Themen und Texte

Die hier veröffentlichten Texte spiegeln die Meinung einzelner Autoren wider und laden im Sinne lebendiger Akademie-Arbeit zu Dialog, Diskussion und Widerspruch ein.

Weltethos

Texte von Prof. H. Häring

Vorträge in Blankenese

25 Jahre Erklärung des Weltparlaments der Religionen:
Was hat sie bewirkt? Wie ist sie fortzuschreiben im Blick auf Europa?

Prof. Dr. Hermann Häring, wiss. Berater der Stiftung Weltethos, Tübingen

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Weltethos - Schrittmacher für eine Kirchengemeinde

Prof. Dr. Hermann Häring, wissenschaftl. Berater der Stiftung Weltethos, Tübingen, der Initiative Weltethos e.V. und der Ev. GemeindeAkademie Blankenese

 

Postsäkulare Menschlichkeit – woher und wohin?

Der nachdenkliche Zeitgenosse sieht sich auf Schritt und Tritt konfrontiert mit Appellen, sich durch Spenden zu engagieren, noch öfter durch die Aufforderung, getreu christlicher Ethik, die Verbesserung dieser Welt mit irgendeinem Projekt voranzubringen.

So erfreulich es auch erscheint, dass in der Gegenwart die religiöse Zugehörigkeit der Helfer wie auch ihrer Unterstützer kaum noch eine Rolle spielt, stellt sich doch die Frage, warum so manchem guten Projekt nach einiger Zeit nicht selten persönliche oder nationale Egoismen ein klägliches Ende bereiten.

Der Philosoph Peter Sloterdijk macht in seinem Buch „Nach Gott“ darauf aufmerksam, dass auch Kirchen sich heute weitgehend als Dienstleistungsunternehmen verstehen, weil seit der Aufklärung zunehmend Zweifel und Streben nach individueller Ausrichtung den Glauben des Einzelnen zur Privatsache gemacht haben; die nicht hinterfragte Glaubensgemeinschaft ist nahezu passé.

Damit ist jedoch dem Appell nach Menschlichkeit in unserer pluralen Gesellschaft, in der Christen ohnehin nur noch eine Stimme unter vielen bedeuten, eine wichtige Grundlage entzogen: Er wird gehört, solange er nicht mit den eigenen Interessen kollidiert, eine fatale Entwicklung angesichts der Notwendigkeit eines „globalen Solidarsystems“ (Begriff von Hans Jonas), die alle Menschen etwas angeht.

Sloterdijk verweist auf Nikolaus von Kues. Dieser schickte seinen Brüdern im Kloster Tegernsee 1453 ein Bild, das er „Gottes Bild“ nannte und in dem beigefügten Brief zur Meditation empfahl. Es zeigt einen „Alles-Sehenden“, denn im gleichen Abstand sieht jeder Betrachter, aus welcher Richtung auch immer, in das Auge des unbeweglichen Antlitzes:

„....dass der um jeden Einzelnen so Sorge trägt, als ob er sich allein um ihn, der erkennt, dass der angeblickt wird, kümmern würde und um keinen andern, und das so sehr, dass derjenige, den er anblickt, nicht zu begreifen vermag, dass er auch um einen anderen Sorge trägt.“

So wird für Nikolaus von Kues das Bild zum Gleichnis für Gottes Allsichtigkeit, die jedes Geschöpf umgibt, und den Auftrag, „in meinen lokalen und leibhaften Perspektiven weiterhin so zu sehen, wie zu sehen mir eben gegeben ist“.

Damit hat der Mystiker die unentbehrliche Quelle ethischen Handelns aufgezeigt, wie sie dem Menschen selbst dann Mut und Hoffnung aus jener Richtung verspricht, wenn andere aufgeben; sollte dieser Gedanke vielleicht nicht nur den Brüdern vom Kloster Tegernsee eine wichtige Anregung sein?

Gudrun Gersdorf, April 2019

 

Universalitätsanspruch des Glaubens und Toleranz in ständigem Widerspruch

Universalitätsanspruch des Glaubens und Toleranz in ständigem Widerspruch

Nicht erst die jüngsten politischen Entwicklungen im Nahen Osten führen vor Augen, wozu fromme Menschen, gleich welcher Religion, fähig sind, wenn es darum geht, einen „Heiligen Krieg“ gegen Andersdenkende zu führen. Prof. Friedrich Wilhelm Graf, Emeritus der Universität München, spitzt in einem Aufsatz das Problem auf die Formel “Mord als Gottesdienst“ zu.

Wie kamen beispielsweise höchste Repräsentanten der Serbisch Orthodoxen Kirche während der Sezessionskriege des zerfallenden Jugoslawiens dazu, erfolgreich zum „Heiligen Krieg“ gegen Muslime und Katholiken zu rufen? Warum bekämpfen Buddhisten in Myanmar eine muslimische Minderheit,  Hindunationalisten in Indien gleichfalls? Warum wurde mit Erbitterung der Dreißigjährige Krieg in Deutschland zwischen Katholiken und Protestanten geführt, mit bleibenden Folgen bis in die Gegenwart?

Professor Graf macht darauf aufmerksam, dass die Toleranz als Kind der Aufklärung in Deutschland so lange unangefochten selbstverständlich war, wie die Bevölkerung sich homogen zu einem Glauben, dem Christentum, bekannte, und folglich andere Religionen in der Gemeinschaft nur eine Randbedeutung  hatten. Die Veränderung unserer Gesellschaft im Europa des 21. Jahrhundert habe völlig neue Voraussetzungen geschaffen, und damit bisher unbekannte Konflikte, die nun zwischen der Mehrheit und verschiedenen Minderheiten ausgetragen werden.

Der tiefere Grund sei nicht in erster Linie in handfesten materiellen Interessen zu suchen, die immer auch im Spiel seien, sondern in der Glaubensvorstellung insbesondere, aber nicht nur, der monotheistischen Religionen: Von einer Ordnung des Kosmos, die nur durch den sündhaften Menschen gestört wurde und gottgewollt erneut in eine endgültige Ordnung  münden soll. Der Glaubende verstehe sich als der Beauftragte einer göttlichen Allmacht,  an der Herstellung dieser Ordnung mit allen Mitteln mitzuwirken. Dabei  berufe sich der Fromme auf Heilige Schriften, die ihn  legitimieren, notfalls auch durch beleidigende Religionskritik, Gewalt gegen religiöse Stätten und „ungläubige“ Menschen, bis zur Vernichtung, vorzugehen, als  die Verwalter innerweltlicher Gewalt  Gottes: „Macht euch die Erde untertan und herrscht über sie“.

Heilige Schriften gibt es in jeder Religion, und sie bieten einen kostbaren Schatz. Prof. Graf jedoch warnt davor, den Fehler zu machen, diesen so zu heben, als seien die Texte  in der Gegenwart als Weisung  für den Frommen verfasst, und nicht entstanden aus einer bestimmten historischen Situation, die oft viele Jahrhunderte zurückliegt. Sie  fordern heraus zur besonnenen Betrachtung, ob und wie weit sie dem heute handelnden Glaubenden  Weisung sein können.

Nur wer dazu bereit ist, wird auch aus seiner Überzeugung, den universal gültigen Glauben zu leben, die Kraft haben, dennoch Toleranz zu üben gegenüber Anderen; in Respekt vor deren Entscheidung, im Bewusstsein begrenzter Erkenntnismöglichkeiten, die der nun einmal nur in endlicher Existenz befindliche Mensch akzeptieren muss. Und nicht zuletzt aus der Einsicht, dass die vielfachen Widersprüche des Lebens nicht auflösbar, wohl aber ertragbar sind.

Weil  diese Gedanken nicht rein theoretischer Natur sind, die bestenfalls einige theologisch Interessierte  bewegen, sondern über das Zusammenleben im Europa der Zukunft entscheiden werden, bleibt zu wünschen, dass sie auch in der Öffentlichkeit vernehmbar Gehör finden.

Reflexion zu „Mord als Gottesdienst“ in FAZ vom 7.08.14

 

GUDRUN  GERSDORF

Versöhnung - Hohe Schule des Lebens

VERSÖHNUNG - HOHE SCHULE DES LEBENS

EINIGE GEDANKEN ZU PSALM 23, VERS 5 a:

„Du lädst mich ein und deckst mir den Tisch selbst vor den Augen meiner Feinde“
(NEUE GENFER ÜBERSETZUNG)

Wer ist der Hirte in diesem Gebet, das dem legendären König David zugeschrieben wird?

In Assur und Babylon trugen Könige diesen Titel, der ihnen die Pflicht auferlegte, wie ein sorgsamer Hirte für sein Volk zu sorgen.

Ebenfalls waren sie letzte Instanz der Justiz. Diese kannte rigide Regeln:

Ein Beklagter drang auf rasche Klärung, denn die Anklage grenzte ihn aus der sozialen Gemeinschaft mit allen Konsequenzen aus; er gehörte nun einfach nicht mehr dazu.

Die Kläger jedoch hüteten sich vor Klagen ohne belastbare Argumente, denn ihnen drohte bei grundloser Anklage die Todesstrafe.

Der richtende König fällte einen Urteilsspruch. Wurde dieser von beiden Seiten akzeptiert, besiegelte und beendete eine gemeinsame Mahlzeit unter seinem Vorsitz an einem Tisch das Verfahren. In diesem Moment war der Beklagte rehabilitiert, die Gemeinschaft nahm auch mit ihm wieder soziale Beziehungen auf, das Leben konnte für alle ungestört weitergehen.

Dieses Verfahren hat der Psalm zur Vorlage, jedoch mit einer entscheidenden Änderung:

Der Psalmist preist seinen Richter als seinen Beschützer, weil er ihm sogar vor  „den Augen meiner Feinde“, (die Feinde sitzen nicht mit ihm an einem Tisch),  also angesichts eines nicht beigelegten Konflikts, die Geborgenheit bietet, wieder in die Gemeinschaft mit ihm aufgenommen zu sein.

David findet also Geborgenheit, obwohl die augenblickliche Lage ihm noch keine Hoffnung bietet. Und diese scheint die zwingende Voraussetzung für seinen unerschütterlichen Willen zu sein, seinem Todfeind Saul zu vergeben, indem er die ihm sich bietende Möglichkeit zur Rache bewußt nicht ausnutzt, statt dessen Saul seinen Verzicht deutlich signalisiert. Von diesem Moment an ist zwischen beiden die Gewalt des Hasses gebrochen, wie das 1.Buch Samuel eindrucksvoll schildert; und wie nicht nur an dieser Stelle des Alten Testaments, erzählt Samuel gleich zweimal von einer Verschonung Sauls durch David, um möglichst einprägsam diese Handlung in ihrer Bedeutung zu unterstreichen.

