkliches Interesse für den Glauben nachsagen. Es scheint eher eine pragmatische Entscheidung gewesen zu sein. Und ebenso pragmatisch verlief anschließend die Einführung der Reformation in seinen Landen: Am 23. Januar 1561 mussten die Prediger der Gemeinden einzeln auf das Pinneberger Schloss kommen und dort die mecklenburgische Kirchenordnung unterschreiben. Für Nienstedten – und damit auch für Blankenese – verzeichnen die Annalen die Unterschrift eines Pastors Johann N. Warum sein Nachname nicht aufgeführt ist, entzieht sich der Kenntnis. Von Protesten gegen den Zwang zur Unterschrift ist nichts überliefert. Dass Graf Otto die mecklenburgische Kirchenordnung für sein Gebiet wählte und nicht die rendsburgische, die in Holstein schon galt, mag viele Gründe haben. Wahrscheinlich wollte er sich gegen das dänische Holstein abgrenzen, weil der dänische König immer wieder Ansprüche auf die Herrschaft Pinneberg erhob. Doch dazu kam es erst 1640, als nach dem Aussterben der schauenburgischen Grafen der dänische König Landesherr in Pinneberg, und damit auch hier in Blankenese, wurde.

Soweit der „Seminarteil“ meiner Predigt.

Die mecklenburgische Kirchenordnung war eine der wichtigsten evangelischen Kirchenordnungen der frühen Reformationszeit. An den Anfang stellt sie die beiden Texte aus dem Matthäus- und dem Johannesevangelium, die wir vorhin gehört haben. Damit ist die Botschaft klar: „Wer mich liebt, der wird mein Wort halten.“ Die Kirche gründet auf Christus und seinem Wort und auf nichts anderem. Und dieses Wort verheißt Gnade und Gerechtigkeit allen, die auf Christus vertrauen.

Worin besteht unser lutherisches Erbe, das wir – vielleicht sogar stolz – vertreten können?

  1. Als Martin Luther 1520 seine Schrift „Von der Freiheit eines Christenmenschen“ schrieb, setzte er eine Wurzel der Aufklärung. Natürlich ist mit dieser steilen Aussage behutsam umzugehen, denn zum einen wäre es ahistorisch, Martin Luther 200 Jahre zu früh der Aufklärung zuzurechnen, und zum anderen darf nicht übersehen werden, wie schwer sich die lutherische Kirche selber mit diesem Freiheitsimpuls und der späteren Aufklärung tat. Und dennoch reichen die geistesgeschichtlichen Wurzeln des aufgeklärten Freiheitsbegriffes zu Luther zurück, der den Menschen aus seiner Bindung an die Institution Kirche und ihre Ämterhierarchie löste und unmittelbar vor Gott stellte.
  2. In seiner Schrift „An den christlichen Adel deutscher Nation“ legte Luther 1520 den Grund für das sog. „Allgemeine Priestertum“, also die geistliche Gleichstellung aller Getauften, weil alles, was „aus der Taufe gekrochen“ ist, „schon zum Priester und Papst geweiht“ sei. Auch hierzu muss man eingestehen, dass die lutherische Kirche sich selber schwer mit der Umsetzung tat. Und dennoch hat Luther damit eine Wurzel für das moderne Demokratieverständnis und für unser Verständnis von Amt und Gemeindeleitung gelegt.
  3. Und noch ein Drittes können wir als lutherisches Erbe verzeichnen: Luther hat die ganze Bibel unter dem Gesichtspunkt gelesen, „was Christum treibet“, d.h. alle Aussagen müssen von Jesus Christus her gelesen werden. Damit wurde ein Impuls gesetzt, den Gott der Liebe zu den Menschen, den Jesus uns nahegebracht hat, über alle Dogmen, Theorien, über Macht und Organisation zu stellen. Noch einmal: Ob unsere eigene Kirche sich damit immer leicht getan hat (und tut), steht auf einem anderen Blatt. Aber selbst wenn nicht, bleibt hier erst recht eine Aufgabe, dieses Erbe zu heben.

