Amos 5, 21 - 24 | Estomihi
Pröpstin M. Lehmann-Stäcker
Stellen Sie sich vor – liebe Gemeinde – gerade jetzt in diesem Augenblick käme jemand zur Tür herein, stürzte zum Altar, würfe die Blumen auf die Erde, den Abendmahlskelch hinterher und schrie:
„Ich hasse Eure Feste und kann Eure Gottesdienste nicht ausstehen, an all Eurem Opfergetue und all Euren Gaben habe ich keine Freude. – Hört auf mit dem Geplärr Eurer Lieder, Euer Geklimper ist meinen Ohren lästig - spricht Gott der Herr!“
Was würden Sie tun?
Ich würde mich ärgern, denn ich habe viel Zeit und Kraft darauf verwandt, dass dieser Gottesdienst Ihnen gut tun möge. Ich würde wahrscheinlich glauben, dass dieser Mensch psychisch krank ist. – Auf keinen Fall würde ich ihn als Propheten, als Gottesmann erkennen und akzeptieren.
Insofern kann ich mich gut in die Haut der Priester versetzen, die vor etwa 2.700 Jahren sich angemacht fühlten von einem Bauern, einem Maulbeerfeigenzüchter, einem Dahergelaufenen aus dem armen Süden. Von so jemandem wollten sie sich nichts sagen lassen. Und als er sich trotzdem den Mund nicht verbieten ließ, setzten sie ihn vor die Tür = d.h. sie verwiesen ihn des Landes.
Aber es hat ihnen nichts genützt. Sein Name ist bis heute Programm, seine Botschaft bis heute Mahnung und Aufforderung, das eigene Verhalten kritisch zu betrachten.
Was Amos damals anprangerte und was ein ganzes Buch in unserer Bibel füllt, ist die Diskrepanz zwischen Gottes-Dienst und Dienst am Nächsten, zwischen Sonntag und Werktag. Die Schere zwischen Arm und Reich wurde immer größer, Korruption war an der Tagesordnung, Bettler wurden vertrieben, Gesetze nicht befolgt und Übertretungen kaum geahndet – aber man ging an den Feiertagen natürlich zu den prachtvoll ausgestatteten Gottesdiensten und ließ sich bei den Opfergaben nicht lumpen. Sie hatten keine Schwierigkeiten, werktags Menschen in den Ruin zu treiben und dann mit voller Inbrunst das Halleluja zu singen.
Wenn ich die Situation beschreibe – liebe Gemeinde – kriege ich Beklemmungen. Soviel anders ist das heute nicht im Vergleich zu damals. Auch heute zerfällt die Gesellschaft bei uns und weltweit in Arm und Reich und Gerechtigkeit und Recht scheinen zwei verschiedene Schuhe zu sein.
Und insofern muss ich auf die Frage: <Meint der Prophet - in Gottes Namen – auch mich, auch uns?> mit Ja antworten. Eine Gemeinde, die sich nicht angesprochen, sich von solchen Worten gestört fühlt, im Unverbindlichen bleiben will, bei der ist Gott nicht gerne Gast, die kann er nicht riechen.
Gottesdienste sollen schön sein. Aber nicht nur, sie sollen ermutigen für den Alltag. Das Gotteslob soll in Menschenliebe einmünden und Friedfertigkeit und Gerechtigkeitssinn sollen Ausdrucksformen finden, die das Gesicht der Welt zum Lächeln bringen.
Der Prophet sagt es so: <Es ströme aber das Recht wie Wasser und die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Strom. Das wird dem Land zum Segen werden.>
So stellt sich Gott seine Welt vor – Gerechtigkeit will er und zwar in einem solch umfassenden Sinne, dass es unser Vorstellungsvermögen übersteigt. Unsere kleine Welt sowieso. Mit Forderungen ist da nicht viel zu machen, aber mit Einsicht und Umkehr.
Liebe Gemeinde, in 3 Tagen beginnt die Passionszeit, eine Zeit, die uns daran erinnert, dass wir uns nicht selber ent-schuldigen können, sondern der Vergebung bedürfen und zum Neuanfang ermutigt werden.
Müssen wir eigentlich immer wieder darauf hingewiesen werden?
Offensichtlich – und – es bedarf Menschen, die uns zu dem unverbrüchlichen Miteinander von Glauben und Handeln zum Vorbild geworden sind. Wir werden nach der Predigt das „neue Lied“ von Bonhoeffer noch einmal singen. Er war einer der wenigen, die der Antisemitismus mit den Grundlagen der Bibel kritisierte: <Nur, wer für die Juden schreit, darf auch gregorianisch singen.>
Beten und Tun des Gerechten gehören zusammen <Tu den Mund auf für die Stummen - wer weiß denn das noch in der Kirche, dass dieses die mindeste Forderung der Bibel in solchen Zeiten ist> schrieb er 1934.
Die mindeste Forderung der Bibel muss wohl immer wieder zur Sprache gebracht werden. Vor 2.700 Jahren war es die Stunde des Propheten Amos, um Rechtsbeugung anzuprangern, vor 70 Jahren erhob Dietrich Bonhoeffer mutig seine Stimme gegen das schreiende Unrecht. Und heute müssen wir die Augen und Ohren offen halten und aufschreien, wenn Ungerechtigkeit mit Sachzwängen, Globalisierungsnotwendigkeiten oder sonst was entschuldigt werden.
Ich möchte bei mir und Ihnen die Sehnsucht wecken, dass unsere Liturgie Ausdruck unserer Nachdenklichkeit wird und Gottesdienst und Menschendienst Hand in Hand gehen.
Ich möchte Sie und mich im wahrsten Sinne des Wortes anmachen lassen, dass wir den Gottesdienst verstehen als Quelle des Lebens und wir uns begreifen als Wasserträger und –trägerinnen der Sache Gottes.
Mit Gott in unserer Mitte, mit dem, was wir von ihm begreifen und was unbegreiflich bleibt, mit der Bitte um Vergebung und Neuanfang, mit der Bitte um den heiligen Geist wollen wir Gottesdienst feiern und hoffen, dass er so ist, dass Gott ihn gut riechen kann.
Wenn einer käme und rufen würde: <Geist Gottes, leiser zärtlicher Atem und starker kräftiger Sturmwind – komm und belebe uns neu.> Ich würde ihm zustimmen und einstimmen in die zweite Strophe: <Geist Gottes, fege hinein in unser Leben und fege hinaus, was falsch und verlogen ist.>
Und ich bin sicher – Sie rufen mit: <Gott, kehr in uns ein, damit wir einsehen, wo wir umzukehren haben und entzünde uns mit Deinem Feuer. Lass den Funken des Glaubens, Deiner Gerechtigkeit überspringen und den Strom Deines Friedens dem Land zum Segen werden.> Und dann ganz zum Schluss singen alle mit:
<Gott beflügele uns, damit wir es wagen zu träumen und uns trauen zu kämpfen. <br />Denn Du Gott gehst zu den Mensch in ihrer Not,
stirbst für alle den Kreuzestod,
sättigst Leib und Seele mit Deinem Brot
und vergibst ihnen – Beiden.>
Amen