Es klingt so einfach:

Versöhnung setzt voraus, daß beide Parteien aufeinander zugehen: die eine mit ernst gemeinter Einsicht in die Verfehlung und darum Bitte um Verzeihung; die andere mit der ernsthaft und endgültig gemeinten Bereitschaft, Verzeihung zu gewähren und eine Wiedergutmachung, sofern möglich, zu akzeptieren;  und vor allem den Konflikt von nun an der Vergangenheit zu überlassen.

Die Notwendigkeit, diesen anspruchsvollen Weg zu gehen, beleuchtet Joachim Bauer ( in:“Geheimnis der Vergangenheit“; Hg. Jürgen Moltmann  2012):

Der Neurobiologe schildert die fatale Wirkung halbherzig oder gar nicht bewältigter Konflikte für beide Parteien; Gene als Kommunikatoren nehmen einen biologischen Fingerabdruck von jeder Handlung; fehlende soziale Akzeptanz kann bis zum biologischen Tod führen, Wertschätzung und Liebe dagegen stärkt die Motivationssysteme des Hirns,  eine wesentliche Voraussetzung von Leben.

Jedoch diese Einsicht führt nicht zu einem selbstverständlichen Gelingen von Versöhnung; oft genug kann nur eine Partei vergeben, die andere erkennt nicht einmal die Notwendigkeit, Versöhnungsversuche können auch brüsk zurückgewiesen werden. So paradox es sein mag: Dennoch gibt es zu ihr keine Alternative.

Beispiel 1

Eine Ehefrau liegt im Streit mit dem Ehemann um nach ihrer Meinung falsch verwendete Geldmittel. Es liegt nach mehrfachen „Versöhnungen“ in der Vergangenheit nahe, daß sie auf sämtliche Fehlentscheidungen in der Vergangenheit zurückgreift,  alles wird noch einmal „aufgewärmt“. Der Beklagte bleibt ihr wahrscheinlich keinen Gegenvorwurf auf anderer Ebene schuldig oder – vielleicht noch schlimmer – geht einer Auseinandersetzung aus dem Wege, schweigt.

Wie soll hier Vergebung, wie soll Versöhnung aussehen? Wäre eine Trennung einer nur noch durch Gewohnheit oder ökonomische Überlegungen gekittete Gemeinschaft nicht eine von mehreren Möglichkeiten, beiden ein Weiterleben zu eröffnen? Werden sie die Möglichkeit finden, auch in einer verfahrenen Situation einen für beide weiterhin gemeinsamen Weg zu finden?

Eine allgemein gültige Antwort gibt es nicht.

Beispiel 2

Die zu den Friedenskirchen zählenden Mennoniten leiden nach eigenem Bekunden bis heute darunter, daß im 16. Jh. Luther, Bugenhagen und Melanchthon im Jahr 1536 den Gebrauch von Zwangsmitteln und den Vollzug der Todesstrafe gegen die sog. „Täufer“ verteidigt haben als notwendige Konsequenz des Augsburger  Bekenntnisses. Luthers Haltung gegenüber den Juden an anderer Stelle ist hinreichend bekannt.

Erst im Jahr 2010 hat eine mennonitisch-lutherische Studienkommission ihre Arbeit aufgenommen und die theologische Überprüfung ihrer Positionen im Lichte der Gegenwart begonnen. Dieses Beispiel zeigt deutlich, wie lange es dauern kann, bis größere Gemeinschaften endlich die Notwendigkeit von Versöhnung erfassen und um ihre Verwirklichung ringen.  Welche Bereicherung  für alle evangelischen Kirchen könnte sich aus einem Austausch des Erfahrungsschatzes ergeben!

Abschließend sei erwähnt, daß David im Vers 5 b seine Hoffnung  auf den Weg Gottes mit ihm  nach der Versöhnung mit Saul in die poetische Metapher faßt,  ihm werde  der Becher bis zum Überfließen gefüllt werden. Die glanzvolle Zeit des Volkes Israel unter seiner Herrschaft bildet noch bei dem Propheten Jesaja die Folie  für die Beschreibung des erwarteten Retters, des Kyrios, und wir Christen lesen diesen Text noch heute in der Epiphanias-Zeit in christologischer Deutung.

GUDRUN  GERSDORF

Europa

Verantwortung Europa

Auch die Kirchen nehmen die gemeinsame Verantwortung für Europa wahr und fördern die Einigung des europäischen Kontinents (Charta Oecumenica, Kap.3). Sie sind daher auch in Brüssel vertreten und bringen sich als Gegenüber und Partner der Institutionen in alle Fragen des Einigungsprozesses (Landwirtschaft, Menschenrechte, Flüchtlinge etc) ein.
Für Versöhnung, Dialog und Frieden einzutreten ist die Aufgabe von Christen. Es ist unsere besondere Aufgabe, diese Verantwortung auch in politischen Prozessen wahrzunehmen. Diese Rolle der Kirchen ist auch im Vertrag von Lissabon geregelt, der einen offenen, transparenten und regelmäßigen Dialog zwischen Kirchen und Union vorsieht.
 
In der Erfahrung der Kirchen ist Europa ist mehr als die „Union der 28“: Europaarbeit heißt danach, Dialog zu entwickeln, Begegnungen zu fördern, ein Bewusstsein für Europa zu schaffen und damit Vertrauen als Grundlage für ein Zusammenleben als Europäer.
 
Die GemeindeAkademie wird sich dieses Themas verstärkt mit Veranstaltungen annehmen: wir wollen weiter über die Rolle der Kirchen informieren und diskutieren, und über Themen des Einigungsprozesses, bei denen wie in der Migrationsfrage die Wachheit der Kirchen gefragt ist.
 
Am Bücherregal im Gemeindehaus gibt es nun einen „Infopoint Europa“ mit Broschüren zu Europa, der weiter wachsen wird.
 
Es lohnt sich, sich zu informieren, denn es liegt an uns, den Politikern klar zu machen, welches Europa wir wollen.
 
Die nächste Gelegenheit dazu ist bei den Europawahlen am 25. Mai 2014.

15.4.2014 Dr. Denise v. Quistorp

Nachhaltigkeit

Was bewegt in Zukunft? - Arte suste Mobile

Arte SusteMobile in der Kirchengemeinde Blankenese
2. August bis 31. Oktober 2013

"Wie können wir uns in Zukunft in unserer Welt bewegen und sie gleichzeitig bewahren?“

70 Künstler, Designer und Hochschulgruppen aus 20 Ländern machen an 140 Objekten den Begriff Nachhaltigkeit auf staunenswerte und anregende Weise anschaulich und konkret erlebbar.

Die Kirchengemeinde betrachtete es als besondere Chance, eine so ungewöhnliche Ausstellung präsentieren zu können und damit ein Ort der Begegnung von Kirche und Kultur und Politik und Bildung zu sein. Wir sprechen hier in unseren Gottesdiensten und Veranstaltungen über die „Bewahrung der Schöpfung“ und meinen damit, dass wir mit der uns anvertrauten Welt für die nachfolgenden Generationen verantwortlich umgehen wollen – die Nachhaltigkeitsdefinition der UNO entspricht also durchaus der der Bibel.

Die an der Ausstellung beteiligten Künstler und Forscher und uns als evangelische Kirchengemeinde treiben dieselben Fragen um:

Wie können wir leben, sodass auch nachfolgende Generationen noch etwas von unserer Welt haben? Wie gehen wir mit unseren Ressourcen, der Natur und unseren Mitmenschen um? Wie ist es um Gastfreundschaft, Respekt, Toleranz und Frieden bestellt? Was ist mit Armut und Bildungsungerechtigkeit und den Flüchtlingen an den Grenzen Europas? Und mit Mobilität, dem Schwerpunkt der Ausstellung: „Wie können wir uns in Zukunft unserer Welt bewegen und sie gleichzeitig bewahren?“

Die Ausstellung zeigt an konkreten Beispielen und Objekten, wie viel Gestaltungsspielraum die Menschen haben, wenn es darum geht, etwas in den Lebens- und Arbeitsbedingungen zu ändern und damit etwas für die Umwelt und die Mitmenschen und gegen den Klimawandel zu tun. Die Ausstellung ist ein innovatives Bildungsprojekt, das auf Kreativität und Gestaltungswillen setzt, verblüffende – und manchmal verblüffend einfache - Lösungen zeigt und dabei einen freundlichen Blick auf die Rolle der Menschen wirft.

Daran können wir als Christen gut anknüpfen, denn die Bewahrung der Schöpfung gründet auf einem Bild von Gott, der in der Fülle und nicht in der Knappheit schwelgt: ein weiter Himmel, eine unerschöpfliche Liebe, eine überströmende Freundlichkeit, unendliche Möglichkeiten. Gott, der Schöpfer, der sich ganz mit seiner Schöpfung verbindet - und auf uns zählt: „Gott hat sich seiner Schöpfermacht begeben und alles den Menschen anvertraut“, deutet die Paradiesesgeschichte.

Wir sind also herausgefordert, den Gotteszusammenhang dieser Welt ernst zu nehmen und das Wort „Nachhaltigkeit“ in unser Leben zu übersetzen. Dazu müssen wir keine Helden sein, die sich die Rettung der Welt vornehmen. Gefragt sind unsere Fantasie und auch unser Mut, entsprechend unseren Möglichkeiten unser Handeln und die Zukunft dieser Welt zusammenzubringen. Im Alltag trauen wir uns oft viel zu wenig zu, weil wir meinen, als Einzelne nichts bewirken und die Entscheidungen von Politik und Wirtschaft ohnehin nicht beeinflussen zu können. Aber lassen wir uns von den Arbeiten dieser Künstler dazu bewegen, die eigenen Gestaltungsspielräume zu entdecken: eigenverantwortlich und engagiert, fehlerfreundlich und ohne Überheblichkeit.

Ein gemeinsames Projekt von Stadt und Kirche

Wir müssen uns auch nicht allein engagieren, sondern können als Gemeinschaft sichtbare Zeichen setzen und neue Wege gehen, um unsere Zukunft zu sichern. So wie viele internationale Künstler für diese Ausstellung zusammenfanden, so konnte das Projekt „Arte susteMobile“ in Hamburg nur durch das Zusammenwirken einer Reihe von Akteuren verwirklicht werden. Den Anstoß gab die Initiative „Hamburg lernt Nachhaltigkeit“, den die Evangelische Akademie und die GemeindeAkademie Blankenese gern aufgriffen und der von der Behörde für Umwelt und Entwicklung und dem Kirchenkreis Hamburg-West/Südholstein unterstützt wird.