Ich habe nie so viel von Aufklärung gesprochen wie in den letzten Jahren. Vielleicht liegt das daran, dass es sowohl in der Kirche manche unaufgeklärt-fundamentalistischen Bestrebungen verstärkt gibt, als auch daran, dass das Thema „Religion“ in der globalen öffentlichen Wahrnehmung überhaupt nur noch an einem dumpf-archaischen Bild von Religion orientiert zu sein und unter Begriffen wie steinzeitlich, intolerant und gewaltbereit vorzukommen scheint. Gerade in diesen Zeiten haben wir als lutherische Kirche ein Bild von „Religion“ als unser Erbe in die gesellschaftliche Diskussion einzubringen, das mit Begriffen wie aufgeklärter Glaube, Freiheit und Liebe einen profilierten Gegenentwurf zu allen dumpf-archaischen Religionsvorstellungen anzubieten hat. Ich meine, dass wir noch zu leise davon sprechen. Ich meine auch, dass dies die einzig richtige Reaktion auf die Angriffe auf christliche Kirchen in Ägypten und anderswo ist. Es ist darf nicht Gewalt mit Gegengewalt beantwortet werden. Und es dürfen auch nicht die Religionen insgesamt erneut als intolerant und gewaltbereit in den Fokus der öffentlichen Wahrnehmung geraten. Sondern wir müssen, meine ich, ein Gegenbild von Religion stark machen, das einen Gott der Liebe predigt, die unter Menschen nur tolerant und friedlich und nicht anders gelebt werden kann.

Eines muss sicherlich für unsere Zeit neu übersetzt werden: Wenn Luther von der Rechtfertigung aus Glauben spricht, kann er davon ausgehen, dass die Menschen seiner Zeit von der Frage umgetrieben wurden: Wie bekomme ich einen gnädigen Gott? Es liegt auf der Hand, dass dies nicht mehr die Hauptfrage unserer Zeit ist. Uns bewegen viel mehr Fragen wie: Welchen Sinn hat mein Leben? Wie kann ich mein Leben sinnvoll gestalten? Dabei denke ich manchmal, dass die Frage nach der Gnade darunter nur in andere Gewänder geschlüpft ist. Nicht mehr Gott ist es, vor dessen Urteil wir uns fürchten, sondern wir selber. Unser eigenes Über-Ich, wie Freud es genannt hat, unsere Unzufriedenheit mit uns selber; das Gefühl, uns selber nicht recht zu sein; sich selbst nicht vergeben können. Und mit dem Urteil über sich selbst auch Urteile über andere zu fällen. Wir haben Gott sozusagen in die Welt hineingenommen, und von dort fürchten wir sein Urteil als unser eigenes. Der Gnade bedürfen wir immer noch. Aber das Evangelium muss uns als erstes zurufen: Sei gnädig mit dir selber. Mit diesem Schlüssel erschließt sich dann auch die alte Botschaft, dass Gott gnädig mit uns ist. Nämlich erstaunlicherweise gnädiger, als wir selbst es sind. Das ist die Überraschung der frohen Botschaft.

Und was den Sinn des Lebens angeht, so hat sich mir im Laufe meines Lebens eine Antwort immer deutlicher gezeigt: Natürlich machen ganz viele Dinge mein Leben sinnvoll: Mein Aufgaben, auch die schwierigen Seiten mit ihren Herausforderungen, dann Liebe und Freundschaft, das Geben und Nehmen zwischen Menschen, Dank geben und empfangen; nicht zuletzt alles, was Gottes Schöpfung uns zu bieten hat: Die Musik für mich zuerst, gute Gedanken, Literatur, die Bewegung in freier Natur. Aber noch darunter, in einer Tiefenschicht sozusagen, wird mein Leben sinnvoll dadurch, dass ich es vor Gott verbringe. Und zwar vor genau diesem Gott, der mich gnädiger anschaut, als ich es selber kann. Alles was ich tue, vor Gott zu tun, im Lauten oder in der Stille, das Engagement und manchmal auch das Garnichtstun einfach vor Gott zu tun, in seiner Gegenwart – das gibt mir das Gefühl, dass alles irgendwie Sinn hat, auch wenn mein Leben nicht wie eine Rechenaufgabe aufgeht.

So mögen auch in den nächsten 450 Jahren Christinnen und Christen hier Gott loben und preisen. Denn in seiner Gegenwart ist gut Sein und Leben. Amen.

 

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