In einer der zentralen Zukunftsfragen, nämlich der Mobilität, teilen sich Kirche und Stadt nun die Mitverantwortung für die zukünftige Entwicklung und suchen gemeinsam „nach der Stadt Bestes; denn wenn's ihr wohl geht, so geht's auch euch wohl“ (Jer. 29,7).

29.4.2014 |  Dr. Denise v. Quistorp

Kirche schützt Klima

Angestoßen durch den Evangelischen Kirchentag in Bremen lud die GemeindeAkademie von 2009 bis 2012 zu einer Reihe von Vorträgen und Predigten: zum Stand der Klimawissenschaften zum menschengemachten Klimawandel; zu den Handlungsmöglichkeiten in der Zivilgesellschaft und den Grundlagen, die unser Glaube uns dazu gibt. Wir suchten in unseren Veranstaltungen, mit Blick auf Wissenschaft, Technik und unsere Glaubensgrundlagen, nach Impulsen, die Verantwortung, die wir haben, zusammenzubringen mit der Freude an der Schönheit und Fülle des uns geschenkten Lebens. Die Vorträge sind im April 2012 in dem Sammelband „Kirche schützt Klima“ erschienen.


Die unterschätzte Rolle jedes Einzelnen bei der Gestaltung unserer Zukunft
Alle Referenten betonten in ihren Vorträgen, dass jeder Einzelne aufgerufen und auch in der Lage sei, die notwendigen Veränderungen zur Sicherung unserer Zukunft mit herbeizuführen.
Sich z.B. als Konsument dafür zu interessieren, woher die Produkte des täglichen Bedarfs tatsächlich stammen und unter welchen Umständen sie produziert worden sind, sei ein kleiner Schritt, der zähle und in der Masse zu mehr Nachhaltigkeit führe.
„…Egal ob man Politikern Briefe schreibt, sich an den Kampagnen großer NGOs beteiligt
oder mit Freunden kleine, lokale Aktionen startet – wie z.B. den lokalen Park von
Müll zu befreien. Sobald man etwas tut, hat man das Gefühl, auch etwas verändern zu
können.“ (Jakob v. Uexküll, World Future Council, in seinem Vortrag im Juni 2010).
Wichtig sei es auch, die Politik zum verantwortungsvollen und zügigen Handeln
herauszufordern. Denn um dem Klimawandel entgegenzutreten und Lösungen für die
Energiekrise zu finden, bedürfe es entschlossener und zügiger Weichenstellungen in der
nationalen und internationalen Politik. Dazu brauche es mündige und gut informierte Bürger – und Wähler.

Langfristig denken und vor Ort konkret handeln
Wie jeder Einzelne auch kann eine Kirchengemeinde auf einen „verschleißarmen“
und bewussten Lebensstil achten. In diesem Sinn hat die Kirchengemeinde
Blankenese nach der Gebäudesanierung ein neues Heizungskonzept entwickelt: Es
soll modern und in der Zukunft erweiterbar sein, die Energiekosten gesenkt und Emissionen reduziert werden, die Brennstoffe aus heimischen Regionen kommen. Gewählt wurde ein regeneratives Nahwärmenetz mit Biomasse (zentrale Pelletheizung) in Verbindung mit einer Solarthermieanlage zur Warmwasserbereitung und Heizungsunterstützung. Finanziert wurde die neue Heizung durch eine Großspende und zahlreiche Einzelspenden.

Die Kirche kauft auch grünen Strom. Der Kirchenkreis Hamburg–West/Südholstein, zu
dem die Kirchengemeinde Blankenese gehört, beschloss als ersten Schritt einer „Klima -
kampagne“, ab Januar 2011 Ökostrom von einem kleinen kommunalen Anbieter einzukaufen
und damit die Energiewende zu unterstützen.

Die Kirchengemeinde beteiligt sich auch an der Aktion Klimakollekte. Sie unterstützt
Klimaschutzprojekte in Entwicklungsländern und Osteuropa. Damit hat die Gemeinde
die Möglichkeit, unvermeidbare cO2-Emissionen zu kompensieren. Dabei wird die
erzeugte cO2-Menge in einen Eurobetrag umgerechnet, der reicht, in diesen Regionen
gleiche Mengen cO2 einzusparen. Dadurch wird die cO2-Emission unseres Gasverbrauchs, global gesehen, neutralisiert. Überschlägig ergibt sich eine Erhöhung des Gas -
preises von ca. 0,005 €/kWh/a, also von einem halben cent pro Kilowattstunde pro
Jahr. (s. www.klimakollekte.de).

Mit welchen Projekten können wir beginnen? Das „Zukunftsforum Blankenese“
Angeregt durch die Vorträge fand sich im Herbst 2010 eine Gruppe von engagierten Bürgern im „Zukunftsforum Blankenese“ zusammen. Denn es entspricht unserem protestantischen Selbstverständnis, ein gesellschaftlich so relevantes Thema aktiv und engagiert mitzugestalten. Nicht nur als Einzelner für sich vernünftig zu handeln, sondern auch als Gemeinschaft, als Gemeinde, ein sichtbares Zeichen zu setzen, dass wir neue Wege gehen wollen, um unsere Zukunft zu sichern.
„Wie wollen wir in Blankenese in 20 Jahren leben?“, ist die große Frage, die alle um -
treibt, und damit zusammenhängend: Was können wir heute tun, damit es so wird?

Im Zukunftsforum Blankenese e.V. treffen sich Bürger, die etwas anpacken wollen und auch
schon konkrete Vorstellungen haben, was: z. B. an der Ortskerngestaltung und einem Verkehrskonzept für Blankenese mitwirken und Energie- und Beschaffungsfragen aufgreifen. Dazu werden Kontakte mit anderen Akteuren im Stadtteil, insbesondere den Schulen, gesucht.
Die Gruppe ist für weitere Interessierte und Ideen offen.
(Info: Kai Matthiesen, zukunftsforum@blankenese.de).

„Und wenn der Klimawandel doch noch nicht kommt?“
In allen Vorträgen wurde deutlich, dass die Wissenschaftler sich zum allergrößten Teil
darüber einig sind, dass wir am Beginn eines Klimawandels stehen, dessen Folgen für die
Zukunft auf unserem Planeten nicht abzusehen sind, wenn wir so weitermachen wie bisher.

„Die uns anvertraute Schöpfung für die nachfolgenden Generationen zu bewahren und
dafür heute schon verantwortlich zu handeln“, ist ein Leitgedanke, der auch unabhängig vom Anstieg der globalen Mitteltemperatur und zur Neige gehender fossiler Brennstoffe Geltung hat. Und mit einem Klimawandel, der gerade beginnt und bereits so dramatische Folgen zeigt, erst recht.
Denn ist es nicht in jedem Fall sinnvoll und geboten, unser technisches Wissen und Können in die Entwicklung von erneuerbaren Energien und umweltförderlichen Produkten zu stecken? Mobilität und Raumkonzepte neu zu überdenken, Bewegung in das ungerechte Nord-Südverhältnis zu bringen, „schmutzige Industrialisierungsphasen“ in Entwicklungsländern zu vermeiden helfen, als verantwortungsbewusste Bürger unseren eigenen Lebensstil zu überdenken und gemeinschaftlich die Zukunftsvorsorge auf dieser Welt zu gestalten?
Wir würden keine Sekunde zögern und uns dafür engagieren, eine solche Welt mitzugestalten,
auch wenn es keinen Klimawandel gäbe, „wofür es aber leider keine Anzeichen
gibt „(s. Schellnhuber, Leggewie und Schubert in: Die Zeit, 15. April 2010, S.30).

Es geht uns um eine saubere und lebenswerte Welt mit einer sicheren Zukunft für
unsere Kinder, in Frieden, mit Lebensqualität und Bildungsmöglichkeiten. Diese
Wünsche teilen wir mit den meisten Menschen auf dieser Welt.

Lösungsansätze, Handlungsmöglichkeiten und viele Ideen und Beispiele, wie es gehen
kann, sind vorhanden. Wir müssen sie nur umsetzen.

29.4.2014 | Dr. Denise v. Quistorp

Religion

Glaubensverlust?

Christlicher Glaube vor dem Aus?

Wo liegt die Zukunft von Kirchengemeinden?

Die Fragestellung ist in ihrer Pauschaliert unverschämt. Sie verlangt, tausend Aspekte zu beachten, doch ist es bereits lächerlich, dies in einem Vortrag von einer Stunde zu versuchen. Außerdem verknüpft die mir gegebene Titelformulierung Glaubensfragen mit denen nach Kirchengemeinden. Ich werde mich dominant der Frage nach dem Glauben zuwenden. Zwar ist die Zukunft der Kirchengemeinden damit nicht gleich eingeschlossen, aber doch auf ein bestimmtes theologisches Niveau verwiesen. Ich gliedere meinen Vortrag wie folgt:

  1. Der jesuanische Entwurf des „Christentums“
  2. Die paulinische Ersetzung des historischen Jesus
  3. Der herrschende Christus und das Reichschristentum
  4. Die fränkisch-germanische Wandlung des Christentums
  5. Die reformierte Christenheit
  6. Der Glaube hat die Welt verloren

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Was macht einen Christ zum Christen

Hubertus Halbfas

Was macht einen Christ zum Christen?

Überlegung im Sonntagsgottesdienst am 29. September 2019 in der Blankeneser Kirche am Markt

Was man in einem Sonntagsgottesdienst nach dem Evangelium ausführt, nennt sich gewöhnlich Predigt oder auch Verkündigung. Beide Begriffe sind mir fremd. Ich werde nicht predigen und nichts verkünden. Ich möchte die Frage bedenken, was einen Christ zum Christen macht?

Im Jahr 2013 hat der angesehene Philosophiehistoriker Kurt Flasch ein persönliches Buch geschrieben, warum er kein Christ mehr sei. Kurt Flasch schreibt aus keiner polemischen oder gar feindlichen Position. Er verfasste Darstellungen der mittelalterlichen Philosophie und Theologie über Augustinus, Anselm von Canterbury, Meister Eckhart und Nikolaus von Kues. Seine Begründung, kein Christ zu sein, bezieht sich auf biblische und dogmatische Inhalte, denen er mit sachlichen Gründen widerspricht. Da ich das Buch nicht umfassend rekapitulieren kann, seien nur zwei Positionen verkürzt wiedergegeben:

Gottes Zorn wurde gestillt, indem wir (Menschen) seinen Sohn töteten. Irgendwie muss das Gott gefallen haben. Er hat es jedenfalls so gewollt und hat dazu seinen Sohn auf die Erde geschickt. Menschliche Väter haben selten Freude daran, wenn ihr einziger Sohn umgebracht wird … (201)

Es gibt noch andere Bedenken: Christus soll doch Gott sein. Wenn er aber Gott war, dann versöhnte er sich durch seinen Kreuzestod mit sich selbst. Die zweite Person der Trinität mit der ersten? Oder bot Christus sein Blut der ganzen Trinität, darunter sich selbst? Ein Abgrund tut sich hier auf. Allemal floss Blut. (203)

Die Fragen, Argumente und Erkenntnisse, die Flasch in seinem Buch darstellt, versteht er als ein Verlassen des christlichen Glaubens. Er »überlässt die halbherzigen Reden und theologischen Verkniffenheiten« denen, die sie brauchen. »Manche waten gern im Nebel«, sagt er. Er geht dem Zweifel liebevoll nach, den der Rechtgläubige erleidet oder unterdrückt. Aus der Summe aller begründeten Einwände ergibt sich dann seine Erklärung »Warum ich kein Christ bin«.

Ich habe dieses Buch zustimmend gelesen, bin nicht auf ganz Neues gestoßen, sondern habe meine eigene Kritik von anderer Seite bestätigt und ergänzt gefunden. Gewundert habe ich mich allerdings, dass Flasch biblische oder dogmatische Positionen, die ich bereits vor Jahrzehnten hinter mir gelassen habe, immer noch als einen Glaubenseinwand nimmt, als gäbe es hier keinen Lernprozess, der seine Selbstverständlichkeit in sich selbst hat. Muss ich den gleichen Schluss ziehen, kein Christ mehr zu sein?

Dass sich die christlichen Konfessionen seit der Aufklärung in Schreckstarre befinden, die katholische Hierarchie sich – allein während meiner Lebenszeit – immer wieder neu über Theologen und Theologinnen empört hat, die der »Jungfrauengeburt« nur symbolische Bedeutung zusprachen, wie es bereits die alten Ägypter taten, und solche Lehrer aus dem kirchlichen Lehrkörper eliminierte, ist bekannt. Doch warum soll ich einer solchen Kirche die Definitionshoheit zugestehen, zu bestimmen, was Wahrheit ist, wenn die gleiche Kirche sich nicht mehr lernbereit oder lernfähig zeigt, sondern sich selbst in einem Status dogmatischer Lähmung kaum noch bewegen kann, weil frühere Lehrentscheidungen ihr jede Freiheit genommen haben? Und warum muss das, was wir christlich nennen, dem Urteil einer Kirchenverwaltung unterstellt bleiben, die weder den Problemstand der Geschichte noch den der Gegenwart kennt und mitdenken kann?

Wir wissen doch alle – alle aufrecht denkenden Menschen – dass die Formeln des Apostolischen Glaubensbekenntnisses nicht mehr vermittelbar sind, es sei denn, ich kann mit Wendungen wie »Maria die Jungfrau«, »von den Toten auferstehen«, »in den Himmel auffahren« … symbolisch/poetisch etwas anfangen. Ansonsten haben diese Formeln der Tradition ihre Haltbarkeitsgrenze überschritten. Es geht nicht mehr darum, was von diesen Glaubensartikeln die Leute glauben und ob sie überhaupt glauben. Was bedeutet hier »glauben«? Statt »Glaube« sage ich Engagement, und darin geht es nicht um Vorstellungen, die ich übernehme, sondern um Werte, die ich lebe. Paulus vertrat eine Glaubenslehre, die Glaubensgehorsam verlangte. Jesus vertrat einen Lebensmodus, der nicht argumentativ bewiesen werden muss, der auch keinem Verschleiß unterliegt, weil er seine Evidenz aus sich selbst besitzt.

Kurt Flasch distanziert sich in seinem Buch von einem fundamentalistischen Christentum, als sei dieses der Maßstab, der ihn zum Nichtchristen erklären könnte. Dass er mit diesen Leuten und ihren institutionellen Einrichtungen und Verfahrensweisen nichts zu tun haben will, ist verständlich. Gegenüber diesem erstarrten Christentum nehme ich mir die gleiche Freiheit wie er zu sagen, was ich weiß, denke und verstehe.

Kurt Flasch spricht am Ende seines Buches von der jüdisch-christlichen Tradition als einem »Bildersaal produktiver religiöser Erfindungen« und meint, ein poetisches Wahrheitskonzept könne deren Reichtum erschließen. Ich erkenne meinerseits die Wahrheit biblischer Geschichten nicht auf der Ebene der Berichterstattung, sondern in den Gesetzen ihrer sprachlichen Form. Damit sie im Wechsel der Zeiten verständlich und wieder lebendig werden, genügt es nicht, sie nur zu repetieren. Ohne stets neu befragt und ausgelegt zu werden, verlieren sie ihre Stimme.

Erforderlich ist eine »Religiöse Sprachlehre«, die das Wort als Mythos und als Logos unterscheiden kann, die Symbol und Metapher erschließt, um dann die Wahrheit der Formen in Mythe, Märchen, Sage, Legende, Gleichnis und Paradoxon aufzuzeigen, also um das »poetische Wahrheitskonzept« zu erschließen. Das ermöglicht es, die »mythische Metaphorik des Apostolischen Glaubensbekenntnisses« neu verständlich zu machen. 

So wie die Christenheit ihre Versammlungsstätten von der Hauskirche, zur Basilika und von da zu immer neu veränderten Baustilen entwickelt hat, muss sich auch der Glaube im Gang der Zeiten wandeln. Dass wir heute an einer Stelle stehen, die zu einer Generalüberprüfung des christlichen Glaubens zwingt, ist evident aber auch notwendig, wenn das, was wir Christenheit nennen, nicht in Formalismen erstarren soll.

Hier ist noch einmal anzuhalten und neu zu fragen. Es kann doch nicht sein, dass Kurt Flasch, der profunde Historiker der philosophisch-theologischen Glaubensgeschichte, den Zeiten und Kirchgestalten, die dem Evangelium Jesu fast ganz entfremdet waren und sind, eine Maßstäblichkeit zubilligt, nach dem er sein heutiges Verhältnis zum Christentum bestimmt. Noch grundsätzlicher: Ist das Christsein eines Menschen überhaupt von dessen Verständnis und Akzeptanz bestimmter Glaubensartikel abhängig?

Ich muss Kurt Flasch widersprechen, dass er meint, sich nicht mehr Christ nennen zu können. Entscheidet über das Christsein eines Menschen die Zustimmung zu irgendwelchen Glaubensartikeln oder ist gar die Summe aller im Credo zusammengefassten Glaubenssätze Bedingung des Christseins?. Die Gottesfrage ist vor allem Frage. Auch alle Antworten auf die Gottesfrage bleiben fragend.

Wenn ich gefragt werde: »Welche Glaubensinhalte sind für Sie zentral?« geht es nicht darum, ob ich den Katechismus geglaubt, zu allen kirchlichen Verlautbarungen Ja und Amen gesagt habe. Nicht einmal mein Gottesglaube ist zentral. Wenn es so etwas wie ein »Jüngstes Gericht« gibt, lautet die Frage, ob ich ein liebender Mensch war, der die geringsten Brüdern und Schwestern – und in ihnen Gott – erkannt und an sein Herz genommen habe. Statt irgendwelcher Glaubenssätze, die unverstanden repetiert werden, zählt die konkrete Lebenspraxis.

Kann demnach auch ein Atheist Christ sein? Hier gilt eine entsprechende Antwort. Maßgeblich ist nicht der formulierte Glaube, den die offizielle Kirche verwaltet. Alles was Kurt Flasch, den Kenner der Theologiegeschichte, zu sagen gedrängt hat, warum er kein Christ mehr sei oder sein könne, ist vernünftig gedacht und begründet – mit Ausnahme des Umstands, dass er einer fundamentalistischen Tradition den Maßstab für sein Christsein oder Nicht-mehr-Christsein überläßt. Alle die, die nach einer christlichen Kindheit und Jugend die erworbenen Glaubensinhalte aufgeben und sich jetzt als Atheisten verstehen, sollten sich nicht ähnlichen Maßstäben unterordnen. Sie sollten offen sein und sehen, dass sich die christliche Existenz nicht den Ansichten vergangener Zeiten unterstellt. Es geht um das Evangelium Jesu, das stets neu und kreativ in die Gegenwart übersetzt werden muss. Was immer ein atheistisch glaubender Mensch an Schärfe des Denkens aufbieten kann, er soll angesichts des existierenden Christentums nichts abschwächen oder gar unterschlagen. Damit wäre dem Christentum am wenigsten geholfen. Wenn es denn eine Gottesfrage gibt, dann müssen auch unterschiedliche Antworten möglich sein, (da diese Frage ja nicht mathematischer Natur ist). Aber alle Antworten darauf bleiben im Bereich des Intellekts und nicht des gelebten Lebens und entscheiden auch nicht über das Christsein eines Menschen. 

Darum sei abschließend das Wort von Friedrich Nietzsche unterstrichen: »Es ist falsch bis zum Unsinn, wenn man in einem ›Glauben‹, etwa im Glauben an die Erlösung durch Christus, das Abzeichen des Christen sieht: bloß die christliche Praktik, ein Leben so wie der, der am Kreuze starb, es lebte, ist christlich.« – Denken Sie darüber nach.

 

Dieser Text steht im Zusammenhang mit dem im Februar 2020 erscheinenden Buch: Hubertus Halbfas, Kann ein Christ Atheist sein? Kann ein Atheist Christ sein? Eine grundsätzliche und notwendige Überlegung. Patmos Verlag.

Ein neues Apostolikum – Illusion?

Versuch einer Erwiderung auf die Streitschrift „Kurskorrektur“ von Prof. Dr. Hubertus Halbfas                                                                                                                                       von GUDRUN GERSDORF

Der katholische Theologe, ausgewiesener Kenner der Kirchengeschichte, analysiert treffend, aus welchen Gründen dem „Glauben die Welt verloren gegangen“ ist: die schwindenden Mitgliederzahlen in den Kirchen erklären sich nicht zuletzt aus der wachsenden Ablehnung von Dogmen, die entweder dem heutigen Stand naturwissenschaftlicher Erkenntnis unmöglich erscheinen, wie zum Beispiel der Glaube an die Jungfrauengeburt Marias; oder aber deren skandalöse Entstehungsgeschichte sie als Werk machtbewusster Theologen entlarven: Halbfas hebt das verhängnisvolle Dogma von der „Erbsünde“ hervor. Der verehrte „Kirchenvater“ Augustin erwirkte durch die Bestechungsgabe von 80 begehrten Zuchthengsten für die kaiserliche Garde in Rom bei dem Kaiser, der seinerzeit noch vor dem Papst das entscheidende Wort in der zur Staatsreligion erhobenen christlichen Kirche innehatte, dass dieses Dogma verbindlich wurde; dem Herrscher leuchtete ein, dass um ihr Heil bangende Menschen durch die Kirche weit gefügiger zu lenken wären. Die Päpste der folgenden Jahrhunderte haben dieses Dogma nie aufgegeben, im Gegenteil; und auch Martin Luther hat der evangelischen Kirche dieses augustinische Erbe mit auf den Weg gegeben.

Punkt für Punkt untersucht Halbfas die Aussagen zum Tod, zur Auferstehung und Himmelfahrt Christi; Gebet und Fürbitte deutet er als ein psychologische Selbstmotivation zum guten Handeln. Er schließt sich dem Urteil des italienischen Theologen Vito Mantuso an:

„Die Wahrheit ist, dass es kein göttliches Handeln außerhalb der Welt und ihrer Regeln gibt. Absolut nicht.“

 Was vom Christentum nach dieser Demontage übrig bleibt, nennt Halbfas Jesu „Menschlichkeit“, wobei ihm wichtig ist, dass nicht etwa Jesus diese „erfunden“ habe: Im Totenbuch der Ägypter ist das mildtätige Handeln gegenüber Bedürftigen vor den Göttern ausdrücklich als Rechtfertigung beschrieben; und das Gilgamesch-Epos kennt einen Katalog menschlichen Handelns für einen vorbildlichen Herrscher.

Doch ist „Menschlichkeit“ nicht genauso ein wandelbarer Begriff, gebunden an das Verständnis einer jeweiligen Epoche und ihrer Kultur? Konfuzius versteht unter Menschlichkeit zum Beispiel den absoluten Gehorsam von Ehefrau und Kindern gegenüber dem Mann als Oberhaupt der Familie; Männer schulden dem Fürsten wiederum absoluten Gehorsam als Erfüllung von „Menschlichkeit“. Ähnlich definieren der Taoismus und heute der Islam.

Sollte Jesus von Nazareth in seinem Handeln, so wie es heute  die theologische Forschung genauer belegen kann als noch Paulus, der offensichtlich nur an der Deutung des Kreuzestodes interessiert war, die Christen zu „Menschlichkeit“ motivieren:  voraussetzungslose Liebe gegenüber allen Menschen in absoluter Konsequenz, jenseits allen Selbstbehauptungsschutzes? Ist seine Menschlichkeit, praktiziert in den Dörfern Galiläas, ohne Reflexion und Transformation in das Heute übertragbar?

Eine weitere Schwierigkeit ist zu erläutern:

Auch heute leben nicht nur fundamental eingestellte Christen in einem Glauben, der sich in den Formeln und Vorstellungen hergebrachter Tradition der Kirche artikuliert. Es ist zu  prüfen, ob man sich dem harten Urteil von Halbfas anschließen sollte, das er über die Evangelikalen fällt. Schon Karl Jaspers machte in seiner „Psychologie der Weltanschauungen“ vor über 100 Jahren auf einen wichtigen Unterschied aufmerksam:

Wissen ist notwendig und bietet Orientierungshilfe, aber erst Glaube bietet Gewissheit, die  Grundlage allen Lebens, schon in alltäglichen Entscheidungen, welche die Überzeugung der richtigen Wahl voraussetzen. Darf ich einem Menschen unter diesem Gesichtspunkt den Glauben erschüttern, der ihm Halt gibt?

Ist zudem Mancusos These nicht genauso einer Überprüfung zu unterziehen, zumal die Naturwissenschaften in ihren weiterhin beschränkten Erkenntnissen vom Kosmos und  ungelösten Rätseln in Medizin und Biologie längst von einer positivistischen Position abgerückt sind?

Kann es angesichts dieser komplexen Situation überhaupt noch ein Bekenntnis geben, das eine Gemeinschaft von Christen für alle in ihr Versammelten verbindlich einheitlich versteht?

Vor dieser Quadratur des Kreises steht das Christentum heute, und es sollten die Machtkämpfe zwischen Arius und Athanasius um die Formulierung des heute noch in allen Kirchen gesprochenen Apostolikums eine Warnung sein. Genauso wenig würde genügen „Seid nett zueinander“ und ein leichtfertiges Einebnen unterschiedlicher Positionen.

Von der Lösung dieser Aufgabe wird abhängen, ob es in Zukunft noch ein Christentum geben wird.

Im Diesseits das Reich Gottes finden

Im Diesseits das Reich Gottes finden

Buchbesprechung von Dr. Wolf-Dieter Hauenschild

Kirchenaustritte halten unvermindert an. Gründe dafür gibt es viele - der wichtigste wird sein, dass die Menschen ihren Glauben verloren haben. Zu diesem Thema bietet sich das Büchlein „Glaubensverlust“ von Hubertus Halbfas an. Halbfas, über 20 Jahre lang Professor für katholische Theologie und Religionspädagogik, dem dann die Bischofskonferenz die kirchliche Lehrerlaubnis entzog, sieht als Grund das Festhalten der verfassten Kirche an ihren traditionellen Lehrsätzen - ohne Rücksicht auf die inzwischen 200 Jahre alten Erkenntnisse der theologischen Wissenschaft. Er meint das heutige Wissen über den historischen Jesus, über dessen Botschaft. Diese ergibt sich nicht aus Lehrsätzen, sondern aus seinem Leben in der Welt der Menschen, aus der Art und Weise seines Umgangs mit ihnen.

Jesus ist zu allen freundlich; er redet in Gleichnissen, in Geschichten aus dem Leben, die es den Gesprächspartnern ermöglichen, selbst zu erkennen, was gemeint ist. Er spricht von Gott als unserem Vater und seiner vorbehaltslosen Liebe zu den Menschen, die keine Erbsünde kennt und kein Sühneopfer braucht. Im Diesseits ist das Reich Gottes zu finden. Dort sind alle Menschen gleich. In seinen Tischgemeinschaften bereitet Jesus keinen Kult für die Zeit nach seinem Tod vor, sondern er lebt einen radikalen Egalitarismus. Ebenso radikal versteht Jesus die gebotene Nächstenliebe, die vor dem Feind nicht haltmachen darf.

Diese vom historischen Jesus vorgelebte und verkündete Botschaft muss nicht bewiesen oder verteidigt, sie muss lediglich angenommen werden. Im Gleichnis vom verlorenen Sohn reicht es aus, dass dieser sich dazu entschließt, zu seinem Vater zurückzukehren. Halbfas ist davon überzeugt, dass viele Menschen die Kirche nicht verlassen würden, wenn sie diese Botschaft in ihren Mauern wenigstens duldete.

Ein Glaube mit diesen Inhalten enthält vieles nicht, was traditionell zum christlichen Glauben gehört - vor allem die Gottessohnschaft, der Opfertod Jesu und die durch ihn bewirkte Erlösung der Gläubigen von der Erbsünde. Dennoch ist es für mich keine Frage, dass auch der ein Christ ist, der lediglich die Botschaft des historischen Jesus angenommen hat und versucht, nach ihr zu leben.

Info: Hubertus Halbfas „Glaubensverlust“, 121 S., Patmos-Verlag, 2011

Interreligiöser Dialog

Interreligiöser Dialog – Wege aus der Sackgasse

Reflexion zu Peter Sloterdijk: „Gottes Eifer: Vom Kampf der drei Monotheisten

von Gudrun Gersdorf

Mystik – Verkannter Schlüssel zum Frieden

Anregungen aus: Maximiliane Demmel, „Der Begriff der reinen Erfahrung bei Nishita Kitaro und William James“

Christliche Mystiker, wie Jakob Böhme und Meister Eckhart, reden vom „Ungrund“, vom „Abgrund“, vom „Einen“, vom „Absoluten“, dem sich der Mensch nähert, wenn er sich von allen dogmatischen Aussagen der Religionen entfernt. Und Meister Eckart spricht über den Weg dahin von einem „Entwerden“ des Suchers, was viele Fragen offen lässt, wie er zu gehen sei.

Es fragt sich, wie dieses überhaupt möglich sein soll, denn auch der japanische Religionsphilosoph Nikita Kitaro (1870 - 1945), der einen eigenwilligen Werdegang hatte - armer Bauernsohn ohne hinreichende Schulbildung aus der Provinz, ohne Berufsabschlüsse, zeitweise als Lehrer an Schulen tätig und mit 40 Jahren dennoch Professor für Philosophiegeschichte und Ethik an der Universität Kyoto auf Grund seiner „Studie über das Gute“, die zur Sensation für die Fachwelt wurde - stellt fest, dass jeder Mensch seinem Kulturkreis und den dort verorteten Religionsvorstellungen bewusst oder auch unbewusst verhaftet ist und diese nicht ohne Weiteres ablegen kann, wenn er zu denken beginnt. Und so eigenwillig Kitaros Lebensweg, so neuartig sind seine Begriffe und Schlussfolgerungen.

Kitaros Religionsphilosophie geht der „Reinen Erfahrung“ als dem Weg zum „Guten“ vernünftig fragend nach. Er untersucht wissenschaftlich objektivierbare Aussagen, deckt Parallelen zwischen westlichen und östlichen mystischen Formulierungen auf – und kommt letztlich zu dem Fazit: Auch die Religionsphilosophie beginnt an einem nicht hinterfragbaren Anfang und stößt am Ende nach noch so gründlicher Phänomenologie an eine gläserne Decke: diesem Anfang, an dem die wissenschaftliche Frage endet, und der Glaube beginnt.

Kitaro nennt den „Ungrund“ Böhmes „das Gute“: Ziel und Sehnsucht eines jeden Lebewesens sei es, sich mit diesem zu vereinen. Freiheit ist für ihn Abwesenheit von inneren Zwängen, nicht wie im westlichen Verständnis äußeren Zwängen. Gott nennt er den „Ort des absoluten Nichts“, welcher die äußerste Schicht der intelligiblen Welt umspannt. Die schöpferische Welt in der Gesamtheit aller Lebewesen und Naturerscheinungen versteht er als Buddhist als personales Du; jeder ist ein Teilchen von dieser und kann in „Reiner Erfahrung“ und vordringend in „intelligible Anschauung“ (von Kitaro gleichgesetzt mit religiöser Erfahrung) nicht anders, als alle anderen Teilchen zu lieben, denn jedes ist auf seine Weise identisches Teil des „Guten“. Dieses Verständnis weist eine gewisse Ähnlichkeit mit Joseph Ratzingers Beschreibung vom Christsein auf: „Sein wie der Sohn, Sohn werden, also nicht auf sich und nicht in sich stehen, sondern ganz geöffnet leben im ‚Vor-her’ und im ‚Auf-zu’.“

Wie aber kann das Loslassen des Ichs gelingen? Die verschiedenen Richtungen des Buddhismus weisen unterschiedliche Wege:

Der Zen-Buddhismus führt im sogenannten „satori“ der Yogas-Meditationen zur „Erleuchtung“ und in letzter Stufe zur „Leeren-Weite, Aufheben von jeglichem Antagonismus“, wobei aber außer eigener Disziplin die letzte Stufe nur durch die Gnade der „Fremdkraft“, gemeint ist Gott, erreicht wird. Falls eine Person „satori“ hat, braucht sie keine moralischen Gebote mehr und weiß intuitiv, wie gut zu handeln sei, denn auch mit Intuition ist Gott gemeint.

Der Amida-Buddhismus, auf den Kitaro besonders Bezug nimmt, sieht den Menschen in seinem Egozentrismus in einem ständigen Prozess, sich gegen Gott zu stellen. Den Weg in die „Reine Erfahrung“ weist das Aussprechen der Formel „Namu Amida Butsu“, mit deren Hilfe in ständiger Wiederholung die Subjekt-Objekt-Spaltung aufgehoben wird und der Mensch in seiner Arbeit nichts anderes mehr vollzieht als Erkenntnis und Liebe in Vereinigung mit der „Fremdkraft“.

Oder führt Re-ligio, einmal mit „immer wieder lesen der Heiligen Bücher“ übersetzt, in den Schriftreligionen in die Reine Erfahrung? Kitaro gesteht keiner Religion die einzige Wahrheit zu, und damit auch keinem Weg.

Welchen wählen? Kitaro erkennt als einzigen Maßstab die „innere Gewissheit“ des Menschen an; gerechtfertigt allein aus Intuition, jedoch der Philosophie, keinesfalls einer objektiven Untersuchung zugänglich, und schon gar nicht mit einem Absolutheitsanspruch auf andere übertragbar. So bleibt: In diese „Gewissheit“ übergibt sich jeder Mensch im Glauben allein, dem Zweifelnden bleibt sie Spekulation, denn sie ist unbeweisbar.

Abschließend sei ein Zweifel angemerkt: Welcher Mensch ist fähig, sich in der beschriebenen Weise von seinem Ego lebenslang zu trennen?

Jakob Böhme und Meister Eckart als Christen sahen den Menschen lebenslang der Gnade Gottes bedürftig und glaubten an die eschatologische Erlösung der Welt von dieser Unvollkommenheit in der Liebe des Reiches Gottes. Oder sollte der buddhistische Glaube an die ständige Wiedergeburt der Welt und ihrer Geschöpfe den Weg weisen? Wer kann das gültig entscheiden, da doch alle Religionen auf ihre Weise zu dem „Einen“ streben?

Gudrun Gersdorf

Mystik – Individueller Weg ohne Gewissheit

Das  Wort "mysteriös" verstehen heute die meisten Menschen der westlichen Welt als Synonym für ein ungelöstes Problem, das der Klärung mit Hilfe der Logik bedarf; und wer darauf verzichtet, muss sich die Einschätzung als intellektuell unfähig, gar als Spinner gefallen lassen.

Wir halten es in der Gegenwart für selbstverständlich, dass ein Mensch mit Hilfe seiner Verstandeskräfte sein Leben selbstbestimmt restlos zu steuern in der Lage ist – ein Erbe der Aufklärung, die der Philosoph I. Kant definierte als den "Aufbruch aus selbstverschuldeter Unmündigkeit". Daran sind Zweifel erlaubt.

In allen Religionen wird nicht diese Fähigkeit des Menschen bezweifelt, jedoch die Grenze menschlichen Vermögens angesichts von drei Grundfragen verdeutlicht: Woher komme ich? Wer bin ich? Wohin gehe ich? Und jede Religion gibt in ihrem Dogma Antwort, die Gläubige als ihre einzige Lebenswahrheit übernehmen - mit der Gefahr, die Antwort einer anderen Religion oder Weltanschauung als falsch und sogar verdammenswert zu bewerten, leider auch bis zum Kampf mit Waffen auf Leben und Tod.

Schon zur Zeit des muslimischen Mystikers Rumi im 12. Jahrhundert, einem gebildeten Gelehrten und Dichter, war das nicht anders; nach ihm im 13. Jahrhundert wies der christliche Mystiker Meister Eckardt die Gläubigen auf ihren Irrtum hin, predigte die Öffnung der Herzen  allein für das "Sein des Seins". Rumi nennt es das "Eine"  in seinen bewegenden Gedichten und Texten. Allerdings sahen sich beide Mystiker von den Mächtigen ihrer Zeit argwöhnisch verfolgt, so wie es allen Mystikern vor und nach ihnen ergangen ist.

Auch die Gegenwart ist Mystikern nicht wohl gesonnen, denn sie sehen die Gleichheit aller Menschen in der Öffnung vor dem "Sein". Sie unterscheiden aus diesem Erleben Vorläufiges und wirklich Wichtiges in ihrer Hingabe an die Quelle alles Guten. Sie achten ganz entgegen dem heute grassierenden Hyperindividualismus die Welt und andere Menschen als anvertraute Leihgabe. Damit stehen sie am Rand der Gesellschaft, von vielen verachtet als Schwächlinge. Dennoch: Könnten nicht gerade sie "Salz der Erde" sein? Könnte es sein, dass Mystiker, gleich welcher Religion, den einzig gangbaren Weg zu einem friedlichen Miteinander eröffnen, wo rationale Ansätze der Politik und Philosophie versagen?

Der folgende Text von Rumi ermutigt:

"Ich versuchte, ihn zu finden am Kreuz der Christen, aber er war nicht dort. Ich ging zu den Tempeln der Hindus und zu den alten Pagoden, aber ich konnte nirgendwo eine Spur von ihm finden. Ich suchte ihn in den Bergen und Tälern, aber weder in der Höhe noch in der Tiefe sah ich mich imstande, ihn zu finden. Ich ging zur Kaaba nach Mekka, aber dort war er auch nicht. Ich befragte die Gelehrten und Philosophen, aber er war jenseits ihres Verstehens. Ich prüfte mein Herz, und dort verweilte er, als ich ihn sah. Er ist nirgends sonst zu finden."

Gudrun Gersdorf, Februar 2017

 

Postsäkulare Gesellschaft – und wo stehen wir?

Im Jahr 2001 prägte Jürgen Habermas den Begriff der postsäkularen Gesellschaft; heute ist er zum Allgemeingut geworden, ohne dass zwingend bekannt wäre, wie Habermas ihn definierte.

Der Philosoph vollendet darin eine Entwicklung, die seit der Aufklärung, genau genommen seit dem Jahr 1787, mit der Enteignung der Kirche in Frankreich von allen materiellen Gütern ihren Anfang nahm: Die Kirche verlor Schritt für Schritt, auch in Deutschland, nicht nur als Verwalterin riesiger Vermögen in der Öffentlichkeit an Bedeutung, sondern vor allem in ihrem Einfluss auf den Staat, seine Rechtsprechung, den Zugriff auf die Menschen; ein Prozess, seither Säkularisation genannt.

Diese Entwicklung wurde in der deutschen Bevölkerung erst restlos realisiert, als 1918 das "Bündnis von Thron und Altar" der Staatskirche im Kaiserreich zerbrach und in der Weimarer Republik zur Volkskirche umgewandelt wurde; mit der Konsequenz, dass nunmehr Taufe, und damit Zugehörigkeit, für den Bürger nicht mehr zwingend ein notwendiges Statussymbol darstellte, wenn man zum Beispiel als Beamter oder Offizier eine Karriere anstrebte. Man konnte erstmals wie aus einem beliebigen Verein austreten, ohne gesellschaftliche Diffamierung zu fürchten. Es schwand auch gegenüber der katholischen Kirche bei nicht Wenigen die Angst vor dem fürchterlichen Ritus der Exkommunikation, im Mittelalter ein gesellschaftliches und ewiges Todesurteil: Der Priester warf eine brennende Kerze zu Boden, die augenblicklich erlosch; Zeichen für den Tod in Zeit und Ewigkeit des Exkommunizierten, gleichzeitig Todesurteil für jeden, der diesem nun für vogelfrei Erklärten in irgendeiner Weise half.

Habermas beschreibt die Säkularisation als einen befreienden Akt: Der Staat emanzipiert sich von der Bevormundung durch die Religion, der wachsend rationale Umgang der Menschen mit der Umwelt weist Religion in ihren Grenzbereich zur Transzendenz, und ob ein Mensch seine persönlichen Werte hier findet, bleibt allein ihm überlassen; auf jeden Fall werden diese persönlichen Werte von Habermas als völlig irrelevant für sein Leben in einem säkularisierten Staat gedacht. Zwar betont Habermas auch, dass der Staat keinesfalls das Recht habe, Religion zu beschränken oder gar zu unterdrücken, jedoch Staat und Gesellschaft müssen sich aus unterschiedlichen Quellen verstehen.

Und wo stehen wir heute?

Dass Kirche in der Öffentlichkeit positiv nur wahrgenommen wird in ihrer karitativen Tätigkeit, ist unbestritten. Und dennoch ist seit der Ausrufung der "postsäkularen Gesellschaft", verstanden als endgültig vollzogene "Verweltlichung" von Staat und Gesellschaft, heute unübersehbar ein neuer Trend wahrzunehmen: Die "Resakralisierung", die Rückkehr der Religionen, von der allerdings die christlichen Kirchen mit ungebrochener Welle von Austritten seit 1918 nicht profitieren. Menschen, denen Individualismus an erster Stelle wichtig ist, designen sich in eigener Entscheidung ihren Glauben zunehmend aus verschiedenen Quellen, wobei sich die Inspiration aus fernöstlichen Religionen als besonders attraktiv erweist, und in Europa bedeutet insbesondere die verstärkte Immigration von Muslims verschiedener Richtungen eine neue Herausforderung an alle Mitglieder der Gesellschaft, die persönlichen Wertevorstellungen zu überprüfen.

Die Gesellschaft wird der Tatsache ins Auge sehen müssen, dass die These von Habermas einer dringenden Korrektur bedarf. Eine plural orientierte Bevölkerung wird einfordern, im Rechtssystem und im öffentlichen Leben sich angemessen repräsentiert zu sehen. Zu meinen, dass ein säkularisierter Staat mit dieser Notwendigkeit nur wenig zu tun habe und die Berufung auf den einst christlich konzipierten Rechtsstaat mit dem deutschen Grundrecht unverändert bleibe, ist eine Täuschung. Der Staat kann zwar Rechte kodifizieren, jedoch die Ausrichtung dieser Rechte an Werten kann er nicht selber schaffen, das können einzig die Religionen. Kirchenfernen Bürgern ist oft nicht klar, dass das deutsche Grundrecht auf Menschenwürde sich zurückführt auf die religiöse Quelle, den Menschen als Ebenbild Gottes zu verstehen.

So fordert die "Resakralisierung" notwendig dazu heraus, auch in der Kirche darüber nachzudenken, für welche Werte sie steht, gegebenenfalls bis zur letzten Konsequenz einsteht. Eine Verhandlung darüber, wie Vertreter anderer Religionen ihre Werte ebenfalls respektiert und repräsentiert sehen können in einer pluralen Gesellschaft, wird einer ausschließlich rational bestimmten Arbeit bedürfen, und das auf allen Seiten. Da Fanatiker, gleich welcher Konfession, mit dem Pochen auf einem Universalitätsanspruch dennoch immer wieder zu erwarten sind, dürfte klar sein, dass die Gesellschaft auch ihnen im Rahmen der uns wesentlichen Meinungsfreiheit Raum bieten muss; jedoch dass Toleranz nicht Kapitulation der Preisgabe eigener Werte bedeuten kann und darf.

Toleranz nennt Wolfgang Thierse "eine anstrengende Tugend"; sie fordert Abschied von Ängstlichkeit und Unsicherheit vor manchem Ungewohnten und Fremdem; jedoch auch die dringende Bereitschaft von den Vertretern dieses Fremden, zusammen mit allen anderen vernünftig über die Möglichkeit einer Solidarität nachzudenken, ohne die ein Gemeinwesen nicht bestehen kann. Der muslimische Schriftsteller Kermani und der islamische Theologe Khorchide stehen für die Fähigkeit und Bereitschaft, als Muslime diesen Weg in Friedfertigkeit mit anderen Konfessionen zu gehen; und es ist einsichtig, dass es ohne diese Friedfertigkeit aller Beteiligten nicht gelingen wird.

Es wäre gut, diese Arbeit nicht nur Fachleuten in Kommissionen zu überlassen, denn Christsein heisst nun einmal auch: persönlich in der Verantwortung stehen - auch in der Kirche am Markt in Blankenese.

Gudrun Gersdorf

Interreligiöser Dialog – aber wie?

Überlegungen zu dem Dokument„Das christliche Zeugnis in einer multireligiösen Welt“ vom Ökumenischen Rat der Kirchen, des Päpstlichen Rates für interreligiösen Dialog und der Weltweiten Evangelischen Allianz von 2011

Nur wenigen Christinnen und Christen  bekannt, mehren sich die Anzeichen, dass die EKD, aber schon davor im Jahr 2011 ein Gremium aus dem Verbund aller christlichen Kirchen den Umgang im interreligiösen Dialog reflektierte – in dem aufgeführten Dokument sind auch die katholische Kirche und evangelikale Verbände im Konsens eingebunden, was beachtlich erscheint.

Es herrscht offensichtlich allgemeine Sorge, dass die Bereitschaft zu einem interreligiösen Dialog an Grenzen stößt, die nicht nur mit gutem Willen überwindbar scheinen. Dass dieser Dialog angesichts der politischen Ereignisse, insbesondere der letzten Jahre in Europa, unausweichlich notwendig ist, wenn ein friedliches Zusammenleben und die Bereitschaft zur gemeinschaftlich getragenen Lösung anstehender Probleme bisher unbekannten Ausmaßes gelingen soll, bedarf keiner weiteren Begründung.

Jedoch mag ein Vergleich die eigentliche Schwierigkeit beleuchten: Wenn zwei Menschen einander gestehen, einander zu lieben, scheinen sie über allen Wolken zu schweben; jedes Problem scheint mit Leichtigkeit lösbar - ja, es gibt keine Probleme! Jedoch der Alltag mit seinem Dissens, wie man die bisher unerkannten Eigenarten - weniger erfreulicher Natur - des Partners ertragen soll, lässt Desillusionierung einkehren, die nicht selten in Streit oder Trennung endet.

Die Idee des Weltethos, von Hans Küng Anfang der 90er Jahre formuliert, schien die unfehlbare Lösung für einen gelingenden interreligiösen Dialog zu bieten, und unverändert ist ihm zuzustimmen, dass es keinen Frieden in der Welt geben kann ohne einen Frieden unter den Religionen.

Probleme der Verständigung liegen nicht in dem mangelnden guten Willen, sondern darin, dass neben Exklusivismus, Inklusivismus und Pluralismus - und nicht zuletzt - Interkulturalismus den bislang unerkannten Eigenarten des geliebten Partners zu gleichen scheinen.

Ein Dialog scheitert, wenn ein Partner exklusiv nur seiner Religion heilshafte Transzendenzerkenntnis zuschreibt, sie für die allein wahre Religion hält und auch diese Anerkennung von anderen einfordert.

Er scheitert ebenfalls, wenn ein Partner zwar  anerkennt, dass mehrere Religionen heilshafte Erkenntnis ermitteln, jedoch die eigene für die Beste mit qualitativer Überlegenheit geltend gemacht wird.

Nicht weniger problematisch ist die pluralistische Position: Wenn im Dialog Religionen als  gleichrangig betrachtet werden, die verschiedenen Religionen unterschiedliche menschliche und relative Antworten auf den Ruf des Absoluten geben.

Was bedeutet diese Position für einen Christen, der im interreligiösen Dialog seine Position vertritt? Selbstaufgabe? Gleichgültigkeit gegenüber eindeutigen Unterschieden?

In dem oben angeführten Dokument heißt es:
„Für Christen/innen ist es ein Vorrecht und eine Freude, Rechenschaft über die Hoffnung abzulegen, die in ihnen ist, und dies mit Sanftmut und Respekt zu tun.“

Sie sollen besonders in interreligiösen Begegnungen „Jesus Christus nachahmen, in allen Lebensbereichen und besonders in ihrem Zeugnis dem Vorbild und der Lehre Jesu Christi folgen, seine Liebe weitergeben...“

Ein sehr hoher Anspruch!  Es gehört eine fundierte Kenntnis der eigenen wie auch der anderen Religionen dazu, als Christ sich einem Partner im interreligiösen Dialog verständlich machen zu können. Paulus  könnte ein Vorbild sein, der über die Gabe verfügte, „in ihrer Sprache“ von der Lehre Jesu zu sprechen.

Sind wir wirklich auf diese Aufgabe vorbereitet?

Noch wichtiger scheint die Empfehlung, durch das eigene Vorbild, „Jesus Christus nachahmen“, christliche Lehre zu verdeutlichen, denn Geduld und Respekt schließen aus, Unduldsamkeit oder intellektuelle Überlegenheit auszuspielen.

Zudem muss jeder Dialogpartner respektieren, dass jeder Mensch in seinem Glauben nicht verhandelbare Werte kennt, die keiner Überzeugung zugänglich sind, und auch der Christ kennt solche. Diese darf er sehr wohl für sich festhalten, denn „Zeugnis“ heißt auch Verteidigung; und er muss es aushalten, dass auch sein Partner im interreligiösen Dialog solche kennt.

Nicht zuletzt jedoch erscheint es wichtig, den Interkulturalismus als die entscheidende Hürde eines gelingenden Dialogs wahrzunehmen.

Der Gedanke eines Dialogs, hervorgegangen aus der europäischen philosophischen Tradition, beruht auf dem Konsens, dass Gesprächspartner sich der „Ratio“ bedienen: Beide hören auf die vernünftigen Argumente des anderen, die besseren Argumente überzeugen.

Dem Lebenserfahrenen ist bekannt, dass die Vernunft auch unter rational geschulten Menschen oft genug ihre Herrschaft verliert, wenn Gier, Zorn, Machtstreben das Diktat übernehmen.

Darüber hinaus jedoch fehlt oft die Einsicht, dass Menschen nicht überall auf der Welt der Ratio die Vorzug geben, sondern ihr Verhalten der Tradition oder einem vorgeblich „gottgewollten“ Kodex unterwerfen, mögen diese auch noch so unpassende Anweisungen in veränderter Zeit und Umwelt vorgeben. Darum ist es dem interreligiösen Dialog hinderlich, macht ihn sogar unmöglich, wenn derart gesteuerte Menschen sich vernünftigen Argumenten verschließen und ihr Verhalten als „gottgewollt“ reklamieren und sogar anderen als zwingende Norm aufdrängen.

Interreligiöser Dialog - eine aussichtslose Sache?

Keineswegs, jedoch ein dorniger Weg. Auf alle Fälle ist es unerlässlich, dass unermüdlich daran gearbeitet wird, die Dialogpartner durch vertiefte Kenntnis immer besser zu verstehen. Ohne das feste Vertrauen, dass auch in anderen Religionen Menschen daran arbeiten, brüderlich einsichtig die Begegnung suchen, dass gerade Christen diesen Weg trotz unvermeidbarer Misserfolge in ihrer Bitte „Dein Reich komme“ nicht allein gehen, wird dieser Weg nicht zu beschreiten sein. Naive Hoffnung auf rasche Erfolge wird im Weltethos nicht erfüllt werden.

Gudrun Gersdorf

Vortrag von Prof. Dr. Chr. Gerber - "Ich trinke doch kein Blut" - Reaktionen

„Ich trinke doch kein Blut!“

Mitte Juni war Prof. Dr. Christiane Gerber vom Institut für Neues Testament an der Universität Hamburg in der GemeindeAkademie zu Gast. Die Theologin hielt einen Vortrag über die Bedeutung der Einsetzungsworte, die stets zur Einleitung der Abendmahlsfeier gesprochen werden. Provozierender Titel: „Ich trinke doch kein Blut!“. Für Interessierte veröffentlichen wir hier Gliederung und Thesen des Vortrags von Prof. Gerber sowie zwei Stimmen, die sich auf unterschiedliche Weise mit dem Gehörten auseinandersetzen.

Reaktion von Eduard Biedermann
„Wir können Frau Gersdorf nur danken, dass wir erneut die Gelegenheit bekamen, uns dem Geheimnis des zentralen Ereignisses unserer sonntäglichen Gottesdienste, dem Abendmahl, zu nähern - und das unter einer sehr provozierenden Überschrift. Sie hatte dazu Frau Dr. Gerber, Professorin für Neues Testament an der Uni Hamburg, eingeladen.

Frau Gersdorf  hatte sich beim Thema auf die Äußerung eines jungen Studenten bezogen. Tatsächlich führten die in Johannes 6 geäußerten Worte zur großen Scheidung der Anhänger Jünger Jesu. Aufgrund der harten Rede Jesu damals in der Synagoge von Kapernaum „Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, der hat das ewige Leben!“ hatten sich viele Jünger von ihm abgewandt. Wir stehen heute vor derselben Entscheidung.

Da wir das Abendmahl mit den Worten „Brot des Lebens“ und „Kelch des Heils“ einnehmen, scheinen wir nicht so sehr mit dieser Frage konfrontiert zu sein, auch wenn, wie Frau Prof. Gerber aufzeigte, in allen Evangelien von dem für uns gegebenen Leib Christi und von dem für uns vergossenen Blut Jesu gesprochen wird.

Auch der Hinweis der Referentin, dass in den Anfängen des Christentums das Abendmahl ohne Einsetzungsworte in Privathäusern durchgeführt wurde, auch ähnliche gemeinsame  Mahle, allerdings mit anderem kulturellen Hintergrund, zu jener Zeit stattfanden, befreit uns nicht von dieser zentralen Entscheidung, vor der die Jünger damals standen. Jesus hatte den engeren Kreis seiner erwählten 12 Jünger in ihrer Verunsicherung gefragt: „Wollt auch ihr weggehen?“ Petrus antwortete mit den bekannten Worten: „Herr, wohin sollen wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens!“

Es geht um das ewige Leben. Frau Prof. Gerber wies uns auf Jeremia 31, wo uns Gottes Gesetz in unseres Inneres gelegt, auf unser Herz geschrieben wird, dass wir wie David im 1. Psalm ausrufen können, wir haben Lust am Gesetz des Herrn! Das aber hat seinen Preis. Auf Jesaja 53 wurden wir aufmerksam gemacht: „Unser Leiden, er hat sie getragen, unsere Schmerzen, er hat sie auf sich genommen.“ Mit diesem Beispiel ist uns zugesprochen, unseren Eigennutz zu überwinden, in Demut, in völliger Selbstlosigkeit, den anderen höher zu achten, als sich selbst (Phil. 2.3), um nun auch das Leiden und die Schmerzen des Nachbarn zu tragen. So nur können wir den Satz in Jesaja 53.10 verstehen: Dem Herrn gefiel es, ihn zu zerschlagen, sein Leben als Schuldopfer einzusetzen.  Er tat es aus Liebe zu uns, wie es im Johannes 3.16 heißt. Nur Sein Geist befähigt uns zur Nachfolge.

Durch sein Blut sind wir gerecht geworden (Römer 5.9.). Dieses gilt es, im Abendmahl in Würde, so hörten wir, zu feiern, frei von Unfrieden und Streit in uns, dass Jesus nicht vergeblich sein Leben für uns gab, wir Anteil haben an der Gemeinschaft mit ihm (1.Kor 10.21). Das können wir nur in Gnade empfangen, als Gottes Geschenk.

Dieses Seminar war ein Geschenk. Es konnte uns jedes falsches Verständnis über das „Bluttrinken“ nehmen, führte uns stattdessen neu in die Kraft der Abendmahlfeier, ließ uns den Weg zum „neuen“ von Sünde erlösten Menschen erahnen. Mehre dieser Gespräche sollten folgen. Wer wollte, konnte im Anschluss an den Vortrag tatsächlich schon eine lebendige Gemeinschaft mit angeregten Gesprächen bei Brot und wohlschmeckendem Rotwein erfahren.  

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 Gudrun Gersdorf

„Vor vielen Jahren habe ich in Aleppo einen „Agape-Tisch“ gesehen, der im Privathaus eines wohlhabenden Christen gestanden haben muss; dort feierte die frühchristliche Gemeinde ihr „Herrenmahl“, wie sie es nannte. Wie für eine große Familie müssen hier wohlhabende Freie – eine  Rarität in der antiken Gesellschaft -, Sklaven, Frauen und vielleicht auch Kinder gemeinsam gegessen haben; in der antiken Gesellschaft ein Skandal:

Frauen hatten bestenfalls bei Tisch zu bedienen, Sklaven, Sacheigentum ihrer Herren, waren nicht gesellschaftsfähig und schon gar keine Tischgäste; Kinder nahm man bei der üblichen Kindersterblichkeit erst gar nicht zu Kenntnis. Die ungewöhnliche christliche  Tischgesellschaft eröffnete das „Herrenmahl“ mit einem Dankgebet über Kelch und Brot, wie es schon die Juden am Sabbat sprachen, jedoch um eine entscheidende Erweiterung: um die Bitte einer eschatologischen  Zusammenführung der Gemeinde in Gottes Reich, worum auch Jesus im Vaterunser gebetet hat.

Wir wissen nur wenig über die ersten Herrenmahl-Feiern; jedoch soviel wurde im Vortrag klar: Da die ersten Christen in Palästina und Syrien Juden waren, verstanden sie auch die Texte der 3 synoptischen Evangelien von Blut und Fleisch nicht wörtlich! Noch heute isst ein gläubiger Jude nur „koscher“, d.h. nur Fleisch, welches im Schlachtvorgang ausgeblutet wurde, denn schon in der Genesis wird betont, dass Blut unantastbar für die einzigartige   Gabe des Lebens steht, welches ausschließlich Gott stiften kann. So hörten schon frühe Christen die Einsetzungsworte nicht als wörtliche Aussage, sondern als Metapher.

Gerade das Johannes-Evangelium enthält in Johannes 6 eine Fülle von Anspielungen an die Tora und die Propheten; Juden kannten die Texte. Warum schrieb der Verfasser dieses Evangeliums so? Er erlebte in der Zeit 80 bis 100 n. Chr. mit den frühchristlichen Gemeinden  ein Trauma: man hatte sie aus der Synagoge hinausgeworfen, weil Jesus dort nicht als der erwartete Messias akzeptiert wurde. Jesus selber hat die Ablehnung während der gesamten Zeit seines Wirkens zunehmend erfahren und wurde deshalb schuldlos auf Betreiben der Tempelhierarchie zum Tode verurteilt; so lesen sich die Einsetzungsworte zum Abendmahl als Leidensankündigung auf das Kreuz hin. Er verkündete, dass in ihm das wahre Leben sei, das Gott für den Menschen bestimmt hat; dass der Tod nicht das letzte Wort haben würde. Jesus hat stets, wie uns die Fülle der angegebenen Intertexte zeigte, immer über sich hinaus auf den Vater verwiesen. Nachfolge bedeutet, mit ihm, wenn auch fragmentarisch in Schwäche und Zweifel des Glaubens, diesen Weg zum Vater zu gehen, und Jesus sprach seinen Nachfolgern zu, sie bis an das Ende der Tage zu begleiten.

So ist das Herrenmahl neu für uns zu erschließen: Christus spricht zu jedem von uns in dem gemeinsamen Mahl wie ein guter Freund seine Anwesenheit und seine liebevolle Zuwendung  auf dem Weg zu Gott stets aufs Neue zu; und wir erfahren seine Kraft in der Gemeinschaft mit jenen anderen, die mit uns dieses Mahl teilen; wir gehen diesen Weg nicht allein, sondern mit der Gemeinde, verantwortlich für jeden in ihr, getragen von sorgsamer Liebe von ihr, wenn wir diese benötigen. Dieses ist die kostbarste Einladung, die uns zuteil werden kann.

Eine Hörerin des Vortrags fragte: „Können wir diese Gemeinschaft nicht augenfälliger als bisher in unserer Gemeinde probieren?“

Diese Frage kann ich nur weitergeben, denn wir alle sind, wie die frühen Christen, lebenslang Lernende, uns für die Gemeinschaft mit Gott zu öffnen und zugleich in der Liebe Christi den Menschen neben uns hinein zu nehmen.

Letztlich bleibt jeder Versuch, das „Herrenmahl“ rational zu erklären, und sei es mit Bibelzitaten, ein begrenztes Unterfangen; die Öffnung im Glauben entzieht sich rationaler Erfassung, und das sollten wir respektieren. 

 

Vernetzung der Religionen - Ideal - oder auch Realität?

Anfragen an Karl-Josef Kuschel :“ Juden  Christen  Muslime, Herkunft und Zukunft“  (Patmos 2008)

Wer sich durch fast 700 Seiten dieses eindrucksvollen Werks hindurcharbeitet, schreitet an kundiger Hand  den gesamten Horizont der abrahamischen  Religionen ab; hergeleitet von den prägenden Bildern und Geschichten, welche in ihren Schriften ein Schlüsselrolle einnehmen:  gipfelnd in der gemeinsamen Herkunft aller 3 Religionen von Abraham, Vorbild unbedingten Vertrauens auf Gott. Selbst ein kundiger Bibelleser wird aufmerksam auf ganz neue Aspekte der Auslegung vertrauter Texte; ganz zu schweigen von ihren Parallelen und auch Unterschieden zu Koran und  hebräischer Bibel.
Kuschel führt zur Zukunft aller, nicht nur der abrahamischen Religionen, den Begriff der Vernetzung ein: Aus tiefer Einsicht, gewonnen aus intensivem Textstudium, Aufgabe des exklusiven Wahrheitsanspruchs und der Einstufung anderer Religionen als defizitär; hin zu einem fruchtbaren Gespräch , das den andersartigen Zugang  nicht nur respektiert, sondern als bereichernd begreift. Vernetzung wie in der Computerwelt, welche nur einen Sinn macht, wenn Absender und Adressaten im Dialog stehen.

Welch schönes Ideal! Kuschel zeigt, dass bescheidene Ansätze in Schriften und Entschließungen hier und da Theologen  gemacht haben.
Doch wie sieht unsere Realität aus? Hier sind einige Anfragen angebracht, die der Beantwortung harren:   
Da der Dialog voraussetzt, dass jeder zumindest in seiner eigenen Religion  sein Bekenntnis  nach außen verdeutlichen kann, denn Dialog meint nicht Gleichmacherei: Wo nehmen sich christliche Gemeinden und sonstige Institutionen  dieser Frage  an - angesichts rudimentärer Kenntnis der Mehrheit? Steht nicht in der evangelischen Kirche  gegenwärtig  mehr das soziale Engagement im Sinne der Bewahrung von Schöpfung im Vordergrund ? Gibt es nicht zudem  zu denken, dass in der restaurierten Hamburger Hauptkirche St. Katharinen das Kruzifix nicht mehr über dem Altar platziert ist? Und hat kürzlich die Synode der Kirche Nordelbiens keine wichtigere Entschließung zu verkünden, als dass zukünftig auf kirchlichen Großveranstaltungen  kein Fastfood mehr angeboten werden soll?

Dialog meint auch: Alle Gesprächspartner müssen bereit sein, ihren Exklusivitätsanspruch aufzugeben, ohne auf Dominanz zu zielen.
Wie gehen wir mit den  Fragen um, welche sich unüberhörbar  auch in Deutschland  he stellen: Wo wird einmal in der Öffentlichkeit, auch   in der evangelischen Kirche, ihren Gemeinden diskutiert, wie mit der Forderung nach Legalisierung muslimischer Feiertage, insbesondere dem Ramadan,  zu verfahren wäre?  Der Forderung  nach Geltung der Scharia in Europa?  Wie könnte die Basis für einen Frieden unter den Beteiligten aussehen, ohne den – schon Küng hat dieses betont – auch kein Weltfrieden möglich ist?
Es wird Zeit, diesen Fragen sich zu stellen.


Gudrun Gersdorf